Leidenschaft in dunkler Nacht

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Gerade sagt ihm die sexy Rechtsanwältin, er sei der Enkel eines Mafiabosses, da muss Milliardär Tate Hawthorne auch schon gemeinsam mit ihr untertauchen: Sein Zeugenschutz ist aufgeflogen. Auf der Flucht verliebt er sich in die schöne Renny - aber sie verbirgt etwas vor ihm …


  • Erscheinungstag 05.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716134
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Renny Twigg stellte die Automatik ihres Wagens auf Parken und starrte auf das Haus im Tudor-Stil. Vielleicht wäre „Schloss“ ein passenderer Begriff gewesen. Seine Mauern erhoben sich majestätisch über drei Stockwerke. Hier und da wurden sie von Efeu berankt. Die bunten Glasfenster mit den Mittelkreuzen glitzerten im Licht der späten Vormittagssonne, als wären sie aus Edelsteinen, und die Türmchen – eines an jeder Seite – überragten das Schieferdach und sahen aus, als wären sie von einem Renaissancekünstler entworfen worden. Das riesige Grundstück war kunstvoll mit blühenden Büschen gestaltet, prächtiger als in dem schönsten Gartenkatalog.

Es gab reich, und dann gab es wirklich reich. Mit Ersterem war Renny bestens vertraut. Sie stammte aus einer Familie einflussreicher Anwälte, Bankiers und Glücksritter, von denen die ersten vor Hunderten von Jahren in dieses Land gekommen waren, um den größtmöglichen Profit mit Grundstücken zu machen und die Siedler auszubeuten, wo immer es ging. Die Twiggs, die darauf folgten, führten diese Tradition fort und bauten sie noch aus. Es gelang ihnen, die Schatztruhen mit jeder Generation mehr zu füllen. Renny war in einem großen weißen Cape-Cod-Haus in Greenwich, Connecticut, aufgewachsen und hatte teure Privatschulen besucht, bevor sie nach Harvard ging. Vor elf Jahren, zu ihrem Einstand in die Gesellschaft, trug sie ein funkelndes Diadem mit echten Diamanten. Renny Twiggs wusste sehr genau, was es hieß, reich zu sein.

Sie betrachtete das massive Gebäude und die beeindruckenden Gärten erneut. Tate Hawthorne war ganz offensichtlich wirklich reich.

Renny holte tief Luft, um sich Mut zu machen, und steckte eine braune Haarsträhne zurück in ihren ansonsten makellosen Knoten. Dann überprüfte sie ihren Lippenstift im Rückspiegel und strich ihren braunen Leinenanzug glatt. Ja, sie war mehr als gerüstet für das Treffen mit dem Mann, den aufzusuchen ihr Arbeitgeber sie gebeten hatte. Also los, Renny. Worauf wartest du noch?

Erneut richtete sie ihren Blick auf das imposante Herrenhaus. Sie hatte das Gefühl, dass gleich ein Drache von einem der Türme heruntergeflogen käme, um sie zum Frühstück zu erbeuten. Denn trotz blühender Gärten und strahlend blauen Sommerhimmels sah dieser Ort genau danach aus. Als ob sein Besitzer ein mürrischer, anmaßender Rochester wäre, der sie in die Dachkammer sperren würde.

Hör auf damit, sagte sie sich. Tate Hawthorne war am Tag einer von Chicagos cleversten Investoren und nachts einer der bekanntesten Playboys. Wie sie gehört hatte, gab es nur eins, mit dem er mehr Zeit verbrachte, als Geld zu verdienen – es auszugeben. Und zwar vor allem für schnelle Autos und leichtlebige, langbeinige Rothaarige. Renny maß mit ihren Absätzen keine eins siebzig und war in einem gemieteten Buick hierhergefahren. Sie war mit Sicherheit nicht die Art von Frau, die ein Mann wie er wegen irgendwelcher ruchlosen Geschichten hier verstecken würde.

Auch wenn seine Abstammung ziemlich ruchlos war.

Sie öffnete die Wagentür und betrat die gepflasterte Einfahrt. Obwohl es erst Juni war, war es bereits unerträglich heiß. Mit schnellen Schritten näherte sie sich der Eingangstür und probte in ihrem Kopf noch einmal die taktvollste Art, Tate Hawthorne ihre Neuigkeiten beizubringen.

Zum Beispiel, dass er in Wirklichkeit gar nicht Tate Hawthorne war.

Rennys Arbeitgeber, Tarrant, Fiver & Twigg – das Twigg im Namen meinte ihren Vater, nicht sie selbst –, war eine Anwaltskanzlei, deren Aktivitäten vielfältig beschrieben werden konnten: Nachlassforscher, Vermögensdetektive, Erbenjäger. Ihre Dienste wurden vom Staat New York in Anspruch genommen, wenn jemand starb, ohne ein Testament hinterlassen zu haben, und der nächste Verwandte nicht bekannt war oder wenn er zwar bekannt war, man aber nicht wusste, wo er oder sie wohnte.

Bennett Tarrant, der Seniorpartner, hatte Renny diesen Job gegeben, weil sie die Erben immer aufspürte – bis auf das eine Mal. Und auch, weil sie gerade die einzige verfügbare Nachlassforscherin war, die nichts zu tun hatte, was nicht auch warten konnte. Und obwohl er es nicht explizit gesagt hatte, war Renny sich ziemlich sicher, dass ein weiterer Grund war, dass sie eine Chance bekommen sollte, ihre Schlappe wiedergutzumachen. Jemanden ausfindig zu machen, der wirklich schwer zu finden war – wie Tate Hawthorne –, und die Sache zu einem guten Abschluss zu bringen, würde ihr endlich die Beförderung bringen, auf die sie bisher vergeblich gewartet hatte. Und das wiederum würde ihren Vater sehr stolz machen. Dann würde er vielleicht auch damit aufhören, sie so anzuschauen, als wäre sie eine komplette Versagerin.

Inzwischen war Renny ganz zufrieden mit sich. Denn es brauchte Erfahrung und Talent, jemanden zu finden, der vor fast dreißig Jahren, zusammen mit dem Rest seiner engsten Familie, im Zeugenschutzprogramm verschwunden war. Nun ja, es brauchte auch eine Freundin von der Highschool, die eine ausgezeichnete Hackerin war und alles – oder jeden – im Internet finden konnte. Dank dieser Freundin hatte Renny den Erben gefunden, nach dem sie gesucht hatte. Und das, so hoffte sie zumindest, würde ihr bei Tarrant, Fiver & Twigg wieder Lorbeeren einbringen und dazu führen, dass ihr Vater sie endlich in Ruhe lassen würde, nur weil sie einmal diesen klitzekleinen Fehler gemacht hatte und die Findungsrate der Kanzlei von 100 auf 99,99 Prozent gesunken war. O Mann, sie hatte es ja nicht absichtlich getan!

Sie klingelte an der Tür und fächelte sich mit ihrer Mappe Luft zu, während sie auf eine Reaktion wartete. Wenn man die Größe des Hauses bedachte, konnte es allerdings noch Tage dauern, bis jemand erschien. Daher war sie auch überrascht, als die Tür Augenblicke später aufgerissen wurde. Glücklicherweise war es nicht Tate Hawthorne, der ihr aufmachte. Es war ein livrierter Butler, der auf Renny so alt wirkte, dass er sie an einen der amerikanischen Gründerväter erinnerte.

„Guten Morgen“, sagte Thomas Jefferson. „Miss Twigg, nehme ich an?“

Sie nickte. Sie hatte Tate Hawthorne zu Beginn der Woche kontaktiert – oder, um es genauer zu sagen, seine Assistentin Aurora, die sich in Rennys Ohren tatsächlich wie eine leichtlebige, langbeinige Rothaarige angehört hatte, und ein Treffen mit ihm arrangiert, für die einzigen fünfzehn Minuten, die der Mann im gesamten Monat Juni offensichtlich freihatte. Fünfzehn Minuten, die er bereit war, von seinem regelmäßigen Polo-Match am Samstag abzuknapsen.

„Hallo“, erwiderte Renny. „Tut mir leid, ich bin ein bisschen früh. Ich hatte gehofft, Mr. Hawthorne könnte vielleicht noch weitere zehn oder fünfzehn Minuten für unser Treffen erübrigen. Was ich ihm zu sagen habe, ist ziemlich …“ – lebensverändernd hätte wahrscheinlich ein bisschen zu melodramatisch geklungen – … „wichtig.“ Und auch lebensverändernd.

„Jedes Treffen von Mr. Hawthorne ist wichtig“, erwiderte Thomas Jefferson nachsichtig.

Natürlich. Deshalb hatte er ja auch nur fünfzehn Minuten für Renny übrig.

„Wie dem auch sei …“, begann sie.

„Ist schon in Ordnung, Madison“, unterbrach sie ein dröhnender Bariton.

Renny sah an dem Butler vorbei und erblickte den Mann im Hintergrund. Das musste Tate Hawthorne sein, denn er sah wirklich, wirklich reich aus.

Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten, seine Haut hatte den dunklen Ton einer Golddoublone, und seine grauen Augen glänzten wie Platin. Er trug ein Polo-Outfit in Tönen, die noch prächtiger wirkten, von dem kupferfarbenen Hemd über die schokoladenfarbenen Reithosen bis zu den mahagonifarbenen Stiefeln mit vorderseitigem Reißverschluss, die seine Knie bedeckten und schützten. Alles hauteng über muskulösen Oberschenkeln, einem sehnigen Oberkörper, einem beeindruckenden Bizeps und Schultern, die breiter als die Brooklyn Bridge waren. Renny musste sich unglaublich zusammenreißen, um ihn nicht anzustarren.

Leider gelang ihr keine der Situation angemessene professionelle Begrüßungsformel. „Hi!“ Sofort bemerkte sie, dass sie aus der Rolle gefallen war, und verbesserte sich. „Äh, ich meine, hallo, Mr. Hawthorne.“

„Hallo zurück, Ms. …“ Er zögerte. „Bitte entschuldigen Sie. Aurora hatte mir Ihren Namen genannt, aber ich habe heute Morgen an etwas anderem gearbeitet und ihn vergessen. Und … na ja, Sie sind ein bisschen früh dran.“

Es schien ihm wirklich etwas auszumachen, dass er ihren Namen nicht parat hatte, was Renny ihm zugutehielt. Nicht nur, weil er so höflich damit umging, dass sie ihm seine knappe Zeit stahl, sondern weil ihrer Erfahrung nach einflussreiche Geschäftsleute nie beschämt waren. Und schon gar nicht, wenn sie den Namen einer Angestellten von einer Kanzlei vergaßen, mit der sie noch nie etwas zu tun gehabt hatten.

Der Butler trat zur Seite, und sie murmelte ein Danke, als sie an ihm vorbeiging und das Foyer betrat. Sie zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie Tate Hawthorne.

„Ich bin Renata Twigg.“ Nicht, dass sie sich auch nur einen Tag ihres Lebens wie eine Renata gefühlt hatte, denn dieser Name klang für sie nach einer großen, langbeinigen Rothaarigen. Renny wusste immer noch nicht, was ihre Eltern im Sinn gehabt hatten, als sie sie ausgerechnet so nannten. „Ich repräsentiere die Kanzlei Tarrant, Fiver & Twigg“, setzte sie hinzu.

Er nahm die Karte entgegen, ohne sie anzuschauen. Stattdessen betrachtete er Renny. Viel zu intensiv für ihren Geschmack.

„Renata.“ Er schnurrte ihren Namen in einer Weise, die sie an Samt und Cognac erinnerte. Und plötzlich hatte sie gar nichts mehr gegen ihren Vornamen.

„Vielen Dank, dass Sie sich heute Morgen Zeit für mich genommen haben. Ich weiß, Sie sind sehr beschäftigt.“

Sie betrachtete das riesige Foyer mit den schwarz-weißen Kacheln und den verschiedenen Ausgängen – zwei Türen zu ihrer Rechten, zwei zu ihrer Linken und noch eine weitere, umrahmt von einer geschwungenen Treppe ins obere Stockwerk.

„Können wir uns irgendwo unterhalten?“, fragte sie.

Einen Moment lang schien es Tate Hawthorne zu genügen, sie auf diese penetrante Art anzuschauen. Doch schließlich nickte er und sagte: „Natürlich.“

Er streckte eine Hand nach links aus, um anzuzeigen, dass Renny vorgehen sollte. Was sie auch getan hätte, wenn sie gewusst hätte, wohin sie gehen sollte. Offensichtlich erkannte dann auch er, wie vage diese Geste gewesen war, und warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu, was ihn noch charmanter wirken ließ.

„Zu meinem Büro geht es hier entlang“, erklärte er.

Er wählte den Ausgang hinter sich, Renny folgte ihm. Sie gingen an mindestens acht oder neun Räumen vorbei, bis sie schließlich einen betraten, der mehr einer Bibliothek ähnelte als einem Büro. Er war bis an die Decke vollgestopft mit Büchern. In einer Ecke vor dem Fenster befand sich ein Schreibtisch, darauf ein hochmoderner Computer, umgeben von akkurat verteilten Papierstapeln. Daneben lag ein Polohelm, den Tate an sich nahm. Offensichtlich hatte er bis kurz vor ihrer Ankunft hier noch gearbeitet. Er nahm anscheinend sowohl seine Arbeit als auch seine Freizeitvergnügungen sehr ernst.

„Bitte, setzen Sie sich doch“, sagte er und zeigte auf einen prächtigen Ledersessel. Dann drehte er seinen Schreibtischsessel um – ebenfalls aus Leder, jedoch kleiner – und setzte sich.

Renny versuchte zu ignorieren, dass seine Kleidung im Sitzen noch enger wirkte, und unterdrückte die Fantasie, sich vor ihm hinzuknien und ihm die Stiefel auszuziehen. Stattdessen öffnete sie ihre Mappe und holte eine Handvoll Dokumente heraus, die sie mitgebracht hatte, um ihre melodramatische Ankündigung zu unterstützen.

„Mr. Hawthorne“, begann sie.

„Tate“, verbesserte er sie.

Sie sah von ihren Papieren hoch, und ihre Blicke trafen sich. Diese Augen. So blass und grau und kühl für einen Mann, der so tief, dunkel und heiß wirkte. „Bitte?“, fragte sie, ohne darüber nachzudenken.

Er lächelte erneut. Sie gab sich alle Mühe, nicht dahinzuschmelzen. „Nennen Sie mich Tate“, sagte er. „Mr. Hawthorne bin ich nur bei der Arbeit.“

Ach, dann geht es hier also nicht um Arbeit, hätte Renny fast gesagt. Für sie schon. Jedenfalls war es darum gegangen, bevor er zu lächeln begonnen hatte.

„Okay“, fing sie von Neuem an. Wahrscheinlich war es das Beste, ihn gar nicht anzureden. Zumal das Einzige, das ihr im Moment dazu einfiel, war … nun, egal. „Sagt Ihnen der Name Joseph Bacco etwas?“

Ein Funken blitzte in seinen Augen auf und verschwand gleich wieder. „Vielleicht“, erwiderte er. „Etwas in den Nachrichten, vor nicht allzu langer Zeit? Ich erinnere mich aber nicht mehr an den Kontext.“

Renny war sich nicht sicher, wie weit Joseph Baccos Einfluss über New York und New Jersey hinausreichte, aber er war zu seiner Zeit bekannt genug gewesen, dass man über ihn geschrieben und eine Dokumentation fürs Fernsehen gedreht hatte. Und sein Tod hatte die Nation aufgerüttelt. Sie versuchte eine andere Taktik.

„Was ist mit dem Namen Joey das Messer?“

Diesmal lag in Tates Lächeln mehr Humor als Leidenschaft.

„Nein“, erwiderte er.

„Der Kugelsichere Bacco?“, versuchte sie es mit einem anderen von Baccos Spitznamen.

„Ms. Twigg …“

„Renny“, sagte sie, bevor sie sich zurückhalten konnte. Und bereute es sofort. Was fiel ihr ein? Sie lud Klienten nie dazu ein, sie beim Vornamen zu nennen. Und nur Bennett Tarrant und ihr Vater nannten sie bei der Arbeit Renny, weil sie sie seit dem Tag kannten, an dem sie zur Welt gekommen war.

Tates Blick wurde wieder heißer. „Ich dachte, Sie hätten gesagt, Ihr Name sei Renata.“

Sie schluckte. „Ja, das stimmt auch. Aber alle nennen mich Renny.“

Jedenfalls alle, die nicht in geschäftlicher Verbindung zu ihr standen, was Tate jedoch tat. Warum hatte sie dann ihm gegenüber diese Einladung ausgesprochen?

„Sie kommen mir nicht wie eine Renny vor“, sagte er gerade noch rechtzeitig. Denn das Letzte, was sie wollte, waren sexuelle Fantasien in Bezug auf einen Klienten. Das hätte einen weiteren Minuspunkt in ihrer Akte gegeben.

„Nein?“, fragte sie mit belegter Stimme.

Seine Augen verengten sich, dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Sie wirken auf mich wie eine Renata.“

Nun, das war etwas ganz Neues. Niemand hielt sie für eine Renata. Selbst ihre Eltern hatten an dem Tag aufgehört, sie so zu nennen, als sie ihr rosa Ballettröckchen ausgezogen und beschlossen hatte, von nun an nur noch Fußball zu spielen wie ihre Brüder. Am Ende hatten sie und ihre Eltern sich darauf geeinigt, dass es Bogenschießen sein sollte, aber trotzdem war es das Ende von „Renata“ gewesen.

„Äh …“, stammelte sie und sah ihn hilflos an. Worüber hatten sie gerade noch gesprochen?

„Der Kugelsichere Bacco?“, wiederholte er.

„Richtig. Joey das Messer.“

„Es klingt nicht wie der Name von jemandem, dem ich in Chicago an der Börse begegnen würde“, fuhr Tate fort.

Sie versuchte es ein letztes Mal. „Was ist mit dem Eisernen Don?“, fragte sie. „Sagt Ihnen das auch nichts?“

Der Funke blitzte erneut in seinen Augen auf und blieb diesmal. „Richtig“, sagte er. „Der Mafioso.“

„Der angebliche Mafioso“, korrigierte Renny ihn. Denn schließlich hatte man Joey dem Messer nichts nachweisen können, was nicht an ihm abgeglitten wäre wie Butter an einem heißen Messer. Trotzdem war sie sich sicher, dass dies nicht der Grund war, warum er sich den speziellen Spitznamen erworben hatte.

„Aus New York, glaube ich“, sagte Tate. „Vor ein paar Monaten kam die Nachricht über seinen Tod in den Nachrichten. Alle sprachen darüber, dass er der älteste lebende Gangster in unserem Land war und dass es wirklich erstaunlich war, dass er aufgrund seines Alters gestorben war und nicht … wegen etwas anderem.“

„Angebliche Gangster“, korrigierte Renny ihn erneut. „Und ja, das ist der Mann, über den ich spreche.“

Tate sah auf seine Uhr und dann wieder zurück zu Renny. Trotz seiner Bereitschaft, mit ihr zu flirten, achtete er anscheinend peinlich genau auf seinen Terminplan. „Und er hat etwas damit zu tun, dass wir uns hier treffen? In welcher Hinsicht?“

Renny reichte ihm das erste Dokument, das sie mitgebracht hatte – die Kopie seiner Geburtsurkunde aus New Jersey –, eine völlig andere als die aus Indiana, die er seit der ersten Klasse benutzte. Der Name, der darauf stand, war jedoch nicht Tate Hawthorne, wie man ihn nach seinem Stiefvater genannt hatte, der ihn adoptiert hatte. Und auch nicht Tate Carson, wie er früher geheißen hatte. Der Name auf diesem Dokument lautete …

„Joseph Anthony Bacco der Dritte?“, fragte er.

„Enkelsohn von Joseph Anthony Bacco senior“, erklärte Renny. „Auch bekannt als Joey das Messer. Auch bekannt als der Kugelsichere Bacco. Und der Eiserne Don.“

„Aber warum zeigen Sie mir eine Geburtsurkunde, die dem Enkel eines Gangsters gehört?“

Renny wollte ihn schon korrigieren, doch er fügte hastig hinzu: „Eines angeblichen Gangsters. Was hat Joseph der Dritte denn mit mir zu tun?“

Sie zog ein Foto aus ihrer Mappe, eins von vielen, die sie aus den Achtzigerjahren hatte. Darauf saß ein Mann um die sechzig neben einem Mann um die zwanzig, der ein Baby auf dem Schoß hatte. Sie gab Tate das Foto, und er betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen. Renny hatte das Gefühl, dass er wusste, was kommen würde. Aber kein Muskel zuckte in seinem Gesicht.

„Das Foto ist aus dem Nachlass von Joseph Bacco“, sagte sie. „Der ältere Mann ist Joseph Anthony Bacco senior, und der jüngere Mann neben ihm ist …“

„Mein Vater“, beendete Tate den Satz für sie. „Ich erinnere mich nicht gut an ihn. Er ist gestorben, als ich vier war. Aber ich habe ein paar Fotos von ihm und ihn deshalb gleich erkannt. Wahrscheinlich bin ich der kleine Junge, den er auf dem Schoß hat, richtig?“

„Richtig.“

„Was bedeutet, mein Vater war ein Bekannter des Eisernen Don“, schlussfolgerte er, ohne den Blick von dem Foto zu wenden.

„Er war mehr als ein Bekannter“, erwiderte sie. „Ihr Vater war Joseph Anthony junior.“

Tate lehnte den Kopf zurück. „Das ist unmöglich. Der Name meines Vaters war James Carson. Er hat in einem Eisenwarenladen in Terre Haute, Indiana, gearbeitet. Der Laden ist abgebrannt, als ich vier Jahre alt war. Er ist dabei umgekommen.“

Renny blätterte durch ihre Dokumente, bis sie die fand, nach denen sie gesucht hatte. „James Carson war der Name, den die Bundespolizei Ihrem Vater gegeben hatte, bevor man ihn und seine Familie ins Zeugenschutzprogramm aufnahm. Sie waren damals erst zwei Jahre alt. In dem darauffolgenden Prozess war Ihr Vater dann der Kronzeuge gegen einen von Joseph Baccos Kapos, Carmine Tomasi. Außerdem hat Ihr Vater noch gegen ein halbes Dutzend anderer Mitglieder der kriminellen Vereinigung ausgesagt, was zu zahlreichen Verhaftungen und Gefängnisstrafen geführt hat.“

Sie betrachtete das Dokument, das ganz oben lag. „Ihre Mutter wurde zu Natalie Carson, und Sie wurden zu Tate Carson. Sie alle bekamen neue Sozialversicherungsnummern und Geburtsdaten zugewiesen. Die Bundespolizei brachte Sie und Ihre Eltern von Passaic, New Jersey, nach Terre Haute, und Ihre Eltern bekamen neue Jobs. Ihr Vater in einem Eisenwarenladen und Ihre Mutter bei einer lokalen Versicherung.“

Renny reichte ihm noch weitere Papiere, die diese Behauptungen belegten. Erst vor ein paar Tagen hatte sie alles per Post bekommen, wobei ihr erneut ihre alte Highschool-Freundin geholfen hatte. Denn offiziell durfte sie diese Berichte eigentlich gar nicht haben. Phoebe hatte sie ihr nur deshalb besorgt, weil sie ihr noch einen Gefallen schuldete, der mit einem gewissen Jungen namens Kyle damals im College zu tun hatte.

Auch diese Dokumente nahm Tate schweigend von ihr entgegen und verschlang beim Lesen jedes Wort. Als er dann aufsah, wirkten seine grauen Augen ziemlich stürmisch. „Wollen Sie damit etwa behaupten …?“

Renny entschloss sich, an Ort und Stelle reinen Tisch zu machen. Eine andere Möglichkeit hatte sie sowieso nicht.

„Sie sind der Enkelsohn von Joey dem Messer und auch sein rechtlicher Erbe. Obwohl Ihr Vater einige seiner Kumpel in den Knast gebracht hat, hat Ihr Großvater Ihnen sein gesamtes Erbe hinterlassen, weil Sie der älteste Sohn seines Sohnes sind. So bestimmt es nun einmal die über hundertjährige Tradition der Baccos. Außerdem war es Joeys Wunsch auf dem Totenbett, dass Sie seine Position als Familienoberhaupt einnehmen und alle geschäftlichen Angelegenheiten übernehmen.“

„Mit anderen Worten, Mr. Hawthorne“, fuhr Renny fort, „Joseph Anthony Bacco senior hat Sie zum neuen Eisernen Don erwählt.“

2. KAPITEL

Es brauchte eine Minute, bis Tate alles verarbeitet hatte, was Renata Twigg gerade gesagt hatte. Und selbst dann war er sich nicht sicher, ob er alles richtig verstanden hatte. Es war einfach zu weit weg von seiner Realität und überstieg sein Vorstellungsvermögen. Es war schlichtweg nicht zu glauben und sehr bizarr.

Renata schien seine Verwirrung zu spüren. „Mr. Hawthorne? Haben Sie irgendwelche Fragen?“

Natürlich hatte er Fragen. Millionen. Wenn er nur einen klaren Kopf bekommen könnte, um auch nur eine zu formulieren … Schließlich war es so weit.

„Wie kann es sein, dass ein Gangster sein Vermögen dem Sohn eines Mannes vermachen will, der ihn verraten hat?“

„Angeblicher Gangster“, korrigierte Renata ihn erneut.

„Wenn ich wirklich Joseph Baccos Enkel bin …“, fing er an.

„Sie sind auf jeden Fall Joseph Baccos Enkel!“

„Aber warum würde er dann irgendetwas mit mir zu tun haben wollen? Mein Vater – sein Sohn – hat ihn der Bundespolizei ausgeliefert. Würde das nicht die Familienbande zerstören? Oder … keine Ahnung … wäre es nicht logischer gewesen, wenn er einen Preis auf den Kopf meines Vaters ausgesetzt hätte?“

Autor

Elizabeth Bevarly
<p>Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam. Sie...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Zufälliges Erbe