Das Prinzessinnen-Projekt

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Keine Eskapaden mehr - Prinzessin Alice will sich künftig untadelig benehmen. Doch beim Anblick des neuen Pferdepflegers schmilzt ihr Vorsatz dahin. Alice ahnt nicht, dass der vermeintliche Habenichts ein Tycoon ist, der zwei Trophäen begehrt: ihren Lieblingshengst - und ihre Hand!


  • Erscheinungstag 05.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755379
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Am ersten Mittwoch im September wurde Alice Bravo-Calabretti in Versuchung geführt.

Dabei hatte sie sich so tapfer gehalten. Mehr als zwei Wochen lang war sie dem Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, treu geblieben. Alice hatte sich selten in der Öffentlichkeit gezeigt und wenn, dann hatte sie sich tadellos benommen. Sie hatte sich auf keinerlei Abenteuer eingelassen und Situationen gemieden, in denen sie negativ hätte auffallen können.

Eigentlich war das gar nicht so schwer gewesen. Sie hatte die Tage mit ihren geliebten Pferden und die Nächte allein zu Hause verbracht. Versuchungen waren so lange kein Problem für sie, wie es ihr gelang, sie zu meiden.

Bis zu jenem schicksalhaften Mittwoch.

Es war noch vor dem Morgengrauen in den Ställen. Alice machte eine der Stuten, Yasmine, für einen Morgenritt bereit. Gerade als sie ihr den Sattel aufgelegt hatte, hörte sie ein Geräusch im leeren Stall hinter sich.

Yasmine schlug mit dem Schweif und wieherte leise. Ihr Fell glänzte im fahlen Licht der Stallbeleuchtung. Alice sah sich suchend um, bis sie die Geräuschquelle entdeckte.

Einer der Angestellten fegte den Stallboden vor der Tür, die hinaus in den Hof führte.

Seltsam, sie hatte den Mann noch nie gesehen. Dabei waren die Stallungen des Palasts ihre zweite Heimat. Alle anderen Pferdepfleger und Stallburschen kannte sie sogar mit Namen. Vielleicht war dieser hier neu.

Gilbert, der Chef-Pferdepfleger, betrat den Stall und wechselte einige Worte mit dem Fremden. Der Mann lachte. Gilbert auch. Offenbar mochten die beiden einander.

Achselzuckend zog Alice Yasmines Sattelgurt an und trenste sie auf. Als sie die edle Stute aus dem Stall führte, bemerkte sie, dass Gilbert verschwunden war. Doch der neue Pferdepfleger war noch da und nickte ihr grüßend zu, als sie an ihm vorbeiging. „Ihre Hoheit.“

Seine Stimme klang tief und geheimnisvoll. Seine Körperhaltung zeigte eine merkwürdige Mischung aus Ehrerbietung und Selbstbewusstsein. Und dann auch noch sein Akzent … amerikanisch.

Alice hatte nichts gegen Amerikaner. Schließlich war ihr Vater einer. Aber alle anderen Pferdepfleger stammten aus Montedoro und benahmen sich ihr gegenüber völlig anders. Dieser Mann entsprach einfach nicht dem Typ, den Gilbert normalerweise einstellte.

Der Pferdepfleger hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Sie sah das Blitzen in seinen Augen und ihr Herz begann schneller zu schlagen.

Rasch sah sie weg. Es konnte ihr ganz egal sein, wie gut der neue Pferdepfleger aussah. Selbst wenn sie beim ersten Blick in sein Gesicht schlagartig daran erinnert wurde, wie langweilig ihr Leben doch geworden war, und ihr unwillkürlich eine ganze Reihe von unangemessenen Dingen einfiel, die mit ihm sicher Spaß machen würden.

Doch nichts davon würde passieren.

Sie riss sich am Riemen und musterte den Mann kühl. Er trug ein verblichenes Sweatshirt, dessen Ärmel abgerissen waren, dazu alte Jeans und noch ältere Cowboystiefel.

Und er war heiß. Groß und muskulös, mit einem Hauch bronzefarbener Bartstoppeln an den hohen Wangen.

Seltsam, schoss es ihr durch den Kopf, dass er nicht die übliche Kleidung der Pferdepfleger trug: braune Hosen, Hemd und Gummistiefel.

Der Fremde machte einige Schritte in ihre Richtung und sie vergaß den Gedanken so plötzlich wieder, wie er gekommen war.

„Was für eine Schönheit“, sagte er beinahe andächtig. Alice starrte ihn an wie hypnotisiert, während er ihrer Stute zärtlich die Nase streichelte.

Wie viele edle Pferde hatte Yasmine einen untrüglichen Instinkt, was Menschen anbelangte. Sie zeigte nur wenigen ihre Zuneigung. Doch zu dem attraktiven Amerikaner fasste sie sofort Vertrauen und knuffte ihn spielerisch in die Schulter.

Alice sah es mit Überraschung. Aber wenn Yasmine sich für den Fremden interessierte, hatte sie nichts dagegen. Und als sie beobachtete, wie freundschaftlich und vertrauensvoll Mensch und Tier miteinander umgingen, verstand sie auch, warum Gilbert den Mann eingestellt hatte. Ganz offensichtlich hatte er ein Händchen für Pferde. Außerdem brauchte er den Job, seinen Kleidern nach zu urteilen, dringend. Bestimmt hatte er Gilbert einfach leidgetan.

„Schönen Ausritt, Ihre Hoheit“, wünschte er ihr. Die Worte waren neutral, der Ton freundlich und unterwürfig und die Anrede „Ihre Hoheit“ korrekt.

Aber sein Blick …

Alles andere als korrekt. Ganz im Gegenteil.

„Danke schön“, antwortete sie knapp und flüchtete mit ihrem Pferd aus dem Stall.

Als Alice von ihrem Ausritt zurückkehrte, war der neue Pferdepfleger verschwunden. Nun, das war keine Überraschung für sie. Zum Aufgabenbereich der Pfleger gehörten auch viele Arbeiten außerhalb der Ställe.

Ihr Land, das Fürstentum Montedoro, war ein paradiesischer Flecken an der Côte d’Azur. Die Grenze zu Frankreich lag weniger als zwei Kilometer von den Ställen entfernt, und die fürstliche Familie besaß sogar ein Landgut in Frankreich.

Vielleicht musste der Pferdepfleger heute ja dort aushelfen.

Aber warum machte sie sich eigentlich so viele Gedanken darüber, wo sich der attraktive Amerikaner befand? Als ob sie das etwas anginge …

Sie widerstand der Versuchung, sich bei Gilbert nach ihm zu erkundigen, denn übermäßige Neugier in Bezug auf einen der Pferdepfleger war ein Luxus, den sie sich im Augenblick nun wirklich nicht leisten konnte.

Nicht nach der Sache in Glasgow.

Schon beim Gedanken daran stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht.

Und genau deswegen war es notwendig, dass sie immer wieder daran dachte. Sie musste die Erinnerung an diese Peinlichkeit frisch im Gedächtnis bewahren, um sich davon abzuhalten, sich irgendwann in Zukunft wieder so danebenzubenehmen.

Wie bei den meisten ihrer Eskapaden hatte alles ganz harmlos begonnen.

Aus einer Laune heraus hatte sie sich kurzfristig entschlossen, zum internationalen Vielseitigkeitsturnier nach Blair Castle zu fahren.

In der Woche vor dem Turnier war sie nach Glasgow geflogen, um zuvor noch eine kleine Tour mit dem Auto durch Schottland zu machen.

Sie kam nie bis Blair Castle. Genauer gesagt blieb sie schon in Glasgow hängen, wo sie sich mit einigen Freunden traf. Es war ein lustiger, ausgelassener Abend. Bis sie zufällig in diesem urigen Pub landeten, in dem gerade Karaoke-Nacht war.

Alice hatte ein oder zwei Bier über den Durst getrunken. Altus, ihr Bodyguard – ein Mann wie ein Baum, der ihr seit vielen Jahren ein treuer Wegbegleiter war –, hatte sie mehr als nur einmal warnend angesehen.

Doch sie hatte seine Blicke ignoriert. Und plötzlich hatte sie auf der Bühne gestanden und voller Inbrunst den Song „I kissed a girl“ von Katy Perry zum Besten gegeben. In diesem Augenblick war es einfach nur ein Spaß gewesen. Sie hatte ihre Performance voll ausgekostet und den Text nicht nur gesungen, sondern auch vorgespielt.

Am nächsten Morgen war die Klatschpresse voller Bilder gewesen, auf denen sie – mit hochgezogenem Rock und nicht mehr ganz korrekt sitzendem Oberteil – mit der süßen schottischen Barfrau geknutscht hatte.

Die Paparazzi hatten ihr Glück kaum fassen können.

Doch ihre Mutter, die Fürstin, war alles andere als begeistert gewesen.

Weil Alice zugeben musste, dass ihre Mutter recht damit hatte, sich über ihr unverantwortliches Verhalten zu ärgern, hatte sie sich geschworen, sich in Zukunft besser zu benehmen. Und dazu gehörte nicht zuletzt, sich von attraktiven, geheimnisvollen amerikanischen Pferdepflegern fernzuhalten, die ihr Herz schneller schlagen ließen.

Auch am nächsten Morgen, einem Donnerstag, traf sie wieder auf den Pferdepfleger, als sie um fünf Uhr in den Stall ging. Sein Anblick, in denselben verwaschenen Jeans und dem zerrissenen Sweatshirt wie am Vortag, sorgte für ein Flattern in ihrer Magengegend.

Um ihre Verlegenheit über das Wiedersehen zu überspielen, sagte sie in einem angeberisch-forschen Ton, für den sie sich schämte, sobald sie ihre eigene Stimme hörte: „Entschuldigen Sie, ich hatte wohl Ihren Namen nicht verstanden.“

Er hörte auf zu kehren. „Noah, Ihre Hoheit.“

„Ah, schön, Noah …“ Irgendwie hatte es ihr plötzlich die Sprache verschlagen. Sie fühlte sich wie eine Sechzehnjährige bei einem Meet & Greet mit Justin Bieber. Lächerlich. Einfach lächerlich.

„Würden Sie mir bitte Kajar satteln?“ Sie deutete vage auf die Box, in der der Schimmelwallach stand. Normalerweise putzte und sattelte sie die Pferde, die sie ritt, selbst. So konnte sie sich gleich ein Bild vom Zustand und der Laune des Pferdes machen und die Bindung zu ihm verstärken.

Doch da sie den Pferdepfleger nun einmal angesprochen hatte, musste sie auch etwas zu ihm sagen.

Außerdem war sie neugierig: Würde er mit Kajar ebenso souverän umzugehen wissen wie mit Yasmine?

Der Pferdepfleger – Noah – stellte den Besen zur Seite und machte sich an die Arbeit. Kajar stand ganz ruhig und spitzte die Ohren, als sich der Mann an ihm zu schaffen machte. Noah sprach leise mit dem Pferd, während er es für den Ausritt vorbereitete. Der Wallach war dabei vollkommen entspannt. Genau so sollte es sein.

Als Kajar gesattelt und aufgezäumt war, führte der Amerikaner ihn aus der Box in die Stallgasse und übergab Alice die Zügel. Dabei berührten die langen Finger des Stallburschen flüchtig ihre in Reithandschuhen steckenden Hände. Sie erhaschte einen Hauch seines Duftes. Sein Aftershave roch nach Zitrone, nach Sonne und nach Tannennadeln.

Sie hätte sich einfach bedanken und mit dem Pferd den Stall verlassen sollen. Doch irgendwie hatte er etwas ungeheuer Anziehendes an sich. So begann sie, ohne richtig darüber nachzudenken, ein Gespräch mit ihm: „Sie stammen nicht aus Montedoro.“

„Stimmt“, antwortete er leicht amüsiert und mit einem Hauch von Ironie.

„Sind Sie Amerikaner?“

„Richtig.“ Er sah sie ruhig an, seine Augen so blau wie das Mittelmeer am Privatstrand der Fürstenfamilie. „Ich bin in Kalifornien aufgewachsen, in Los Angeles. Eigentlich in East LA.“ Er beobachtete sie aufmerksam, ähnlich, wie er es mit den Pferden tat. „Sie haben keine Ahnung, wo East LA ist, Ihre Hoheit, nicht wahr?“

Machte er sich über sie lustig? Sie spürte einen kurzen Anflug von Ärger, was diesen Mann nur noch interessanter machte. „Ich war schon in Südkalifornien. Ich habe dort einen Großcousin. Er lebt mit seiner Familie in Bel Air.“

„Bel Air und East LA trennen Welten. In Bel Air befinden sich einige der teuersten Anwesen der Welt – ähnlich wie hier in Montedoro. Dagegen ist East LA ein sozialer Brennpunkt.“

Alice hatte keine Lust, sich über Immobilien zu unterhalten. Oder über Klassenunterschiede. Im Übrigen sollte sie sich endlich auf den Weg machen. Doch ehe sie sich’s versah, öffnete sie den Mund, und eine weitere Frage kam heraus: „Leben Ihre Eltern noch dort?“

„Nein. Mein Vater wurde bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle getötet, als ich zwölf war. Meine Mutter starb neun Jahre später an einer Grippe.“

So jung hatte er schon beide Eltern verloren! Bestimmt war das nicht leicht gewesen!

Kajar schlug ungeduldig mit dem Kopf. Sie klopfte ihm beruhigend den Hals. „Wir gehen ja gleich, mein Junge, versprochen.“ Zu Noah sagte sie: „Wie traurig, das tut mir sehr leid für Sie.“

„Man sucht sich die Dinge nicht aus.“

Sie sah dem Pferdepfleger in die Augen. „Es muss schrecklich für Sie gewesen sein.“

„Es hat dazu geführt, dass ich früh erwachsen und selbstständig geworden bin.“

„Haben Sie Geschwister?“

„Eine jüngere Schwester, Lucy. Sie ist jetzt dreiundzwanzig.“

Alice hätte nur zu gern gewusst, wie alt er war. Doch irgendwie erschien ihr die Frage zu persönlich. Um seine Augenpartie zeigten sich ganz leichte Fältchen. Er musste mindestens dreißig Jahre alt sein. „Und was hat Sie nach Montedoro geführt?“

Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Sie haben aber viele Fragen, Ihre Hoheit.“

Sie antwortete ehrlich. „Ich fürchte, da haben Sie recht. Ich bin schrecklich neugierig. Außerdem sollte ich endlich gehen.“ Doch sie tat es nicht. „Seit wann sind Sie schon hier in Montedoro?“

„Erst seit Kurzem.“

„Und bleiben Sie länger?“

„Das kommt darauf an …“

„Worauf?“

Er antwortete nicht, sah sie nur unverwandt an.

Sie spürte ein Kribbeln im Bauch. Es fühlte sich an, als würde sie Champagner trinken. „Sie lieben Pferde.“

„Oh ja, sehr. Und Sie fragen sich jetzt, warum jemand aus East LA mit Pferden umgehen kann.“

Geh jetzt endlich! ermahnte Alice sich selbst, doch es war zwecklos. „Das haben Sie völlig richtig erkannt“, führte sie das Gespräch fort.

„Als ich achtzehn war, musste ich mir einen Job suchen. Ich landete bei einem Pferdezüchter in den Bergen von Santa Monica. Er hat mir viel beigebracht. Und ich habe schnell gelernt. Er hatte hauptsächlich Hannoveraner und Morgan Horses.“

„Tolle Rassen.“ Alice nickte anerkennend. „Stark, zuverlässig und schön. Längst nicht so nervös und anspruchsvoll wie Achal-Tekkiner.“

Alle ihre Pferde waren Achal-Tekkiner. Sie galten als die edelste und älteste Pferderasse der Welt. Ihre Wurzeln lagen in den kargen Wüsten von Turkmenistan und des nördlichen Irans. Achal-Tekkiner waren schnelle, temperamentvolle und zähe Pferde. Es galt als historisch gesichert, dass sowohl Dschingis Khan als auch Alexander der Große auf Achal-Tekkinern in die Schlacht gezogen waren.

„Achal-Tekkiner sind mit keiner anderen Rasse vergleichbar“, schwärmte der Pferdepfleger. „Eines Tages möchte ich einen besitzen.“

„Ein hochgestecktes Ziel“, bemerkte Alice.

Er lachte.

Es fühlte sich an wie eine zärtliche Berührung auf ihrer Haut.

„Wollen Sie mir damit sagen, dass ich niemals in der Lage sein werde, mir einen zu leisten?“

„Das wäre unhöflich. Außerdem scheinen Sie mir ein sehr zielstrebiger Mensch zu sein. Ich würde Ihnen durchaus zutrauen, dass Sie es schaffen, wenn Sie es nur genug wollen.“

Er sah sie schweigend an.

Von einem Moment auf den anderen übermannte Alice das Gefühl, dass ihr etwas entging.

„Was ist?“, fragte sie endlich, unangenehm berührt von der plötzlichen Stille und seinem durchdringenden Blick.

„Ich bin fest dazu entschlossen.“

Sie starrte auf seinen Mund. Die Form war wirklich verlockend. Wie es sich wohl anfühlen würde … sein Mund auf ihren Lippen. Es wäre so einfach, das herauszufinden. Der Pferdepfleger stand keinen Meter von ihr entfernt. Sie musste nur zwei Schritte machen, sich auf die Zehenspitzen stellen und sich einen Kuss stehlen …

Halt! Stopp! Sofort aufhören! Genau dieses dumme, kindische, ganz und gar unfürstliche Benehmen war es, das sie unter allen Umständen vermeiden wollte.

„Ich …“ Sie konnte ihren Blick noch immer nicht von seinen Lippen abwenden.

„Ja?“ Noah kam einen Schritt näher.

Sie packte die Zügel, die über Kajars Hals hingen. „Ich muss jetzt wirklich los.“

Der Pferdepfleger trat sofort zwei Schritte zurück. Zu ihrem Bedauern. Aber andererseits konnte sie froh sein, dass er ihr die Entscheidung abgenommen hatte.

„Einen schönen Ausritt, Ihre Hoheit!“, wünschte er ihr noch.

Wieder war der Mann fort, als sie mit Kajar von ihrem morgendlichen Ausritt zurückkehrte. Sie verbrachte den Vormittag damit, mit einigen der Jährlinge zu arbeiten. Danach ging sie zum Duschen und Umziehen nach Hause.

Am Nachmittag traf sie sich mit dem Organisationskomitee, das für die Grand Champions Tour verantwortlich zeichnete. Diese hochdotierte Springturnierserie würde im Juni des nächsten Jahres im Hafen von Montedoro Station machen, wo direkt am Wasser eigens für diese drei Tage ein Springplatz angelegt wurde.

Während der scheinbar endlosen Sitzung tat sie ihr Bestes, sich den Pferdepfleger mit den blauen Augen, den ebenmäßigen Lippen und der tiefen, ruhigen Stimme aus dem Kopf zu schlagen. Erfolglos.

In der Nacht, allein in ihrem Bett, träumte sie von einem Ausritt mit Noah. Sie hatte sich Yasmine gesattelt, er ritt ihren braunen Hengst Orion. Auf einer bunten Blumenwiese hielten sie an, stiegen ab und unterhielten sich, während die Pferde frisches Gras fressen durften. Doch als sie aufwachte, erinnerte sie sich an kein einziges Wort ihrer Unterhaltung.

Es war ein ganz und gar unspektakulärer Traum. Sie berührten einander kein einziges Mal, und von der Spannung, die sie in seiner Nähe gespürt hatte, war im Traum nichts zu bemerken. Sie lachten herzlich miteinander und benahmen sich wie langjährige Freunde, die einander gut kannten.

Am Freitagmorgen wachte Alice zur üblichen Zeit – lange vor Sonnenaufgang – auf. Sie war unruhig und unzufrieden. Ihre Gedanken kreisten um den Amerikaner. Warum nur? Sie kannte ihn ja kaum. Eigentlich gar nicht. Sie hatte ihn nur zweimal gesehen und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Es gab keinen guten Grund dafür, dass er sie so beschäftigte!

Aber andererseits war es auch nicht besonders verwunderlich. Noah war sexy und geheimnisvoll, ungezähmt und einen Hauch gefährlich. Er sprach ihre wilde Seite an. Sie fühlte sich magisch von ihm angezogen.

Wahrscheinlich war sie in letzter Zeit auch zu viel allein und zu Hause gewesen. Sie wollte sich wirklich nicht noch einmal in aller Öffentlichkeit lächerlich machen. Aber das bedeutete schließlich nicht, dass sie leben musste wie eine Nonne. Dass sie plötzlich so von diesem Noah besessen war, bedeutete wahrscheinlich einfach nur, dass sie wieder etwas mehr unter Leute gehen sollte.

Und dem stand nichts im Weg: Schon heute Abend würde im Palast der Fürstenfamilie ein Galadiner anlässlich des Geburtstags ihrer Schwester Rhiannon stattfinden. Es würde ein wundervoller Abend werden. Sie würde die ganze Nacht tanzen und jede Menge Spaß haben. Das nahm sie sich fest vor.

Alice stand auf, zog sich an und ging in den Stall. Halb wünschte sie sich, Noah dort zu treffen, halb hoffte sie, er würde nicht da sein.

Im Stall war keine Spur von ihm zu sehen.

Ihre Unsicherheit verschwand mit einem Schlag. Sie bedauerte, dass er nicht dort war. Sie hätte ihn gern getroffen und seine Stimme gehört. Außerdem hätte sie gern gewusst, ob sie sich auch heute noch so stark von ihm angezogen fühlte wie gestern.

Während sie die Rappstute Prisma putzte, sattelte und aufzäumte, hörte sie immer mit einem Ohr darauf, ob ein Geräusch sein Kommen verriet. Aber da war nichts.

Alice machte ihren üblichen Ausritt in der Hoffnung, der Pferdepfleger würde da sein, wenn sie zurückkehrte. Doch: Fehlanzeige.

Sie war kurz davor, sich bei Gilbert nach ihm zu erkundigen. Aber dann machte sie doch einen Rückzieher, weil sie das Gefühl hatte, sich zum Narren zu machen.

Und das war untypisch für sie. Sie war ein selbstbewusster Mensch. Das war sie schon immer gewesen. Sie sagte in jeder Situation ihre ehrliche Meinung, und es gab wenig, vor dem sie sich fürchtete. Auch wenn sie sich vorgenommen hatte, sich selbst und ihre Familie in nächster Zeit nicht mehr zu blamieren, so durfte sie doch Spaß haben und das Leben genießen. Das Problem war nur …

… es gab keines.

Sie hatte einen Mann kennengelernt, den sie attraktiv fand. Vielleicht würde sie ihn wiedersehen, vielleicht auch nicht. Gut, vielleicht gab es nicht viel, was sie verband – schließlich war sie eine Prinzessin von Montedoro, und er war ein mittelloser Amerikaner aus einer schlechten Gegend von Los Angeles.

Aber andererseits hatten sie doch einiges gemeinsam: Zum Beispiel war auch sie zur Hälfte Amerikanerin. Sie beide liebten Pferde. Sie hatte sich prächtig mit ihm unterhalten. Außerdem war er einfach eine Augenweide.

Und schon wieder ertappte sie sich dabei, wie sie ins Schwärmen geriet. Sie musste endlich damit aufhören. Vielleicht sah sie ihn wieder, vielleicht auch nicht. Ganz egal, was passierte, die Welt würde sich auf jeden Fall weiterdrehen.

2. KAPITEL

Nach einem anstrengenden, arbeitsreichen Tag bei den Pferden kehrte Alice gegen sechs Uhr abends zurück in ihre Villa im Stadtteil Monagalla, ganz in der Nähe des fürstlichen Palasts.

Ihre Haushälterin, Michelle Thierry, erwartete sie schon an der Haustür.

„Ich dachte schon, Sie würden überhaupt nicht mehr nach Hause kommen“, tadelte die Haushälterin ihre Chefin. „Haben Sie die Geburtstagsfeier Ihrer Schwester vergessen?“

„Natürlich nicht, Michelle. Entspannen Sie sich. Bis dahin habe ich noch alle Zeit der Welt.“

„Aber Sie sagten, Sie müssen um acht Uhr dort sein, wenn ich mich nicht irre“, widersprach Michelle.

„Oh, ich bitte Sie, Michelle. Das schaffen wir doch leicht.“

Michelle rümpfte die Nase. „Und wonach riechen Sie eigentlich?“

„Ich habe den ganzen Tag mit den Pferden gearbeitet. Dreimal dürfen Sie raten, wonach ich rieche …“

Die Haushälterin hob verzweifelt die Arme zum Himmel. „Stehen Sie doch nicht einfach nur herum! Ziehen Sie die Stiefel aus, und kommen Sie herein. Wir müssen uns beeilen. Es gibt noch so viel zu tun!“

„Warum erlaube ich Ihnen eigentlich, mich so herumzukommandieren?“

Michelle schenkte ihr ein charmant-zufriedenes Lächeln. „Vermutlich, weil Sie ohne mich nicht zurechtkommen würden.“

Und das war die Wahrheit.

Michelle war Ende vierzig und ein Muster an Disziplin und Effizienz. Sie kümmerte sich nicht nur um die ganze Villa samt Garten, als wäre es ihre eigene, sondern kochte auch noch hervorragend und trug die Verantwortung für Alices Garderobe. Michelle liebte ihre Arbeit und hatte einen exzellenten Geschmack.

Alice wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnte, sie in ihren Diensten zu haben. Lachend setzte sie sich auf die Treppenstufen vor der Haustür, um die Stiefel auszuziehen, die ihr Michelle sofort aus den Händen riss.

Autor

Christine Rimmer
<p>Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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