Der süße Preis der Versuchung

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Franco Chatsfield ist ein echter Weinkenner. Deshalb schickt ihn der neue Geschäftsführer der Hotelkette nach Australien: Er soll die exzellenten Weine der Familie Purman für die Hotels einkaufen. Völlig überraschend für den erfolgsverwöhnten Tycoon knüpft die junge Winzerin Holly Purman eine Bedingung an den Deal: Sechs Wochen lang soll er auf dem alteingesessenen Weingut ihrer Familie mitarbeiten. Was für eine infame Idee! Doch schon nach kurzer Zeit erwacht in Franco eine nie gekannte Sehnsucht: nach süßer Nähe und prickelnder Liebe mit Holly …


  • Erscheinungstag 01.09.2015
  • Bandnummer 2194
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702014
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Sei nett zu ihm, Holly.“

Holly Purman setzte ein betont harmloses Gesicht auf, das extra für ihren Großvater reserviert war, wenn der etwas von ihr verlangte, was sie nicht tun wollte. Normalerweise kam sie damit durch. „War ich jemals unnett?“, entgegnete sie mit süßem Lächeln.

„Komm mir nicht so!“, grollte Gus. Diesmal würde er nicht auf ihre Unschuldsmiene hereinfallen. „Ich weiß, wie du bist, wenn du jemanden auf dem Kieker hast.“

„So etwas sagt heutzutage kein Mensch mehr, Pop.“ Holly beugte sich vor und küsste ihren Großvater auf die gerunzelte Stirn. „Ganz alter Hut …“

„Mir ist nicht zum Scherzen zumute, Holly. Ich verlange, dass du den Besuch von Franco Chatsfield sehr ernst nimmst. Er kommt extra aus Europa, um mit uns zu verhandeln. Und die Summe, die er ins Feld geführt hat … damit hätten wir fürs ganze Leben ausgesorgt.“

Holly seufzte und gab widerwillig ihren Plan auf, zum Pferch zu spazieren, um die Schafe rauszulassen und in den Weinberg zu treiben. In der nächsten halben Stunde würden sie wohl kaum verhungern und das Unkraut in den Reihen zwischen den Rebstöcken auch nicht alles überwuchern. Außerdem kannte sie ihre Grenzen und wusste, dass ihr Großvater nicht so leicht davon abzubringen sein würde, in dem Chatsfield-Geschäft den Deal des Jahrhunderts zu sehen.

Seit sie wussten, dass ein Repräsentant der Hotelkette mit einem Angebot im Koffer auf dem Weg nach Australien war, hatte es bereits mehrfach kontroverse Diskussionen zwischen ihnen gegeben. Doch diesmal ließ Gus sich nicht so leicht um den Finger wickeln, wie es seine Enkelin gewohnt war.

Holly zog mit dem Fuß einen Stuhl heran, setzte sich und umfasste die Hände des alten Mannes, die auf den Lehnen seines Rollstuhls ruhten. „Okay, Pop, dann mal im Ernst. Die Chatsfield-Hotelgruppe zeigt plötzlich reges Interesse an unseren Weinen. Warum überrascht dich das so? Interessenten aus der ganzen Welt stehen Schlange, seit wir auf nahezu jeder Weinausstellung eine Gold- und Silbermedaille nach der anderen abräumen. Wir haben etliche Anfragen von potenziellen Käufern aus ganz Australien und dieser riesigen Supermarktkette aus England. Was kann Chatsfield uns bieten, was die anderen nicht können?“

„Publicity natürlich! Du weißt ebenso gut wie ich, dass ein Deal mit ihnen uns in der ganzen Welt bekannt machen würde, und zwar mit einem Fünf-Sterne-Bonus, quasi als kostenlose Zugabe! Diese Art von Promotion kann man nicht kaufen.“

Wäre ich doch nur im Büro gewesen, als der fatale Anruf kam, der Pop derart aus dem Häuschen gebracht hat, dass er seitdem an nichts anderes mehr denkt. Holly hätte sich nicht so leicht zu einem Besuchstermin überreden lassen.

Im Gegenteil! Mit größtem Vergnügen hätte sie diesem Franco Chatsfield, oder wie auch immer der Typ hieß, klargemacht, dass er nur seine Zeit verschwendete. Leider war er bereits auf dem Weg hierher, ehe sie herausfand, was da vor sich ging. Seitdem kochte sie innerlich, wie ihr Großvater richtig vermutete.

Liebevoll tätschelte Holly seine hageren Finger und versuchte, sich zu beruhigen, ehe sie weitersprach. „Okay, Pop, du hast recht. Wenn wir uns mit den Chatsfields zusammentun, ist uns das internationale Interesse sicher. Aber wollen wir wirklich diese Art von Reputation für unsere Weine? Jede Woche berichtet die Presse über einen neuen Skandal, in den irgendein Mitglied dieser zweifelhaften Familie verstrickt ist. Was ist zum Beispiel mit Lucca Chatsfield, der gerade erst in einer … na ja, sagen wir mal ziemlich fragwürdigen Situation überrascht und von Paparazzi abgeschossen wurde? Wir beide haben so hart für unseren Erfolg gearbeitet, und ich möchte weder, dass unser Name noch unser Produkt in den Schmutz gezogen wird.“

„Chatsfield ist die prestigeträchtigste Hotelkette der Welt!“, erwiderte Gus trotzig.

„Das war einmal, Pop. Heute wird der Name nicht mit Stil und Klasse in Verbindung gebracht, sondern mit skandalträchtigen Schlagzeilen.“

„Nein, nein, nein!“ Gus unterstrich seinen Protest mit vehementem Kopfschütteln. „Das gehört der Vergangenheit an. Gerade wird das Ruder von einem neuen, ausgesprochen eloquenten und tatkräftigen CEO herumgerissen. Er überarbeitet das gesamte Firmenkonzept, wobei die Erweiterung der Menü- und Weinlisten in den hoteleigenen Restaurants ein wichtiger Punkt ist. Sie sind bereit, eine Menge Dollars springen zu lassen, um das Beste zu bekommen. Warum, zum Henker, sollen wir nicht davon profitieren?“

Holly sah, wie sehr die flammende Rede ihren Großvater emotional erschöpfte. „Uns versuchen doch nicht zum ersten Mal smarte Typen mit dicker Brieftasche und falschen Versprechungen zu übertölpeln, Pop. Schon vergessen?“, erinnerte sie ihn mit wehem Lächeln. „Ich weiß wirklich nicht, warum du dich ausgerechnet für diesen Franco Chatsfield derart erwärmst.“

Gus schnaubte und schob die buschigen Brauen zusammen. Die sonnengegerbte Haut und die unzähligen Fältchen um die durchdringend blauen Augen zeugten vom lebenslangen Aufenthalt in freier Natur und seinem hohen Alter. Doch der Blick war scharf und schneidend wie ein Skalpell. „Darum geht es also, ja?“, fragte er hellsichtig. „Obwohl es schon zehn Jahre her ist. Er war einfach nicht gut genug für dich, Holly, und das weißt du auch.“

„Ja, ich weiß.“ Ihre Stimme war sehr leise.

Holly versuchte, den dumpfen Schmerz in ihrer Brust zu ignorieren. Mit den Jahren war er schwächer geworden, aber immer noch spürbar – wenn sie es zuließ! Manchmal rief sie ihn wach, nur um sich zu ermahnen, nie wieder so dumm und naiv zu sein.

„Aber um mich geht es hier nicht. Sondern darum, was geschehen ist, nachdem du ihn davongejagt hast … als er unseren guten Namen mit seinen verheerenden Artikeln verunglimpft hat! Erinnerst du dich noch daran, was er aus Purman Wines gemacht hat? Poorman’s Wines! Nicht zu vergessen die unzähligen Stornierungen von Weinbestellungen verunsicherter Kunden. Oder die telefonische Belagerung durch sensationslüsterne Reporter, die uns keine zwölf Monate Durchhaltevermögen bescheinigten. Brauchen wir all das wirklich noch einmal?“

„Dies hier ist etwas völlig anderes. Allein die Summe, um die es geht …“

„Geld ist nicht alles, Pop. Deine eigenen Worte. Wir müssen unsere Marke schützen. Wenn die Chatsfield-Gruppe darauf aus ist, ihr öffentliches Image aufzupolieren, bitte sehr, aber nicht mit unserem guten Namen oder unserem hart erarbeiteten Erfolg. Nur, um sie gut aussehen zu lasen, sollen wir alles riskieren?“

Wieder schüttelte Gus den Kopf, die Furche zwischen den buschigen Brauen wirkte tiefer denn je. „Ich weiß sehr wohl, dass Geld nicht alles ist, Holly. Aber tu mir den Gefallen, und sprich wenigstens mit Franco Chatsfield. Er ist bereits auf dem Weg hierher.“

„Warum redest du nicht mit ihm, wenn du so scharf auf den Deal bist?“

„Ich würde es tun, aber da ich an dieses verdammte Ding gefesselt bin …“ Frustriert hieb Gus mit der Faust auf die Lehne des Rollstuhls. „So kann ich ihn unmöglich durch die Weinberge und die Produktionsstätte führen. Außerdem weißt du selbst, dass nicht ich es bin, den jedermann sehen und sprechen will, sondern die Weinflüsterin … Dionysos’ rechte Hand. Die Frau, die einfache Trauben in göttlichen Nektar verwandelt!“, schwärmte der alte Mann. Mit jedem Wort hatte seine Stimme einen wärmeren Klang angenommen, zum Schluss zitterte sie verdächtig. „Meine Holly …“ Als er zu seiner Enkelin aufschaute, standen Tränen der Rührung in seinen Augen.

„Diese Schreiberlinge für Weinjournale erfinden wirklich den größten Blödsinn.“

„Oh, nein, alles, was sie schreiben, ist wahr. Du hast eine ganz besondere Gabe, Kind. Ein gottgegebenes Talent für Trauben und Wein. Ich bin sehr stolz auf dich.“

Holly schenkte ihrem Großvater ein Lächeln, das ihm zeigen sollte, wie sehr sie ihn liebte. „Wenn das so ist, dann nur, weil ich alles von dir gelernt habe, Pop.“

Gus fing ihre Hand ein und hielt sie mit eisernem Griff fest. „Kannst du es denn nicht sehen, Holly?“, fragte er eindringlich. „Dieser Chatsfield-Deal könnte sich als das Geschäft unseres Lebens erweisen!“

Natürlich verstand sie ihn. Aber sie sah auch die andere Seite der Medaille, die Gefahr eines erneuten Skandals, was Pop offensichtlich einfach ausblendete.

„Ich werde mit ihm reden“, versprach Holly nüchtern und mit aufrichtigem Lächeln. Es galt dem Mann, der seit Ewigkeiten das Zentrum ihres Lebens war und den sie mehr liebte als jeden anderen Menschen auf der Welt. „Ich werde ihm eine Chance geben und mir anhören, was er zu sagen hat.“

Und danach schicke ich ihn zur Hölle! Das sagte sie aber nicht laut.

2. KAPITEL

Franco Chatsfield hasste es, wenn ihm jemand die Pistole auf die Brust setzte. Und erst recht, wenn es sich dabei um Christos Giantrakos handelte, den sein Vater auserkoren hatte, um seine Geschwister auf Kurs zu bringen.

Um mich auf Kurs zu bringen!

Entnervt warf er das Business-Magazin zur Seite, während die Maschine über dem Adelaide Airport in den Sinkflug überging. Er war viel zu nervös, um sich auf nüchterne Daten und Fakten zu konzentrieren. Und je näher er seinem Zielort kam, desto mieser wurde Francos Laune.

Unter normalen Umständen hätte er jemandem wie Giantrakos nicht mehr als fünf Minuten seiner Aufmerksamkeit gewährt und ihm unmissverständlich nahegelegt, ihn nicht wieder zu belästigen. Doch mit seiner letzten E-Mail hatte es der lästige Grieche tatsächlich geschafft, ihn auszubremsen.

Von: Christos.Giantrakos@TheChatsfield.com

An: Franco.Chatsfield@TheChatsfield.com

Betreff: Bedingung weiterer Nutznießung des Chatsfield Family Trust Funds

Angesichts etlicher vergeblicher Bemühungen, Sie zur Einsicht zu bringen, weise ich Sie darauf hin, dass ein Versagen Ihrerseits in der Vertragssache Purman Wines mich dazu zwingen würde, Ihnen jeglichen Zugriff auf den Familien-Trust zu sperren. Betrachten Sie dies als letzte Warnung …

C.G.

Den stetigen Geldfluss aus dem Chatsfield Family Trust zu gefährden, konnte sich Franco einfach nicht leisten, deshalb war er gezwungen, nach Giantrakos Pfeife zu tanzen. Aber nur dieses eine Mal! Sollte der Grieche doch denken, er hätte ihn kleingekriegt, wenn es ihm so viel bedeutete.

Ihn hatte die ganze Angelegenheit bisher nicht mehr als einen Anruf gekostet. Und angesichts der enthusiastischen Reaktion von Angus Purman war die Unterzeichnung des vorbereiteten Vertrags eigentlich nur noch eine Formsache. Kein Wunder angesichts des Budgets, das mir zur Verfügung steht! dachte Franco zynisch.

Sobald er die Unterschrift eingesackt hatte, ging es für ihn zurück nach Mailand. Und der verdammte Vertrag würde auf Giantrakos’ Schreibtisch landen, bevor die Tinte überhaupt trocken war.

Und mein Vater … mein famoser Erzeuger, der mir Zeit seines Lebens kaum mehr als fünf Minuten Aufmerksamkeit gewidmet hat und mir offenbar nicht einmal zutraut, einen lukrativen Millionen-Deal für die Chatsfield-Hotelkette abzuschließen, wird endlich eines Besseren belehrt.

Auch wenn Franco der Schule bereits mit sechzehn den Rücken gekehrt hatte und dem Medienrummel um seine Familie bewusst entflohen war, gab es doch einiges, was er ganz allein erobert und erlernt hatte. Möglicherweise würde das ja sogar seinen Vater dazu bringen, seine schlechte Meinung über ihn zu revidieren.

Nicht, dass es ihn interessierte!

Der Flieger durchbrach die Wolkendecke, und Franco warf einen ersten Blick auf Adelaide, hielt aber vergeblich Ausschau nach so etwas wie einer Großstadt. Überall verstreut auf dem weiten grünen Teppich sah er kleine Ortschaften und Gebäudeansammlungen, getrennt, oder besser verbunden durch karge graue Asphaltpisten, die sich durch die öde Landschaft schlängelten. Freie Flächen wechselten sich mit Pinien- und Eukalyptuswäldern ab. Dazwischen erkannte er die Weinanbaugebiete, wo sich schnurgerade Pflanzreihen über die hügelige Landschaft zogen.

Irgendwo dort unten mussten auch die Trauben wachsen, aus denen der vollmundige Cabernet Sauvignon und der fruchtig, würzige Chardonnay gewonnen wurden, die das Purman-Weingut über die Grenzen Australiens hinaus berühmt gemacht hatten.

Ein Regenschauer prasselte gegen das Fenster, und Franco sank seufzend in seinen Sitz zurück, während die Maschine in den Landeanflug überging. Sobald er hier raus war, würde er schnellstmöglich in einen kleineren Flieger umsteigen, der ihn weiter nach Coonawarra bringen sollte. Was dazwischen lag, interessierte Franco herzlich wenig. Er war schließlich nicht zum Sightseeing hier. Außerdem schien sich der Aufwand auf den ersten Blick auch nicht zu lohnen.

Und je eher er Giantrakos abschütteln und gleichzeitig sicherstellen konnte, dass seine Einkünfte aus dem Familien-Trust dahin flossen, wo er sie haben wollte, umso besser.

Holly hatte nichts gegen den australischen Winter, aber heute war es nur scheußlich nass und unangenehm draußen. Deshalb flüchtete sie sich schon vor der Lunchzeit aus dem Weinberg in die anheimelnde Küche, um für sich und Pop Sandwiches zu machen.

Durch das laute Prasseln des Regens registrierte sie erst verspätet das ungewohnte Geräusch und neigte lauschend den Kopf. Doch selbst nachdem sie es als den Rotorenlärm eines Helikopters identifiziert hatte, hielt sie es nicht für nötig, ihre Arbeit zu unterbrechen. Schließlich kannte sie den Lärm nur zu gut von den regelmäßigen Sightseeing-Flügen, wenn auch hauptsächlich aus den Sommermonaten.

Erst als das Geräusch immer lauter und aufdringlicher wurde, legte Holly das Buttermesser zur Seite und runzelte die Stirn. Ist das etwa er?

Ein seltsamer Schauer huschte über ihren Rücken. Unwillig wischte sie die Hände an einem Küchentuch ab und ging hinüber zu der verglasten Doppeltür. Von hier aus schaute man über ein Meer von Weinstöcken, die zu dieser Jahreszeit allerdings keine Trauben mehr trugen und auch nahezu alles Laub verloren hatten.

Auf dem freien Feld zwischen Haus und Weinberg, das im Bedarfsfall als Landeplatz herhalten musste, setzte in dieser Sekunde ein Helikopter auf.

„Und, glaubst du, er ist es?“, fragte Gus aufgeregt.

„Wer sonst?“, knurrte seine Enkelin ungnädig. „Unzweifelhaft jemand, der große Auftritte liebt. Also muss es wohl ein Chatsfield sein.“

„Holly…“ Die Stimme des alten Mannes klang zugleich mahnend und besänftigend. „Das kannst du doch gar nicht wissen.“

Und ob ich das kann! Ich fühle es mit jeder Faser meines Körpers.

„Er ist es“, stellte sie zähneknirschend fest, knüllte das Geschirrtuch zusammen und beförderte es mit einem gezielten Wurf quer durch die Küche in Richtung Spüle. Dann stieß sie die Tür auf und trat vors Haus. Es regnete ununterbrochen, und die Temperatur war noch weiter gefallen. Obwohl sie sich langsam der Null-Grad-Grenze näherte, hatte Holly das Gefühl, das Blut in ihren Adern stünde kurz vor dem Siedepunkt.

Grimmig stützte sie sich mit den Handflächen auf der hölzernen Balustrade der überdachten Veranda ab und wartete darauf, dass die Rotorblätter endlich zum Stillstand kamen. Glaubte dieser Franco Chatsfield tatsächlich, sie mit einem derartigen Auftritt beeindrucken zu können?

Die Helikoptertür öffnete sich, jemand stieg aus, und Holly spürte, wie ihre Haut zu prickeln begann … am ganzen Körper!

Groß, registrierte sie. Sehr groß! Zirka einsneunzig, wenn sie sich nicht irrte, obwohl es schwer einzuschätzen war, weil der Mann mit gebeugtem Kopf unter den Rotorblättern entlangtauchen musste. In dem Moment, als er sich aufrichtete, wusste sie, dass es nur ein Chatsfield sein konnte! Attraktiv, arrogant und mit dem undefinierbaren Hauch des Bad-Boy-Images ausgestattet, das angeblich sämtliche männlichen Mitglieder der skandalträchtigen Familie auszeichnete.

Das Prickeln auf ihrer Haut nahm zu, und jetzt verhärteten sich auch noch ihre sensiblen Brustspitzen! Das liegt nur an der Witterung, versuchte Holly sich zu beruhigen und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Verfluchte Kälte und verfluchter Kerl. Letzterer steuerte mit einem siegessicheren Lächeln auf sie zu, als halte er ein herzliches Willkommen von vornherein für verbrieft!

Nicht von meiner Seite! schäumte Holly innerlich.

„Angus Purman?“, fragte er und streckte ihrem Großvater die Hand entgegen, der seiner Enkelin im Rollstuhl auf die Veranda gefolgt war, ohne dass Holly es bemerkt hatte. „Franco Chatsfield. Es freut mich, endlich persönlich Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Nennen Sie mich einfach Gus“, bat der alte Mann jovial, und Franco fühlte überrascht, wie knorrige Finger seine mit stahlhartem Druck umschlossen. „Und das hier ist meine Enkelin Holly. Sie ist der wahre Boss.“

Tatsächlich? Franco verstärkte sein Lächeln und bot auch Holly die Hand zur Begrüßung, die diesmal allerdings völlig anders ausfiel. Kühl und so flüchtig, dass er kurz überlegte, ob er sich die leichte Berührung nur eingebildet hatte. Zudem machte das unscheinbare junge Ding nicht mal den Versuch, sein Lächeln zu erwidern. Insgesamt wirkte sie eher abweisend und …

Franco suchte nach den richtigen Worten, während er seinen Blick von den schmutzigen Stiefeln über die abgetragene Jeans und das verwaschene Sweatshirt mit dem verblassten Purman- Wines-Logo bis zu dem schmalen Gesicht wandern ließ.

Farblos! Wären da nicht die durchdringenden blauen Augen gewesen, hätte man ihre ungeschminkten zarten Züge tatsächlich als farblos bezeichnen können.

„Falls meine Ankunft Sie unvorbereitet getroffen hat, möchte ich mich dafür entschuldigen“, sagte er höflich, in der Annahme, Angus’ Enkelin ärgere sich darüber, dass ihr wegen des überraschenden Helikopter-Überfalls keine Zeit geblieben war, sich zurechtzumachen. Schließlich war er nicht ganz unerfahren, was das weibliche Geschlecht betraf!

„Aber nein!“, warf Gus sofort ein. „Wir haben Sie bereits erwartet.“

„Nur nicht unbedingt in dem da …“, ergänzte seine Enkelin und wies mit dem Kinn in Richtung des Helikopters.

Ah, dann ist sie also aus einem unerfindlichen Grund sauer auf mich. Aber warum nur, zur Hölle? „Da der Coonawarra-Flughafen wegen aufkommenden Sturms gesperrt war, musste ich vom Mount Gambier aus auf ihn umsteigen“, erklärte Franco ironisch und ebenfalls mit einem Wink seines energischen Kinns in Richtung Helikopter.

Einen Moment lang duellierten sie sich mit Blicken, bis Gus in die Bresche sprang. „Standen denn keine Mietwagen zur Verfügung?“, fragte er und bedeutete den beiden jungen Leuten, ihm ins Haus zu folgen.

„Nein.“ Franco dachte an den Kleinwagen, den man ihm angeboten hatte. Er war so eng gewesen, dass er ihn unter Garantie nicht mehr ohne Dosenöffner hätte verlassen können. „Jedenfalls nichts Passendes.“

„Ach, waren die Ferraris alle unterwegs?“, fragte Holly schnippisch. „Ich hasse es auch, wenn mir das passiert.“

„Holly!“, warf Gus scharf über die Schulter zurück.

Franco hielt eisern an seinem Lächeln fest, auch wenn es inzwischen ziemlich gezwungen wirkte. Seine Irritation wuchs. Da kam er mit dem sprichwörtlichen Koffer voller Geld extra aus Europa angeflogen, und anstatt den roten Teppich für ihn auszurollen, behandelte ihn dieses seltsame Geschöpf wie einen lästigen Bittsteller.

Was, zur Hölle, ist ihr Problem?

Sobald er das Haus betrat, fühlte Franco sich von einer wohligen Wärme eingehüllt. Der riesige Raum war so aufgeteilt, dass man von einem großzügigen Wohnbereich auf der einen Seite bis zur offenen Küche am anderen Ende sehen konnte. Dazwischen stand ein Essplatz, den ein massiver Holztisch dominierte. Als Heilquelle des Ganzen diente ein monumentaler Kaminkachelofen. Raue Steinwände und schwere Naturholzmöbel prägten das gemütlich rustikale Ambiente und gaben zusammen mit der hohen, gewölbten Decke und den großen Fenstern mit Blick auf die Weinberge ein imposantes Bild ab.

Nicht, dass es ihn beeindruckte, es überraschte ihn eher. Er hätte nicht erwartet, am anderen Ende der Welt an seine eigene alte Steinvilla außerhalb von Milano in den Bergen vor Piacenza erinnert zu werden.

„Wir wollten gerade einen kleinen Imbiss einnehmen“, erklärte Gus. „Möchten Sie uns dabei nicht Gesellschaft leisten?“

Abwehrend hob Franco die Hände. „Ich will Ihnen nicht zur Last fallen.“

Hollys grimmiger Seitenblick galt der schweren goldenen Uhr, die an seinem Handgelenk aufblitzte. Keine Frage, dass sie in die gleiche Preiskategorie fiel wie die handgearbeiteten italienischen Lederschuhe an seinen Füßen. An seinen großen Füßen!

Ein Hüne mit großen Füßen …

Heiße Röte stieg ihr in die Wangen. Wohin verirren sich meine Gedanken da? Nur, weil es im Volksmund hieß, Exemplare dieser Art seien auch an anderen Stellen besonders gut ausgestattet, musste das doch nicht heißen …

„Mit einem leeren Magen ist schlecht Geschäfte machen!“, brachte Gus in diesem Moment zum Glück ein anderes Sprichwort aufs Tapet. „Ein Sandwich mehr bedeutet doch kein Problem für dich, Holly?“

„Absolut nicht“, behauptete seine Enkelin mit einer Leichtigkeit, die sie nicht empfand. „Ich hoffe, Sie mögen Corned Beef?“

„Auf jeden Fall.“

Wieder wunderte Holly sich über seinen Akzent, den sie nicht ganz einordnen konnte. Natürlich hatte sie eine privilegierte Upper-Class Aussprache erwartet, die ihn auch durchaus auszeichnete. Aber ab und zu war da ein … eher erdiger Anklang. Vielleicht der Einfluss seiner italienischen Mutter? Wie auch immer, es ging sie nichts an.

„Sie haben wirklich Glück!“, meinte Gus voller Stolz. „Meine Holly keltert nicht nur den besten Wein der ganzen Gegend, sie macht auch noch die besten Sandwiches.“

„Dann kann ich mich wahrlich glücklich schätzen …“, murmelte Franco. „Sieht so aus, als hätte ich meine Ankunft nicht perfekter planen können.“

Ein gewiefter Wortdrechsler und Freibeuter! vermerkte Holly grimmig auf dem wachsenden Minuskonto ihres ungebetenen Gasts: ein Chatsfield, ein Charmeur mit noblem Akzent, goldener Uhr und italienischen Schuhen, der Helikopter mietet, während Normalsterbliche mit dem Wagen fahren …

Genau die Sorte Mann, der sie absolut nicht über den Weg traute!

Ein verstohlener Blick über die Schulter verriet ihr, dass die beiden Männer offenbar in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. Doch da der Regen inzwischen noch heftiger aufs Dach und gegen die Fensterscheiben trommelte, weil ein eisiger Wind die dicken Tropfen fast horizontal über die Veranda trieb, verstand sie kaum etwas von der Konversation.

Ein bisschen Kälte von draußen hätte ihren brennenden Wangen und der prickelnden Haut ganz gutgetan! Franco hatte inzwischen sein Jackett abgelegt und gestikulierte lebhaft beim Sprechen. Und Holly konnte nicht anders, als fasziniert auf sein breites Kreuz zu starren und wie hypnotisiert das Muskelspiel unter dem eng anliegenden schwarzen Pulli zu bestaunen – vermutlich Seide oder Kaschmir.

Rasch legte sie die Sandwiches auf einen Teller, den sie zum Tisch hinübertrug und vor den Männern abstellte. Dann murmelte sie irgendetwas von aufgesetztem Teewasser, ehe sie sich wieder in den Schutz des Küchentresens flüchtete.

„Sie selbst essen nichts?“, fragte Franco, der ihren hastigen Rückzug aufmerksam verfolgt hatte.

Holly schüttelte nur den Kopf und wunderte sich selbst, wo ihr Appetit geblieben war. Dabei hatte sie Hunger aus dem Weinberg mitgebracht, aber seit Franco Chatsfield das Haus betreten hatte, war ihr Magen wie zugeschnürt.

„Sobald der nächste Schauer vorbei ist, musst du Franco den Weinberg zeigen“, forderte ihr Großvater mit glänzenden Augen, als sie den Tee servierte. „Vergiss nicht, ihm unsere Terra Rossa Soil zeigen, die magische rote Erde, der wir unsere fantastischen Weine zum Großteil verdanken.“

„Pop, hast du in der letzten halben Stunde überhaupt aus dem Fenster geschaut? Ich bin nicht sicher, ob dies ein guter Tag für …“

„Unsinn!“ Strahlend wandte sich der alte Mann seinem Gast zu. „Nachdem Franco den langen Weg auf sich genommen hat, würde er doch nie abreisen, bevor er nicht alles gesehen und alles über den Ursprung der Weine erfahren hat, die zukünftig auch den Chatsfield-Hotels Ehre machen sollen.“

„Unbedingt … natürlich möchte ich so viel wie möglich sehen.“

Sein Lächeln wirkte inzwischen so gezwungen, dass Holly fast laut aufgelacht hätte. Wahrscheinlich hatte er Angst, seine sündhaft teuren Schuhe zu ruinieren.

„Ausgezeichnet! Es hat aufgehört zu regnen …“, freute sich Gus und hieb mit den Fäusten triumphierend auf die Lehnen seines Rollstuhls. „Na los, hinaus mit euch, ehe der nächste Schauer losbricht. Holly wird Ihnen einen Wettermantel besorgen.“

„Oh … und Gus, vielleicht können wir uns ja gleich nach der Tour zusammensetzen und die Details des Vertrags besprechen“, schlug Franco vor.

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb....
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