Verführung in Monte Carlo

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Lucca Chatsfields skandalöse Affären gefährden den guten Ruf der gesamten Familie. Und den des Stammhauses in London! Kurzerhand entsendet der Geschäftsführer der Hotelgruppe den jungen Erben ins Chatsfield nach Monte Carlo: Dort wird Europas Hochadel zu der Hochzeit des Jahres erwartet. Lucca soll beweisen, dass er alles unter Kontrolle hat. Doch dafür muss er mit Prinzessin Charlotte, der Schwester der Braut, zusammenarbeiten. Eigentlich überhaupt nicht sein Typ! Aber etwas an der zurückhaltenden Prinzessin provoziert den Playboy, zum ersten Mal an ein Für immer zu denken …


  • Erscheinungstag 21.07.2015
  • Bandnummer 2188
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701864
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Selbst am traurigen Chatsfield-Standard gemessen, war die letzte Schlagzeile, die auf sein Konto ging, ein echter Hammer. Das musste sogar Lucca zugeben.

Betont lässig und mit dem trägen Lächeln, das zu seinem Markenzeichen geworden war, saß er dem neuen CEO gegenüber, den sein Vater kürzlich eingestellt hatte – offenbar nicht nur als Geschäftsführer der familieneigenen Hotelkette, sondern auch als Vollstrecker.

„Verraten Sie mir doch, was Sie mehr aufgebracht hat, Giantrakos: die Handschellen oder das lederne, mit Nieten besetzte Ding?“

Wenn etwas Christos Giantrakos noch mehr auszeichnete als sein Mangel an Humor, dann kompromisslose Härte. Die markanten Züge des Griechen wirkten wie aus Granit gemeißelt, die gletscherblauen Augen glitzerten eisig. Sein klassisch geschnittener Mund war nur ein schmaler Strich, der herbe Zug um die Mundwinkel verriet Eigensinn und einen Hauch Grausamkeit.

„Schlagzeilen ist man ja von Ihnen gewohnt, doch Ihr letzter Coup hat sich wie ein verheerender Flächenbrand über sämtliche Internetplattformen ausgeweitet, Lucca. Mit Ihren skandalträchtigen Affären machen Sie dem tadellosen Ruf des Hotels nichts als Schande.“

Bla, bla, bla …

Lucca versuchte erst gar nicht, sein Gähnen zu unterdrücken. Wie langweilig!

Das alles hatte er schon hundert, wenn nicht Trillionen Mal gehört. Den missbilligenden CEO nicht aus den Augen lassend, kippelte er mit seinem Stuhl und versuchte, ihn auf den hinteren Beinen in der Schwebe zu halten.

Strafpredigten wie diese waren nichts Neues für Lucca Chatsfield. Er genoss sie sogar, quasi als Revanche für die schmerzhafte Blamage, der er als siebenjähriger Knirps ausgesetzt gewesen war, während er mit eingenässten Hosen vor dem Internatsleiter gestanden hatte. Seitdem erlaubte er es sich nicht mehr, beschämt zu sein oder sich gedemütigt zu fühlen.

„Das einzig Berechenbare an Ihnen ist Ihre Unberechenbarkeit“, fuhr Giantrakos unerbittlich fort. „Und da Sie sich bisher konstant geweigert haben, Ihr Leben in den Griff zu bekommen, werden wir das jetzt für Sie übernehmen.“

„Lieber Himmel! Machen Sie doch kein Drama aus einer kleinen Party, die etwas aus dem Ruder gelaufen ist“, forderte Lucca. „Die Presse stellt es natürlich gleich als Orgie dar. Dabei habe ich nicht eine der scharfen Partymäuse vernascht. Obwohl … aber da war ich mit Handschellen ans Bett gefesselt und konnte mich einfach nicht wehren.“

Auf Christos dunkler Wange zuckte ein Muskel. „Ihr Vater hat beschlossen, Ihnen den Zugriff auf den Chatsfield Family Trust zu sperren. Sollten Sie sich weigern, den Vertrag, den ich aufgesetzt habe, zu erfüllen, verfügen Sie ab sofort über keinen einzigen Penny mehr. Es wird eine ganz neue Erfahrung sein, für Ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, anstatt sich als professioneller Partyhengst zu profilieren, der sich von Möchtegernstarlets und geldgierigen Harpyien ausnehmen lässt.“

Lucca beugte sich abrupt vor und landete wieder auf allen vier Stuhlbeinen. In der nächsten Woche fand in Monaco eine exklusive Kunstauktion statt, die er auf keinen Fall verpassen durfte. Denn dort wurde eine Miniatur-Malerei angeboten, die er seiner privaten Sammlung einverleiben wollte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass sie in wenigen Jahren Millionen wert sein würde.

Und jetzt sollte er sich die Chance seines Lebens entgehen lassen, nur weil man ihn in irgendeine Enklave am Ende der Welt verbannte, um für seine Sünden zu büßen? Aber den ungehinderten Kontozugang zu riskieren, brachte ihn seinem Ziel auch nicht näher.

Außerdem schuldete ihm die Familie, die im eigentlichen Sinne ja gar keine war, diese Art von Freiheit. Zumindest sah Lucca das so.

„Auf was für eine Art von Mission wollen Sie mich denn schicken?“, fragte er flapsig.

„Einen Monat im Chatsfield Hotel in Preitalle.“

Das Fürstentum im Mittelmeer lag nur eine kurze Fährfahrt oder einen Helikopterflug von Monte Carlo entfernt. Lucca senkte den Blick, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Der neue CEO schien sich in der Diktatorenrolle zu gefallen, wie damals der Internatsleiter, daher war es wohl klüger, den Zerknirschten zu mimen.

„Um dort was zu tun?“, fragte Lucca mit einer Mischung aus Unsicherheit und Trotz in der Stimme, wie sie zu diesem Spiel zwischen Peiniger und Opfer gehörte. Innerlich hatte er sich unter Kontrolle. Absolut.

In den eisblauen Augen des Griechen glomm ein boshafter Funke auf. „Sie werden Ihrer Königlichen Hoheit, Prinzessin Charlotte bei den Vorbereitungen für die Hochzeit ihrer Schwester zur Seite stehen, die Ende des Monats stattfinden soll.“

Da warf Lucca den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass es von den Wänden widerhallte. „Das ist ein Witz, oder?“, fragte er, sobald er wieder Luft bekam. „Ausgerechnet ich soll eine Hochzeit planen? Ich weiß gar nichts darüber. Partys? Kein Problem, aber Hochzeiten? Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal auf einer gewesen bin.“

Christos tippte mit einem goldenen Stift auf die Schreibtischplatte. Das nervtötende Geräusch erfolgte im gleichen Rhythmus, wie sein Wangenmuskel zuckte. „Dann ist dies die perfekte Gelegenheit, Ihre Wissenslücke zu schließen. Sie als Experte wissen doch am besten, was Frauen sich wünschen. Endlich bekommen Sie die Chance, Ihre Erfahrungen für einen guten Zweck zu nutzen.“

Spontan entschloss sich Lucca mitzuspielen. Wie hart konnte der kleine Ausflug schon werden? So kurz vor der Hochzeit war die Hauptarbeit unter Garantie schon erledigt. Und die letzten Feinheiten würde er einfach in fähigere Hände als seine legen, um sich selbst an den Stränden von Preitalle zu vergnügen.

Die Londoner Partyszene hatte er momentan ohnehin satt. So amüsant es auch sein mochte, das Establishment mit ein paar Skandälchen gegen sich aufzubringen, auf jeder Party zu tanzen, sich in Nachtklubs als notorischer Playboy zu geben und durch sämtliche Betten zu schlafen, es war auch ziemlich erschöpfend, hohl und – insofern er das überhaupt sagen durfte – langweilig.

Wollte ich mich nicht schon immer mehr der Kunst widmen? Und zwar nicht nur als Sammler …

Seine Leidenschaft für die Malerei hatte begonnen, als er alt genug gewesen war, einen Stift zu halten. Zu zeichnen war sein Rückzug in eine eigene Welt gewesen, wo alles ruhig, überschaubar und konstant blieb. Fluchtort und Ankerplatz während seiner chaotischen Kindheit. Das Auge im Sturm der tobenden Familienkämpfe um ihn herum, wo er sich in kreativen Frieden flüchten konnte.

Stundenlang hatte er mit gekreuzten Beinen unter dem Ölgemälde seiner Mutter von Graham Laurent gesessen und verzweifelt versucht, sich ihre Züge einzuprägen, weil sie in seiner Erinnerung zu verblassen drohten. Zum Glück waren sie für alle Zeiten in dem Porträt festgehalten worden.

Und wie hatte er es genossen, aus ersten zaghaften Strichen auf einer winzigen Leinwand ein privates, kleines Kunstwerk erstehen zu lassen, das er dann stolz in der rechten unteren Ecke signierte.

Vier Wochen auf einer Mittelmeerinsel zu verbringen, könnte ihm einen neuen Zugang zu dieser heimlichen Leidenschaft ermöglichen. Es würde ganz einfach sein. Sobald er die Dinge vor Ort ins Laufen gebracht hatte, würde ihm reichlich Zeit für sich bleiben.

„Was mich noch interessiert …“ Lucca lehnte sich im Stuhl zurück und begann wieder zu kippeln. „Was hält denn die kleine Prinzessin davon, einen Assistenten vor die Nase gesetzt zu bekommen?“

„Einen Assistenten?“ Lotties verwundeter Blick hätte einen Stein erweichen können, nicht aber ihre Schwester Madeleine. „Warum denkst du, dass ich Hilfe dabei brauche, deine Hochzeit vorzubereiten? Kommt das von Mama? Oder Papa? Einem der Hofbeamten?“

Madeleine hob die Hände, als wolle sie einen Angriff abwehren. „Wow! Was für ein ungewohnter Temperamentsausbruch, aber kein Grund, den Überbringer der schlechten Botschaft zu steinigen. Es ist nichts weiter als Teil einer Abmachung mit dem Chatsfield Hotel. Es kommt von ganz oben aus der Geschäftsführung und genießt meine volle Billigung. Aus eigenem Interesse an Public Relation schickt der CEO extra einen Repräsentanten der Eignerfamilie hierher.“

„Aber ich habe doch schon alles fest geplant!“ Vorwurfsvoll hielt Lottie den umfangreichen Ordner hoch, den sie mitgebracht hatte. „Jede einzelne Minute des Ablaufs, jedes noch so winzige Detail ist hier drin festgehalten. Was ich überhaupt nicht gebrauchen kann, ist jemand, der in letzter Sekunde alles noch mal umkrempelt.“

Ihre Schwester lehnte sich bequem im Sessel zurück, schlug graziös ein schlankes Bein über das andere und betrachtete eingehend ihre frisch lackierten Fußnägel. „Ich bin der festen Überzeugung, es wäre gut für dich, jemanden an der Seite zu haben, der den Berg an Verantwortung und Arbeit mit dir teilt.“ Dann bedachte Madeleine sie auch noch mit diesem Ich-weiß-das-besser-als-du-Blick, der wie Salz in der offenen Wunde ihres angeschlagenen Selbstbewusstseins brannte. „Jemand, der jung, hip und in der Partyszene mehr zu Hause ist als du.“

Lottie spürte, wie sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. „Wen schicken sie?“

„Einen der Zwillingsbrüder.“

Natürlich wusste Lottie, dass ihre Schwester sie für etwas weltfremd und naiv hielt, aber musste sie dann gleich jemand rekrutieren, der nichts anderes als Partys im Kopf hatte? Die Chatsfield-Zwillinge Lucca und Orsino waren in ganz Europa als notorische Playboys verschrien und zierten dank ihrer wilden Eskapaden in schöner Regelmäßigkeit die Titelseiten sämtlicher Klatschblätter.

Oh nein! Lass es nicht …

„Welcher von beiden ist es?“

„Lucca.“

Lottie blinzelte. „Willst du damit sagen …“

Madeleine nickte.

„Der, dessen Bild überall im Internet … Den sie in diesem Hotelzimmer erwischt haben mit nichts an als diesem … diesem Lederdings?“

„Was du meinst, ist ein Codpiece oder eine Schamkapsel …“, klärte ihre Schwester sie amüsiert auf.

„Grundgütiger!“

„Ich bin überzeugt, dass er sich absolut untadelig benehmen wird, solange er hier ist“, versicherte Madeleine ihr. „Andernfalls muss er nämlich damit rechnen, dass sein Konto gesperrt wird.“

Misstrauisch beäugte Lottie ihre entspannte Schwester. „Kann es vielleicht sein, dass ich als eine Art Coach in Benimmfragen für diesen … diesen Playboy fungieren soll?“ Madeleines Blick sagte ihr genug. „Wer ist denn auf diesen Schwachsinn verfallen? Bist du ganz sicher, dass es kein Witz ist?“

„Das ist es nicht. Ehrlich gesagt bin ich der Meinung, dass wir alle von diesem Arrangement profitieren können. Du weißt doch selbst, als wie rückständig und unbedeutend wir im Vergleich zu anderen Fürstenhäusern in Europa angesehen werden. Das kann sich schlagartig ändern, wenn wir uns modernen Strömungen öffnen. Und Lucca Chatsfield ist nun mal auf sämtlichen High Society Partys in England, Europa und Amerika zu Hause. Er bewegt sich in Kreisen, von denen die meisten nur träumen können, und ist mit Rockstars, Hollywoodgrößen und weltbekannten Künstlern per du. Ihn in die Organisation meiner Hochzeit mit einzuspannen, wird meine … unsere Popularität erhöhen, dessen bin ich mir absolut sicher.“

Lottie rollte mit den Augen. „Wie soll bitte ein partysüchtiger Playboy mir helfen können, eine königliche Hochzeit zu organisieren?“

„Warum fragst du ihn das nicht selbst?“ Wieder schenkte Madeleine ihr eines dieser wissenden Ältere-Schwestern-Lächeln. „Hörst du den Helikopter? Ich glaube, dein Assistent wird jeden Moment landen.“

Lucca hatte sich alles perfekt zurechtgelegt. Nach einer Stippvisite im Palast und einem kleinen Plausch mit der royalen Partyplanerin würde er es ganz generös der Prinzessin überlassen, sich um Blumenarrangements und was sonst noch zu einer Hochzeit gehörte zu kümmern.

Sich selbst sah er auf einer bequemen Liege am nächsten Strand, mit einem Cocktailglas und einer attraktiven Bedienung im winzigen Bikini neben sich.

Auf dem Flug hierher hatte er ein bisschen im Internet recherchiert. Die ältere Schwester und Thronerbin Madeleine galt als verwöhntes Prinzesschen. Keine ausgesprochene Diva, aber eine junge Frau, die sich von klein auf ihrer Rolle bewusst war und sie voll und ganz akzeptierte. Jahrelang war sie von Europas Junggesellen-Elite hofiert worden, bis sie sich mit einem gelehrt wirkenden Engländer namens Edward Trowbridge verlobte und damit vom Heiratsmarkt verschwand.

Wie es aussah, hatte sich Prinzessin Madeleine einen extravaganten Hochzeitsempfang im Chatsfield in den Kopf gesetzt, den ihre jüngere Schwester organisieren sollte.

Von Madeleine De Chavelier gab es Unmengen Pressebilder: Sie war eine extrovertierte, vollbusige sechsundzwanzigjährige Blondine mit blauen Augen und einem selbstbewussten Lächeln – also perfekt ausgestattet, um als Thronerbin später die Pflichten ihrer Eltern Guillaume und Evaline zu übernehmen. Und sie war offenbar erklärter Liebling der Paparazzi, denn es gab kein einziges Foto, das die Kronprinzessin nicht perfekt in Szene setzte. Modedesigner umschwirrten sie im Wissen, dass ihre Kreationen ein Hit und neuer Trend wurden, sobald Madeleine sie trug.

Nichts davon traf auf Prinzessin Charlotte zu.

Stattdessen fand Lucca wenig schmeichelhafte Kommentare über ihren mangelnden Modesachverstand, dazu etliche unfaire und hässliche Vergleiche zwischen ihr und ihrer schillernden Schwester. Und wie um es zu beweisen, wirkte Charlotte auf sämtlichen Pressefotos unattraktiv und viel älter, als sie war.

Über ihr Privatleben erfuhr man nichts, außer einem kleinen Artikel über eine Verbindung zu einem Diplomatensohn, nach ihrem Schulabschluss mit achtzehn in einem Schweizer Internat. Wenn sie danach ein soziales Leben geführt hatte, so war es offenbar nicht aufregend genug gewesen, um die Aufmerksamkeit der Paparazzi zu wecken.

Was jedoch Lucca reizte – und sein bisher nicht vorhandenes Interesse weckte. Er hatte schon immer ein Faible für Außenseiter und unbeschriebene Blätter gehabt …

„Mr Chatsfield.“ Mit einer tiefen Verbeugung öffnete der livrierte Lakai die Tür zum Empfangssalon. „Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Charlotte, ist bereit, Sie zu empfangen.“

Als Lucca den prachtvollen Raum betrat, sah er sich dem durchdringenden Blick eines smaragdgrünen Augenpaars ausgesetzt, das von einer altmodischen Schildpattbrille umrahmt war. Mit ihrem kerzengeraden Rücken und dem vorgereckten Kinn erinnerte die zierliche Prinzessin an einen Soldaten, der sich für die bevorstehende Schlacht wappnete. Sie zuckte mit keiner Wimper und keinem Muskel, als wäre sie schockgefroren.

Doch dann fiel ihm auf, dass sie mit Mittelfinger und Daumennagel der linken Hand schnipste, wahrscheinlich eine unbewusste Geste, die ihm verriet, dass Prinzessin Charlotte nicht so ruhig und souverän war, wie sie es ihn glauben lassen wollte.

Was ihre Kleidung betraf, hatte die Presse leider nicht übertrieben. Entweder jemand Missgünstiges hatte ihr dieses Outfit aufgeschwatzt, oder sie wusste einfach nicht, was ihr stand. Den ohnehin schon schlimmen, viel zu langen Rock zur braunen Baumwollbluse toppte ein unförmiger Cardigan in einem wenig kleidsamen Senfton. So sah vielleicht eine Stadtstreicherin aus, aber doch keine Prinzessin.

Ihr Haar war nicht blond und nicht braun, sondern irgendwo dazwischen. Lohfarben nannte man das wohl. So streng, wie sie es aus dem Gesicht gekämmt und am Hinterkopf festgesteckt hatte, unterstützte es den Gouvernanten-Look.

„Willkommen im königlichen Palast von Preitalle, Mr Chatsfield.“

Der Ton war höflich und zuvorkommend, die Stimme angenehm, mit einem leichten französischen Akzent. Sie bot ihm die rechte Hand zur Begrüßung.

Er nahm ihre Hand in seine und stellte mit Genugtuung fest, wie sich die grünen Katzenaugen der Prinzessin weiteten, als er ihre Finger sanft drückte. Ihre Haut war kühl und weich zugleich. Den Kopf hielt sie genau im richtigen Winkel, um den Augenkontakt zwischen ihnen nicht abbrechen zu lassen, was seltsamerweise dazu führte, dass sich Lucca seiner stattlichen Körpergröße plötzlich so bewusst war wie nie zuvor.

Als er spürte, wie sich ihre winzige Hand gleich einem gefangenen Vogel in seiner bewegte, überliefen Lucca schockartig heiße Wellen. Abrupt ließ er sie los, aus Angst, ein verrückter Impuls könnte ihn dazu verführen, ihre Hand auf eine bestimmte Stelle zu pressen, die Prinzessin Charlotte verraten würde, was sie gerade unbewusst mit ihm anstellte.

„Danke, Euer Hoheit“, erwiderte Lucca mit ausgesuchter Höflichkeit. Er mochte ein Tunichtgut und notorischer Wüstling sein, trotzdem wusste er sich zu benehmen, wenn die Situation es erforderte. Ganz davon abgesehen, dass er rein privat dieses ganze Theater absolut überflüssig fand. Soweit es ihn betraf, waren alle Menschen gleich: reich oder arm, adelig oder nicht.

Prinzesin Charlotte presste die Lippen so fest zusammen, als hielte sie damit ein unsichtbares Stück Papier fest. Ob aus Missbilligung oder Schüchternheit konnte Lucca nicht sagen, trotzdem faszinierte es ihn, wie sie es fertigbrachte, derart volle weiche Lippen auf ein Minimalmaß zu reduzieren. Wäre sie nur etwas entspannter, könnten sie sich gleich samtigen Rosenblättern entfalten und ihrer Bestimmung entsprechend voller Leidenschaft …

Nur mit Mühe gelang es Lucca, sich zusammenzunehmen. Was war es nur, das ihn an dieser farblosen Prinzessin derart reizte? Konnte es sein, dass sich hinter der formlosen Kleidung und spröden Fassade etwas anderes verbarg? Etwas Wildes, Heißes?

Möglicherweise würde sich sein verordnetes Exil doch nicht als totale Zeitverschwendung erweisen, wie er es bisher befürchtet hatte.

Sie wich vor ihm zurück, als wäre sie zu dicht an einen lodernden Kamin herangetreten und hätte Angst, sich zu verbrennen. Das hilflos wirkende Schulterzucken rührte ihn gegen seinen Willen. Ebenso, wie sie die Arme um den schmalen Oberkörper schlang, als müsse sie sich selbst beschützen.

„Soweit ich es verstanden habe, sollen Sie mir bei den Hochzeitsvorbereitungen für meine Schwester assistieren.“

Lucca fühlte sich ernsthaft irritiert durch ihr geradezu altjüngferliches Gehabe. Bisher hatte keine Frau in dieser Weise auf ihn reagiert. Hier gab es kein Wimpernklimpern, keine schwülen Blicke. Keine geschürzten Lippen, kein schweres Atmen oder laszive Seufzer.

Zugeknöpft bis an die Ohren musterte sie ihn über ihr schmales, aristokratisches Näschen hinweg wie ein unbekanntes Insekt und speiste ihn mit knappen Äußerungen ab, die jeden Funken Interesse oder gar Wärme vermissen ließen.

„Das ist korrekt“, bestätigte er ihre Mutmaßung mit einer angedeuteten Verbeugung.

Das kleine, feste Kinn trat noch eine Spur mehr hervor, während in den grünen Augen hinter der konservativen Brille für einen Sekundenbruchteil ein Funke aufloderte. „Dann möchte ich Ihnen hiermit versichern, dass dieses unglückliche Arrangement ohne mein Wissen vereinbart wurde und meiner Ansicht nach absolut überflüssig ist.“

Wow! Sie macht es mir wirklich leicht. Genau genommen wäre dies der richtige Moment, um sich zu empfehlen, doch irgendetwas an ihrer steifnackigen Erklärung wurmte Lucca. Er war es nicht gewohnt, abgekanzelt zu werden wie ein unnützer Lakai. Immerhin stammte er aus einer der ältesten und einflussreichsten Familien Englands.

Wie kommt diese kleine Giftnatter von Prinzessin dazu, mich wegzuschicken, ehe ich überhaupt Gelegenheit hatte, ihr meinen Standpunkt klarzumachen? Und das noch vor dem ersten Arbeitstag! Wenn das Giantrakos zu Ohren kam, war er geliefert, ganz abgesehen von seinem verletzten Stolz …

„Die Hochzeit Ihrer Schwester kann nicht ohne die Kooperation vonseiten meiner Familie stattfinden“, informierte er die aufmüpfige Prinzessin. „Und das Chatsfield ist die einzig angemessene Lokalität in Preitalle, die für die Ausrichtung eines royalen Hochzeitsempfangs infrage kommt.“

„Wir könnten ihn auch hier im Palast abhalten“, kam es ungerührt zurück. „Was ohnehin meine erste Wahl war.“

„Aber offenbar nicht die der Braut“, konterte Lucca und fand zunehmend Gefallen an dem verbalen Schlagabtausch. Er fühlte sich wie auf einem Fechtboden, aber anstatt die Klingen zu kreuzen, fochten sie hier mit Worten gegeneinander.

Er spürte ihn in seinem Blut, diesen animierenden Rhythmus, der sich aus der Hitze in seinen Lenden nährte. „Das Hotel liegt näher an der Kathedrale. Außerdem ist es der Wunsch Ihrer Schwester, Offenheit und Zukunftsorientierung des Fürstenhauses von Preitalle zu demonstrieren. Deshalb das neutrale Umfeld des Chatsfield Hotels. Ist es nicht so?“

Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Er sah es an ihren Lippen, die noch schmaler wurden, wenn das überhaupt möglich war. Allerdings auch daran, wie es hinter ihrer glatten Stirn arbeitete. Offenbar bereitete die Prinzessin sich zum Gegenschlag vor.

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass mir jemand nützlich sein könnte, der sein Leben damit vergeudet, das Geld seiner Familie durchzubringen und einen Lifestyle pflegt, der mir absolut fremd und zuwider ist.“

„Dann mache ich es ab sofort zu meinem dringendsten Anliegen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen, Prinzesschen“, erwiderte Lucca mit flirrendem Lächeln. „Ich glaube, ich weiß sogar ganz genau, was dieser verstaubte Palast und seine Insassen brauchen, um ein Entrée ins einundzwanzigste Jahrhundert zu finden.“

„Sie haben keine Erlaubnis, mich derart unzeremoniell zu titulieren!“, wies ihn Prinzessin Charlotte mit flammenden Wangen zurecht. „Begrüßt werde ich mit Königliche Hoheit, danach dürfen Sie zu Ma’am wechseln.“

Lucca verengte die Augen. „Ma’am wie bei einer alten Jungfer oder Schullehrerin?“

Charlotte stieß einen erstickten Laut aus und zog sich strategisch in eine Ecke des Empfangsraums zurück. Ihr ganzer Körper schien vor stummer Empörung zu vibrieren.

Verbissen rang sie um Fassung. Vielleicht hatten Royals ja ebenso heißes Blut wie Normalsterbliche und erlaubten es sich nur nicht, ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Insgeheim hätte er darauf gewettet, dass Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Charlotte in diesem Moment ihre kostbarste Tiara dafür hergegeben hätte, ihm das Gesicht zerkratzen zu dürfen.

„Ich möchte nichts mehr mit Ihnen zu schaffen haben“, verkündete Prinzessin Charlotte in hoheitsvollem Ton und mit kaum merklichem Zittern in der melodiösen Stimme. „Verlassen Sie bitte auf der Stelle den Palast.“

Da reichte es Lucca. „So, jetzt hör mir mal zu, Sweetheart“, forderte er, jegliches Protokoll missachtend. „Wie ich es sehe, müssen wir beide die nächsten vier Wochen miteinander auskommen, egal wie. Deine große Schwester scheint darauf versessen zu sein, dass wir ihre Big Party zusammen schmeißen, und wie ich das einschätze, hat sie das Sagen hier. Zumindest, was die Hochzeit betrifft. Ich würde mir momentan auch lieber in Gesellschaft spärlich bekleideter Blondinen am Strand die Sonne auf den Pelz brennen lassen. Also, wenn du absolut entschlossen bist, dann schmeiß mich meinetwegen raus, aber das Chatsfield kannst du in dem Fall vergessen.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Charlotte sich zu einer Antwort fähig fühlte. „Sie sind bei Weitem der unverschämteste und anrüchigste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen ist“, sagte sie schließlich in eisigem Ton.

„Vielleicht solltest du öfter mal vor die Tür gehen“, empfahl Lucca ungerührt. „Da draußen laufen nämlich noch viel mehr von meiner Sorte herum.“

„Raus hier!“, zischte Charlotte, die Hände zu Fäusten geballt. „Bevor ich die Palastwachen rufe.“

Mit einem lässigen Schulterzucken schlenderte Lucca in Richtung Tür. „Ich wohne im Penthouse des Chatsfield, falls ich gebraucht werde.“ In der Tür drehte er sich um und warf ihr eine Kusshand zu. „À bientôt, Prinzesschen …“

2. KAPITEL

Keine fünf Minuten später stürmte Lottie die Suite ihrer Schwester.

„Dieser Kerl ist unerträglich! Und ganz sicher der rüdeste, unzivilisierteste Mann auf Erden. Was hast du dir nur dabei gedacht, ihn hierher zu holen? Ich weigere mich rundheraus, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich will nicht, hörst du? Ich will einfach nicht!“

Madeleine drehte sich langsam auf dem mit violettem Samt bespannten Stuhl um, der vor ihrem antiken Schminktisch stand. Sie experimentierte gerade mit verschiedenen Lidschatten. „Oh doch, du wirst. Mein Hochzeitsempfang muss im Chatsfield stattfinden. Wir haben seit unserer Kindheit davon geträumt. Und ich werde mir meine Märchenhochzeit nicht durch eine kleine Meinungsverschiedenheit verderben lassen.“

Lottie liebte ihre Schwester aufrichtig. Was sie allerdings hasste wie die Pest, war die herrschsüchtige Ader, die auch zu Madeleines Wesen gehörte. Zwischen ihnen lagen nur drei Jahre, doch wenn sich ihre große Schwester etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es zwecklos, dagegen anzugehen.

Versuchen musste sie es trotzdem …

„Meinungsverschiedenheit nennst du das? Ich nenne es einen Super-GAU! Dieser Mann steht für Ärger. Er hat mich behandelt wie ein Dienstmädchen, nicht wie eine Prinzessin. Und er hat mich Sweetheart genannt!“

Autor

Melanie Milburne
<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
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