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Abbys leise Worte sind für Josh wie eine sinnliche Einladung: Natürlich küsst er sie heiß! Denn seit er in ihrem Bed & Breakfast Zuflucht vor einem Blizzard gefunden hat, knistert es zwischen ihnen. Abby ist süß, glaubt an so bezaubernd altmodische Werte wie Liebe und Freundschaft, doch was soll Josh nur tun, wenn der Sturm vorbei ist? Ihre romantische Kleinstadtidylle mit ihr teilen? Kaum vorstellbar. In seine Glamourwelt zurückkehren, in der er als mächtiger Tycoon lebt - ohne Abby? Noch weniger vorstellbar …


  • Erscheinungstag 04.04.2017
  • Bandnummer 1971
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723675
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Sturm tobte und trieb wirbelnde Schneemassen vor sich her. Eine rote Neonwerbung blinkte auf. Die Fenster des Beckett-Cafés waren vereist. Josh Calhoun konnte nicht erkennen, ob noch geöffnet war. Aber auch wenn er Hunger hatte – viel mehr war ihm daran gelegen, ein Bett für die Nacht zu finden. Die Polizei hatte die Straßen gesperrt. Er hatte keine Chance, zurück zu dem kleinen Flughafen zu gelangen. Dort hätte er im Hangar schlafen können oder in seiner Maschine. Er warf einen Blick auf die Uhr – ein paar Minuten nach zehn. Seiner Müdigkeit nach zu urteilen hätte es schon ein Uhr sein können.

Das Taxi ließ die zwei Blocks mit ihren einstöckigen Gebäuden und Läden zurück. Die Hauptstraße von Beckett, Texas, versank im Schnee. Obwohl es im Taxi warm war, schauderte es Josh. Er zog den Kragen seiner Jacke höher.

Minuten später sah er ein Schild, das vom Wind hin- und hergezerrt wurde: Donovan Bed and Breakfast. Natürlich mit dem roten Zusatz: Belegt. Durch das Schneegestöber war ein großes Haus im viktorianischen Stil zu erkennen. Über der Veranda, die um das ganze Haus herumlief, brannte ein Licht. Der Fahrer hielt.

„Fragen Sie nach Abby Donovan. Sie führt die Pension“, sagte er.

„Mach ich. Bin gleich zurück.“

„Ich warte. Abby ist sehr nett. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Sie abweist. Sie werden schon sehen.“

Josh setzte sich den breitkrempigen Stetson auf und verließ das warme Taxi. Er musste sich gegen den Sturm stemmen, um die Haustür zu erreichen und klingeln zu können. Durch ein Fenster sah er einen großen Raum, in dem sich Menschen an einem einladenden Kaminfeuer versammelt hatten.

Die Tür ging auf. Und plötzlich hatte Josh alles vergessen: seine Müdigkeit, den Sturm, die Notlage. Wie hypnotisiert sah er in die großen blauen Augen der schlanken Frau in Pullover und Jeans, die ihn unter langen Wimpern hinweg fragend ansah. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als er begriff, wie unhöflich sein Starren wirken musste.

„Abby Donovan?“ Seine Stimme war rau.

Sie schien sich einen Ruck zu geben. Offensichtlich war sie ebenso befangen gewesen wie er. „Ja, ich bin Abby.“

„Josh Calhoun. Man hat mir gesagt, ich soll Sie fragen, ob Sie noch ein Bett für die Nacht haben. Ich weiß, dass Ihr Schild Belegt sagt, aber ich bin inzwischen so verzweifelt, dass ich auch auf dem Boden schlafen würde, nur um diesem Schneesturm zu entkommen.“

„Es tut mir leid, aber wir sind völlig überfüllt.“

„Das Taxi kann mich nicht zurück zum Flughafen bringen – die Straßen sind gesperrt.“

„Es geht wirklich nicht. Zwei Gäste begnügen sich schon mit einem Sofa, und zwei werden auf dem Boden schlafen. Ich habe achtzehn Erwachsene im Haus und neun Kinder. Dazu kommen noch vier Dauermieter. Ich habe keine weiteren Decken oder Kissen …“

„Kein Problem, ich habe in der Stadt kurz vor Ladenschluss noch zwei Decken und ein Kissen kaufen können. Ich bin wirklich verzweifelt.“

„Oje.“ Sie musterte ihn mit leicht gerunzelter Stirn.

Ihre rosigen Lippen waren voll und verlockend. Wie mochte es sein sie zu küssen? Josh war entsetzt über sich selbst. Er konnte sich nicht erinnern, je so auf eine völlig Fremde reagiert zu haben, schon gar nicht unter solchen Umständen. Sein Blick glitt über sie, und er verstand seine Reaktion noch weniger. Mit dem streng zurückgebundenen blonden Pferdeschwanz wirkte sie völlig unscheinbar. Zumindest nicht so, um das Rasen seines Pulses zu rechtfertigen. Aber er musste ihr nur in die Augen sehen, und schon reagierte sein Körper. Ihre blauen Augen waren einfach einzigartig.

„Abby, ich bin in Not. Ich könnte einfach in einem Sessel schlafen. Mein Taxifahrer hat kleine Kinder und möchte zu ihnen nach Hause. Irgendeine Ecke genügt. Auch der Küchenfußboden. Ich zahle Ihnen das Doppelte wie für ein Zimmer.“

„Kommen Sie doch herein, während wir reden. Die Luft ist ja eisig.“

„Das stimmt.“ Er betrat eine geräumige Lobby, von der eine Wendeltreppe in den ersten Stock führte. Wohltuende Wärme umgab ihn, und seine Stimmung hob sich ein wenig. „Ich kann im Voraus bezahlen. Mit Aufschlag. Was auch immer Sie möchten. Ich bin wirklich am Ende. In der letzten Nacht habe ich bis drei Uhr an einem Deal in Arizona gearbeitet. Auf dem Rückflug nach Hause habe ich dann hier Halt gemacht, um mir ein Pferd für die Ranch anzusehen. Ich habe noch nichts gegessen. Ich bin müde, und mir ist kalt. Es ist eine furchtbare Nacht und noch furchtbarer, wenn man kein Dach über dem Kopf hat. Wie kann ich helfen, wenn ich hierbleibe? Frühstück für alle bestellen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich koche selbst. Wenn der Schneesturm nicht aufhört, wird kein Restaurant öffnen.“

„Sie werden in der Stadt hochgelobt. Ich habe auch gehört, dass Sie ein weiches Herz haben, großzügig sind und freundlich …“

„Stopp!“ Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Erzählen Sie mir mehr von sich. Wir müssen hier auf engstem Raum miteinander auskommen.“

Es amüsierte Josh, dass er sich ausweisen sollte, denn er war in Texas kein Unbekannter. „Ich bin Josh Calhoun aus Verity, Texas. Mir gehören die Calhoun Hotels.“

Ihr Blick glitt von seinem breitkrempigen Stetson hinunter zu den maßgefertigten Stiefeln. „Sie sind Hotelier und sehen sich nebenbei Pferde für eine Ranch an?“

„Ich bin auch Rancher. Die Zentrale der Hotels ist in Dallas, wo ich eine Wohnung habe. Sie können das leicht überprüfen, indem Sie die Rezeption anrufen. Der Sheriff von Verity kann Ihnen alles über mich sagen. Wir kennen uns schon unser ganzes Leben lang.“ Josh zog seine Brieftasche heraus, um ihr seinen Führerschein und den Angelschein zu zeigen. Er wollte schon nach dem nächsten Dokument greifen, als sie ihre Hand auf seine legte, um ihm Einhalt zu gebieten.

Die Berührung ließ ihn unvermittelt aufsehen. Sie war näher getreten, und ihm stieg ein leichter Fliederduft in die Nase.

Abby schüttelte den Kopf. „Sie brauchen sich nicht weiter auszuweisen“, sagte sie und trat zurück. „Gut, Sie können das Sofa in meiner Wohnung haben, aber ich bin nicht bereit, mein Bad zu teilen. Sie müssen das allgemeine Bad im Korridor benutzen.“

„Kein Problem.“ Er lächelte sie an. „Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Abby.“ Im Stillen fragte er sich, ob es ihm gelingen könnte, sie dazu zu bringen, mit ihm essen zu gehen. Die Kälte und die Erleichterung darüber, einen Schlafplatz gefunden zu haben, schienen sein Denken beeinträchtigt zu haben. Denn sie war überhaupt nicht sein Typ, und normalerweise bat er eine Frau nicht gleich um ein Date. „Ich hole meine Sachen und bezahle das Taxi. Bin gleich zurück.“

„Ich schließe die Haustür nicht ab, sodass Sie wieder hereinkönnen.“

Er trat einen Schritt auf sie zu. „Sie werden es nicht bereuen.“

„Das will ich hoffen.“ Auch ihre Stimme klang ein wenig atemlos.

Josh zog die Tür hinter sich zu. Mit einer Hand hielt er seinen Stetson fest, während er sich zurück zum Taxi kämpfte und sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Ich habe ein Bett bekommen. Vielen Dank für Ihre Geduld.“ Er zog ein paar Scheine aus der Brieftasche. „Danke auch dafür, dass Sie mich erst zur Ranch und dann wieder in die Stadt gefahren haben. Und für den Tipp, mir zwei Decken und ein Kissen zu besorgen.“

„Ich bin ja froh, dass Sie etwas gefunden haben. Tut mir leid, dass ich nicht mehr helfen konnte. Aber da wir gerade die Schwiegereltern zu Besuch haben, ist unsere Zweizimmerwohnung mit den vier Kindern, meiner Frau und mir schon übervoll, sonst hätten Sie selbstverständlich mit zu uns kommen können. Wenn die Straßen wieder frei sind und Sie zurück zum Flughafen wollen, rufen Sie mich einfach an! Meine Karte haben Sie ja. Dann hole ich Sie ab.“

„Danke, Benny.“ Josh reichte ihm ein paar Scheine – neben dem Fahrpreis ein üppiges Trinkgeld.

„Hey, Sie haben sich vertan“, protestierte der Fahrer.

„Nein, nein, das ist schon in Ordnung.“

Der Mann lächelte. „Vielen Dank. Sehr großzügig.“

Josh wollte schon aussteigen, als ihm noch etwas einfiel. „Sagen Sie, hat Ms. Donovan einen Mann, der ihr hilft, die Pension zu führen?“

„Nein, sie ist Single. Früher hat ihre Großmutter das Haus geführt. Nun macht Abby es, und Grandma Donovan lebt oben in der Pension mit ein paar älteren Verwandten. Wenn zu viele Gäste da sind, wohnt sie bei ihrer Tochter – das ist gleich das Nachbarhaus.“

„Ich verstehe.“ Josh begriff, dass die Stadt so klein war, dass hier jeder jeden kannte. „Nochmals vielen Dank.“ Er schlug die Wagentür hinter sich zu und eilte mit seiner Tasche zurück ins Haus.

Abby erschien sofort, um hinter ihm abzuschließen und das Licht auf der Veranda zu löschen. Der Wind fuhr pfeifend um die Hausecken.

„Ich zeige Ihnen, wo Sie Ihre Sachen abstellen können.“ Sie ging ihm voraus den Korridor hinunter. „Hier ist meine Wohnung.“ Sie machte das Licht an. Auf dem Eichenfußboden lag ein handgewebter Teppich. Antike Mahagonimöbel und gut gefüllte Bücherregale gaben dem Raum zusammen mit dem Feuer im Kamin etwas Gemütliches, das Josh irgendwie an das Haus seiner Großeltern erinnerte.

„Ich habe das Feuer schon vor einer Weile angemacht, damit die Wohnung warm ist, wenn ich Feierabend habe“, erklärte sie. „Die meisten Gäste sind im großen Salon, und normalerweise gehen sie gegen elf Uhr auf ihre Zimmer. Heute ist es etwas anders, weil niemand morgen früh abreisen kann. Ich nehme an, einige von ihnen werden sich noch einen Film ansehen. Tun Sie, wonach auch immer Ihnen ist. Sie können Ihre Sachen hierlassen und sich zu uns setzen, oder Sie können hierbleiben. Ich kann von meinem Schlafzimmer aus direkt auf den Korridor, sodass ich Sie nicht stören muss. Sie haben dieses Zimmer ganz für sich. Sobald ich Ihnen Handtücher geholt und Sie ins Register eingetragen habe, gehe ich wieder zu den anderen.“

„Ich komme mit.“ Josh legte sein Kissen und die Decken auf das Sofa, bevor er seine Jacke ablegte. Er trug einen dicken braunen Pullover über einem weißen Hemd, dazu Jeans und Stiefel. Er war froh, sich so warm angezogen zu haben.

„Sie sind zu lang für das Sofa. Möchten Sie lieber auf dem Boden schlafen?“

„Das geht schon. Es reicht, einfach nur ein Dach über dem Kopf zu haben.“ Er sah sie lächelnd an und erntete einen forschenden Blick, der sich ihm tief einbrannte.

„Ich hole Ihnen Handtücher.“ Josh sah ihr nach, wie sie in einem der anderen Räume verschwand, um kurze Zeit später mit allem zurückzukehren, was er brauchte.

„Wenn Sie mitkommen, können Sie sich gleich eintragen.“

Er folgte ihr zur Rezeption, in deren poliertem dunklem Holz die Jahre ihre Spuren hinterlassen hatten. Sein Blick glitt über das elegante Treppengeländer. „Das Haus wirkt viktorianisch.“

„Das ist es. Es ist jetzt schon seit fünf Generationen in unserer Familie.“ Sie reichte ihm das Register. „Bitte, tragen Sie sich ein. Dann brauche ich Ihre Kreditkarte. Da Sie nur auf dem Sofa schlafen, berechne ich Ihnen einen reduzierten Preis.“ Sie reichte ihm ein Papier. „Hier ist ein Grundriss des Hauses und ein Stadtplan von Beckett. Er wird Ihnen morgen leider nicht viel helfen, da wir noch viel mehr Schnee bekommen sollen und vielleicht sogar Eisregen.“

„Morgen wollte ich eigentlich abreisen.“

„Das können Sie wohl vergessen. Die Straßen sind gesperrt, und die Geschäfte haben geschlossen. Das kam vorhin in den Nachrichten.“ Sie reichte ihm eine kleine Taschenlampe. „Im Radio hieß es, die halbe Stadt hat keinen Strom, weil Eis auf den Leitungen liegt. Deswegen gebe ich allen Gästen Taschenlampen. Dies ist ein altes Haus, und Kerzen sind gefährlich.“

„Danke.“ Josh steckte die Lampe ein. Seine Aufmerksamkeit galt weniger den Papieren, die Abby ihm reichte, als vielmehr ihr selbst. Was zog ihn so zu ihr hin? Es konnte nicht ihre Persönlichkeit sein, denn er kannte sie kaum. Es konnte auch nicht ihre Figur sein, denn die wurde von dem Pullover verborgen, der bis auf ihre Schenkel herabfiel. Sie war eine nette Person, die ihm half. Das sollte alles sein. Stattdessen weckte sie ein prickelndes Bewusstsein in ihm, das die erstaunlichsten Fantasien auslöste: Er stellte sich vor, mit ihr zu tanzen und sie in seinen Armen zu halten. Er fragte sich, wie es sein mochte, sie zu küssen und zu lieben. Vielleicht war seine Übermüdung schuld an dieser Reaktion – seit einer Woche hatte er nicht mehr richtig geschlafen.

Sie zog das Register an sich und las, was er eingetragen hatte. „Hier geben Sie Ihre Adresse in Dallas an. Ist das eher Ihr erster Wohnsitz als Verity?“

„Die meiste Zeit lebe und arbeite ich in Dallas. Aber meine Ranch liegt in West-Texas in der Nähe von Verity.“

„Sie sind also ein Hobby-Rancher.“

„Ja, zumindest im Augenblick. Irgendwann will ich ganz auf der Ranch leben, dann soll jemand anderes sich für mich um die Hotels kümmern. Im Moment bin ich nur auf der Ranch, wenn ich Zeit habe. Und das ist viel zu selten“, gestand er, und fragte sich dabei, wieso er das alles einer Fremden erzählte.

„Hier ist der Tagesplan für morgen“, sagte sie. „Normalerweise gibt es Frühstück von halb acht bis neun Uhr. Aber da morgen niemand das Haus verlassen kann, fangen wir erst um acht Uhr an.“

„Eine gute Idee.“

„Falls Sie keine weiteren Fragen haben, gehe ich jetzt zurück zu den anderen.“ Sie sah ihn forschend an.

„Danke, nein. Ich komme mit.“

„Wir waren gerade dabei zu singen. Ich spiele dazu Klavier oder überlasse den Part einem Gast.“

Sie betraten den Salon, der sich fast über die ganze Ostseite des Hauses zog. Die Möbel waren aus Ahorn, der polierte Holzfußboden mit bunten handgewebten Läufern bedeckt. Im Kamin brannte ein Feuer. Zwei kleine Kinder schliefen auf den Armen ihrer Eltern, andere Kinder hatten sich auf dem Boden ausgestreckt. Einige Männer erhoben sich, um Abby einen Platz anzubieten. Sie dankte ihnen lächelnd und bat sie, wieder Platz zu nehmen.

„Wir haben auf Sie gewartet. Lassen Sie uns noch ein wenig singen“, schlug jemand vor.

„Darf ich Ihnen einen weiteren Gast vorstellen – Josh Calhoun aus Dallas.“

Während die Gäste Josh ein Hi! oder Hallo! zuwarfen, nickte er lächelnd in die Runde. Abby nahm wieder am Klavier Platz. Sie spielte ein Lied, das Josh noch von seiner Großmutter kannte. Er hatte es seit Kindertagen nicht mehr gesungen, aber die Erinnerung kam rasch zurück, und er stimmte mit ein.

Während sie sangen, beobachtete er Abby. Er verstand sich selbst nicht. Sie war wirklich nicht sein Typ. Sie trug ihr Haar zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden. Verzichtete auf jedes Make-Up. Sie führte eine Pension in einer Kleinstadt. Eindeutig keine Frau, die er um ein Date bitten würde!

Josh sah, wie der Wind den Schnee gegen die Scheiben drückte. Er rutschte nach unten und sammelte sich auf dem Rahmen. Es war ein idyllisches Winterbild, aber er wünschte, noch in dieser Nacht nach Hause fliegen zu können.

Allmählich entspannte er sich und ließ sich in den Sessel zurücksinken. Während er mit den anderen sang, überlegte er, dass er einen Abend wie diesen schon seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Es kam ihm vor, als wäre er in eine andere Zeit versetzt worden.

Nach einer halben Stunde erhob sich Abby. „Das sollte für heute genug sein. Möchte jemand noch heiße Schokolade? Ich mache gern welche. Außerdem ist der Medienraum geöffnet. Mr. Julius sagt, er kümmert sich um einen Film. Wer Lust auf Schokolade hat, soll einfach mit in die Küche kommen.“

Sie verließ den Raum, und alle anderen folgten ihr. Josh blieb allein zurück. Er schaltete alle Lichter bis auf eines aus und setzte sich dann wieder in den Sessel, um die Beine auszustrecken. Ein paar Scheite glühten noch in der Asche.

Eiskörner schlugen gegen die Scheiben und sammelten sich auf dem Schnee. Josh verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er konnte im Moment nichts weiter tun als abwarten. Und morgen würde es nicht viel anders sein. Ein tiefes Gefühl der Ruhe überkam ihn. Er hatte einen unerwarteten Urlaub geschenkt bekommen, und er wollte ihn genießen.

„Möchten Sie keine heiße Schokolade?“

Er sah auf. Abby war hereingekommen. „Nein danke“, sagte er. „Ich genieße die Ruhe und den Sturm, nachdem ich nun ein Dach über dem Kopf habe. Es ist wie ein kleiner ungeplanter Urlaub.“

„Das ist eine sinnvolle Art, mit der Situation umzugehen. Für gewöhnlich lasse ich das Feuer zu dieser Zeit ausgehen. Hatten Sie vor, noch länger hier zu sitzen?“

„Das ist schon in Ordnung. Lassen Sie das Feuer ruhig ausgehen. Ich mache das Licht aus, wenn ich gehe. Falls Sie sich den Film nicht ansehen wollen, setzen Sie sich doch zu mir.“

„Danke. Ich glaube, Mr. Julius braucht mich nicht.“

„Der Taxifahrer sagte, Sie seien Single. Aber dieses Haus ist zu groß, um es allein zu führen.“

„Ich bin ja nicht allein“, korrigierte sie ihn. „Ich habe etliche Leute, auf deren Hilfe ich zählen kann. Mein Bruder und meine Schwester wohnen nebenan bei meiner Mutter, und meist lebt meine Großmutter hier bei mir. Ich kann sie immer um Rat fragen, weil sie das Haus viele Jahre geführt hat.“

„Sie waren also drei Kinder?“

„Richtig. Ich bin die Älteste. Mein Bruder Justin ist zwanzig und besucht das College. Er wohnt bei meiner Mutter, genau wie Arden, die Jüngste. Sie ist siebzehn und geht noch zur Highschool. Und Sie? Haben Sie Geschwister?“

„Ja, zwei Brüder und eine Schwester. Dies ist ein großes Haus – es überrascht mich, dass Sie nicht mehr Gäste unterbringen.“

„Wir haben zusätzlich einige Dauermieter. Die Hälfte des Jahres wohnt meine Großmutter hier, und dann habe ich noch zwei Großtanten, die hier leben. Außerdem ist da noch Mr. Hickman, ein auch schon etwas älterer Herr. Seine Familie lebt in Dallas. Er hat mir erzählt, dass seine verheirateten Söhne die Firma weiterführen, die er gegründet hat. Sie haben ihn eingeladen, bei ihnen in Dallas zu leben, aber er ist hier aufgewachsen und hierher zurückgekehrt, nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hatte. Damals lebte seine Frau noch. Ich glaube, sie wollte unbedingt zurück nach Beckett, weil sie noch Verwandte hier hatte. Sie war die beste Freundin meiner Großmutter, deshalb wohnt er jetzt hier. Er hat ein kleines Hörproblem, aber sonst ist er bei guter Gesundheit. Wir haben einen Fahrstuhl für die älteren Bewohner, sodass sie nicht die Treppe nehmen müssen. Meine Tanten und meine Großmutter sind im Moment nicht hier – meine Großmutter ist bei meiner Mutter, und meine Tanten besuchen ihre Familien.“

„Müssen Sie sich um sie kümmern?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich habe einen Van und fahre sie einmal die Woche in die Stadt. Außerdem fahre ich sie zum Gottesdienst, und irgendjemand von uns fährt sie zum Arzt, wenn nötig. Sie brauchen einfach nur jemanden in der Nähe. Ihre Familien sind über das ganze Land verstreut. Im Moment sind sie sehr glücklich hier.“

„Es ist nett von Ihnen, sie hier wohnen zu lassen. Aber sind Sie nicht zu jung, um sich an eine solche Pension zu binden?“

„Ich bin über einundzwanzig.“ Sie lächelte. „Fünfundzwanzig, um genau zu sein.“

„Es ist eine große Verantwortung“, bemerkte er. Wenn er sie jetzt genauer betrachtete, erkannte er, dass sie sehr lange Beine hatte. Ihr Pullover verdeckte zwar ihren Körper, aber im Ausschnitt erkannte er verführerische Kurven.

„Es macht mir Spaß, ich lerne dabei interessante Menschen kennen. Und ich kann hier in meiner Heimatstadt arbeiten – von zu Hause aus.“

„Für einige wäre das eher ein Minuspunkt.“

„Für mich nicht. Ich bin nie über Texas hinausgekommen, und offen gestanden habe ich auch kein Bedürfnis danach zu reisen. Alles, was ich liebe, ist hier.“

Josh musste an seine eigenen Reisen denken. „Sie sind ein Stubenhocker“, bemerkte er lächelnd.

„Das kann man so sagen. Ich nehme an, Sie sind es nicht. Es hört sich ganz so an, als seien Sie viel unterwegs. Sind Sie verheiratet, Josh?“

„Nein, im Moment ist in meinem Leben kein Platz für eine feste Beziehung. Ich reise viel, und mein Job macht mir Spaß. Aber im Grunde meines Herzens bin ich Rancher. Deshalb bin ich ja auch nach Beckett gekommen. Um mir ein Pferd anzusehen.“

Erneut sah er sich dem forschenden Blick ihrer großen blauen Augen ausgesetzt.

„Sie haben zwei sehr unterschiedliche Interessen“, bemerkte sie. „Lebt Ihre Familie in der Nähe?“

„Meine Geschwister sind hier in Texas, aber unsere Eltern verbringen ihren Ruhestand in Kalifornien. Wohnen beide Ihre Eltern im Nachbarhaus?“

„Nur meine Mom. Sie ist geschieden und betreibt einen Frisiersalon unten in ihrem Haus. Die ganze Stadt kennt ihre Geschichte. Es ist also kein Geheimnis: Mein Dad hat sie wegen einer jüngeren Frau verlassen, die er auf einer seiner Geschäftsreisen kennengelernt hat. Damals war ich vierzehn. Er war viel unterwegs.“

„Tut mir leid, dass er Ihre Mutter und Ihre Familie verlassen hat.“

„Wir haben ihn ohnehin wegen seines Jobs nur selten zu Gesicht bekommen.“

„Was haben Sie für Hobbys?“

„Gärtnern und schwimmen. Ich hätte gern einen Pool, aber bisher hat es sich nicht ergeben. Ich mag kleine Kinder. Einmal in der Woche lese ich in der Bibliothek Vorschulkindern vor. Außerdem liebe ich Filme und spiele gern Tennis.“

Erneut kam ihm der Gedanke, sie zum Essen einzuladen, wenn das Unwetter vorüber war. Sofort verwarf er den Gedanken wieder. Abby war der Typ Frau, der alles sehr ernst nahm. Mit einem stummen Seufzer wandte er sich wieder dem Feuer zu und versuchte nicht mehr daran zu denken, dass sie so nah war. Aber sein Bewusstsein für sie ließ sich nicht so leicht verdrängen.

„Gibt es einen Mann in Ihrem Leben?“

„Mehr oder weniger“, gestand sie lächelnd. „Er ist hier aus der Stadt. Wir sind zusammen aufgewachsen und mögen dieselben Dinge. Deswegen gehen wir manchmal zusammen aus. Ich nehme an, irgendwann werden wir heiraten, aber wir reden nicht davon. Keiner von uns hat es eilig.“

„Das klingt nicht sehr ernst.“ Josh fragte sich, was das für ein Mann sein mochte, der sich mit dieser Art Beziehung zufriedengab.

Sie zuckte die Schultern. „Wir haben dieselben Vorstellungen. Er möchte Beckett ebenso wenig verlassen wie ich. Unser Lebensmittelpunkt ist hier. Er ist Buchhalter. Wir haben beide viel zu tun. So einfach ist das.“

Sie schwiegen. Josh fragte sich, ob er sich in ein paar Monaten überhaupt noch an sie erinnern würde.

„Ich hoffe, es kommt nicht noch jemand, der ein Dach über dem Kopf braucht“, bemerkte er nach einer Weile. „Ich habe zwei Decken und würde mich gezwungen sehen, ihm eine abzutreten und ihn in meinem Zimmer auf den Boden schlafen zu lassen.“

„Ich habe das Licht auf der Veranda ausgemacht. Wir können wirklich niemanden mehr aufnehmen. Morgen früh muss ich fünfunddreißig Leute versorgen. Die Vorräte sind begrenzt. Mein Bruder und meine Schwester sind im Moment nicht in der Stadt, ich habe also keine Hilfe.“

„Ich könnte Ihnen beim Frühstück zur Hand gehen“, erbot er sich spontan.

Sie lachte leise. „Danke. Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie viel Erfahrung in der Küche.“

Er grinste. „Ich bin ein Mann mit vielen Talenten. Als Kind war ich oft zelten und habe gekocht. Gelegentlich koche ich auch zu Hause, was eher selten passiert, das will ich zugeben. Aber ich kann den Tisch decken und solche Dinge.“

„Vorsicht, ich könnte Sie beim Wort nehmen.“

„Es ist mein Ernst. Ich helfe Ihnen. Wann fangen Sie mit den Vorbereitungen an?“

„Gegen sechs. Aber Sie müssen nicht so früh aufstehen.“

„Kein Problem. Ich stelle den Weckruf auf meinem Handy ein.“ Er zog das Telefon aus der Tasche. „Seit ich hier bin, habe ich noch keinen Anruf gehabt“, bemerkte er überrascht. Das war noch etwas ganz Neues an diesem Abend.

„Spät abends rufen bestimmt nicht mehr so viele an.“

„Manchmal schon. Überhaupt keine Anrufe zu bekommen, ist wirklich ungewöhnlich. Aber damit kann ich heute gut leben.“ Er steckte das Handy wieder ein. „Es ist wie ein Urlaub. Erzählen Sie mir mehr von Ihrer Familie.“

Josh lehnte sich zurück und ließ das Gespräch hin und her plätschern, während das Feuer langsam verglomm. Es war schon nach ein Uhr, als Abby sich erhob. „Ich sollte zu Bett gehen. Bis sechs ist es nicht mehr lange hin.“

Er stand ebenfalls auf. „Wir sehen uns dann um sechs. Und nochmals Dank dafür, dass Sie mich aufgenommen haben.“

„Gute Nacht, Josh.“

„Gute Nacht.“ Als er ihr in die Augen sah, war es wieder da: Dieses prickelnde Bewusstsein für sie. Und an ihrem Blick erkannte er, dass es ihr genauso ging.

Josh sah ihr nach. Es gab nichts an ihr, was seinen Puls derart hätte zum Rasen bringen sollen, und dennoch … Er musste etwas tun, um diese Neugier zu befriedigen.

2. KAPITEL

Abby spürte förmlich, wie Josh ihr nachschaute. Was hatte er an sich, das ihr Herz höherschlagen ließ und ihr förmlich den Atem verschlug? Eine solche Reaktion auf einen Mann hatte sie nicht mehr gehabt, seit sie ein Teenager gewesen war. Gelegentlich ging sie mit Lamont Nealey aus, der ganz in der Nähe wohnte. Sie waren seit Jahren befreundet, aber nie hatte er ihren Puls schneller schlagen lassen. Eine Berührung mit ihm löste keinerlei besondere Reaktion in ihr aus.

Während sie ihren Flanellpyjama anzog, wanderte ihr Blick immer wieder zu der Tür, die sie von Josh trennte. Ihr Bewusstsein für seine Nähe ließ sich nicht verdrängen.

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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