Sinnliche Stunden mit dem Ex

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Sara OrwigSinnliche Stunden mit dem ExDiese Frau raubt ihm immer noch den Atem: tiefschwarze Haare, sexy Kurven, intelligent und liebevoll. Rechtsanwalt Nick Milan ist fasziniert von Claire. Nie wird er die Nächte der Lust mit ihr vergessen. Genauso wenig wie die schroffe Ablehnung seines Heiratsantrags und den erbitterten Streit danach. Nun erfährt er, dass Claire die Mutter seines Sohnes ist. Vier Jahre lang wusste er nichts von dem Jungen, jetzt will er ihn auf gar keinen Fall wieder verlieren. Doch bedeutet das, dass er Claire erneut in sein Leben lassen wird?


  • Erscheinungstag 28.11.2017
  • Bandnummer 2004
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724009
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nick Milan starrte auf die schmale weiße Visitenkarte, die dem Vertrag beigeheftet war, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Genau wie am Vorabend, als ihm das Kärtchen zum ersten Mal in die Finger geraten war, erschütterte ihn der Name, der darauf stand, bis ins Mark.

„Claire Prentiss.“

Die drei kurzen Silben beschworen ein schemenhaftes Bild herauf von einer gertenschlanken Schönheit mit pechschwarzem Haar und kaffeebraunen Augen, die sich in seinen Armen rekelte. Der Name allein ließ qualvolle Erinnerungen aufsteigen, deshalb verbannte er die Visitenkarte rasch ans andere Ende des Schreibtisches.

Zeit für den nächsten Termin, eine Vertragsunterzeichnung, der Abschluss eines Immobiliengeschäfts. Reine Routine. Normalerweise. Nur dass es diesmal alles andere als Routine werden würde. Denn der Verkäufer wurde von seiner Maklerin vertreten: Claire.

Dass ihn die Aussicht, sie wiederzusehen, derart aus der Fassung brachte, verunsicherte Nick zutiefst. Vier Jahre war es her, dass er sie zum letzten Mal im Arm gehalten hatte; vier Jahre, seit sie seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hatte. Daraufhin hatten sie sich gestritten, dass die Fetzen flogen, und seither gingen sie getrennte Wege. Die Verbitterung, die Demütigung und die Wut darüber hatten noch lange an ihm genagt, aber inzwischen war er darüber hinweg. Woher also diese heftige Reaktion beim Anblick ihres Namens?

Claire Prentiss ist Vergangenheit, beschwichtigte er sich. Sie ist weg, raus aus meinem Leben. Vermutlich war sie längst verheiratet, hatte einen Stall voller Kinder und hatte ihren Mädchennamen nur behalten, weil sie immer noch in der Immobilienfirma ihres Großvaters arbeitete.

Aber als er beim Blick auf die Armbanduhr bemerkte, wie stark seine Hand zitterte, musste er sich eingestehen, dass er sich wohl nicht hatte überzeugen können.

Er packte die nötigen Unterlagen in seinen Aktenkoffer und ließ ihn mit einem Knall zuschnappen. Zu dumm, dass sich die schmerzlichen Erinnerungen an Claire nicht genauso einfach wegsperren ließen. Das wäre ihm jetzt wirklich gelegen gekommen – die Pflicht rief.

Unterwegs im Auto versuchte Nick sich auf den bevorstehenden Termin zu konzentrieren. Im Nachhinein wünschte er, er hätte sich nie auf diese Sache eingelassen. Am Tag zuvor hatte ihn Paul Smith angerufen, ein alter Freund. Paul war kurz davor, eine größere Immobilie zu erwerben, und erst auf den letzten Drücker war ihm eingefallen, dass es von Vorteil sein könnte, seinen Anwalt bei den Verhandlungen dabeizuhaben. Nick hatte schlecht Nein sagen können. Wie hätte er ahnen sollen, dass Claire an diesem Deal beteiligt war? Ihre Firma hatte ihren Sitz in Houston – was hatte sie in Dallas verloren?

Unglücklicherweise war Nick nicht gleich dazu gekommen, die Unterlagen zu studieren, die Paul ihm zugeschickt hatte. Als er sie gegen Mitternacht zu Hause durchgearbeitet hatte, war es zu spät gewesen, um das Mandat zurückzugeben. Ansonsten hätte er keine Sekunde gezögert. Die Erinnerungen an Claire hatten ihn bis in den Schlaf verfolgt, stundenlang hatte er sich im Bett hin und her gewälzt. Das bevorstehende Treffen lag ihm schwer im Magen.

Ein beißender Dezemberwind pfiff zwischen den Wolkenkratzern im Zentrum von Dallas hindurch, als Nick aus dem Auto stieg. Paul erwartete ihn im Foyer eines der Bürotürme, und Nick musste sich beherrschen, um seinem Klienten und Freund das Mandat nicht in letzter Sekunde vor die Füße zu werfen.

Ein Aufzug brachte sie zu dem Immobilienbüro im siebenundzwanzigsten Stock, wo sie Pauls Makler Bruce Jernigan begrüßte, sich noch einmal wortreich dafür entschuldigte, dass die Besitzerin der Immobilie sich von ihrer Maklerin vertreten ließ, weil sie selbst unerwartet erkrankt war, und sie zum Konferenzraum führte.

Nicks erster Blick galt Claire. Sie stand neben dem großen Tisch in dem dunklen, holzgetäfelten Saal. Als sie Nick erkannte, wich alle Farbe aus ihrem Gesicht. Haltsuchend klammerte sie sich an die Tischkante. Es war nicht zu übersehen, dass sie bis zu dieser Sekunde keine Ahnung davon gehabt hatte, dass Nick der Verhandlung beiwohnen würde.

Obwohl er im Gegensatz zu ihr gewarnt gewesen war, spürte auch Nick, wie sich sein Magen verkrampfte und ihm das Atmen schwerfiel. Es gelang ihm nicht, den Blick von ihr abzuwenden, während er mit ausgestreckter Hand auf sie zuging. Mit vierundzwanzig war Claire schön gewesen. Jetzt war sie atemberaubend.

Claire fing sich wieder und zupfte das Jackett ihres maßgeschneiderten marineblauen Kostüms zurecht, ehe sie ihm die Hand reichte. „Was für eine Überraschung!“ Ihre Stimme war fest, aber ihre Finger zitterten. „Freut mich sehr, Nick. Ich hatte keine Ahnung, dass es sich bei dem Anwalt, den Mr. Jernigan angekündigt hat, um dich handelt.“

Als sie sich die Hand schüttelten, durchzuckte Nick eine Art elektrischer Schlag – eine Reaktion, die ihn überraschte. Seit er Karen und das ungeborene Kind vor zwei Jahren verloren hatte, war er eigentlich gegen weibliche Reize immun. Sein Herz war taub geworden, selbst seine körperlichen Bedürfnisse waren eingeschlafen. Bis zu diesem Augenblick. Bei Claires Anblick regten sich Wünsche, die Nick zutiefst beunruhigten und auf die er gerne verzichtet hätte.

Während er neben seinem Mandanten Platz nahm, musterte er Claire aus den Augenwinkeln. Ihre Taille war noch genau so schmal wie in seiner Erinnerung, abgesehen davon aber wirkte sie viel selbstsicherer und ausgesprochen elegant. Das rabenschwarze Haar fiel in sanften Wellen auf ihre Schultern, und Nick brauchte nicht erst das Etikett zu lesen, um zu wissen, dass ihr Kostüm nicht von der Stange kam.

„So, dann wollen wir mal.“

Die Stimme des Maklers riss Nick aus seinen Grübeleien. Während der folgenden halben Stunde gelang es ihm nur mit viel Mühe, sich aufs Geschäftliche zu konzentrieren, anstatt Claire anzustarren und in die Vergangenheit zu schweifen. Die kurze Pause, die nötig war, um ein paar Dokumente zu kopieren, kam ihm daher sehr gelegen, und er ging hinaus, um mit seiner Kanzlei zu telefonieren.

Als er in den Konferenzraum zurückkehrte, war Claire aufgestanden, ein leeres Glas in der Hand. Zuvorkommend griff Nick nach dem Wasserkrug. Als sich ihre Blicke trafen, durchlief ihn ein merkwürdiges Kribbeln. Er umfasste ihr Handgelenk, um es ruhig zu halten, während er ihr einschenkte. Es prickelte dort, wo seine Finger Claires Haut berührten.

„Du arbeitest also nach wie vor in der Firma deines Großvaters“, bemerkte er leichthin. Die Familie stand bei Claire von jeher an erster Stelle, daran würde sich vermutlich nichts geändert haben. „Ist er noch aktiv?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er hat vor ein paar Jahren einen Herzinfarkt erlitten und kurz darauf einen leichten Schlaganfall, daraufhin habe ich die Firmenleitung übernommen. Er hatte mich lange genug darauf vorbereitet.“

„Gut, dass du schon immer so ein Familienmensch warst. Wie läuft das Geschäft?“

„Hervorragend! Wir befinden uns auf einem stabilen Wachstumskurs, unser Immobilienportfolio kann sich sehen lassen. Und wie läuft’s bei dir? Deine Eltern sind sicher unglaublich stolz auf dich: Du bist ein erfolgreicher Anwalt, machst Karriere in der Politik – dein Dad kann zufrieden sein.“

„Ist er auch. Du hast also mitbekommen, dass ich ins Repräsentantenhaus von Texas gewählt wurde?“

„Ja nun, wenn man Zeitung liest, kommt man kaum daran vorbei.“ Sie errötete, als wäre es ihr peinlich, zuzugeben, dass sie seine Karriere verfolgte. Nick fühlte sich von ihrem Interesse geschmeichelt. Er selbst hatte sich bemüht, jegliche Gedanken an sie zu verbannen, und nie versucht, etwas über sie in Erfahrung zu bringen.

„Du siehst blendend aus“, meinte er lächelnd. Ihr Lächeln fiel kühl aus, dennoch fühlte sich Nick von Neuem auf eigenartige Weise zu ihr hingezogen.

„Danke. Ein Sitz im Repräsentantenhaus in Austin, alle Achtung! Du machst deine Sache sicher hervorragend. Wie ist das eigentlich? Das Haus tagt ja nicht das ganze Jahr über, die nächste Sitzungsperiode beginnt meines Wissens erst im Januar. Lebst du in der übrigen Zeit in Dallas?“

„Ganz recht.“ Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass die übrigen Teilnehmer an ihre Plätze zurückkehrten. Das Meeting ging dem Ende zu, und dann würde Claire sich verabschieden.

Aus irgendeinem Grund ging ihm das gegen den Strich. Als er Claire wieder ansah, schoss sein Puls in die Höhe. „Lass uns doch heute Abend essen gehen, dann können wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand bringen“, hörte er sich zu seiner eigenen Verwunderung sagen.

Sie sah ihn verblüfft an. „Bist du sicher? Was wird deine Frau dazu sagen?“

Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand die Faust in den Magen gerammt. „Meine Frau ist tot“, sagte er schließlich. „Wusstest du das etwa nicht? Sie ist vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie … sie war schwanger.“

Claire wurde aschfahl. Die dunklen Augen stachen plötzlich aus ihrem blassen Gesicht hervor, sie wirkte wie vor den Kopf gestoßen. Dann begann sie, so heftig zu zittern, dass sie sich auf der Tischplatte abstützen musste.

Nick fand es eigenartig, wie bestürzt sie auf die Tatsache reagierte, dass er verwitwet war, während er sich gleichzeitig ernsthaft Sorgen um sie machte. Vorsichtshalber griff er nach ihren Arm. „Alles in Ordnung?“

Sie wurde rot, straffte die Schultern und machte sich von ihm los. „Natürlich. Tut mir leid, es ist was … Persönliches. Ich …“ Sie hielt inne, überlegte und verschanzte sich dann hinter einer Floskel: „Mein herzliches Beileid.“

Inzwischen standen nur noch sie beide. Die Pause war beendet. „Essen“, wiederholte Nick. „Wir beide. Heute Abend. Was sagst du?“

Erst dachte er, sie hätte ihn nicht gehört, weil sie reglos dastand und ihn anstarrte, aber schließlich nickte sie. „Gut. Wenn wir hier fertig sind, gebe ich dir meine Handynummer. Jetzt sollten wir die anderen aber nicht länger warten lassen.“

Nick setzte sich und begann überflüssigerweise, seine Papiere zu ordnen, während er sich den Kopf darüber zerbrach, was Claires heftige Reaktion verursacht haben mochte. Vielleicht hatte sie selbst einen geliebten Menschen verloren. Anders ließ sich diese außergewöhnliche Betroffenheit kaum erklären. Egal, am Abend würde er es schon erfahren.

Eine Stunde später war der Verkauf in trockenen Tüchern. Im Trubel des Aufbruchs steckte Claire Nick einen Zettel zu. „Meine Handynummer und der Name meines Hotels.“

„Sagen wir, um sieben?“

„Gerne. Ich …“

Sie verstummte, als sein Handy läutete. Es war ein Anruf, den Nick nicht ignorieren konnte, aber er gab Claire mit einer Geste zu verstehen, dass es nicht lange dauern würde. Als er auflegte, war sie dennoch verschwunden.

Nick verabschiedete sich von seinem Mandanten und fuhr in die Kanzlei zurück, wo eine Menge Arbeit auf ihn wartete. Es war weit nach fünf, ehe er zum ersten Mal wieder an Claire dachte. Inzwischen fragte er sich, weshalb er sie überhaupt eingeladen hatte. Sie hatten sich nach einem erbitterten Streit getrennt, und zwar endgültig. Wollte er die Erinnerung an diese grauenvolle Zeit wirklich wieder aufleben lassen? Es tat immer noch weh, daran zu denken.

Er hatte damals – wie heute übrigens auch – nur seine Karriere im Kopf gehabt, die berufliche wie auch die politische. Von seiner zukünftigen Ehefrau erwartete er daher, dass sie ihn nach Kräften in allem unterstützte, selbst wenn sie dafür eigene Verpflichtungen zurückstellen musste. Bei Claire aber hatte damals schon ihre Familie an erster Stelle gestanden, genau wie heute. Es hatte sich wirklich nichts geändert.

Na schön! Er würde versuchen, das Essen rasch über die Bühne zu bringen: schnell die wichtigsten Neuigkeiten austauschen und dann auf Wiedersehen. Mehr war einfach nicht drin.

Im Hotel schickte Claire ihrer Klientin eine SMS mit der guten Nachricht und gab einen Blumenstrauß für sie in Auftrag. Erst danach nahm sie sich einen Augenblick Zeit, um über die Ereignisse des Tages nachzudenken … und über das bevorstehende Abendessen.

Immer wieder gingen ihr Nicks Worte durch den Kopf: Meine Frau ist tot. Wusstest du das etwa nicht? Sie ist vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie … sie war schwanger.

Nicks Frau und sein ungeborenes Kind waren tot. Als Nick ihr davon erzählte, hatte sich alles in Claires Kopf gedreht, fast wäre sie ohnmächtig geworden. Wäre sie doch nie nach Dallas gekommen! Seufzend rieb sie sich die Augen. Aber wie hätte sie ahnen sollen, dass ihr ausgerechnet Nick über den Weg laufen würde?

Welcher Teufel hatte sie bloß geritten, seine Einladung zu akzeptieren? Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, doch jetzt blieb ihr keine andere Wahl. Obwohl seit der Trennung schon vier Jahre vergangen waren, litt Claire immer noch darunter. Nick hatte damals absolut kein Verständnis dafür aufbringen wollen, dass Claire ihre familiären Pflichten sehr ernst nahm. Im Gegenteil, er hatte verlangt, dass sie die eigene Familie im Stich ließ und ausschließlich für ihn da war. Was war ihr da anderes übrig geblieben, als einen Schlussstrich zu ziehen? Jetzt hatte er nichts mehr zu suchen in ihrem Leben, das im Moment ohnehin nicht gerade in ruhigen Bahnen verlief.

Sie öffnete ihre Handtasche, kramte das Foto ihres Sohns hervor und betrachtete es wehmütig. Nicks Sohn. Das Kind, von dem er nichts ahnte. Die gleichen kristallblauen Augen unter dem gleichen dunklen Haar. Dem Vater dieses Kindes hatte sie bedingungslos ihr Herz geschenkt, und es war in tausend Scherben zersplittert. Dass sie sein Kind erwartete, hatte sie erst gemerkt, nachdem sie ihn verlassen hatte.

Zunächst hatte sie Nick nichts von dem Kind gesagt, weil sie erst mit sich selbst ins Reine kommen wollte. Sie hatten sich nach einem heftigen Streit getrennt, bei dem sie sich gegenseitig Anschuldigungen an den Kopf geworfen hatten, die nicht mehr zurückgenommen werden konnten und die Claire auch heute noch im Kopf herumspukten.

Nick hatte sie gebeten, seine Frau zu werden. Statt einer Antwort hatte Claire ihn gefragt, wie er sich das vorstelle. Wie sollte ihre Ehe funktionieren, solange Claire in Houston ihre kranke Mutter pflegen und in der Firma ihres Großvaters mithelfen musste, während Nick von ihr erwartete, dass sie mit ihm nach Washington zog, um dort die Rolle der Politikergattin zu spielen? Eine Rolle, die Claire überhaupt nicht lag.

Daraufhin hatte Nick ihr vorgeworfen, sie sei so auf ihre Familie fokussiert, dass sie nicht in der Lage wäre, einen anderen Menschen zu lieben – was völlig ungerechtfertigt war. Kurz vorher war bei Claires Mutter Parkinson diagnostiziert worden, und ihr Großvater erholte sich gerade von den Folgen des ersten leichten Schlaganfalls. Beide brauchten Claire genauso sehr, wie Nick in allem die Anerkennung seines Vaters brauchte.

So hatte sie es ausgedrückt, die Worte hallten noch in ihren Ohren nach. Sie hatte ihm unterstellt, er hätte nur Jura studiert, weil es die Familientradition verlangte: Alle Milan-Männer wurden Anwälte. Aber Nick wollte einfach nicht akzeptieren, dass er mindestens genauso eng an seine Familie gefesselt war wie Claire an ihre.

Ihr letzter gemeinsamer Abend endete mit bitteren Vorwürfen. Sie stritten sich, bis Nick wütend hinausstürmte und die Tür hinter sich zuknallte. Claire hielt ihn nicht auf. Es war aus und vorbei. Danach hatte sie tagelang nur geweint. Selbst heute schmerzte es sie, daran zu denken, und sie hatte sich vorgenommen, dafür zu sorgen, dass niemand ihr jemals wieder so wehtun könnte.

Nicht ein einziges Mal hatte Nick nach seiner Abreise angerufen – nicht dass Claire gewillt gewesen wäre, mit ihm zu sprechen. Dann merkte sie, dass sie schwanger war. Natürlich hatte sie vorgehabt, ihm davon zu erzählen, aber gekränkt und wütend, wie sie war, war es zunächst einfacher, Stillschweigen zu wahren und einer weiteren Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Nick hätte sich nur verpflichtet gefühlt, sie von einer Heirat zu überzeugen. Ein außereheliches Kind – sowas machte sich nicht gut bei einem Politiker.

Während sie hin und her überlegte, wie sie es ihm am besten beibringen sollte und wie sie sich überhaupt ihre Zukunft vorstellte, verstrich die Zeit. Von einer Freundin erfuhr sie schließlich, dass Nick sich verlobt hatte. Dass er so rasch einen Ersatz für sie gefunden hatte, stimmte Claire traurig und wütend zugleich. Sie beschloss, ihm nichts von dem Kind zu erzählen. Wenn er eine eigene Familie gründete, brauchte er von dem Kind, das in ihr heranwuchs, nichts zu erfahren. Nick hatte seine Wahl getroffen, also hatte sich Claire das Recht genommen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Bis heute. Denn nachdem sie erfahren hatte, dass Nick seine Frau und ein ungeborenes Kind verloren hatte, fühlte sie sich geradezu verpflichtet, ihm von seinem Sohn zu erzählen. Trotz der scharfen Worte, der verletzten Gefühle, trotz aller Verbitterung hatte er einen Anspruch darauf, zu erfahren, dass er ein Kind hatte. Wie sie sich die Verantwortung für dieses Kind dann teilen würden, stand in den Sternen, aber Claire wäre es nicht anständig vorgekommen, einem Mann, der vor Kurzem ein Kind verloren hatte, seinen Sohn vorzuenthalten.

Da sie plötzlich das dringende Bedürfnis empfand, mit Cody zu reden, rief sie zu Hause an. Die Stimme ihres Sohnes zu hören war wenigstens ein kleiner Ersatz dafür, dass sie ihn heute Abend nicht in die Arme nehmen konnte. Eine Weile plauderten sie über Insekten und Codys Aquarium, die absoluten Lieblingsthemen des Jungen. Nachdem sie aufgelegt hatte, brach Claire in Tränen aus.

In was für eine dumme Lage hatte sie sich da eigentlich gebracht? Die Familie spielte eine wichtige Rolle in Nicks Leben, besonders seinem Vater stand er sehr nahe. Daher würde er natürlich darauf bestehen, ebenfalls Teil des Lebens seines eigenen Sohnes zu sein. Sie würden sich Cody teilen müssen. Aber wie?

Lange hatte sie versucht, Nick zu vergessen, doch dank des unverhofften Wiedersehens am Nachmittag sowie der Erkenntnis, dass sie von jetzt an häufig mit ihm zu tun haben würde, konnte sie sich der aufsteigenden Erinnerungen nicht erwehren.

Kennengelernt hatten sie sich in Washington, D. C., obwohl sie beide aus Texas stammten. Claire hatte gerade ihr Studium abgeschlossen und arbeitete Vollzeit in der Immobilienfirma ihres Großvaters, in der sie als Studentin regelmäßig gejobbt hatte. Sie war wegen einer Fortbildungsveranstaltung nach Washington gekommen, und eine Freundin hatte sie überredet, sie zu einer Cocktailparty zu begleiten. Claire hatte noch nicht einmal an ihrem Martini genippt, als ihr Blick auf den eines großen, dunkelhaarigen Mannes auf der gegenüberliegenden Seite des Raums traf. Seine kristallblauen Augen zogen ihren Blick magisch an und ließen ihn nicht mehr los. Schließlich hob der Mann sein Glas und prostete ihr lächelnd zu, und Claire konnte nicht anders, als das Lächeln und den Toast zu erwidern.

„Siehst du den dunkelhaarigen Typ da drüben?“, fragte sie ihre Freundin Jen. „Wer ist das?“

„Das ist Nick Milan. Er arbeitet bei einer der größten Anwaltskanzleien der Stadt, will aber angeblich später in die Politik einsteigen. Er stammt aus einer ziemlich bekannten und ungeheuer einflussreichen texanischen Familie. Milliardenschwer, der Knabe!“ Jen stutzte und griff hastig nach ihrem Drink. „Achtung, er kommt in unsere Richtung – und ganz sicher nicht, um mit mir zu plaudern. Ich räume das Feld.“

„Bitte bleib! Ich kenne ihn doch gar nicht.“

„Das ändert sich gleich.“

Wenige Sekunden, nachdem Claires Freundin in der Menge untergetaucht war, stand er vor Claire. Sie blickte in die blausten Augen, die sie jemals gesehen hatte, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.

„Was halten Sie davon, wenn wir zwei heimlich verschwinden? Ich bin Nick Milan, wohnhaft in Georgetown, Single und Anwalt, und Sie würden mir eine große Freude machen, wenn ich Sie zum Essen einladen dürfte. Und Sie sind …?“

„Claire Prentiss, und ich habe noch keinen Anwalt getroffen, der mit so wenigen Worten so rasch zum Punkt gekommen ist. Woher wollen Sie wissen, dass nicht gleich mein Ehemann hier aufkreuzt?“

„Weil Sie keinen Ehering tragen – das habe ich natürlich als Erstes gecheckt. In dem Fall hätte ich in letzter Sekunde noch die Kurve gekratzt. Also: Gehen Sie mit mir essen?“

„Ich fühle mich geschmeichelt, aber ich kenne Sie doch überhaupt nicht, und mir wurde schon als Kind eingebläut, unter keinen Umständen mit einem Fremden mitzugehen.“

„Richtig, man kann nicht vorsichtig genug sein. Aber dieses eine Mal sollten Sie eine Ausnahme machen. Zum einen kann ich Ihnen versichern, dass Sie bei mir in den besten Händen sind. Und zweitens können Sie ja wohl kaum abstreiten, dass es zwischen uns gleich gefunkt hat. Also tun Sie mir den Gefallen.“

Sie schmunzelte. „Besonders schüchtern sind Sie nicht, wie?“

Er zuckte die Achseln. „Ich weiß, was ich will.“ Er stellte sein Glas ab und musterte sie eindringlich. „Was wollen Sie wissen? Also: Ich stamme aus Dallas, wo mein Vater als Richter tätig ist. Ich selbst arbeite hier in Washington bei Abrams, Wiesman und Wooten, die, nebenbei gesagt, über einen ganz exklusiven Stamm von Mandanten verfügen.“ Er wies mit dem Kinn in die Richtung, in der Claires Freundin verschwunden war. „Bevor ich hier herüberkam, haben Sie sich mit Jen West unterhalten. Sie kennt mich und wird sich sicher für mich verbürgen. Und selbstverständlich kann Ihnen auch unsere Gastgeberin alle notwendigen Auskünfte geben. Bei der Gelegenheit könnten wir uns dann auch gleich von ihr verabschieden.“

Unaufgefordert nahm er Claires Arm und drängte sich mit ihr zu der Gastgeberin der Party durch.

„Ihr kennt euch schon?“, fragte diese erstaunt.

„Wir haben uns eben miteinander bekannt gemacht“, erklärte Nick. „Lydia, würdest du Claire bitte bestätigen, dass sie von mir nichts zu befürchten hat? Ich versuche, sie zu überreden, mit mir essen zu gehen.“ Mit diesen Worten schenkte er Claire ein Lächeln, bei dem ihre Knie weich wurden.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das mit gutem Gewissen tun kann“, meinte Lydia mit einem verschmitzten Lächeln.

„Das wollte ich hören“, antwortete Claire. „Ich nehme Ihre Einladung an, Nick. Unter der Bedingung, dass Sie mir beim Essen alles über sich erzählen.“

„O je!“, meinte Lydia. „Machen Sie sich darauf gefasst, dass er nicht mehr aufhört zu reden.“

„Ich werde mich zurückhalten, versprochen“, entgegnete Nick. „Vielen Dank für die Einladung, Lydia. Es war eine tolle Party, aber wir müssen jetzt los.“

Auch Claire bedankte sich und saß schon ein paar Minuten später in einem Taxi. Von dem eleganten Restaurant, in das Nick sie entführte, bekam sie genauso wenig mit wie von dem köstlichen Rinderfilet. Sie hatte nur Augen für Nick.

Dieser große, attraktive, charmante und charismatische Mann faszinierte sie vom ersten Moment an. Er erzählte ihr von seiner Familie, die sich im frühen neunzehnten Jahrhundert in Texas angesiedelt hatte, und von seinen politischen Ambitionen, und sie entdeckten, dass sie gemeinsame Bekannte hatten. An diesem Abend verliebte sich Claire in Nick Milan.

Als er sie noch auf einen Drink zu sich nach Hause einlud, willigte sie ein. Sie kamen gerade noch bis in seine Suite im dreiunddreißigsten Stock, ehe er Claire in seine Arme zog.

„Es war ein wunderschöner Abend“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Mir war vom ersten Moment an klar, dass ich dich kennenlernen musste.“ Dann beugte er sich vor und küsste sie. In dem Moment, als sich ihre Lippen berührten, war es endgültig um Claire geschehen. Aus den Funken, die den ganzen Abend zwischen ihnen hin und her geflogen waren, wurde ein riesiges, sengend heißes Feuer.

Sie liebten sich die ganze Nacht, und Claire ließ sich sogar dazu überreden, ihren Aufenthalt um zwei Tage zu verlängern, damit sie das Wochenende mit Nick verbringen konnte.

Während sie auf das Taxi warteten, das Claire schließlich zum Flughafen fahren sollte, versprach er ihr, am darauffolgenden Wochenende nach Houston zu kommen, um ihre Familie kennenzulernen. In den nächsten Monaten, von März bis Juni, war immer einer von ihnen am Wochenende zwischen Washington und Houston gependelt. Dann, an einem Wochenende im Juni, das Nick in Houston verbrachte, hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht.

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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