Schon wieder wehrlos vor Verlangen

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Wir fliegen in meinem Privatjet zum Dinner nach Dallas. Dann reden wir." Madison hat sich wohl verhört! Nach all dem, was zwischen ihr und Jake Calhoun war - Liebe, Leidenschaft, dann Betrug und unendlicher Schmerz -, will er reden? Wo doch jeder weiß, dass die milliardenschweren Calhouns eine gewissenlose Bande ohne Skrupel sind? Aber wie typisch: Mit verführerischen Worten redet Jake einen Abend lang von ihnen beiden und seinen ehrgeizigen Plänen für ihr Anwesen, bis Madison ihm alles glaubt. Und den größten Fehler ihres Lebens zum zweiten Mal macht …


  • Erscheinungstag 31.05.2016
  • Bandnummer 1927
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722951
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Als in der Kleinstadt Verity, Texas, die Tür der Texas United Western Bank aufging, presste es Jake Calhoun die Luft aus den Lungen. Es war, als hätte ihm jemand die Faust in die Magengrube gerammt. Jahrelang hatte er sich diesen Moment in Gedanken immer wieder ausgemalt. Trotzdem hatte er nicht damit gerechnet, dass es jemals so weit kommen würde. Doch jetzt brannte sich jedes winzige Detail in sein Gedächtnis ein.

Auf der anderen Straßenseite trat Madison Milan hinaus in den Septembermorgen, schaute sich um und erwiderte den Gruß eines Vorübergehenden. Ihr dichtes braunes Haar, das sie mit einem roten Schal zusammengebunden hatte, glänzte in der Sonne. Sie trug Halbschuhe, Jeans und eine Jeansjacke, unter der ein rotes Hemd hervorlugte.

Jake war wie gelähmt. Was er sah, war definitiv kein Produkt seiner Fantasie: Diese Frau stand tatsächlich in voller Lebensgröße keine fünfzig Meter von ihm entfernt. Bei ihrem Anblick packte ihn rasender Zorn. Zu seiner eigenen Überraschung wich diese Wut jedoch nach einer Schrecksekunde einem tiefen Verlangen, einem sengenden, glühenden Begehren. Wie kann es sein, dass ich immer noch auf sie abfahre? fragte er sich. Nach so langer Zeit – und nach allem, was sie ihm angetan hatte.

Unwillkürlich durchfluteten ihn die Erinnerungen. Vor seinem inneren Auge zogen blitzartig und unerbittlich längst vergessene Bilder aus der Vergangenheit vorbei. Madison war das beliebteste Mädchen an der Highschool gewesen, die hübscheste Football-Queen aller Zeiten, die Cheerleaderin mit den tollsten Beinen. Aber dieses Mädchen gab es nicht mehr: Es hatte sich in eine atemberaubend schöne Frau verwandelt. Keiner konnte an ihr vorübergehen, ohne von ihr Notiz zu nehmen, und sie bedankte sich bei allen mit einem Lächeln. Mit dem ein oder anderen wechselte sie auch ein paar Worte. Ob das wohl jedes Mal so war, wenn sie in die Stadt kam? Jake überlegte, während sie sich freundlich lächelnd mit einem hageren, hochgewachsenen Cowboy unterhielt.

Er steckte in der Zwickmühle, das wurde Jake nun klar. Eigentlich hatte er vor, sich Madisons Ranch unter den Nagel zu reißen und die Frau nach allen Regeln der Kunst fertigzumachen. Schließlich war sie eine Milan; genau wie der Rest ihrer Sippschaft war sie falsch, hinterlistig und immer darauf aus, den Calhouns eins reinzuwürgen. Andererseits war sie wunderschön, so unglaublich sexy, die tollste Frau, die er kannte … Sie hatten sich auf der Highschool kennengelernt und auf der Stelle unsterblich ineinander verliebt: Jake, der Quarterback des Footballteams, und Madison, eine von den Cheerleadern.

Als er an diese Zeit zurückdachte, wurden ihm die Knie weich. Sein gesamter Körper schien verrücktzuspielen. Er musste an Madisons weiche Lippen denken, an ihre feurigen Küsse, an ihr seidiges, damals hüftlanges Haar, an ihr Lachen und ihre unbändige Energie. Daran, wie sie sich beim Tanzen an ihn geschmiegt hatte.

Wie ein Blitzlichtgewitter flackerten die Erinnerungen in seinem Inneren auf. Zunächst hatten sie gegen ihre Liebe angekämpft, denn ihre Familien waren seit Urzeiten verfeindet. Aber unweigerlich war es zum ersten Kuss gekommen. Sie hatten miteinander geschlafen; für Madison war es das erste Mal überhaupt gewesen … An all das erinnerte Jake sich so lebhaft, als wäre es erst vor Kurzem passiert, als wären seitdem nicht dreizehn Jahre vergangen. Madison hatte geheiratet, sobald sie die Schule abgeschlossen hatte. Zwei Monate hatte diese Ehe gehalten. Seither war sie Single – so viel wusste er – und inzwischen als Geschäftsfrau vermutlich genauso ehrgeizig wie damals im Sport.

Er musste dringend mit ihr reden. Aber wie sollte er das anstellen? Der Strom der Einheimischen, die alle ein paar Worte mit ihr wechseln wollten, schien nicht abreißen zu wollen. Aus einem Dossier über Madison, das er selbst in Auftrag gegeben hatte, wusste Jake, dass sie einen weißen, viertürigen Pick-up fuhr. Einen solchen Wagen hatte er zwei Blocks weiter westlich vor dem Lebensmittelladen an der Main Street gesehen. Vielleicht konnte er sie dort abfangen.

In dem Moment gelang es Madison, sich loszueisen. Jake folgte ihr in einigem Abstand, bis sie einen Baumarkt betrat. Drinnen entdeckte er sie schließlich bei den Malerfarben. Er holte tief Luft und ging auf sie zu.

Madison Milan durchkämmte die Regale auf der Suche nach dem perfekten Braunton – gebrannte Umbra – für ihr nächstes Gemälde, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Jemand kam auf sie zu. Als sie erkannte, um wen es sich handelte, versteinerte sie. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, dann aber raste es umso schneller. Und sie wurde wütend; sie kochte vor Wut. Dabei hätte sie schwören können, dass sie mit diesem Teil ihrer Vergangenheit längst abgeschlossen hatte.

Das war der Haken daran, dass sie auf die Ranch gezogen war, die ihre Eltern ihr überschrieben hatten. Seit drei Jahren hielt sie sich jeweils im Frühjahr und im Herbst ein paar Wochen lang dort auf. Dabei hatte sie es stets nach Möglichkeit vermieden, nach Verity zu fahren, um nicht aus Versehen Jake über den Weg zu laufen. Jetzt war genau das passiert. Was die Sache noch viel schlimmer machte: Gegen ihren Willen fühlte sie sich zu diesem Kerl hingezogen. Und gerade das wollte sie nicht empfinden, wenn sie Jake Calhoun gegenübertrat.

Er wirkte größer, seine Schultern kamen ihr breiter vor. Er war nicht so schlaksig wie früher, und das stand ihm ganz ausgezeichnet. Mit dem Neunzehnjährigen von damals hatte er nichts mehr gemeinsam.

Wie hatte er sie bloß gefunden? Auf der Straße hatte sie ihn nicht bemerkt. Zufall? Nein, das war unwahrscheinlich.

Jake blieb vor ihr stehen. Sie hoffte inständig, dass er das laute Pochen ihres Herzens nicht hörte.

„Einfach ‚Hallo‘ zu sagen ist hier nicht angebracht, glaube ich“, meinte er, und seine Stimme klang tiefer als in ihrer Erinnerung.

„Wie wäre es mit ‚Tschüss‘? Ich werde weder mit dir noch mit sonst jemandem aus deiner Firma über Probebohrungen auf Milan-Gebiet verhandeln. Schon gar nicht mit einem Calhoun. Ende der Durchsage.“

Damit wollte sie sich abwenden, doch er ergriff ihren Unterarm. Es war eine federleichte Berührung, kaum wahrnehmbar eigentlich. Auf keinen Fall hätte er sie so aufhalten können. Trotzdem traf es Madison mit der Wucht eines Stromschlags. Sie konnte keinen Muskel mehr bewegen, sondern war wie gebannt von dem eindringlichen Blick aus seinen dunklen, braunen Augen.

„Darum geht es auch gar nicht.“

„Willst du etwa die alten Geschichten wieder ausgraben?“, erwiderte Madison. „Davon will ich erst recht nichts hören.“

„Keine Angst“, gab er zurück. Auf einmal wirkte er hart, wütend und verschlossen. Er biss die Zähne zusammen.

Merkwürdig, dachte Madison. Sie selbst war doch die Leidtragende, nicht Jake. Was hatte er ihr vorzuwerfen? Schnell verdrängte sie die Frage aus ihrem Kopf. Es war ihr egal, was er über die Zeit damals dachte. Stattdessen versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, was er ihr mitteilen wollte.

„Das ist nicht der beste Ort für ein Gespräch, aber … Es geht um eine Schießerei zwischen unseren Familien, vor langer Zeit auf eurem Land, und um die alte Geschichte von dem vergrabenen Schatz. Hör dir wenigstens an, was ich zu sagen habe. Ich denke, es könnte dich interessieren.“

Madison blieb skeptisch. Vermutlich benutzte er die alte Geschichte bloß als Vorwand, damit sie ihn auf ihr Land ließ. Einer der vielen Tricks, mit denen die Calhouns versuchten, den Milans etwas abzuluchsen. Die beiden Familien bekriegten sich, seit sich ihre Vorfahren kurz nach dem Bürgerkrieg hier niedergelassen hatten. Madison konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Streit von ihrer Generation beigelegt werden würde.

„Ich glaube dir kein Wort. Ich traue dir nicht über den Weg.“ Mehr als ein Flüstern brachte sie nicht zustande, und selbst in ihren Ohren klang es wenig überzeugend. Unfassbar: Ein Blick aus seinen dunklen Augen, und ihr Verstand schaltete sich ab.

„Hör es dir erst mal an, Madison. Es ist wichtig! Ich schlage vor, wir treffen uns irgendwo, wo wir ungestört reden können. Komm zum Dinner auf meine Ranch. Oder ich lade dich in ein Restaurant in Dallas ein. Entscheide du. Hauptsache, es ist ruhig, wir sind ungestört und befinden uns auf neutralem Boden. Es geht auch um deine Familie.“

„Du willst mit mir ausgehen? Vergiss es! Zwischen uns ist alles gesagt.“

„Noch lange nicht. Bitte hör mich an, Madison. Du wirst überrascht sein. Falls du es nicht bist, dann halte ich den Mund und gehe.“

„Egal, worum es sich handelt: Letztendlich dreht sich bei euch Calhouns alles nur darum, die Bohrrechte für das Land der Milans zu ergattern.“

„Natürlich will ich die, aber das spielt in diesem Fall keine Rolle“, erklärte Jake. „Es geht um etwas ganz anderes, und ich bin überzeugt, dass dich das ebenfalls interessiert.“

„Dann spuck es einfach aus.“

Jake schüttelte den Kopf. „Nicht hier, wo wir ständig gestört werden und uns jeder hören kann. Geh mit mir essen, das ist doch keine große Sache. Ich bringe dich auch zurück, sobald du es wünschst.“

„Es macht ja wohl keinen großen Unterschied, ob wir uns hier unterhalten oder in einem Lokal im Ort.“

„Natürlich essen wir nicht in Verity. Wir fliegen nach Dallas. Dort kennt man uns nicht. Wir suchen uns eine ruhige Ecke, wo uns keiner belauschen kann. Und ich bringe dich nach Hause, sobald du es möchtest. Du wirst es nicht bereuen, glaub mir.“

Madison zögerte. Dass ein Milan einem Calhoun nicht vertrauen durfte, hatte sie auf schmerzliche Weise erfahren. Ihrer Ansicht nach konnte Jake nur von ihr die Erlaubnis haben wollen, auf ihrem Grund und Boden nach Öl zu bohren. Und die würde sie ihm unter keinen Umständen erteilen – egal, was er ihr erzählte oder welchen Preis er ihr bot. Andererseits würde er ihr bestimmt nicht zuerst etwas vorschwafeln, um am Ende auf dieses Thema zurückzukommen. Dann wäre das Essen vorbei, ehe die Vorspeise serviert worden war. Genau das machte sie neugierig. Was wusste er über ihre Ranch, das sie nicht wusste?

„Na schön“, willigte sie ein. „Aber wehe, du hast zu viel versprochen.“

„Wäre es denn so schrecklich, einen Abend mit mir zu verbringen?“, fragte er, ohne eine Miene zu verziehen, und bestätigte damit Madisons Skepsis, was seine Aufrichtigkeit betraf.

„Ich finde den Vorschlag ganz schön dreist.“

„Du wirst sehen, es lohnt sich, Madison. Ich hole dich am Sonntag kurz vor sieben ab. Und kein Wort über Bohrungen, versprochen!“

„Wie viel ich auf dein Wort geben kann, weiß ich ja.“ Die Worte rutschten ihr einfach so heraus. Doch zu ihrer Überraschung schienen sie ihn zu treffen, wie sie feststellte, ehe sie ihm den Rücken zudrehte.

Madison brauchte noch zwei kleine Pinsel – aber noch dringender brauchte sie Abstand von Jake. Sie hatte versucht, ihn und die Vergangenheit aus ihren Gedanken zu verbannen. Warum war sie dann aber nicht ganz gelassen geblieben? Woher dieses bohrende Verlangen? Warum mussten wie aus dem Nichts all die Erinnerungen so klar wieder auftauchen, als hätten sie sich erst vor ein paar Monaten und nicht vor mehr als zehn Jahren getrennt? Nur ein Blick auf Jake, und schon waren der alte Schmerz und der Zorn wieder da. Und ebenso diese unglaubliche Anziehungskraft. Immer noch war Jake der attraktivste Mann, den sie kannte. Und immer noch brachte er trotz allem ihr Herz zum Rasen.

Sie beschloss, die Verabredung einfach abzusagen. Sie hatte nicht die geringste Lust, einen ganzen Abend lang mit den alten Kränkungen konfrontiert zu werden. Mit den Erinnerungen an eine Hochzeit, die nie stattgefunden hatte. Das alles nagte ohnehin an ihr. Wann immer sie auch nur an Jake dachte, loderte die Wut in ihr von Neuem auf. Abgesehen davon traute sie ihm nicht über den Weg.

Etwas mehr als ein Jahr lang hatte sie die Warnungen ihrer Familie ignoriert und Jake vertraut. Das war ein Fehler gewesen, den sie mit einem gebrochenen Herzen bezahlt hatte. Deshalb stand eines fest: Auf keinen Fall würde sie Jake erlauben, auf ihrem Grund und Boden nach Öl zu bohren.

Mit raschen Schritten verließ Madison den Baumarkt und begab sich zu ihrem Auto. Die Einkäufe würden warten müssen. Sie wollte schnellstmöglich auf die Double M Ranch zurück; sie musste raus aus dieser Stadt, musste dahin, wo keine Gefahr bestand, Jake erneut in die Arme zu laufen. Eigentlich ließ sie sich selten in Verity blicken. Das Einkaufen übernahmen normalerweise andere, und so würde sie es auch in Zukunft wieder halten. Wenn es bloß genauso leicht wäre, die Gedanken an Jake Calhoun abzustellen!

Stattdessen wurde sie nun von einer wahren Flut von Erinnerungen überrollt. Wegen eines jahrhundertealten Zwists zwischen den beiden Familien hatte Madison in ihrer Kindheit nie ein Wort mit einem Calhoun gewechselt. An der Highschool war ihr Jake allerdings gleich am ersten Tag aufgefallen. Obwohl er drei Jahre älter war als sie, waren sie in der Schule nur zwei Jahrgänge auseinander gewesen. Madison hatte als Kind Privatunterricht erhalten, deshalb hatte man sie eine Klasse überspringen lassen.

Nähergekommen war sie Jake auf einer Party in der Schulturnhalle. Für einen der Tänze mussten sie zwei große Kreise bilden: die Jungs außen, die Mädchen innen. Zum Takt einer Pauke gingen sie so lange im Kreis, bis die Band einsetzte. Dann mussten der Junge und das Mädchen, die sich gegenüberstanden, miteinander tanzen, bis die Musik abbrach und alle wieder in den Kreis zurückkehrten, um einen neuen Partner zu finden.

Madison hatte Jake gegenübergestanden, als die Band zu spielen begonnen hatte. „Oh nein, nicht ein Calhoun!“, hatte sie so laut gesagt, dass alle es hören konnten. Daraufhin hatte sie sich den Jungen neben Jake geschnappt. Jake war nichts anderes übrig geblieben, als sich eine andere Partnerin zu suchen, die allerdings nichts dagegen gehabt hatte: Jake Calhoun war beliebt gewesen und hatte obendrein im Footballteam gespielt.

Als Madison ihm das nächste Mal in der Schule begegnet war, hatte er sich bei ihr bedankt: „Gut, dass du Partner getauscht hast, sonst hätte ich es tun müssen.“ Für den Rest des Schuljahres wechselten sie kein Wort miteinander, aber sie beobachtete ihn und umgekehrt. Im Grund bedauerte sie, dass er ein Calhoun war, denn er war mit Abstand der bestaussehende Junge an der ganzen Schule.

Im zweiten Jahr schloss sich Madison den Cheerleadern an. Einmal ging Jake während eines Spiels an ihr vorüber.

„Hi, hochnäsige Miss Milan“, zischte er, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

„Selber hi, Kotzbrocken Calhoun“, entgegnete sie, und zu ihrem Erstaunen lächelte er.

Am darauffolgenden Montag in der Schule stellte er sich ihr auf dem Flur in den Weg. „Noch mal hi“, sagte er. „In der Schule redest du wohl nicht mit mir. Angst vor deinen Brüdern?“

„Vor denen habe ich keine Angst. Ich habe bloß keine Lust, mit einem Calhoun zu sprechen. Deine Brüder gehen auch hier zur Schule.“

„Angst vor deinen Eltern?“

„Die kriegen nichts mit. Mein Dad hat nur die Arbeit im Kopf und Mom ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen.“

„Dein Vater ist doch Richter in Dallas. Pendelt er jeden Tag?“

„Nein, Mom und er wohnen unter der Woche in Dallas. Meine Brüder und ich wollten aber an der Verity High bleiben, deshalb leben meine Großeltern bei uns auf der Ranch.“

„Das heißt, wir können uns weder hier treffen noch in Dallas. Also komm nach der Schule an den Container. Ich hole dich dort ab, und wir fahren auf ein Eis nach Lubbock. Natürlich nur, wenn du dich traust.“

„Wieso sollte ich mit einem Calhoun ausgehen?“

„Aus dem gleichen Grund, weshalb ich mit einer ganz speziellen Milan ausgehen möchte. Oder hast du Schiss?“

„Wo denkst du hin! Aber musst du nicht zum Training?“

„Ich erzähl dem Coach, dass ich eine Verabredung in Lubbock habe. Wenn du Ja sagst, stimmt das sogar.“

Madison wusste noch genau, wie aufgeregt sie damals gewesen war. Natürlich hatte man sie immer wieder vor den Calhouns gewarnt. Doch als Jake sie mit seinen dunklen braunen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern angesehen hatte, war es um sie geschehen gewesen. Sie hatte tief Luft geholt und genickt.

Mit der Unterstützung ihrer besten Freunde tüftelten die beiden dann einen Plan aus: Ihren Eltern gegenüber gab Madison Steve Reynolds als ihren Freund aus; gegen ihn hatten sie nichts einzuwenden. Jakes Eltern glaubten, er wäre mit Marilee Wilson zusammen. Jake holte Marilee ab, Steve Madison. Daraufhin fuhren sie zu einem Treffpunkt und tauschten die Plätze. Madison verbrachte den Abend mit Jake, Marilee ging mit Steve. Am Ende trafen sie sich wieder und tauschten vor der Rückfahrt noch einmal die Plätze.

Damit war es jedoch vorbei, als Madisons Bruder Tony sie einmal in Lubbock erwischte. Es kam zu einer Prügelei, aus der Tony mit einer blutigen Nase und Jake mit einem blauen Auge und einer dicken Backe herauskam. Weniger handgreiflich, aber mindestens genauso schmerzlich war der Streit zwischen Madison und ihrem Bruder, der damit endete, dass sie wochenlang nicht miteinander sprachen.

Auch ihre anderen Brüder waren nicht begeistert, als sie von ihren heimlichen Treffen mit Jake Calhoun erfuhren. Dennoch schlug Madison alle Warnungen in den Wind. Das Jahr mit Jake wurde die schönste Zeit ihres Lebens. Er konnte tanzen. Und küssen. Sie hatten unglaublich viel Spaß, und Madison lernte die Liebe kennen.

Nach der Schule hatte Jake auf die Mississippi-State-Universität wechseln wollen. Auch viele Jahre später erinnerte Madison sich noch haarklein an den Tag, an dem sie gemeinsam von zu Hause weglaufen wollten. Wie an jedem Samstag hatte sie Jeans und ein T-Shirt getragen. Doch sie hatte außerdem eine Reisetasche gepackt. Darin waren ein knielanges weißes Seidenkleid und passende Pumps, ein Schleier sowie ein spitzenbesetztes Negligé gewesen, das sie auch heute bis ins kleinste Detail hätte beschreiben können. Nachdem ihre übrige Familie sich am späten Abend zurückgezogen hatte, war sie nach draußen auf die Terrasse geschlichen und hatte die Sachen in einem Abfalleimer verbrannt. Für den Fall, dass das Feuer außer Kontrolle geriet, hatte sie mit dem Gartenschlauch in der Hand danebengestanden und sich die Augen ausgeweint. Ohne ein einziges Wort war Jake sang- und klanglos aus ihrem Leben verschwunden. Am Tag darauf war Madison an den Rocky Creek gefahren und hatte den Verlobungsring mit dem Einkaräter in den Fluss geschleudert. Jake Calhoun hatte sie seither nie wiedergesehen.

Madison schüttelte die quälenden Erinnerungen ab und konzentrierte sich jetzt auf die Aufgabe, die sie sich für heute vorgenommen hatte: ein Gemälde für das Büro eines Ölmagnaten in Dallas. Trotzdem kreisten ihre Gedanken ständig um Jake. Auch den ganzen Rest der Woche ging ihr die Arbeit nur zäh von der Hand. Ständig ertappte sie sich dabei, wie sie an den kommenden Sonntag und die Verabredung mit Jake nachdachte. Worüber wollte Jake so dringend mit ihr reden? Es musste wirklich wichtig sein, denn es war ausgeschlossen, dass er sich an sie heranmachen wollte.

Kurz vor sieben Uhr am Sonntagabend wartete Madison in der Bibliothek ihres Hauses auf der Ranch, von wo aus sie die Einfahrt im Auge behalten konnte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit einem tiefen V-Ausschnitt, das sich eng an ihren Körper schmiegte und knapp oberhalb der Knie endete. Das Haar hatte sie hochgesteckt in der Hoffnung, einen gelassenen, coolen und selbstsicheren Eindruck zu vermitteln – sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie sich auf ein Essen mit Jake eingelassen hatte. Dann sah sie, wie er aus der Limousine stieg und auf das Haus zuging. Bei seinem Anblick bekam sie Herzklopfen. Auf zum Date mit Jake!

2. KAPITEL

Die Sonne stand schon tief am Horizont, als Jake an Madisons Tür läutete. Er war noch nicht oft hier gewesen, denn damals hatten sie kein Risiko eingehen wollen. Selbst wenn Madisons Eltern unterwegs gewesen waren: Es hatte immer noch ihre Geschwister oder die Arbeiter gegeben, die sie hätten anschwärzen können. Nur gelegentlich hatten sie sich dort getroffen, wo die Ländereien ihrer Familien aneinanderstießen.

Jake musterte das Gebäude, als würde er es zum ersten Mal sehen. Das Haus der Milans unterschied sich deutlich von den anderen in der Gegend. Der mit weißen Säulen geschmückte Herrensitz im Kolonialstil erinnerte stark an die amerikanischen Südstaaten. Zwei riesige Eichen flankierten den Eingang. Jenseits des Zauns, der den bewässerten Garten begrenzte, wuchsen dagegen kleinere, viel weniger imposante Mesquitebäume und Kakteen. Diese elegante Villa stand mitten auf einer voll bewirtschafteten Ranch, auf der preisgekrönte Rinder gezüchtet wurden und die aller Wahrscheinlichkeit nach über beträchtliche Öl- und Gasvorkommen verfügte.

Bevor Jake näher an die Tür trat, holte er einmal tief Luft. Ein Abend mit Madison – er konnte es kaum glauben. Insgeheim rechnete er auch jetzt noch mit einer Absage. Erst wenn sie unterwegs waren, würde er aufatmen. Erneut läutete er und lauschte. Und wenn sie in letzter Minute kniff? Als kleine Rache dafür, dass er sie vor dreizehn Jahren hatte sitzen lassen? Am Tag ihrer Hochzeit …

In seiner Magengrube bildete sich der harte Knoten, den er so gut kannte. Auf keinen Fall wollte er über diesen Tag oder sonst etwas in dem Zusammenhang nachdenken. Konzentriere dich aufs Geschäftliche, mahnte er sich im Stillen. Schildere ihr den Fall, iss mit ihr und verfrachte sie schnell wieder nach Hause. Er würde harte Überzeugungsarbeit leisten müssen; doch er hatte ein Ass im Ärmel, mit dem sie sich hoffentlich ködern ließ. Mit dem Anflug eines schlechten Gewissens dachte er an das Geheimnis, von dem nur seine Familie wusste. Gerade als er ein drittes Mal klingeln wollte, schwang die Tür auf … und es verschlug ihm die Sprache.

Vor ihm stand eine unglaublich elegante, atemberaubend schöne Frau. Wieder meldete sich Jakes Gewissen, aber er ignorierte es. Er brauchte sich bloß an die Auseinandersetzung mit Pete Milan zu erinnern, und schon war es um seine Gelassenheit geschehen. Sofort loderte die vertraute Wut in ihm auf. Nur mit Mühe gelang es Jake, die Gedanken an Madisons Vater zurückzudrängen. „Du siehst großartig aus“, stieß er hervor.

„Danke“, erwiderte sie, schien jedoch nicht sonderlich erfreut über das Kompliment.

„Bereit zum Aufbruch?“

„Wehe, wenn es nicht wichtig ist.“

„Sonst hätten mich keine zehn Pferde hierhergebracht“, entgegnete er leise, während Madison nach ihrer Jacke griff. Sie hatte ihn dennoch gehört. Das verriet ihm der finstere Blick, den sie ihm zuwarf. Sie stellte die Alarmanlage scharf und schloss hinter sich ab.

Der Chauffeur wartete bereits neben der schwarzen Limousine und hielt Madison die Tür auf. Sie setzte sich auf die Rückbank. Jake rutschte neben sie, achtete aber darauf, Abstand zu ihr zu halten. Dabei erhaschte er einen Hauch von ihrem Parfüm. Es war ein geradezu betörender Duft mit einer würzigen und zugleich blumigen Note, den er nicht kannte.

Zu seiner eigenen Überraschung hatte Jake die ganze Woche über ständig an Madison gedacht. Im Vorfeld hatte er einen Privatdetektiv auf sie angesetzt; dessen Informationen hatten ihn zunächst kaltgelassen. Doch jetzt, in ihrer Gegenwart … Er musterte sie aus dem Augenwinkel. Von allen Frauen, denen er begegnet war, hatte sie die schönsten Beine. Immer noch.

„Wo fliegen wir los?“, erkundigte sie sich, als die Limousine anfuhr.

„Von Verity aus.“

„In deinem Privatjet?“

„Ja. Die Firmenjets stehen alle in Dallas“, antwortete er. Sie sah ihn aus grünen Augen an, ruhig, ohne erkennbare Gemütsregung. Trotzdem wäre er jede Wette eingegangen, dass sich ihre Gedanken genauso überschlugen wie seine. „Ich habe gehört, du hast eine tolle Karriere als Künstlerin gemacht.“

„Es läuft ganz gut.“

„Es ist ja auch genau das, was du immer wolltest.“ Gegen seinen Willen schwang in seinen Worten eine gewisse Verbitterung mit. „Aber warum vergräbst du dich hier draußen auf der Ranch, wo du doch eine Galerie in Dallas und eine in Santa Fe betreibst?“ Er wollte das Gespräch mit allen Mitteln in Gang halten, bloß um sie weiterhin ansehen zu können. Ihre grünen Augen hatten ihn schon immer fasziniert, aber heute fiel ihm noch weitaus mehr auf – ihr makelloser Teint, ihre vollen Lippen, die er so gerne geküsst hätte. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Blick abzuwenden. „Ich kann mir nicht vorstellen, was dich hier hält.“

„Ich bin in Verity aufgewachsen.“ Sie wirkte viel selbstsicherer als zuvor. „Hier bin ich ungestört und kann mich aufs Malen konzentrieren. In der Stadt herrscht zu viel Unruhe. Ein Event jagt den anderen, irgendwer platzt immer rein. Seit meine Eltern mir die Ranch vor drei Jahren überschrieben haben, komme ich normalerweise im Herbst und bleibe bis Weihnachten, dann noch mal für ein paar Wochen ab Mai. Den Rest der Zeit verbringe ich in New Mexico oder in meinem Apartment in Dallas. Wo lebst du eigentlich? Auf deiner Ranch?“

„Schön wär’s. Leider halte ich mich hauptsächlich in Dallas auf, weil sich dort unsere Firmenzentrale befindet. Ich bin ja sozusagen derjenige, der das Ganze zusammenhält. Da bekomme ich kaum mal die Gelegenheit, rauszukommen. Aber ich hoffe, dass ich mich mit vierzig aus dem Geschäft zurückziehen kann. Dann werde ich Vollzeitrancher, davon habe ich schon immer geträumt.“

Madison nickte und schaute eine Weile stumm aus dem Fenster. Der Weg zum Flugplatz im Osten führte über die breite Hauptstraße, die vor der Gründung der Stadt ein staubiger Viehtrieb gewesen war. Nachdem sie die Läden und Geschäfte hinter sich gelassen hatten, kamen sie an den ältesten Gebäuden im Ort vorbei. Ein-, zwei- oder dreigeschossige viktorianische Häuser reihten sich über zwei Straßenblocks aneinander. Sie waren allesamt bewohnt, wie die gepflegten Gärten bewiesen, in denen auch die ältesten Bäume von ganz Verity wuchsen.

Vor dem Ortsausgang passierten sie ein weiteres frei stehendes Anwesen. Madison betrachtete es im Vorbeifahren: Der dreistöckige Holzbau im viktorianischen Stil war von einem meterhohen schmiedeeisernen Zaun umgeben. Das Tor hing schief in den Angeln, viele Fensterscheiben waren zerbrochen. Im Garten wucherte das Unkraut, und die beiden hohen Eichen wurden vom Efeu fast erdrückt.

„Das Wrenville-Haus! Weißt du noch, wie du dich mit Wyatt und ein paar Jungs aus dem Footballteam nachts da reingeschlichen hast?“, fragte Madison.

Jake nickte. „Das haben damals alle gemacht. Und genau wie alle anderen haben wir dabei nichts erreicht – außer, uns vom Sheriff erwischen zu lassen. Sieht inzwischen ja ziemlich verwahrlost aus.“

„Dort sind ja angeblich zwei von unseren Vorfahren ums Leben gekommen. Beide haben um Lavita Wrenville geworben. Ihr Vater hat eine Waffe auf sie gerichtet, und am Ende waren alle drei Männer tot. Es konnte nie geklärt werden, wer wen erschossen hat. Lavita hat vor ihrem Tod gebeichtet, dass einer der drei lang genug gelebt hat, um ihr den Namen des ersten Schützen zu nennen. Es heißt, sie hätte diesen Namen auf einen Zettel geschrieben und ihn gut versteckt. Ich bin wirklich gespannt, ob wir im nächsten Jahr mehr erfahren.“

„Wenn ja, dann wird es dein Bruder Wyatt als einer der Ersten wissen. Im nächsten Jahr kann die Stadt ja anscheinend über das Haus samt Grundstück verfügen. Man sagt, dass Wyatt deswegen das Amt des Sheriffs übernommen hat. Dann ist er an der Macht und kann nach diesem Zettel suchen lassen, wenn das Gebäude abgerissen wird“, meinte Jake.

„Man hat ihn zum Sheriff gewählt, weil ein ehrlicher, vertrauenswürdiger Mann den Job übernehmen sollte“, widersprach Madison. „Lavita hat ein riesiges Vermögen hinterlassen, das sie ebenfalls im Haus versteckt hat. Sollte Wyatt es finden, wird er es der Stadtverwaltung aushändigen. Er wird offenlegen, wer schuld war an der Schießerei.“

Sie atmete durch und fuhr fort: „Ich wüsste nur zu gerne, wie es sich abgespielt hat. Hat der Milan die anderen beiden erschossen? Oder war es der Calhoun? Oder hat der Vater die Kerle, die hinter seiner Tochter her waren, einfach abgeknallt?“

„Oder vielleicht haben alle gleichzeitig abgedrückt“, erwiderte Jake. „Es ist nicht bekannt, wie viele Schüsse insgesamt abgegeben wurden.“

„Es wundert mich, dass nicht genauer ermittelt wurde“, sagte Madison.

„Unsere Familien hatten damals noch viel mehr Einfluss als heute“, erklärte Jake. „Wenn sie die Sache unter den Teppich kehren wollten, dann wurde das so gemacht. Na ja, wir werden es bald erfahren. Bis zum nächsten Jahr ist es nicht mehr lang.“

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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