Gefährliche Intrigen

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Grace DeWilde, Chefin des berühmten Brautmoden-Unternehmens, hat sich nach 32 Ehejahren von ihrem Mann Jeffrey getrennt. Nun will sie in San Francisco ein eigenes Geschäft eröffnen. Hierfür engagiert sie die selbstbewusste Rita Shannon als Assistentin und den zuverlässigen Erik Mulholland als Finanzberater. Grace weiß nicht, dass Rita und Erik einst eine leidenschaftliche Affäre hatten. Und sie ahnt auch nicht, dass sie die beiden jetzt in große Gewissenskonflikte stürzt ...


  • Erscheinungstag 03.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774882
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rita Shannon war zu spät dran. Sie hasste es, zu spät zu kommen, vor allem, wenn es um eine so wichtige Verabredung ging wie um die mit Grace DeWilde. Als sie den langen Flur des großen Wohnblocks in San Francisco, in dem sie sich verabredet hatten, entlanglief, erhaschte sie in einem Spiegel flüchtig ein Bild von sich und verzog das Gesicht. Ich hätte dieses langweilige grüne Ding nicht anziehen sollen, dachte sie, in dem ich so grässlich blass aussehe.

Es war aber zu spät, um sich über die Kleidung Gedanken zu machen. Rita hatte sich ohnehin schon fünfmal umgezogen. Sie hatte nacheinander das rote Kostüm, den Blazer, die Shorts und das schlichte schwarze Outfit verworfen und sich schließlich für das grüne Kleid entschieden – nicht, weil sie keine weitere Auswahl mehr gehabt hätte, sondern weil sie keine Zeit mehr hatte.

Nun war sie schon fast fünf Minuten zu spät. Was Grace DeWilde jetzt wohl von ihr denken würde? Diese Rita Shannon hat wirklich Nerven, sich für die Stelle als Assistentin der Geschäftsführung zu bewerben, würde sie denken. Rita dachte schon daran, umzukehren, vom Empfang aus anzurufen und die Verabredung abzusagen – aber in derselben Sekunde schalt sie sich selbst: Bin ich denn wahnsinnig? Wie kann ich nur daran denken, die Chance sausenzulassen, mit einer Frau zusammenzuarbeiten, die ich schon seit dem College bewundere? Rita hatte damals in einem Seminar namens „Frauen in Führungspositionen“ Grace DeWilde zum Thema ihrer Klassenarbeit gemacht. Aber, was noch wichtiger war, sie hatte ihr Vorbild entdeckt, eine Frau, der sie seitdem nachzueifern versucht hatte. Sie wollte so sein wie Grace.

Sie kniff die Lippen zusammen. Die Dinge hatten sich nicht gerade so entwickelt, wie sie es sich vorgestellt hatte, und nun war sie hier, raste den Flur entlang und kam zu spät zu einem Termin, der sich vermutlich als der wichtigste ihres Lebens herausstellen würde.

Am Schluss wendet sich doch immer alles zum Guten.

Tatsächlich? fragte sie sich. Manchmal bin ich wirklich versucht, den Spruch meiner Mutter anzuzweifeln. Das Komischste ist, dass ich heute nicht hier wäre, hätte ich nicht meinen Job bei Maxwell & Co. verloren.

Nun, sie hatte den Job in dem großen Kaufhaus in San Francisco nicht direkt verloren. Tatsache war, sie hatte gekündigt – ungefähr zwei Sekunden, bevor man sie gefeuert hätte. Trotzdem hatte es ihr eine große Befriedigung verschafft, ihrem Chef, diesem Spatzenhirn namens Gerald Hastings, die Meinung zu sagen.

„Ich sehe nicht, wo das Problem liegt, Gerald“, hatte sie an ihrem letzten Arbeitstag bei Maxwell gesagt. Sie hatte ihr Bestes getan, um ruhig zu bleiben – was bei ihrem impulsiven Wesen nicht leicht war –, denn die Sache war ihr wichtig. Aber sie und Gerald, der Chefeinkäufer, hatten schon mehr als eine Stunde über ihre Idee, eine Brautmodenabteilung aufzubauen, diskutiert, und waren dabei keinen Schritt weitergekommen.

Gerald hatte sie voller Verachtung angesehen. Er war der Neffe des Geschäftsführers, und er sorgte stets dafür, dass man das nie vergaß.

„Wie ich bereits sagte“, hatte er in diesem arroganten Ton erwidert, der Rita wahnsinnig machte, „eine Brautmodenabteilung wäre zu teuer. Die Betriebskosten sind zu hoch, die Gewinnspanne zu klein.“

Er hatte ihren sorgfältig ausgearbeiteten Vorschlagsbericht offenbar nicht einmal angesehen. „Wenn Sie die Zahlen, die ich für Sie zusammengestellt habe, noch einmal lesen würden …“

„Ich muss sie nicht lesen. Die Antwort ist Nein.“

„Ich glaube, Sie haben das noch nicht ausreichend durchdacht“, hatte sie zähneknirschend entgegnet. „Ich beanspruche nicht viel Platz – nur genug, um ein paar Kleider und Schleier auszustellen, einige Paar Schuhe und ein paar Dessous natürlich. Wir müssen keine Tischwäsche hinzunehmen, kein Porzellan, nicht einmal Schmuck – noch nicht. Ich weiß, dass es funktionieren wird, wenn wir der Sache einfach nur eine Chance geben.“

„Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?“

Am liebsten wäre sie ihm über den Schreibtisch hinweg an den Kragen gesprungen, aber sie wollte es sich nicht mit ihm verscherzen. Die Brautmodenabteilung bedeutete ihr alles, und sie war bereit, dafür zu kämpfen. „Doch, ich habe Sie gehört. Aber ich bin mir sicher, wenn Sie …“

„Ich muss wohl ganz deutlich werden. Eine Brautmodenabteilung kommt für Maxwell & Co. nicht in Frage. Wir brauchen keine, und ich will keine.“

Als sie sich gegenseitig anstarrten, wurde Rita bewusst, dass es nichts mehr gab, womit sie diesen phantasielosen Mann überzeugen konnte. Diese Feststellung machte sie so wütend, dass sie sagte: „Nun gut, Gerald. Vielleicht liegt die Entscheidung aber nicht nur bei Ihnen.“

„Wollen Sie damit andeuten, Sie möchten sich über meinen Kopf hinweg an meine Vorgesetzten wenden?“, fragte er kühl.

„Ich will gar nichts andeuten. Aber warum legen wir dieses Problem nicht Mr. Rossmore vor?“

Als sie den Geschäftsführer des Kaufhauses erwähnte, überzog eine Zornesröte Geralds Gesicht. „Ich fürchte, Sie vergessen, dass Sie nur meine Assistentin sind!“

„Wie könnte ich? Sie erinnern mich doch bei jeder Gelegenheit daran!“

„Nun nicht mehr! Denn ab dieser Sekunde sind Sie …“

„Warten Sie!“

Er war tatsächlich drauf und dran, sie zu feuern? Nach allem, was sie für das Kaufhaus geleistet hatte? Der einzige Grund, warum sie nach dem Führungswechsel auf ihrem Posten geblieben war, waren die Versprechungen des neuen Managements gewesen – Versprechungen, die nie eingehalten worden waren. Ich war so unglaublich dumm, dachte sie, Leuten zu glauben, die eine Firma wie Glencannon um eines höheren Marktanteiles willen zerstört haben. Ich hätte Jason Maxwell und Partnern nicht eine Minute meiner Arbeitszeit widmen sollen.

Gerald Hastings erwartete ganz offensichtlich eine Entschuldigung – aber diese Befriedigung würde sie ihm verflixt noch mal nicht verschaffen. „Sie können mich nicht feuern, Gerald“, sagte sie äußerlich unbewegt, während ihr Herz zum Zerspringen klopfte. War sie wirklich gerade dabei, ihren Job aufzugeben, ohne einen anderen in der Hinterhand zu haben?

„Ach, kann ich nicht?“, grinste er.

„Nein“, erklärte sie. „Weil ich nämlich kündige!“

Was war das für ein herrlicher Augenblick gewesen! dachte sie nun. Sie hatte die Tür aufgerissen und war erhobenen Hauptes hinausstolziert – und hinein in die Arbeitslosigkeit.

Endlich erblickte sie die Nummer der Wohnung von Grace DeWilde, die ihr die Arbeitsvermittlungsagentur genannt hatte. Sie blieb einen Augenblick vor der Tür stehen, um ihren Pulsschlag zu beruhigen. Ich werde irgendeinen dämlichen Fehler begehen, dachte sie nervös. Grace DeWilde wird auf den ersten Blick erkennen, was für ein Versager …

„Hör auf damit!“, schalt sie sich selbst. Es gab keinerlei Grund, ängstlich zu sein. Sie hatte die nötige Qualifikation, um diese Stelle perfekt auszufüllen. Sie brauchte nur eine Chance, das zu beweisen. Entschlossen klopfte sie an. Die Tür ging auf, und Rita stand plötzlich ihrem Vorbild gegenüber.

Sie hätte Grace DeWilde überall erkannt, denn sie hatte unzählige Fotos von ihr in Zeitschriften gesehen, die über ihre Karriere berichtet hatten. Aber sie nun als Person aus Fleisch und Blut vor sich zu haben – das blonde Haar perfekt frisiert, die großen blauen Augen strahlend, die schlanke Gestalt in ein perfekt sitzendes hellblaues Kostüm gekleidet –, das war so beeindruckend, dass Rita einige Sekunden lang fast bewegungsunfähig erstarrte.

Als ihr bewusst wurde, dass Grace DeWilde sie fragend ansah, riss sie sich schließlich zusammen. „Mrs. DeWilde? Ich bin Rita Shannon. Die Agentur Summit schickt mich.“

Grace DeWilde lächelte warm und streckte ihr eine Hand entgegen. „Hallo, Rita. Herzlich willkommen.“

Einen Augenblick später folgte Rita ihrem Vorbild in die Wohnung. Grace bedeutete Rita mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen.

„Ich wollte gerade eine Tasse Tee trinken“, sagte sie. „Möchten Sie auch eine? Ich kann aber auch Kaffee kochen, wenn Sie den lieber mögen.“

„Ich nehme gerne eine Tasse Tee, vielen Dank“, antwortete Rita heiser.

Sie sah zu, wie Grace anmutig und sicher den Tee eingoss, und holte tief Luft. Sie, die sie noch nie um eine passende Bemerkung verlegen gewesen war, fühlte sich in Anwesenheit dieser erfolgreichen Frau stumm und hilflos. Wenn ich mich weiterhin so benehme, dachte sie, wird Mrs. DeWilde denken, sie hat es mit einer kompletten Idiotin zu tun.

„Zucker? Milch? Zitrone?“, fragte Grace. Die vielen Jahre, die sie in England gelebt hatte, hatten ihrem Tonfall einen charmanten britischen Akzent verliehen.

„Nichts, danke“, sagte Rita. Obwohl sie den Tee sonst gesüßt trank, wollte sie es jetzt nicht riskieren, nervös mit Löffel und Zuckerdose herumzuhantieren. Sie schaffte es auf wundersame Weise, die Tasse aus Grace’ Hand anzunehmen und auf dem Beistelltisch abzusetzen, ohne etwas zu verschütten.

Sie betrachtete Grace, die sich nun selbst eine Tasse eingoss. Die Zeitschriftenfotos werden ihr nicht gerecht, dachte sie. Auf den Bildern sieht sie immer ein bisschen distanziert und trotz ihres Lächelns irgendwie unnahbar aus. Wenn man ihr aber persönlich gegenübersteht, wirkt sie viel wärmer, dynamischer, lebendiger.

Ihr Lebenslauf fiel ihr ein. Sie nahm die Aktenmappe heraus, die sie sorgfältig vorbereitet hatte. „Ich habe eine Kopie meines Lebenslaufs mitgebracht.“

Grace warf einen flüchtigen Blick darauf, nippte an ihrem Tee und sagte: „Danke, aber ich habe ihn schon gesehen. Die Agentur hat mir über alle Bewerber Unterlagen geschickt.“

Alle Bewerber? Wie viele gab es denn? Rita unterdrückte einen erneuten Anflug von Panik. Es war jetzt völlig unwichtig, ob auch andere Bewerber genauso kompetent waren wie sie. Was zählte, war nur, dass niemand diesen Job mehr wollte als sie.

„Verstehe“, sagte Rita. „Ich nehme an, Sie haben schon viele Vorstellungsgespräche geführt. Wenn Sie Fragen an mich haben oder noch mehr Informationen brauchen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“

Grace lächelte. Als Rita die Belustigung in ihren Augen sah, hätte sie sich am liebsten selbst geohrfeigt. In ihrem Eifer, Grace von ihrer Eignung als Assistentin zu überzeugen, hatte sie das Gespräch an sich gerissen – oder es zumindest versucht. Das ist typisch für mich, dachte sie und begann sich schon mit dem Gedanken abzufinden, dass Grace sie bald hinauskomplimentieren würde.

„Ich meine …“, begann sie.

Grace setzte ihre Tasse ab und lächelte wieder. „Ich weiß, was Sie meinen. Und ich weiß Ihr Bestreben zu schätzen, keine unnötige Zeit verlieren zu wollen.“

Gott sei Dank, dachte Rita.

„Das entspricht nämlich ganz meiner eigenen Einstellung“, fuhr Grace fort. „Ich habe über viele Jahre hinweg die Erfahrung gemacht, dass man keine Zeit verschenken darf, wenn man vorankommen will.“

„Da kann ich Ihnen nur zustimmen“, erwiderte Rita erleichtert.

Grace musterte sie eindringlich. „Aus Ihren Unterlagen konnte ich ersehen, dass Sie für die Stelle bestens qualifiziert sind. Eigentlich scheinen Sie sogar überqualifiziert zu sein. Sie waren eine Zeitlang leitende Einkäuferin bei … Entschuldigung, welches Kaufhaus war das gleich noch?“

„Glencannon.“ Rita fühlte sich augenblicklich in jene Zeit zurückversetzt, in der sie nicht nur ihren Job, sondern auch eine Beziehung verloren hatte, von der sie lange geglaubt hatte, sie würde in eine Ehe münden. Das Bild eines gutaussehenden Mannes tauchte wieder vor ihrem inneren Auge auf, aber sie drängte es wütend zurück. Sie wollte jetzt nicht an Erik Mulholland denken. Sie wollte nie wieder an ihn denken …

„Ich erinnere mich“, sagte Grace. „Glencannon war eines der angesehensten Kaufhäuser in San Francisco. Es wurde von Maxwell & Co. aufgekauft, nicht wahr?“

„Richtig.“ Ritas Stimme nahm einen leicht bitteren Ton an. „Glencannon wurde letztes Jahr von Maxwell & Co. geschluckt. Es war keine sehr schöne Geschichte, und viele von uns sind dabei auf der Strecke geblieben.“

Grace sah sie mitfühlend an. „Ich bin mir sicher, es war nicht einfach für Sie.“

Nicht einfach? dachte Rita. Mit dem Wunschtraum, einmal in die Geschäftsleitung zu gelangen, hatte sie damals bei Glencannon auf der niedrigsten Stufe angefangen und sich dann Schritt für Schritt hochgearbeitet: Abteilungsleiterin, Einkaufsassistentin, schließlich leitende Einkäuferin. Sie wusste, dass sie noch höher hätte steigen können, aber dann hatten sich die Dinge schlagartig geändert. Erik Mulholland war plötzlich am Ort des Geschehens aufgetaucht, und beinah über Nacht waren die alten Glencannon-Schilder abgenommen und stattdessen die von Maxwell aufgehängt worden.

Sie erinnerte sich noch gut an jenen entsetzlichen Tag, an dem der alte Kaufhausbesitzer, ein wundervoller Mann namens Harvey Glencannon, jedem Angestellten persönlich zum Abschied die Hand geschüttelt hatte. Rita hatte Mühe gehabt, nicht in Tränen auszubrechen, als er ihr für alles dankte, was sie für ihn und die Firma getan hatte. Noch nie hatte sie jemand so niedergeschlagen gesehen wie Harvey Glencannon. Es brach ihr fast das Herz. Und das alles war Erik Mulhollands Schuld gewesen.

Wie clever er alles eingefädelt hatte! Er hatte es geschafft, dass sie sich in ihn verliebte, hatte sie in eine stürmische, leidenschaftliche Liebesaffäre verstrickt. Aber hatte er sie wirklich geliebt? Für ihn war Rita nur eine willkommene Quelle für die Informationen gewesen, die er brauchte, um die Übernahme von Glencannon zu organisieren.

Und Rita war für ihren Mangel an Diskretion schwer bestraft worden. Mr. Glencannon hatte sicherzustellen versucht, dass die meisten seiner Angestellten auch unter der neuen Führung ihre Positionen behielten, aber es dauerte nicht lange, bis sie alle eine böse Überraschung erlebten. Einige – auch langverdiente – Mitarbeiter wurden sofort entlassen, andere versetzt und wieder andere, darunter Rita, zurückgestuft.

Man hatte ihr gesagt, man sei davon überzeugt, sie habe durchaus die Fähigkeiten, um in dem neu organisierten Kaufhaus den Posten des Chefeinkäufers auszufüllen – aber leider fehle ihr noch die Erfahrung, die man für die Arbeit in einer Firmenkette wie Maxwell benötige. Solange, bis sie sich die erforderlichen Kenntnisse angeeignet hätte, sollte Gerald Hastings vorübergehend die Stelle des Chefeinkäufers übernehmen und Rita als seine Assistentin arbeiten.

Das alles konnte sie jetzt aber unmöglich Grace DeWilde erzählen. „Ja, es war schwierig, vor allem, als ich nach der Übernahme zur Einkaufsassistentin zurückgestuft wurde. Ich habe die Stellung gehalten, solange ich konnte, aber schließlich haben mein Vorgesetzter und ich beschlossen … getrennte Wege zu gehen.“

„Ich verstehe. Wollen Sie über die Gründe sprechen?“

Rita versuchte, alles ein wenig herunterzuspielen. „Da gibt es nicht viel zu sagen. Ich wollte im Kaufhaus eine Brautmodenabteilung eröffnen und er … nicht.“

„Und das war der Grund, warum Sie gegangen sind?“

„Das war wohl der entscheidende Auslöser. Aber eigentlich habe ich mich schon seit dem Zeitpunkt in der Firma nicht mehr wohl gefühlt, als Mr. Glencannon gehen musste. Es wurde wirklich Zeit, dass ich mich beruflich veränderte.“

„Also wollen Sie jetzt Assistentin der Geschäftsführung werden.“

„Nicht Assistentin irgendeiner Geschäftsführung“, sagte Rita ehrlich. „Ihre Assistentin.“

Grace sah sie gleichermaßen überrascht und amüsiert an. Rita war fest entschlossen, diese Stelle zu bekommen. „Ich will mich nicht einschmeicheln, aber … Mrs. DeWilde, ich bewundere Sie und verfolge Ihre Karriere schon seit vielen Jahren. Ich habe sogar am College eine Seminararbeit über Sie geschrieben.“

Grace schlug sich verblüfft mit der Hand auf die Brust. „Du liebe Güte.“

„Ich kann mir denken, wie das klingt“, sagte Rita. „Aber die Wahrheit ist, Sie waren für mich immer ein Vorbild. Ich gebe zu, wegen der Vorfälle der letzten Jahre hinke ich mit meinem Karriereplan etwas hinterher, aber ich möchte eines Tages eine eigene Firma führen, und ich kann mir dafür keine bessere Lehrerin denken als Sie.“ Sie lehnte sich zurück und wartete nervös auf Grace’ Antwort. Hatte sie den Bogen überspannt?

Grace betrachtete sie nachdenklich. „Wie bereits erwähnt, hat mir die Agentur mehrere Bewerber geschickt, aber ich denke, es werden keine weiteren Vorstellungsgespräche erforderlich sein. Ich hatte der Agentur die Höhe des Gehalts mitgeteilt …“

„Ich weiß, Mrs. DeWilde, und ich finde es sehr großzügig.“

„Wenn Sie damit also einverstanden sind, und wenn Sie den Job wollen – er gehört Ihnen.“

Wenn sie den Job wollte? Rita machte den Mund auf, um zu antworten, aber Grace hob abwehrend die Hand. „Bevor Sie etwas sagen, sollte ich Ihnen vielleicht meine Pläne erklären. Kann ich mich darauf verlassen, dass, wie auch immer Ihre Entscheidung ausfällt, keine Informationen über diese Unterhaltung nach außen dringen?“

Rita hätte sich eher die Hand abgehackt als ein Wort zu verraten. „Natürlich!“

Grace nickte. „Sie haben vorhin auf schmeichelhafte Art erwähnt, Sie hätten meine Karriere mitverfolgt. Dann werden Sie sicher auch wissen, dass ich nicht mehr der DeWilde Corporation angehöre. Mein Mann und ich haben uns … getrennt.“

„Ich habe darüber gelesen“, antwortete Rita diskret.

„Überspringen wir die schlimmen Details. Wichtig ist nur, dass ich nach San Francisco zurückgekommen bin, um mein eigenes Geschäft aufzumachen.“

Darauf hatte Rita gehofft. „Eine neue DeWildes – Filiale!“, rief sie aus.

„Gewissermaßen“, erwiderte Grace. „Aber das Geschäft wird ziemlich anders aussehen. Ein bisschen mehr wie … San Francisco, wenn Sie wissen, was ich meine.“

Rita war sich sicher, dass sie das wusste. Voll freudiger Aufregung dachte sie an die Ideen, die sie Gerald Hastings präsentiert hatte, und schickte ein stilles Dankgebet zum Himmel, dass er sie damals abgelehnt hatte. Sie war so niedergeschlagen gewesen, nachdem sie gekündigt hatte; es war, als wäre ihr Leben irgendwie zu Ende. Aber nun schien ihr eine ganz neue Welt offenzustehen. Und das hatte sie indirekt Geralds Engstirnigkeit zu verdanken.

Am Schluss wendet sich doch immer alles zum Guten. Der Spruch ihrer Mutter hatte sich wieder bewahrheitet. Nun, Mom, dachte Rita, ich kann’s kaum erwarten, dir zu sagen, wie recht du hattest!

Sie konnte ihr Glück kaum fassen. „Wann fangen wir an?“

„Wie wär’s mit Morgen?“

„Warum nicht gleich?“, erwiderte Rita freudestrahlend.

Ihre neue Chefin lachte. „Ihr Enthusiasmus freut mich, und ich würde Ihr Angebot gerne annehmen, denn wir haben in der Tat eine Menge zu tun. Aber ich muss heute Nachmittag einige Anrufe erledigen – einer davon hat mit der Finanzierung und der gesetzlichen Absicherung des neuen Geschäfts zu tun.“

„Das könnte ich für Sie übernehmen“, sagte Rita eifrig.

Grace lachte wieder. „Danke, aber ich glaube, das mache ich lieber selbst.“

„Kann ich sonst etwas tun?“

„Sie können morgen früh um Punkt neun hier sein.“

Rita hätte am liebsten einen Freudentanz aufgeführt. Stattdessen griff sie betont ruhig nach ihrer Tasche, stand auf und hielt Grace ihre Hand hin. „Mrs. DeWilde, danke, dass Sie mir diese Chance geben!“

Grace verabschiedete sich mit einem Lächeln. „Danken Sie mir nicht zu früh. Ich verlange meinen Angestellten eine Menge ab!“

Ritas Augen blitzten. „Sie können sich auf mich verlassen, das verspreche ich Ihnen!“

Auch als sie den vollen Fahrstuhl betrat, konnte sie einfach nicht mehr aufhören zu lächeln. Sie ignorierte die Menschen um sie herum, die sie irritiert ansahen und sich zu fragen schienen, ob Rita irgendwie abgehoben wäre. Nun, irgendwie bin ich das, dachte sie belustigt. Noch bevor sie das Erdgeschoss erreicht hatte, schwebte sie auf Wolke sieben.

2. KAPITEL

Am selben Tag, an dem Rita von Grace DeWilde angestellt worden war, saß Caroline Madison mit Erik Mulholland in einem neuen Lokal namens Patisse beim Mittagessen und lächelte ihn an. Die Fingernägel der Hand, die sie auf die seine legte, glänzten in einem hellen Rosa, das perfekt zu ihrem Designerkostüm, ihrem Lippenstift, ihren Nylons und ihren Stöckelschuhen passte. Die einzigen beiden Dinge, die an diesem Tag an ihr nicht rosa waren, waren ihre blauen Augen und ihr hellblondes Haar.

Und der große, diamantenumfasste Amethyst, der an ihrem Ringfinger prangte, stellte Erik fest. Der Schmuck war kein Geschenk von ihm, und er schien ihn fast anklagend anzustarren. Erik wandte schnell den Blick ab.

„Ich war so überrascht, als du heute angerufen und mich zum Essen eingeladen hast“, sagte Caroline. „Ich weiß, wie beschäftigt du bist. Und heute Abend sind wir doch mit meinen Eltern zum Dinner verabredet.“

Erik legte die Weinkarte beiseite, die er gerade studiert hatte. Ich sollte jetzt nichts trinken, dachte er. Einige wichtige asiatische Kunden hatten sich für den Nachmittag angekündigt, und da würde er einen klaren Kopf brauchen. Sie wollten, dass er für sie ein Geschäft für ein neues Hotel im Zentrum von San Francisco abschloss. Wenn mir dieser Coup gelingt, hätte ich mal wieder einen großen Beitrag zur Bebauung der Innenstadt geleistet. Dabei hat San Francisco ein neues Mammuthotel wahrlich nicht nötig.

„Ich weiß“, sagte er. „Aber ich wollte dich sehen.“

„Du klingst so ungewohnt ernst. Stimmt etwas nicht?“

Er war sich selbst nicht sicher. Es war nicht seine Art, spontan zu sein, aber er hatte Caroline heute zum Essen eingeladen, weil er sich endlich entschieden hatte, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Er musste es tun, bevor er es sich wieder anders überlegte. Nicht, dass es ihm so ging wie schon so oft und er sich bis an die Klippe heranwagte, aber den Absprung schließlich dann doch nicht schaffte.

Allerdings sah es so aus, als könnte er auch heute nicht springen. Er hatte den Verlobungsring in seiner Tasche, aber jetzt, da Caroline vor ihm saß, schien er einfach nicht die richtigen Worte zu finden. Warum eigentlich? Jedes Mal, wenn er sie ansah, sagte er sich, dass er verdammtes Glück hatte, dass eine Frau wie Caroline Madison ihn liebte.

Aber liebte er sie auch? Ich glaube schon, dachte er. Aber was hält mich dann davon ab, ihr mit einem Glas Champagner in der Hand einen Antrag zu machen?

Caroline sah ihn leicht besorgt an, und einmal mehr fiel ihm auf, wie schön sie war. Alles an ihr war einfach perfekt: ihr blondes Haar, die blauen Augen, ihre Abstammung, die sich auf väterlicher Seite bis zu den Passagieren der „Mayflower“ zurückverfolgen ließ, ihre Stilsicherheit bei der Wahl ihrer eleganten, unauffälligen Designer-Garderobe. Erik hatte sie noch nie nervös oder aufgebracht gesehen. Sie liebte Kinder und arbeitete einmal die Woche ehrenamtlich in einer Tagesklinik für Senioren. Sie verkörperte alles, was man sich nur wünschen konnte, und doch …

„Alles in Ordnung“, sagte er. Der Ring fühlte sich in seiner Tasche wie eine Tonne Blei an. Es sah so aus, als würde das geplante Verlobungsgeschenk auch in seiner Tasche bleiben – zumindest heute. Erik griff nach Carolines Hand. „Tut mir leid. Ich habe dich hierhergebeten, und jetzt bin ich ein so schlechter Gesellschafter.“

Sie schenkte ihm ein so verständnisvolles Lächeln, dass er sich wieder wunderte, warum in aller Welt er nicht die Gelegenheit ergriff, sie zu seiner Frau zu machen. „Das macht nichts, Erik. Es ist nur – ich mache mir Sorgen. Du arbeitest zu viel.“

„Unsinn“, protestierte er. „Außerdem liebe ich meine Arbeit.“

„Tatsächlich?“ Ihre Augen musterten ihn zweifelnd. „Es gab in letzter Zeit Momente, wo ich nicht so recht daran glauben mochte. Hast du irgendwelche Sorgen?“

„Nein, bestimmt nicht. Mir gehen einfach nur zu viele Dinge im Kopf herum.“

Caroline zögerte kurz. „Ist eines davon vielleicht das Angebot meines Vaters?“

Carolines Vater war Niles Madison. Obwohl er sich schon halb zur Ruhe gesetzt hatte, unterhielt er immer noch ein Büro in der angesehenen Investment-Firma Morton, Madison und Shade. Und kürzlich hatte er Erik einen Vizepräsidentenposten angeboten – eine Traumstelle, mit der er für immer ausgesorgt haben würde. Erik wusste, dass er eigentlich dankbar annehmen sollte, aber er wurde das ungute Gefühl nicht los, dass er mit diesem Angebot bestochen werden sollte. Erik wusste, dass es die Vizepräsidentschaft sozusagen nur im Doppelpack mit Caroline geben würde. Er hatte Niles um Bedenkzeit gebeten, und seit jenem Tag hatte er wirklich über nichts anderes mehr nachgedacht.

Was aber nicht hieß, dass er darüber reden wollte. „Caroline, wir hatten vereinbart …“

„Ich weiß, ich weiß“, sagte sie seufzend. „Du musst dich allein entscheiden.“

„Es ist nicht so, dass ich das Angebot nicht zu schätzen wüsste“, sagte Erik schuldbewusst. „Es ist nur – ich muss auch an Rudy denken. Wir haben hart daran gearbeitet, unsere eigene Investment-Firma aufzubauen, und ich kann ihn jetzt nicht einfach im Stich lassen.“

„Rudy ist ein erwachsener Mann“, erwiderte Caroline mit dem leicht genervten Unterton, der ihr manchmal entschlüpfte, wenn sie nicht aufpasste. „Er kann gut für sich selber sorgen.“

Erik hatte keine Lust, darüber zu streiten. „Stimmt“, sagte er beschwichtigend. „Schließlich ist er Anwalt.“

Caroline lächelte nicht. Sie nahm einen Schluck Wasser und sagte: „Ich hoffe, du nimmst dir nicht allzu viel Zeit für deine Entscheidung. Daddy hat dir ein großzügiges Angebot gemacht, und das mindeste, was du ihm schuldest, ist eine baldige Antwort.“

„Du hast recht. Ich werde ihm antworten – wenn die Zeit gekommen ist.“ Er wechselte schnell das Thema. „In der Zwischenzeit – was möchtest du zum Nachtisch?“

„Nichts, vielen Dank“, antwortete sie, sah auf ihre Armbanduhr und legte die Stirn in Falten. „Lieber Himmel! Ich hätte schon vor zehn Minuten bei der Anprobe sein müssen. Hast du etwas dagegen, die Rechnung kommen zu lassen?“

Er hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, er war erleichtert. Als sie das Lokal verlassen hatten, küsste er sie flüchtig und winkte einem Taxi. „Bist du mir böse?“, fragte er Caroline, als das Taxi neben ihnen hielt.

Sie zögerte und schüttelte dann den Kopf. „Nein, aber alles ist so schwierig. Daddy fragt mich ständig, ob du dich schon entschieden hättest. Er macht sich große Hoffnungen …“ Sie sah zu Erik auf und fügte hinzu: „Und ich auch.“

Er hielt ihr die Autotür auf und half ihr hinein. „Wir sehen uns heute Abend.“ Ich wünschte, ich könnte mehr versprechen, dachte er.

Als das Taxi abgefahren war, starrte er ihm sekundenlang hinterher und machte sich schließlich auf den Weg in sein Büro.

Die Investment-Firma Mulholland-Laughton befand sich im zwanzigsten Stock des Vale-Gebäudes. Als Erik dort ankam, war seine Sekretärin Eleanor noch nicht vom Mittagessen zurück. Die Tür zu Rudys Büro stand offen, was hieß, dass er ebenfalls noch nicht da war. Umso besser, dachte Erik. Ihm war jetzt sowieso nicht danach zumute, mit jemandem zu sprechen. Nachdenklich betrat er sein Büro, aber statt sich an die Arbeit zu machen, blieb er am Fenster hinter seinem Schreibtisch stehen.

Was ist nur los mit mir? fragte er sich. Warum bringe ich es nicht endlich fertig, Caroline zu fragen, ob sie meine Frau werden will? Ich gehe auf die Vierzig zu; es wird Zeit, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Wenn ich nicht vorsichtig bin, opfere ich alles für meine Arbeit – selbst mein Liebesleben.

Wie aus dem Nichts erschien ein Bild vor seinem inneren Auge – ein zartes ovales Gesicht mit ausdrucksvollen braunen Augen und einem schönen, sinnlichen Mund.

Verdammt! fluchte er vor sich hin. Was sollte das denn? Er hatte hart daran gearbeitet, nicht mehr an Rita Shannon zu denken. Warum schlich sie sich heute plötzlich in seine Gedanken?

Aber er wusste warum. Und es war nicht nur, weil sie im vergangenen Jahr eine leidenschaftliche Affäre gehabt hatten. Er hatte daran gedacht, was er alles für seine Arbeit geopfert hatte, und Rita gehörte eindeutig dazu. Dabei hatte er sie einmal so sehr geliebt, dass er ihr beinah einen Heiratsantrag gemacht hätte.

Im Nachhinein war er froh, dass er es nicht getan hatte. Nachdem ihr feuriges Verhältnis beendet war und Erik Zeit gehabt hatte, das Ganze zu analysieren, war ihm klargeworden, dass diese Ehe niemals funktioniert hätte. Rita war nicht die Frau, die er brauchte. Sie hätte nie in seine Pläne gepasst. Sie war zu eigensinnig, zu unbezähmbar, zu … lebendig. Sie machte den Mund auf, wenn ihr etwas nicht gefiel. Rita Shannon wäre nie eine anpassungsfähige, nachgiebige Ehefrau geworden.

Und eine anpassungsfähige Frau war genau das, was er wollte, redete er sich ein. Er brauchte eine Frau, die immer hinter ihm stand und ihm dienlich war – nicht nur in Bezug auf seine Karriere, sondern auch auf seinen Seelenfrieden. Er wusste, dass ihn diese Einstellung zu einem schrecklichen Chauvinisten machte, und es tat ihm leid – aber so sollte es nun einmal sein. Seine Arbeit war äußerst anspruchsvoll und brauchte all seine Energie auf, also konnte er keine Ehefrau gebrauchen, die selbst den Ehrgeiz hatte, Karriere zu machen. Er brauchte eine Frau, die sich nicht über Überstunden aufregte und die es klaglos hinnahm, dass er auf Geburtstagen oder anderen Feierlichkeiten nicht erschien, obwohl er es vorher versprochen hatte. Kurz gesagt, dachte er, ich brauche eine „traditionelle“ Ehefrau.

Er lachte heiser auf. Rita Shannon war die letzte Person, die in dieses Schema passen würde. Sie war leitende Einkäuferin bei Glencannon gewesen, als er sie kennenlernte, und sie machte keinen Hehl aus ihrem Ehrgeiz, auf der Karriereleiter noch höher steigen zu wollen.

Aber dann war Glencannon von Maxwell & Co. geschluckt worden.

Da haben ein paar Leute einen schönen Batzen Geld daran verdient, dachte Erik und kniff die Lippen zusammen. Doch er hatte nicht zu jenen Leuten gehört. Als sie sich das letzte Mal gestritten hatten, hatte Rita ihm vorgeworfen, die ganze Sache von Anfang an bewusst gesteuert zu haben, und er hatte nicht erklären können, wie die Dinge wirklich gelaufen waren. Nicht, dass das zu jenem Zeitpunkt noch etwas ausgemacht hätte – die Fronten zwischen ihnen waren schon so verhärtet gewesen, dass keine Erklärung mehr hätte etwas retten können.

Erik starrte immer noch nachdenklich aus dem Fenster, als Eleanor eintrat.

„Erik?“

„Ja, was gibt’s?“ Er fuhr herum und blickte seine Sekretärin an, die ungewöhnlich aufgeregt aussah.

„Tut mir leid, wenn ich störe“, sagte sie. „Aber Grace DeWilde ist am Telefon. Sie möchte einen Termin ausmachen, aber ich dachte, Sie wollten vielleicht selbst mit ihr sprechen.“

Grace DeWilde? dachte er verblüfft. Natürlich wusste er, wer sie war – wer wusste das nicht? Letzten Monat, etwa Anfang Mai, hatten sie und ihr Mann ihre Trennung bekanntgegeben, und seitdem waren in der Wirtschaftswelt ständig neue Gerüchte über die möglichen Konsequenzen aufgetaucht.

In Eriks Beruf machte es sich bezahlt, immer gut informiert zu sein, und so hatte er die Entwicklung gespannt mitverfolgt. Die DeWilde Corporation war immer noch im Familienbesitz, obwohl sie vor einigen Jahren durch Aktienverkauf an der Börse einiges an Kapital hatte flüssig machen müssen. Die DeWilde-Aktien waren stabil, aber Erik wusste, wenn Grace ihren Anteil von fünf Prozent auf einmal verkaufen würde, würde der Marktwert aller Firmenaktien in den Keller fallen.

Er hatte schon gehört, dass Grace DeWilde nach San Francisco zurückgekommen war. Aber warum rief sie ihn an? Neugierig griff er nach dem Telefonhörer.

„Danke, Eleanor“, sagte er und drückte auf den Knopf für die Leitung eins. „Mrs. DeWilde? Hier ist Erik Mulholland. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

Eine warme Stimme antwortete ihm. „Ich habe ein Problem, Mr. Mulholland. Wenn Sie Zeit haben, würde ich gerne mit Ihnen darüber sprechen.“

Erik warf einen flüchtigen Blick auf seinen Terminkalender, schob ihn dann aber schnell beiseite. Ganz abgesehen von seiner Neugierde, welches Problem wohl Grace DeWilde beschäftigte, war er unheimlich gespannt darauf, die Frau kennenzulernen, die er schon lange aus der Ferne bewunderte. Selbst auf dieser Seite des Atlantiks war ihr ausgezeichneter Geschäftssinn berühmt.

„Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung“, sagte er, sah dann aber, wie Eleanor ihm entsetzt abwinkte. „Außer während einer halben Stunde am heutigen Nachmittag. Da habe ich leider einen Termin, der sich nicht verschieben lässt.“

Das Lachen am anderen Ende der Leitung klang ausgesprochen charmant. „Ich hege nicht die Absicht, Ihren Terminplan durcheinanderzubringen“, versicherte Grace. „Ich weiß selbst nur zu gut, wie störend das sein kann. Eigentlich hatte ich nur vorgehabt, mit Ihrer Sekretärin einen Termin auszumachen, aber sie hat mich zu Ihnen durchgestellt, bevor ich es verhindern konnte.“

„Das hat sie ganz richtig gemacht“, sagte Erik mit Blick auf Eleanor, die nun das Büro verließ. „Wann würde es Ihnen denn passen? Ich kann Sie gern in Ihrem Büro aufsuchen …“

„Ich fürchte, ich habe noch kein richtiges Büro. Im Moment behelfe ich mir mit meinem Wohnzimmer. Also wäre es vielleicht am einfachsten, wenn ich zu Ihnen komme.“

„Sagen Sie mir nur den Tag und die Uhrzeit.“

„Ich weiß, dass das kurzfristig ist, aber … ginge es noch diese Woche? Sagen wir Mittwochnachmittag, so gegen drei?“

Erik sah wieder auf seinen Terminkalender. Der Mittwoch war völlig ausgebucht, aber er sagte: „In Ordnung. Ich erwarte Sie also.“ Er zögerte kurz. „In der Zwischenzeit … könnten Sie mir vielleicht einen leisen Hinweis geben, worum es geht? Es versteht sich von selbst, dass ich jede Information streng vertraulich behandle.“

„Das weiß ich“, antwortete sie in einem Ton, der besagte, dass sie nichts anderes akzeptieren würde. „Ich … ich habe mit dem Gedanken gespielt, hier in San Francisco ein neues Geschäft zu eröffnen.“

Erik konnte seine Überraschung nicht verbergen. „Eine neue DeWildes – Filiale?“

„Nein, diese Firma würde unter meiner alleinigen Leitung stehen.“

„Ich verstehe“, erwiderte er. In Gedanken spielte er schon sämtliche möglichen Folgen durch. Er wusste nun, was sie von ihm wollte. „Und wie groß soll das Geschäft werden?“

„Ich bin noch nicht sicher. Das ist eine der Fragen, über die wir sprechen müssten. Eine von vielen, fürchte ich. Aber alles weitere am Mittwoch. Ach ja, und ich möchte, dass meine Assistentin mich begleitet. Das macht Ihnen doch keine Probleme?“

Er war so aufgeregt wegen all der Möglichkeiten, die diese Aufgabe ihm eröffnen würde, dass er auch einverstanden gewesen wäre, wenn Grace vorgeschlagen hätte, ihre eigene Blaskapelle mitzubringen. „Aber natürlich nicht.“

„Gut. Wir sehen uns dann am Mittwoch.“

„Ich freue mich darauf.“

Er verabschiedete sich höflich und legte auf. Die Wirtschaftswelt hatte sich gefragt, was mit den DeWilde-Aktien geschehen würde, wenn Grace ein konkurrierendes Geschäft eröffnete. Nun also würden sie das alle erfahren. Eine plötzliche Vorfreude stieg in Erik wegen des Termins am Mittwoch auf. Es war lange her, seit ihn ein Projekt dermaßen begeistert hatte.

Trotz der aufregenden Verabredung mit Grace war er den Rest des Tages irgendwie nicht richtig bei der Sache. Selbst während des Treffens mit der Ishitaki-Gruppe fiel es ihm schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Immer war es ein bestimmtes Gesicht, ein Name, eine Stimme, die ihn nicht loslassen wollte.

Warum bedeutet mir Rita immer noch so viel – nach all der Zeit? fragte er sich verzweifelt. War es, weil sie sich unter so unglücklichen Umständen getrennt hatten? Irgendwie fühlte er sich immer noch schuldig. Er wünschte, er wäre ehrlicher zu ihr gewesen.

Es ist vorbei, redete er sich ungeduldig ein. Die Glencannon-Geschichte war der Auslöser dafür gewesen, dass Rita und er auseinandergegangen waren, aber Erik wusste, dass das ohnehin irgendwann passiert wäre. Sie waren einfach zu verschieden. Sie hatten nichts gemeinsam – außer dieser körperlichen Anziehungskraft. Also was machte es schon, dass er ihr Lächeln liebte oder ihren Elan und ihren Ehrgeiz bewunderte? Was bedeutete es schon, dass er ihren Verstand mochte und ihre dummen Witze lustig fand? Das Leben ging weiter.

Es ist vorbei, wiederholte er. Aber selbst, als er am Abend die Auffahrt zur beeindruckenden Jugendstilvilla von Carolines Eltern hinauffuhr, konnte er nicht aufhören, an Rita zu denken.

„Ich glaube, du hast kein Wort von dem gehört, was ich heute Abend gesagt habe“, sagte Caroline vorwurfsvoll. Sie hatten das Abendessen beendet und saßen nun im Wohnzimmer. Zu Eriks Erleichterung hatten sich Carolines Eltern verabschiedet und waren nach oben gegangen.

„Tut mir leid, Caroline“, sagte er. „Ich hatte einen furchtbar langen Tag.“

„Willst du darüber reden?“

Er hatte einen Brandy getrunken, in der Hoffnung, er würde ihn entspannen. Es hatte nicht funktioniert. „Es ist nichts“, log er. „Nur ein Problem mit den neuen asiatischen Kunden.“

Sie rückte näher und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. Die Geste war liebevoll gemeint, aber an diesem Abend irritierte sie ihn. Er hielt ihre Hand fest. „Ich sollte jetzt besser gehen.“

„Noch nicht! Es ist doch noch früh.“

Er roch den schwachen Duft ihres Parfums und widerstand der Versuchung, von ihr abzurücken. „Ich weiß, aber morgen wartet viel Arbeit auf mich.“

„Erik, wir müssen miteinander reden.“

„Worüber?“, fragte er angespannt.

„Wie wär’s, wenn du dir einfach ein paar Tage freinimmst? Wir könnten die Küste entlangfahren. Es gibt ein paar hübsche kleine Pensionen in der Gegend um Mendocino, wo wir ein bisschen entspannen könnten. Nur wir zwei ganz allein.“

Er fragte sich, warum ihn die Aussicht so wenig verlockte. „Klingt wundervoll, Caroline, aber ich kann im Moment wirklich nicht weg.“

Sie schmiegte sich an ihn. „Bitte, Liebling. Es ist so lange her, seit wir richtig allein waren.“

Er legte sanft den Arm um sie. Sie mochte es nicht, wenn er ihre Frisur zerzauste, und solche Gesten brachten sie manchmal aus der Fassung. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein anderes Bild in seinem Kopf auf: Rita, in Jeans und T-Shirt, wie sie einem Hund hinterherrannte, der unten am Yachthafen seinem Besitzer weggelaufen war. Sie hatte das Ende der flatternden Leine erwischt und war übermütig lachend ein ganzes Stück neben dem ebenso übermütigen Hund hergerannt.

Caroline würde eher sterben als ein Paar Jeans anzuprobieren, dachte Erik plötzlich – davon, dass sie sich damit in der Öffentlichkeit sehen lassen könnte, ganz zu schweigen. Und in die Nähe von Tieren, vor allem großen Hunden, würde sie sich schon gar nicht wagen …

Es irritierte ihn, dass er an Rita Shannon dachte, während er die schöne, perfekte Caroline in seinen Armen hielt. „Ich werde darüber nachdenken“, sagte er.

Sie sah mit jenem Augenaufschlag zu ihm hoch, der ihm schmeichelte und ihn gleichzeitig wahnsinnig machte. „Versprochen?“, fragte sie.

Autor

Janis Flores
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