Im Bett des Rivalen

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Sienna ist hin- und hergerissen: Ihre Affäre mit Ethan Watts wird immer gefühlvoller und wichtiger für sie – aber er ist der erklärte Rivale ihrer Schwester! Nicht nur körperlich kommt Sienna ihm näher, sondern Ethan vertraut ihr auch an, wie er als Adoptivkind aufgewachsen ist. Nur zu gern hilft Sienna ihm, sein Gefühlschaos zu entwirren, und sie hofft bereits, dass ihre Beziehung ernster werden könnte. Doch dann findet sie heraus, dass ihre Schwester heimtückische Pläne gegen Ethan schmiedet!


  • Erscheinungstag 14.09.2021
  • Bandnummer 2203
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503846
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Limousine glitt durch die traumhaft schöne Altstadt von Charleston. Begeistert schaute Sienna Burns aus dem Wagenfenster. Neben ihr saß Teagan, ihre Adoptivschwester, und war damit beschäftigt, Selfies zu machen. Sienna aber war von der Umgebung fasziniert. Als freiberufliche Kunstvermittlerin war sie viel auf Reisen und genoss es, neue Städte kennenzulernen. Sie fuhren gerade durch eine Allee, die gesäumt war von pastellfarbenen Stadtvillen, oft mit Säulenportiken und verglasten Erkern versehen. Die üppigen Gärten, die verzierten schmiedeeisernen Zäune und die gepflasterten Bürgersteige wurden von hohen Palmen beschattet.

„Das ist ja wunderschön hier“, sagte Sienna, während ein Gebäude nach dem anderen an ihnen vorbeizog.

Ihre Schwester antwortete nicht. Sienna sah sie an. Teagan war immer noch mit ihren Selfies beschäftigt. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, Sienna mit aufs Bild zu nehmen. Mit ihrem dunklen Haar und kleinen Gewichtsproblemen war sich Sienna immer wie der plumpe, schäbige Schatten ihrer schönen, trendigen Schwester vorgekommen und mied auch von sich aus das Rampenlicht.

„Versuch doch mal, diese grandiosen Häuser im Hintergrund draufzubekommen“, schlug Sienna vor, als der Fahrer an einer Kreuzung hielt. „Ich wette, deine Follower finden das toll.“

„Hm“, murmelte Teagan nur und machte für die Kamera ein Duckface, ohne ihre Schwester zu beachten.

„Was mache ich eigentlich hier?“, fragte Sienna erschöpft. Auf dem achtstündigen Flug von London nach New York hatte sie kein Auge zugetan, und während des Flugs im Privatjet war auch keine Zeit zum Schlafen gewesen. „Seit Stunden bist du nur mit deinem Smartphone beschäftigt.“

Was die Schwestern bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam hatten, war ihr Arbeitspensum. Beide arbeiteten rund um die Uhr. Teagan hatte sich als Influencerin ein kleines Imperium aufgebaut, vertrieb Schmuck und Accessoires, dazu eine eigene Make-up-Linie inklusive Kosmetik- und Styling-Service.

„Ich brauche dich an meiner Seite.“ Ohne von ihrem Mobiltelefon aufzuschauen, ergriff sie Siennas Hand, und Sienna spürte ihre Anspannung unter all der aufgesetzten Gelassenheit. „Du weißt genau, dass ich mich davor fürchte, die Familie meiner leiblichen Mutter kennenzulernen.“

Vor sieben Monaten hatte Sienna erfahren, dass Teagan ihre DNA bei einer Datenbank hinterlegt hatte, die weltweite DNA-Abgleiche machte. Und es hatte einen Treffer gegeben. Es stellte sich heraus, dass Teagan mit einer bekannten Reederfamilie in Charleston, South Carolina, verwandt war. Auf welchen Wegen sie als Baby von einem reichen Ehepaar von der Upper East Side in New York adoptiert worden war, würde vermutlich für immer im Dunkeln bleiben. In Telefonaten mit ihrer neu gefundenen Familie in Charleston hatte Teagan immerhin herausbekommen, dass ihre leibliche Mutter, Ava Watts, als junge Frau nach New York gekommen war, um Model zu werden. Doch sie war schwanger geworden und nach der Geburt auf tragische Weise gestorben. Ihre kleine Tochter blieb als Waise zurück. Anscheinend hatte Ava so komplett mit ihrer Familie gebrochen, dass diese erst nach Jahren von der Geburt des Kindes und Avas Tod erfuhr. Da war Teagan schon längst adoptiert gewesen. Da ihre Familie die gerichtlichen Unterlagen nicht einsehen durfte, war eine Kontaktaufnahme unmöglich gewesen.

„Das brauchst du doch nicht“, beruhigte Sienna ihre Schwester und drückte ihre Hand. „Seit sie von deiner Existenz wissen, freuen sie sich darauf, dich kennenzulernen. Ich bin sicher, sie sind ganz aus dem Häuschen, weil sie dich endlich gefunden haben.“

„Kann ja sein. Aber was ist, wenn sie mich nicht mögen?“

Sienna verblüffte es immer wieder, wenn ihre schöne und talentierte Schwester unsicher war. „An dir gibt es nichts, was man nicht mögen könnte.“

„Du bist die beste Schwester der Welt.“ Teagan lehnte ihren Kopf an Siennas Schulter. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.“

Siennas Herz zog sich zusammen. „Zum Glück wird dieser Ernstfall nie eintreten.“

Die Aufbauarbeit hatte Erfolg, denn Teagan versprühte sofort wieder Optimismus und wandte sich ihrem Smartphone zu. Sienna ließ ihre Hand los und schaute aus dem Fenster. Diese farbenfrohe Stadt hatte eine überaus positive Wirkung auf sie und gab ihr etwas von der Kraft zurück, die sie ihrer Schwester verliehen hatte.

„Ich bin immer noch erstaunt über die enorme Familienähnlichkeit zwischen uns.“ Teagan zeigte Sienna ein Foto auf Instagram. Es zeigte drei lächelnde blonde Frauen: die Zwillinge Dallas und Poppy – Teagans Cousinen – sowie deren Mutter Lenora Shaw, die ältere Schwester von Ava Watts.

Es versetzte Sienna einen Stich, als sie sich vorstellte, wie perfekt sich Teagan mit ihrem blonden Haar und den grünen Augen in diese Familie einfügen würde.

„Selbst ohne DNA-Test ist sonnenklar, dass du mit ihnen verwandt bist“, sagte Sienna. Ihr wurde flau bei dem Gedanken, dass sie ihre Schwester vielleicht an die neue Familie verlieren würde.

„Hoffentlich sehen sie das auch so.“

„Auf jeden Fall“, versicherte Sienna ihr sofort.

„Ich wünschte, du würdest länger bleiben als nur ein paar Tage“, bemerkte Teagan nun, während sie sich weiter durch den Instagram-Account ihrer Cousine klickte.

„Aber hier geht es doch um dich und deine wiedergefundene Familie“, wandte Sienna ein. „Ich möchte mich nicht aufdrängen.“

„Das ist doch Unsinn. Sie freuen sich, dich kennenzulernen. Und … ich habe ihnen gesagt, dass du zwei Wochen bleiben wirst.“

„Wie bitte?“, fuhr Sienna auf. „Erstens kann ich mir nicht einfach zwei Wochen freinehmen, und zweitens kennst du diese Leute nicht gut genug, um ihre Gastfreundschaft so zu strapazieren.“

„Du hast seit drei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht“, widersprach Teagan. „Außerdem haben sie in ihrem Haus genügend Platz. Es ist ein riesiges Anwesen. Dallas und Poppy wohnen im ehemaligen Gärtnerhaus. Tante Lenora meinte, es gäbe auch ein leerstehendes Kutschenhaus und im Haupthaus viele Gästezimmer. Glaub mir, es ist auf jeden Fall genug Platz für dich da.“

„Na gut. Ich versuche, Termine umzulegen und eine Woche zu bleiben.“

„Zehn Tage.“

„Ich habe nur für vier Tage Klamotten dabei.“ Doch ihre Erschöpfung arbeitete gegen sie. Die Aussicht, eine Weile in dieser charmanten Stadt zu bleiben und sich wie eine Touristin zu fühlen, gefiel ihr auf einmal. Und es stimmte. Seit drei Jahren arbeitete sie ununterbrochen. Konnte sie sich da nicht für eine Woche eine Auszeit gönnen?

„Lass uns shoppen gehen“, schlug Teagan grinsend vor. „Du solltest dir mal was anderes kaufen als langweilige Hosenanzüge und flache Schuhe.“

„Ich besitze durchaus ein paar Kleider …“

„Ja, in Schwarz, Grau oder Marineblau.“

Sienna wollte widersprechen, begriff aber, dass es sinnlos gewesen wäre. „Was mache ich mit meinen laufenden Aufträgen?“

„Deine Kunden werden nicht sterben, nur weil sie ein bisschen länger auf irgendwelche verstaubten Bilder warten müssen, für die sie ihr Geld zum Fenster rauswerfen können.“

Das war ein wiederkehrender Streit zwischen ihnen, und Sienna sprang wie üblich auf das Thema an. „Ich weiß, dass du meine Arbeit langweilig findest, Teagan. Aber so, wie du auf alles abfährst, was schön und trendy ist, so finde ich es spannend, Kunstwerke aufzutreiben, die die Sammlungen meiner Kunden ergänzen.“

„Ich finde deinen Job nicht langweilig“, erwiderte Teagan. „Aber seit du ständig unterwegs bist, hast du keine Zeit mehr für mich.“

Beinahe hätte Sienna laut gelacht. Die Unterstellung ihrer Schwester war zu absurd. Teagan war diejenige, die in New York unendlich viele Kontakte hatte, nie zu Hause war und sich bestens amüsierte, während Sienna weltweit auf der Suche nach wertvollen Kunstwerken war. Wenn Sienna mal ausging, bevorzugte sie ein ruhiges Dinner mit ein paar engen Freundinnen.

„Hör auf“, sagte sie deshalb. „Du hast genügend Leute, mit denen du abhängst.“

„Leute, ja“, entgegnete Teagan. „Aber Familie ist wichtiger.“

„Na, das wird sich ja jetzt ändern“, bemerkte Sienna und wies auf den Instagram-Account von Dallas Shaw. „Bestimmt bist du bald so glücklich mit deiner neuen Familie, dass du es gar nicht bemerkst, wenn ich nicht da bin.“

Teagan betrachtete ein Familienfoto, das drei Generationen der Watts zeigte. Sienna spähte ebenfalls auf das Display und entdeckte zwischen all den blonden, helläugigen Südstaatlern einen hochgewachsenen Mann mit dunklem, etwas widerspenstigem Haar. Sein Lächeln hatte es ihr sofort angetan. Ein bisschen verwegen und ziemlich sexy. Ein Prickeln überlief sie. Doch sie schüttelte dieses Gefühl ab. „Danach fährst du nach New York zurück und lebst weiter wie bisher.“

„Es gibt etwas, was ich dir noch nicht gesagt habe“, erklärte Teagan und scrollte weiter.

„Und das wäre?“

„Ich weiß noch nicht, ob ich nach New York zurückkomme.“

„Wie bitte?“ So etwas Ähnliches hatte Sienna befürchtet, und sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken. „Warum nicht?“

„Weil ich beschlossen habe, CEO von Watts Shipping zu werden.“

Das musste Sienna erst mal verdauen. Die Watts führten eine millionenschwere Reederei mit einer Flotte von fünfzig Frachtschiffen. 1920 gegründet und mittlerweile mit tausendfünfhundert Angestellten, gehörte Watts Shipping zu den Top Einhundert im Land.

Natürlich brachte Teagan die persönlichen Voraussetzungen für diese Position mit. Schließlich hatte sie in Harvard studiert und war überaus ehrgeizig. Was ihr jedoch fehlte, war Erfahrung in der internationalen Seefracht, und es war keine Kleinigkeit, ein Unternehmen zu führen, das jährlich mehrere Hundert Millionen Dollar umsetzte.

„Ich dachte, dein Onkel ist der CEO“, wandte Sienna ein. „Bestimmt soll einer seiner Söhne die Firma übernehmen.“ Dabei dachte sie unwillkürlich an den attraktiven dunkelhaarigen Mann auf dem Familienfoto. Er wäre sicher sehr überrascht, wenn er wüsste, dass Konkurrenz im Anmarsch war.

„Ethan.“ Teagan sah auf Instagram erneut nach dem Familienfoto. „Aber er ist nur adoptiert, und …“

Das schon wieder, dachte Sienna. Dabei war Teagan immer der Liebling ihres Vaters gewesen, und ihre Mutter hatte all ihren Ehrgeiz auf die schöne blonde Tochter verwendet. Trotzdem schien es Teagan etwas auszumachen, adoptiert zu sein, als ob sie deshalb keine echte Burns wäre. Sienna hatte sich schon oft über diese Haltung geärgert. Denn als die Mittlere der drei Kinder hatte sie am wenigsten Aufmerksamkeit bekommen. Immer war klar gewesen, dass ihr großer Bruder irgendwann das Familienunternehmen führen würde. Und ihre Mutter hatte Teagan adoptiert, weil ihre leibliche Tochter so gar nicht ihren Vorstellungen entsprach. Anna Burns wollte eine Tochter, die sie vorzeigen konnte, um ihre Freundinnen zu beeindrucken. Irgendwie war Sienna dazwischen in Vergessenheit geraten.

„Du glaubst also wirklich, dass dir die Leitung der Firma zusteht“, konstatierte Sienna und dachte daran, wie enttäuscht Teagan gewesen war, als ihre Eltern verkündet hatten, dass Aiden der zukünftige Chef des Immobilienimperiums werden sollte. „Findest du es Ethan gegenüber fair, dich einfach auf seinen Platz zu setzen?“

„Ich will ja nicht, dass man mir den Posten einfach so gibt“, antwortete Teagan. „Ich habe vor, ihn mir zu verdienen. Aber zumindest verlange ich, dass man mich berücksichtigt.“

„Das … ist vermutlich okay.“ Sienna ertappte sich dabei, dass sie Mitgefühl für Ethan empfand, der von ihrer Schwester ausgebootet werden sollte. „All das ist aber kein Grund für mich, länger in Charleston zu bleiben als nötig. Du wirst genug damit zu tun haben, deine neue Familie und Watts Shipping kennenzulernen.“

„Ich dachte mir, wir könnten zusammenarbeiten.“

Manchmal machte es Sienna Angst, wie Teagan dachte. Sie konnte wirklich berechnend und rücksichtslos sein. Das hatte sie von ihrer Mutter gelernt und schon in der Grundschule vollendet beherrscht.

„Wie meinst du das?“

„Du kannst dich so gut in Menschen hineinversetzen. Hilf mir, die Leute zu durchschauen und herauszufinden, was ich tun muss, um bei ihnen zu landen.“

„Meine Kunden …“, begann Sienna, weil sie befürchtete, in etwas hineingezogen zu werden, das sich mit ihren Werten nicht vertrug.

„Hör auf, deine Kunden als Ausrede zu missbrauchen“, gab Teagan zurück, ehe sie Sienna bittend ansah. „Es tut mir leid. Ich weiß, das war nicht in Ordnung, aber ich will einfach nicht allein in Charleston sein. Du weißt genau, dass ich dich brauche. Bitte bleib da und hilf mir. Ich habe solche Angst, dass sie mich nicht mögen, und deshalb wünsche ich mir, dass du an meiner Seite bist.“

„Na schön.“ Es war leichter, nachzugeben, als Widerstand zu leisten. „Im Moment liegt beruflich nichts Dringendes an.“

„Das ist ja wunderbar.“ Teagan strahlte zufrieden. „Es könnte ja auch sein, dass du hier neue Kunden auftreibst. Außerdem gibt es hier mindestens ein Dutzend Museen. Das gefällt dir bestimmt.“

„Und wie.“

Doch insgeheim befürchtete Sienna, dass sich der Aufenthalt im charmanten Charleston nun doch nicht so entspannt gestalten würde, wie sie es sich erhofft hatte.

Ethan Watts saß im Wohnzimmer des großväterlichen Anwesens, das am westlichen Ende der Montague Street lag, ganz in der Nähe des Ashley River. Auf dem Display seines Mobiltelefons war die Mail zu lesen, die er gestern Abend erhalten hatte. Sie war kurz, prägnant, dabei geheimnisvoll und bösartig. Und sie war anonym. Zuerst wollte er die Warnung ignorieren. Offensichtlich wollte der Absender Unruhe stiften, und Ethan hatte nicht vor, ihm auf den Leim zu gehen. Trotzdem hatte er die Mail nicht gelöscht. Weil die Nachricht es in sich hatte.

Teagan Burns plant, CEO von Watts Shipping zu werden. Sie verfolgt ihre Ziele rücksichtlos. Seien Sie auf der Hut. Ein Freund.

Auch nachdem Ethan die Mail zum x-ten Mal gelesen hatte, war er nicht sicher, was er von der Warnung halten sollte. Ein „Freund“ war der anonyme Verfasser sicher nicht. Ganz bestimmt verfolgte er eigene Ziele, und die stimmten mit Ethans Zielen garantiert nicht überein.

„Ich glaube, sie ist da.“ Seit zwanzig Minuten stand seine Tante am Fenster und wartete auf die Ankunft der verlorenen und wiedergefundenen Nichte aus New York City.

Ethan trat zu ihr und beobachtete, wie der Fahrer einer luxuriösen Limousine die Wagentür öffnete, damit die Passagiere aussteigen konnten. Er spürte, dass seine Tante mit Hochspannung darauf wartete, Ava Watts Tochter zu sehen.

Vor dreißig Jahren war die willensstarke, verwöhnte Tochter von Grady und Delilah Watts nach New York durchgebrannt. Damals war sie achtzehn gewesen. Nach fünf Jahren Funkstille hatte ihr Vater einen Detektiv beauftragt, um Ava zu finden. Doch es war zu spät, sie war einige Jahre zuvor gestorben, und ihre kleine Tochter war adoptiert worden. Dann waren fünfundzwanzig Jahre vergangen, ehe die Suche nach dem Kind durch den Treffer in der Gendatenbank ein gutes Ende fand.

Lenora krallte ihre Finger in Ethans Arm, als eine Brünette mit Sanduhrfigur aus dem Auto stieg. „Das kann sie nicht sein.“

„Ich vermute, dass das Sienna ist.“ Sein Bruder Paul hatte sich über Teagan Burns informiert, daher wusste Ethan, dass es sich bei der Frau nicht um die verlorene Erbin der Watts handeln konnte. „Teagans ältere Schwester.“

Die Frau trug einen schlichten schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse, was ihre weiblichen Formen überspielte. Weder ihr langes braunes Haar noch das bisschen Make-up, das sie aufgelegt hatte, um ihr zartes Gesicht mit den weichen Lippen zu betonen, zogen die Blicke auf sich. Anders als ihre Schwester war sie in den sozialen Medien fast unsichtbar. An der Art, wie sie sich kleidete und bewegte, konnte Ethan erkennen, dass Sienna Burns es offensichtlich bevorzugte, nicht im Vordergrund zu stehen.

„Oh“, flüsterte Lenora nun. „Da ist sie.“

Ethan löste den Blick von Sienna und sah zunächst nur ein Paar lange schlanke Beine in weißen hochhackigen Stiefeln. Wenig später erschien die bemerkenswert schöne junge Frau, der diese Beine gehörten. Ein It-Girl aus New York City, überaus präsent in den Klatschspalten und in den sozialen Medien, modisch auf dem neuesten Stand, wie ihr weißes Minikleid mit blauen Nadelstreifen bewies. Ihr goldblondes Haar fiel in einer Kaskade bis zu ihrer Taille.

„Sie sieht aus wie Ava“, bemerkte Lenora mit einem Anflug von Besorgnis. „Hoffentlich hat sie nicht ihren Charakter geerbt.“

Es war kein Geheimnis, dass Lenora sich mit ihrer jüngeren Schwester nicht gut verstanden hatte. Trotzdem überraschte es Ethan, dass die starke Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter Lenora zu dieser Äußerung veranlasste. Schließlich hatte sich die gesamte Familie seit Jahren danach gesehnt, Avas Tochter kennenzulernen. Nie hätte er angenommen, dass sie nicht mit offenen Armen willkommen geheißen würde. Doch nun sah es so aus, als ob seine Tante bereits vor der ersten Begegnung voreingenommen wäre.

„Lass uns rausgehen, um sie zu begrüßen“, schlug Ethan vor, da seine Tante sich nicht vom Fleck rührte.

Lenora straffte die Schultern, aber ihr Lächeln wirkte aufgesetzt. „Natürlich.“

Jillian Post, die Haushälterin der Shaws, öffnete die Eingangstür, um die Neuankömmlinge hereinzulassen. Ethan und Lenora kamen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Teagan das Haus betrat. Die Haushälterin warf einen kurzen Blick nach draußen und fragte leise etwas.

„Sie hat noch etwas zu erledigen“, antwortete Teagan leicht gereizt.

Als die geschnitzte Eichenholztür hinter ihr geschlossen worden war, nahm Teagan ihre riesige Sonnenbrille ab und schaute sich rasch um, ehe sie sich den beiden Menschen zuwandte, die nun auf sie zukamen, um sie zu begrüßen.

„Hallo“, sagte sie.

„Willkommen in Charleston.“ Lenora übernahm die Führung, ehe eine peinliche Stille entstand. „Ich bin Lenora Shaw, deine Tante. Das hier ist dein Cousin Ethan.“

„Es ist wunderbar, hier sein zu dürfen“, antwortete Teagan mit einem strahlenden Lächeln, doch gleichzeitig warf sie einen kühlen, abschätzenden Blick auf Ethan. „Es ist so reizend von euch, mich einzuladen.“

Unwillkürlich musste Ethan an die anonyme Mail denken. Doch er antwortete betont herzlich, um Lenoras halbherzige Begrüßung wettzumachen: „Das hier ist dein Zuhause, Teagan. Wir freuen uns sehr, dass du bei uns bist.“

„Ja, wir freuen uns“, ergänzte Lenora und musterte den superschicken Aufzug ihrer Nichte. „Bitte, komm doch rein. Dein Großvater wird in Kürze bei uns sein.“

„Grady freut sich sehr darauf, dich kennenzulernen“, ergänzte Ethan. „Er hat so lange nach dir gesucht.“

„Und ich bin sehr gespannt auf ihn“, sagte Teagan und folgte Lenora ins Wohnzimmer. Dort lud Lenora sie mit einer Handbewegung ein, auf dem hellblauen, mit Damast bezogenen Sofa Platz zu nehmen.

„Warst du schon mal in Charleston?“, begann Lenora die Konversation.

„Ich verlasse New York nicht allzu oft“, gab Teagan zu und schaute sich im Zimmer um. Ethan fragte sich, ob sie schon mal durchrechnete, was es hier zu erben gab, wenn Grady Watts irgendwann das Zeitliche segnete. „Und wenn, dann fliege ich entweder nach Los Angeles oder in die Karibik.“

„Wo hast du eigentlich deine Schwester gelassen?“, wollte Ethan wissen.

Wieder maß ihn Teagan mit einem kühlen Blick aus ihren grünen Augen. „Sie telefoniert mit einem ihrer Kunden und gesellt sich zu uns, wenn sie fertig ist.“

Die Vorstellung, dass diese Frau hierhergekommen war, um ihm seinen Posten als zukünftiger CEO von Watts Shipping streitig zu machen, ließ Ethan keine Ruhe. Er spürte ein übermächtiges Bedürfnis, die Eindrücke, die er bisher von Teagan gewonnen hatte, zu verarbeiten. „Ich schaue mal nach ihr.“

Mit einer gewissen Erleichterung überließ er die beiden Frauen sich selbst und ging nach draußen. Dort fand er Sienna Burns auf den unteren Stufen der Haupttreppe vor, einen Laptop auf den Knien. Als Ethan die Treppe hinunterging, sah er, dass der Fahrer der Limousine mehrere cremefarbene Koffer mit goldfarbenen Lederapplikationen auslud.

„Hallo“, sagte er zu Teagans Schwester, als er die unterste Stufe erreicht hatte.

Die Dunkelhaarige war so vertieft in ihre Arbeit, dass sie erschrak und fast den Laptop fallengelassen hätte. Gegen die tiefstehende Nachmittagssonne blinzelnd, sah sie zu Ethan auf.

„Oh, hallo.“ Sie klappte den Laptop zu und verstaute ihn in einer Ledertasche.

Ethan stand jetzt vor ihr und war äußerst angetan von dem, was er sah. Sienna hatte ein hübsches, zartes Gesicht mit ein paar Sommersprossen, die durch das helle Make-up schimmerten. Ihr Lippenstift war mehr oder weniger Vergangenheit, und sie duftete angenehm nach Vanille. Was ihn jedoch am meisten anzog, war der scharfsinnige Blick ihrer blaugrauen Augen.

„Ethan Watts“, stellte er sich vor und lächelte aufrichtig erfreut, obwohl er sich doch vorgenommen hatte, auf der Hut zu sein. „Ich bin Teagans Cousin.“

„Sienna Burns. Teagans … Schwester.“

Er bemerkte ihr Zögern und wunderte sich. „Schön, dich kennenzulernen, Sienna Burns.“

Als er ihr die Hand reichte, erschrak er fast, weil das Bedürfnis, sie zu berühren, so stark war. Und er wurde nicht enttäuscht, denn ihr fester, warmer Händedruck sandte einen elektrisierenden Schauer durch seinen Körper. Zufrieden sah er, dass sich ihre Augen weiteten. Ihr leichtes Erröten verriet ihm, dass sie etwas Ähnliches empfand.

„Gleichfalls“, erwiderte sie, ohne Anstalten zu machen, ihm ihre Hand zu entziehen. Stattdessen schaute sie neugierig zu ihm auf. Gleich darauf lächelte sie bewundernd. Offenbar gefiel ihr, was sie sah.

Die Anziehungskraft war also gegenseitig, und das machte ihn an. Er schenkte ihr ein einladendes Lächeln. Ganz offenkundig prickelte es zwischen ihnen. Sein Jagdinstinkt erwachte. Allerdings vermutete er, dass Sienna nicht so einfach zu haben war. Eine Herausforderung. Fast freute er sich darauf, doch dann erinnerte er sich an die Warnung in der anonymen Mail.

Sie verfolgt ihre Ziele rücksichtslos.

Schloss das Teagans Schwester ein? Die Frage ließ ihn erstarren.

„Wir sind gespannt, euch beide kennenzulernen“, sagte er. Es wäre jetzt an der Zeit, Siennas Hand loszulassen. Stattdessen hätte er gern mit dem Daumen ihre Knöchel gestreichelt. Dann jedoch siegten seine guten Manieren, und er gab sie frei. Immer noch konnte er die Berührung spüren.

„Wieso uns beide?“, fragte Sienna erstaunt. „Ich bin doch niemand …“

Was sie sagte, irritierte Ethan. War es falsche Bescheidenheit, oder wollte sie sich bloß rückversichern? „Nun, ich finde, du bist durchaus jemand.“

Sie lachte. „Ja, natürlich. Ich meine, dass Teagan die Hauptperson ist. Ich begleite sie nur.“

Ethan fragte sich, wie oft man sie schon mit ihrer alles überstrahlenden Schwester verglichen hatte. Er kannte sich mit geschwisterlicher Rivalität aus. Nicht, dass er je versucht hätte, mit Paul um den Vorrang zu streiten. Paul lebte in seiner eigenen Welt und hatte kein Interesse an so trivialen Dingen. Doch als zweiter in der Geschwisterfolge und dazu noch adoptiert, war sich Ethan seiner Stellung innerhalb der Familie nie sicher gewesen.

Bei Sienna lag die Sache ein wenig anders. Sie war die ältere der beiden Schwestern, dazu die leibliche Tochter der Burns. Weshalb hatte er trotzdem das Gefühl, dass Teagan den Reichtum und den sozialen Status der Familie für sich nutzte, während Sienna zurückhaltend agierte?

Sienna schien ihm trotzdem zugänglicher als Teagan. Er musste ihr gegenüber keine Rolle spielen, denn anscheinend verfolgte sie keine heimlichen Ziele. Blieb aber die Warnung in der Mail. Ethan seufzte. Er hatte nicht die geringste Lust, hinter jedem Wort der beiden Schwestern eine Intrige zu vermuten.

„Es ist jedenfalls nett von dir, dass du Teagan unterstützt“, sagte er. „Ich bin sicher, es war nicht einfach, sich ein paar Tage freizunehmen, nur um sie zu begleiten.“

„Für Teagan ist das ein großes Ereignis.“ Sienna strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, und Ethan bemerkte, dass ihre Fingernägel nicht lackiert waren. „Für deine Familie sicher auch“, fügte sie hinzu. „Teagan hat diesem Tag schon lange entgegengefiebert.“ Sie grinste. „Oder sollte ich lieber sagen, sie hat Blut und Wasser geschwitzt?“

„Du kennst unseren South-Carolina-Slang?“, fragte er und freute sich, dass sie mit ihm flirtete.

„Ein bisschen. Ich habe einen Kunden in New Orleans.“ Sie betonte die erste Silbe von „Orleans“ wie eine Einheimische. „Er macht sich immer einen Spaß daraus, mich mit Südstaaten-Sprüchen zu versorgen.“

„Zum Beispiel?“

Sie zögerte. „Das ist mir jetzt ein bisschen peinlich.“

„Keine Sorge, schieß los.“

„Zum Beispiel ,Piss mir nicht ans Bein, um dann zu behaupten, dass es regnet!’“ Sie errötete leicht. Es gefiel ihm, dass diese New Yorkerin ein wenig schüchtern war.

Konnte diese offene junge Frau Teagan in ihrem Plan unterstützen, Watts Shipping zu übernehmen? Er schob den Gedanken beiseite. Und gleich darauf war er wieder da. Wenn er Sienna zu sehr vertraute, ging er Teagan vielleicht in die Falle und verlor alles …

Seien Sie auf der Hut.

Diese Warnung verringerte sein Interesse an Sienna keineswegs. Dass es gefährlich sein konnte, sich auf sie einzulassen, beflügelte sein Verlangen. Er ertappte sich bei der Vorstellung, wie er sie im Haus in eine stille Ecke zog und ihre weichen Lippen küsste. Wobei es natürlich nicht bleiben würde …

Autor

Cat Schield
<p>Cat Schield lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, zwei Birma-Katzen und einem Dobermann in Minnesota, USA und ist die Gewinnerin des Romance Writers of America 2010 Golden Heart® für romantische Serienromane. Wenn sie nicht gerade neue romantisch-heiße Geschichten schreibt, trifft sie sie sich mit ihren Freunden um auf dem St. Croix...
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