Sinnlich und verboten sexy

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Millionenerbe Paul Watts vertraut niemandem, am allerwenigsten der fremden Schönheit, die in einem Märchenkostüm am Krankenbett seines Großvaters singt. Trotzdem fühlt sich der unnahbare Tycoon wie magisch angezogen von der offenherzigen Therapeutin und ihrem unschuldigen Sex-Appeal. Fatal, denn als der alte Patriarch die charmante Lia plötzlich für seine verschollene Enkelin hält, bleibt Paul keine Wahl, als die Täuschung aufrechtzuerhalten. Noch kämpft er gegen sein Verlangen an, doch dann macht Lia ihm ein sinnliches Geständnis …


  • Erscheinungstag 12.05.2020
  • Bandnummer 2132
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726171
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Paul Watts betrat den Aufzug des Krankenhauses und drückte ungeduldig auf den Knopf für das vierte Stockwerk. In zwei Stunden würde er Charleston verlassen, um an einer mehrtägigen Konferenz zum Thema Datensicherheit teilzunehmen. Schon jetzt fürchtete er, dass er diesen Entschluss bereuen würde. Denn der Gesundheitszustand seines fünfundachtzigjährigen Großvaters hatte sich nicht gebessert.

Sechs Tage zuvor war Grady mit einem Hirnödem in die Klinik eingeliefert worden. Angeblich handelte es sich um eine Folge des Schlaganfalls, den der alte Herr drei Monate vorher erlitten hatte. Seitdem litt Grady unter einer linksseitigen Lähmung und einer starken Einschränkung seines Sprachvermögens.

Direkt nach dem Schlaganfall waren die Ärzte der Meinung gewesen, dass Grady gute Chancen hatte, sich vollkommen zu erholen. Doch zum großen Kummer aller Verwandten schien er kein Interesse daran zu haben, gesund zu werden. Es war, als wäre sein Lebenswille gebrochen.

Das war für alle unfassbar. Denn obwohl der Patriarch die Leitung des Familienunternehmens, eines Schifffahrt-Imperiums, vor einiger Zeit an seinen Sohn Miles abgegeben hatte, war er weiterhin zu den Vorstandssitzungen erschienen und hatte ein aktives gesellschaftliches Leben geführt.

Paul, der seinen Großvater stets für eine Kämpfernatur gehalten hatte, begriff nicht, warum Grady sich so verändert hatte. Leider konnte er ihn nicht einmal danach fragen. Denn seit Paul, statt ins Familienunternehmen einzusteigen, beschlossen hatte, Kriminelle zu jagen, war ihr Verhältnis angespannt. Nach einer kurzen Karriere bei der Polizei hatte Paul, der ein hervorragender Computerexperte war, eine eigene Firma gegründet, die sich mit Datensicherheit beschäftigte.

Der Fahrstuhl hielt, Paul trat in den Flur und ging mit großen Schritten auf das Krankenzimmer seines Großvaters zu. Vor der Tür blieb er einen Moment lang unentschlossen stehen. Dann holte er tief Luft und legte die Hand auf die Türklinke. In diesem Moment hörte er leisen Gesang aus dem Krankenzimmer. Das war keine Musik aus dem Radio. Eine Frau hatte gerade ein fröhliches Lied angestimmt. Paul runzelte die Stirn. Er kannte die Stimmen all seiner weiblichen Verwandten. Aber diese klaren süßen Töne waren ihm fremd. Hatte vielleicht eine der Krankenschwestern beschlossen, Grady mit Musik aufzuheitern?

Er öffnete die Tür, trat ein – und hielt abrupt inne. Grady lag mit geschlossenen Augen bewegungslos im Bett. Seine Haut wirkte grau und wächsern. Einen Moment lang fürchtete Paul, sein Großvater sei gestorben.

Dann bemerkte er die fremde Frau. Sie saß auf der Bettkante, hielt Gradys Hand und sang. Sie sah harmlos aus, freundlich und zugewandt, doch Paul reagierte alarmiert. Dies war keine Krankenschwester. Dies war niemand, der mit der Familie Watts befreundet war. Wahrhaftig, die Fremde schien geradewegs von einem Maskenball zu kommen – oder aus der Psychiatrie im sechsten Stock der Klinik!

Sie war hübsch, schlank und etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Allerdings trug sie eine Perücke mit einem überaus langen Zopf und ein mittelalterlich wirkendes lavendelfarbenes Kleid. Ihre braunen Augen waren sehr groß, ihr Gesicht schmal mit hohen Wangenknochen und einem ausgeprägten Kinn. Sie sah aus wie eine zum Leben erwachte Puppe.

„Wer sind Sie?“

Die Unbekannte zuckte zusammen, riss erschrocken die Augen auf und unterbrach ihren Gesang.

„Was haben Sie im Zimmer meines Großvaters zu suchen?“

„Ich …“ Ihr Blick wanderte zur Tür, die Paul nicht geschlossen hatte.

„Um Himmels willen, beruhige dich!“, sagte jemand, der im Flur stehen musste.

Paul erkannte die Stimme seines jüngeren Bruder Ethan sofort.

„Du solltest Grady nicht so erschrecken, Paul. Man hört dich durchs ganze Krankenhaus.“

Tatsächlich hatte der Kranke die Augen geöffnet. Er bewegte den Mund, als wolle er etwas sagen. Aber kein Ton kam über seine Lippen.

Die Frau mit der Perücke sah besorgt von einem zum anderen.

„Es tut mir leid, Grady.“ Paul trat ans Bett, griff nach der Hand seines Großvaters und drückte sie vorsichtig. „Ich wollte dich besuchen und war erstaunt darüber, dass eine Fremde an deinem Bett sitzt.“ Er warf der verkleideten Frau einen ärgerlichen Blick zu. „Sie sollten nicht hier sein.“

„Oh doch, das sollte sie“, widersprach Ethan.

Seine Worte entfachten Pauls Zorn nur noch mehr. „Du weißt also, wer das ist?“

„Allerdings. Ich möchte dich mit Lia Marsh bekannt machen.“

„Hallo!“ Ihre Stimme klang sanft. Seit Ethan aufgetaucht war, wirkte sie vollkommen entspannt. Jetzt lächelte sie Paul sogar an.

Nun, sie täuschte sich, wenn sie glaubte, sein Misstrauen so leicht überwinden zu können! Paul war von Natur aus vorsichtig, und es gefiel ihm nicht, dass diese Fremde seinem Großvater Gesellschaft leistete. Allerdings musste er sich eingestehen, dass Grady die junge Frau offenbar mochte. Die Lippen des alten Herrn verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, als er zu Lia hinschaute.

„Er erwartet eine Erklärung, Ethan!“, drängte Paul.

„Natürlich, gleich.“ Ethan legte seinem Großvater sanft die Hand auf die Schulter.

Lia hatte sich unterdessen über den Kranken gebeugt. „Es war schön, mit Ihnen zu singen“, sagte sie. „Doch nun lasse ich Sie mit Ihren Enkeln allein. Morgen komme ich wieder.“

Grady hob die Hand, als wolle er Lia zurückhalten. Aber die war schon auf dem Weg zur Tür.

Paul kümmerte sich nicht um den schwachen Protest seines Großvaters. „Sie betreten dieses Zimmer nicht noch einmal“, befahl er Lia.

Sie warf ihm einen traurigen und vielleicht ein wenig vorwurfsvollen Blick zu. Dann sah sie zu Ethan. „Wir sehen uns noch.“ Der weite Rock ihres langen Kleides schwang um ihre Beine, als sie den Flur entlang zum Aufzug ging. Im Zimmer blieb ein Hauch ihres blumigen Parfüms zurück.

Verwirrt stellte Paul fest, dass er sie am liebsten zurückgerufen hätte. Natürlich nur – beruhigte er sich selbst – um sich von ihr erklären zu lassen, warum sie in dieser Verkleidung herumlief. Dann holte er tief Luft und musterte nachdenklich seinen Bruder. Hatte Ethan den Verstand verloren? Warum war er auf eine Frau hereingefallen, an der nichts echt war?

„Komm!“ Paul ging Ethan voraus in den Flur. Und nachdem er die Tür zum Krankenzimmer sorgfältig geschlossen hatte, fragte er leise: „Also, wer ist sie? Und was tut sie hier?“ Es fiel ihm schwer, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Da war einerseits die Angst um Grady und andererseits die Wut auf Ethan, der sich so unvernünftig benahm. Außerdem war da noch ein drittes Gefühl, mit dem er sich aber jetzt auf keinen Fall auseinandersetzen wollte.

„Sie ist eine Freundin. Und sie war hier, um Grady aufzuheitern.“

„Du hast sie nie zuvor erwähnt. Wie gut kennst du sie?“

„Sei doch nicht so misstrauisch, Paul! Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie Grady guttut. Warum, zum Teufel, musst du immer aus allem ein Problem machen?“

„Hast du vergessen, dass es in letzter Zeit mehrere Versuche gab, die Firmencomputer von Watts Shipping sowie einige unserer privaten Computer zu hacken? Offensichtlich sind wir für Verbrecher interessant. Natürlich mache ich mir Sorgen, wenn ich eine fremde Person an Gradys Bett entdecke!“

„Lia ist keine Verbrecherin. Im Gegenteil, sie ist ein herzensguter Mensch. Als sie hörte, wie deprimiert Grady ist, hat sie netterweise ihre Hilfe angeboten.“

Paul wollte seinen Ohren nicht trauen. Wie kann Ethan die Gefahren, denen unsere Familie ausgesetzt ist, einfach ignorieren? Und was diese Lia betrifft. Ist er wirklich so naiv? Nun, er wollte seinen Bruder nicht unnötig reizen. Also sagte er: „Sie mag ja nett sein. Aber warum läuft sie herum wie … wie…“

„Wie eine Walt-Disney-Prinzessin?“, schlug Ethan lächelnd vor. „Wie Rapunzel? Die mit dem langen Haar?“

„Ah …“ Das mochte eine Erklärung sein. Aber ganz gewiss keine ausreichende. „Du hast mir noch immer nicht verraten, woher du sie kennst. Was weißt du über sie?“

Es war typisch für Paul, dass er Menschen, die er zum ersten Mal traf, mit detektivischer Genauigkeit überprüfte. Denn leider neigte er dazu, zunächst einmal das Schlechteste von ihnen zu erwarten. Dieses Verhalten rechtfertigte er damit, dass er seine Familie schützen müsse.

Das wiederum gefiel Ethan überhaupt nicht. „Kannst du nicht ein einziges Mal aufhören, dich wie ein Polizist zu benehmen?“, klagte er.

Wütend schaute Paul ihn an. Grady und Ethan hatten versucht, ihn davon abzuhalten, nach dem College für die Polizei von Charleston zu arbeiten. Und sie hatten es auch nicht gutgeheißen, dass er später sein eigenes Unternehmen für Datensicherheit gegründet hatte.

„Was bezweckt sie damit, sich um Grady zu kümmern?“

„Bezweckt? Paul, wirklich! Sie ist keine Trickbetrügerin oder so. Sie möchte ihm helfen. Das ist alles.“

Unsinn, niemand verhielt sich so uneigennützig! Wie konnte Ethan nur so blind sein? „Was weißt du sonst noch über sie?“, drängte Paul.

„Sie ist eine gute Zuhörerin. Ich mag sie sehr.“

„So sehr, dass du ihr alles über Grady und unsere Familie erzählt hast?“

„Ich wüsste nicht, welche Geheimnisse ich hätte verraten können. Jeder in Charleston weiß über unsere Familie Bescheid.“

Das stimmte wohl. Dennoch war es unverzeihlich, dass Ethan eine Fremde mit dem im Sterben liegenden Grady allein gelassen hatte.

„Es tut Grady gut“, fuhr Ethan fort, „Besuch von einer netten jungen Frau mit einer wundervollen Singstimme zu bekommen.“ Er wirkte plötzlich traurig. „Wie schade, dass du immer alles so negativ sehen musst.“

Paul starrte ihn fassungslos an. Er war vorsichtig, ja. Aber das hieß doch nicht, dass er ein Pessimist und Schwarzseher war! Es war lediglich vernünftig, ein paar Informationen über Fremde einzuholen, ehe man ihnen Vertrauen schenkte. Doch offenbar sah sein Bruder das anders. „Kannst du mir wenigstens erklären, warum sie in dieser absurden Verkleidung herumläuft?“

„Das gehört zu ihrem Leben.“

„Du meinst, es hat mit ihrem Beruf zu tun?“

„Nein.“ In Ethans Blick lag ein Hauch von Triumph. „Sie verkleidet sich, um kranken Kindern eine Freude zu machen. Sie hat, ehe sie zu Grady kam, die Kinderstation besucht.“

Sie scheint wirklich gutherzig zu sein. „Du hast sie hier im Krankenhaus kennengelernt?“

„Nein.“ Ethan schüttelte den Kopf. „Ich bin ihr Klient.“

„Ihr Klient?“ Paul runzelte die Stirn. Es bedrückte ihn, dass sein Bruder und er sich so fremd geworden waren. Solange sie Kinder waren, hatten sie sich einander sehr nahe gefühlt, obwohl sie sich charakterlich überhaupt nicht ähnelten. Paul hatte sich von jeher für alles Technische interessiert und beschäftigte sich am liebsten allein. Ethan hingegen suchte die Gesellschaft anderer Menschen und liebte es, sich sportlich zu betätigen. Beide Brüder hatten gute Schul- und College-Abschlüsse erreicht. Aber nur Ethan war, wie von der Familie erwartet, in das Schifffahrts-Unternehmen eingetreten.

„Du kannst mir ruhig alles erzählen, was du über Lia weißt“, sagte Paul, der versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken. „Ich finde es nämlich sowieso heraus.“

Ophelia – Lia – Marsh spürte, wie ihr Herz raste, als sie den Krankenhausflur entlang zum Aufzug floh. Die unerfreuliche Begegnung mit Ethans Bruder hatte sie erschüttert. Ethan hatte sie vor Pauls misstrauischer Natur gewarnt. Allerdings hatte er verschwiegen, wie charismatisch Paul war. Das Treffen mit ihm hatte Lia bis ins Innerste aufgewühlt.

Sie stieß einen Seufzer aus. Was war nur mit ihr los? Im Allgemeinen nahm sie das Leben leicht. Sie genoss all das Schöne, das es zu bieten hatte, und meditierte, um das weniger Schöne zu verarbeiten. Manchmal halfen auch ein paar homöopathische Globuli dabei, Enttäuschungen zu überwinden.

Ihren Klienten empfahl sie stets das, was ihr selbst half. Natürlich traf sie hin und wieder auf Menschen, die jede Form von Esoterik ablehnten und nichts weiter akzeptierten als eine gute medizinische Massage. Zunächst hatte Lia angenommen, auch der reiche Geschäftsmann Ethan Watts gehöre zu dieser Gruppe. Doch zu ihrem Erstaunen war er offen gewesen für alles Spirituelle.

Schade, dass sein Bruder so ganz anders war! Offenbar ließ er sich von Vorurteilen leiten. Deshalb hat er, als er mich im Krankenzimmer seines Großvaters sah, vollkommen falsche Schlüsse gezogen. Er hatte sie ungerecht behandelt. Und doch fühlte sie sich irgendwie zu ihm hingezogen. Verdammt!

Das Durcheinander, das in ihrem Inneren herrschte, bedrückte Lia so sehr, dass es ihr unmöglich war, wieder in die Rolle von Rapunzel zu schlüpfen. Statt also zurückzukehren auf die Kinderstation, holte sie ihre Tasche aus dem Aufenthaltsraum des Personals. In den letzten Wochen hatte sie mit den Krankenschwestern Freundschaft geschlossen. Alle freuten sich, dass Lia angeboten hatte, die kranken Kinder von ihren Leiden abzulenken, indem sie als Märchenfigur verkleidet zu Besuch kam.

Mit ihrer Tasche ging Lia zurück zum Aufzug. Sie achtete nicht auf die neugierigen Blicke, mit denen man sie musterte. Zu sehr war sie in ihren Erinnerungen an das beunruhigende Treffen mit Paul Watts gefangen. Seine grünen Augen faszinierten sie und hatten sie im ersten Moment an einen stillen Wald erinnert. Doch der Eindruck täuschte. Paul kannte – wie Ethan ihr vor einiger Zeit erzählt hatte – keinen inneren Frieden. Er wurde getrieben von dem Wunsch, Geheimnisse aufzudecken und Verbrecher zu überführen. Er war Lia nicht im Geringsten sympathisch. Und doch hatte er etwas an sich, das ihr Herz schneller schlagen ließ.

Seit sie achtzehn war, lebte Lia allein. Sie besaß einen kleinen Wohnwagen, mit dem sie durchs Land reiste. Ständig begegnete sie neuen Menschen. Im Allgemeinen spürte sie sehr schnell, wer ihr freundlich gesinnt war und wer nicht. Sie hielt sich für eine gute Menschenkennerin. In ihren Augen war Paul dickköpfig, uneinsichtig, mitleidlos und ein Schwarzseher. Ganz und gar nicht ihr Typ! Warum also beherrschte er all ihre Gedanken?

Lia hatte gerade den Hausschlüssel aus der Tasche genommen, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Sie fuhr herum.

„Es war nicht leicht, Sie zu finden“, sagte Paul.

„Aber Sie haben es geschafft.“ Lia wollte sich ihr Erschrecken nicht anmerken lassen. Von ihrer Mutter hatte sie gelernt, dass es wichtig war, die eigene Privatsphäre zu schützen. Doch Paul hatte ihre Adresse in der kurzen Zeit herausgefunden, die sie für den Heimweg vom Krankenhaus benötigte. Sie wünschte, sie hätte seine Aufmerksamkeit nicht auf sich gezogen. Für die Kinder in der Klinik war sie eine Prinzessin, die mit ihnen sang und ihnen Geschichten erzählte. Und ihre Klienten interessierten sich im Allgemeinen nur dafür, dass Lia als Masseurin geschickte Hände hatte und ihnen den einen oder anderen hilfreichen Rat geben konnte.

„Ist mit Grady alles in Ordnung?“, vergewisserte sie sich.

„Es geht ihm nicht schlechter als vor Ihrem Besuch.“

„Er ist robust, sagt Ethan, und könnte wieder gesund werden.“

„Das könnte er, wenn er sich nicht aufgegeben hätte.“

Lia nickte nachdenklich. „Grady sucht schon seit Längerem nach seiner Enkelin, nicht wahr? Wenn Sie die junge Frau fänden, könnte ihm das neue Kraft geben.“

Paul runzelte die Stirn. „Das geht Sie nichts an. Ich bestehe darauf, dass Sie sich von Grady fernhalten.“

„Aber …“

„Sie werden ihn nicht mehr besuchen.“

Sie seufzte und nickte. „Verstehe.“ Immerhin hatte Paul nicht verlangt, dass sie den Kontakt zu Ethan abbrach.

Lia wandte sich wieder der Haustür zu. Für sie war das Gespräch beendet.

Doch ehe sie ins Haus treten konnte, sage Paul: „Interessiert es Sie gar nicht, wie ich Sie gefunden habe?“ Er war stolz auf seinen Erfolg, denn bisher war er nicht oft auf Menschen gestoßen, die so wenige Spuren im Internet hinterlassen hatten wie Ophelia Marsh.

Ein Schauer überlief Lia, als sie über die Schulter zurücksah. Tatsächlich hätte sie nicht zu sagen gewusst, ob es ein angenehmer oder ein beunruhigender Schauer war. Auf jeden Fall fühlte sie sich in diesem Moment sehr lebendig. Es war wirklich seltsam, welche Wirkung dieser Mann auf sie hatte. Er strahlte Misstrauen, Überheblichkeit und Machtbewusstsein aus. Doch er täuschte sich, wenn er sie für wehrlos hielt. Sie hatte seiner Arroganz durchaus etwas entgegenzusetzen.

Sie drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Seine Härte würde sie mit einem kleinen Flirt aufweichen. Das war zwar gefährlich, aber auch erstaunlich reizvoll. „Eigentlich“, sagte sie noch immer lächelnd, „interessiert es mich viel mehr, warum Sie mich überhaupt finden wollten.“

2. KAPITEL

Die Umgebung – Häuser, Pflanzen und Straßen – schien zu verblassen, als Paul Lia anschaute. Ihr Lächeln hatte nichts von einer sexuellen Einladung an sich, dennoch übte es auf ihn eine enorme erotische Anziehung aus. Der Wunsch, sich nach vorn zu beugen und seine Lippen auf Lias zu pressen, wurde beinahe übermächtig.

Es war frustrierend! Unerträglich! Diese Frau bedeutete Ärger!

Was, zum Teufel, hatte sie vor? Ging es ihr um Geld? Ja, sehr wahrscheinlich. Ob sie Ethan durch Zufall kennengelernt oder das erste Treffen mit ihm bewusst herbeigeführt hatte, ließ sich im Moment nicht sagen. Doch zweifellos hatte sie Gradys Krankheit ausgenutzt, um sich Ethans Vertrauen zu erschleichen. Gut vorstellbar, dass sie Ethan dazu bringen wollte, ihr Geld zu geben. Vielleicht, um Schulden abzuzahlen oder um in ein obskures Projekt zu investieren.

„Ophelia Marsh, geboren am ersten März …“, begann Paul mit einer Aufzählung der recherchierten Daten, um sich von seinen unpassenden und unerwünschten Gefühlen abzulenken.

Lias Lachen unterbrach ihn. „Am achtundzwanzigsten Februar setzten bei meiner Mutter die Wehen ein. Da es ein Schaltjahr war, glaubten alle, ich würde am neunundzwanzigsten zur Welt kommen. Doch offenbar war ich dagegen, nur alle vier Jahre Geburtstag zu feiern. Ich ließ mir Zeit.“

Paul räusperte sich. „… geboren am ersten März in Occidental, Kalifornien …“

Erneut unterbrach sie ihn. „Fische.“

„Wie bitte?“

„Fische. Sie kennen doch das Sternzeichen? Meist wird es durch zwei in verschiedene Richtungen schwimmende Fische dargestellt. Sie sind Steinbock, nicht wahr?“

„Horoskope sind purer Unsinn!“ Trotzdem fragte er: „Ich bin also Steinbock? Woran erkennen Sie das?“

„Sie hatten kürzlich Geburtstag.“

Ihre Worte schockierten ihn. Wie hatte Lia herausfinden können, wann er geboren war? Als Sicherheitsexperte achtete er darauf, Informationen über sein Privatleben zu schützen. In seinem Kopf schrillten die Alarmglocken. „Woher wissen Sie das?“

„Ethan erwähnte es.“

„Warum?“ Die Frage war eher ans Universum gerichtet als an Lia.

„Warum nicht? Er spricht gern über seine Familie. Und mir hilft es, mir all seine Verwandten vorzustellen, wenn ich ihre Sternzeichen kenne. Sie sind Steinbock. Ihre Mutter ist Waage, sie tut alles, um den Familienfrieden zu bewahren. Ihr Vater ist Schütze. Das bedeutet, dass er oft unerfüllbaren Träumen nachjagt. Ethan ist Stier. Dickköpfig, verlässlich, erdverbunden und mit einer sinnlichen Seite, die sich bei ihm in der Liebe zu gutem Essen zeigt.“

Diese kurze Zusammenfassung seiner Verwandten und ihrer Eigenschaften vergrößerte Pauls Misstrauen noch einmal deutlich. Lia hatte Nachforschungen über seine Familie angestellt, und das gewiss aus niederen Beweggründen. Was plante sie? Nun, er würde schon dahinterkommen!

„Sie bleiben nie lange an einem Ort“, stellte er fest. „New York, Vermont, Massachusetts und nun South Carolina. Das ist eine Menge Abwechslung in nur zwölf Monaten.“ Wer ständig den Aufenthaltsort wechselte, war oft ein Trickbetrüger, ein Dieb oder ein Scheckfälscher. Bestimmt wies Lias unstetes Leben darauf hin, dass sie finstere Ziele verfolgte. Daran änderten auch ihr nettes Aussehen und ihr scheinbar hilfsbereites Wesen nichts. Aus Erfahrung wusste Paul, dass Menschen, selbst wenn sie vertrauenerweckend wirkten, durchaus gefährlich sein konnten.

„Ich bin eine Nomadin“, erklärte Lia. „Ich bin sozusagen auf den Straßen dieses Landes aufgewachsen.“ Sie beobachtete Pauls Reaktion auf ihre Worte und musste schmunzeln. „Ich wurde in einem kleinen Campingbus geboren, und schon im ersten Lebensjahr legte ich darin circa fünftausend Meilen zurück, da meine Mutter nirgendwo Wurzeln schlagen wollte.“

Paul, der zu einer Familie gehörte, die seit mehreren Generationen in Charleston wohnte, fiel es schwer, sich so ein Leben vorzustellen. „War Ihre Mutter auf der Flucht? Womöglich vor Ihrem Vater?“

„Nein.“ Lia zuckte die Schultern. „Sie war lediglich rastlos.“

„Und Sie haben diese Rastlosigkeit geerbt?“

„Vermutlich. Ich halte es allerdings viel länger an einem Ort aus als Mama.“

Gern hätte Paul noch die eine oder andere Frage über ihren familiären Hintergrund gestellt. Doch er entschied sich dagegen. Wichtig war im Moment nur, dass er herausfand, ob sie eine ernst zu nehmende Gefahr für ihn und seine Angehörigen darstellte. „Wie haben Sie Ethan kennengelernt?“

„Er kam vor etwa zwei Monaten als Klient zu mir.“

Das hatte auch Ethan behauptet. Dennoch fragte Paul: „Als Klient? Sie sind doch keine Anwältin!“

„Ich arbeite für Springside Wellness.“

Das entsprach dem, was Pauls Recherche ergeben hatte. Springside Wellness war ein Yogastudio, in dem auch Heilpraktiker und Masseure angestellt waren. Dennoch blieb Paul misstrauisch. Er konnte sich seinen Bruder weder beim Yoga noch bei einer Reflexzonen-Massage oder etwas Ähnlichem vorstellen. „Was wollte Ethan denn?“, erkundigte er sich.

„Massagen gegen seine durch Überlastung hervorgerufenen Verspannungen. Ich behandele ihn einmal pro Woche. Meiner Meinung nach sollte er öfter kommen. Er hat eine Menge Stress.“

„Das stimmt“, gab Paul überrascht zu. Es gab tatsächlich einiges, was Ethan belastete. Massagen mochten hilfreich sein. Allerdings … Paul runzelte die Stirn. Die Vorstellung, dass Lia seinen Bruder massierte, gefiel ihm nicht.

„Es wird höchste Zeit, mich umzukleiden“, stellte Lia fest. „In einer Stunde werde ich an meinem Arbeitsplatz erwartet. Es war nett, Sie kennenzulernen, Paul.“

Ganz bewusst antwortete er darauf nicht mit einer ähnlich freundlichen Bemerkung, sondern wiederholte: „Halten Sie sich von meinem Großvater fern!“

„Ja.“ Sie öffnete die Tür und verschwand im Inneren des Hauses.

Allein blieb Paul auf dem Bürgersteig zurück. Er fühlte sich seltsam. Schließlich schickte er Ethan eine Nachricht, in der er ihn aufforderte, Lia nicht zu Grady zu lassen. Dann stieg er ins Auto und fuhr zum Flughafen. Er musste sich beeilen, wenn er seinen Flug nicht verpassen wollte.

In der Abflughalle angekommen sah er, dass Ethan geantwortet hatte. Es war eine kurze und nicht besonders verständnisvolle Nachricht, die Paul zornig und traurig zugleich machte. Er wünschte sich so sehr die alten brüderlichen Gefühle zurück. Stattdessen schien die Kluft zwischen ihnen immer größer zu werden.

Ethan hatte seinem Bruder nachgeschaut, als der zum Krankenhausaufzug ging. Es amüsierte ihn ein wenig, dass Lia Paul in ihrem Rapunzel-Kostüm so verwirrt hatte. Leider wusste er nur zu gut, was Paul als Nächstes tun würde: Er würde im Internet nach all jenen Spuren suchen, die Lia dort hinterlassen hatte. Vermutlich verstand er einfach nicht, wie wichtig es war, etwas zu tun, um Gradys Genesung zu unterstützen. Paul hatte sich schon immer lieber mit Technik als mit Menschen beschäftigt.

Damals, als er sich entschied, zur Polizei zu gehen, hatte er sich davor gedrückt, sich mit Gradys Enttäuschung auseinanderzusetzen. Auch dass es für Ethan – der wusste, dass er nur zweite Wahl war – nicht leicht sein würde, Verantwortung und einen führenden Posten bei Watts Shipping zu übernehmen, hatte ihn nicht gekümmert.

Zwar hatte Ethan nie daran gezweifelt, dass er der Richtige für diese Position war. Aber er wäre gern aufgrund seiner Fähigkeiten für die schwierige Aufgabe ausgewählt worden und nicht, weil Paul sich weigerte, in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten. Erschwerend kam hinzu, dass Ethan ein Adoptivkind war. In einer Stadt wie Charleston, in der die Mitglieder der sogenannten guten Gesellschaft großen Wert auf einen vornehmen Stammbaum legten, hatte Ethan keinen leichten Stand. Oft quälte es ihn, dass er nicht wusste, wer seine Eltern waren.

Die Familie Watts hatte ihm nie das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören. Dennoch spürte er, dass er mit seinem dunklen Haar und den braunen Augen nicht wirklich zu seinen blonden, blauäugigen Verwandten passte. Er kam sich vor wie ein Gänserich unter Schwänen.

Bis er Lia kennenlernte, hatte er nie mit irgendwem darüber gesprochen. Ihr aber vertraute er einen Teil seines Kummers an. Sie war eine gute und verständnisvolle Zuhörerin. Und sie hatte keine Vorurteile. Sicher, sie war ein wenig seltsam. Ethan allerdings fand ihr exzentrisches Verhalten bezaubernd. Dass Paul das anders sehen würde, war ihm klar gewesen.

Als Ethan wieder in Gradys Krankenzimmer trat, hatte der Patient die Augen geöffnet. Grady wirkte bekümmert, vielleicht weil er gehört hatte, wie seine Enkel stritten. Früher hatte er alle Probleme offen angesprochen. Doch seit dem Schlaganfall hatte sich so manches verändert …

„Es tut mir leid, dass Paul darauf bestanden hat, Lia fortzuschicken“, sagte Ethan.

Eine Antwort erwartete er nicht. Grady konnte schließlich seit dem Schlaganfall nicht sprechen.

Dennoch versuchte er es. Seine Lippen bewegten sich, aber aus seinem Mund kamen nur unverständliche Laute.

„Paul macht sich Sorgen um dich. Und du weißt ja, dass er keine Fremden mag“, sagte Ethan. „Hat dir Lias Rapunzel-Kostüm gefallen? Die kleinen Patienten auf der Kinderstation jedenfalls lieben es!“

Gradys Lippen bewegten sich erneut. Und plötzlich sang der Patriarch ein einzelnes Wort. „Ava …“

Fassungslos starrte Ethan ihn an. Der Name war gut zu verstehen gewesen. Ava. So hieß Gradys Tochter. Hatte der alte Herr Lia mit Ava verwechselt? Ava war schon seit einigen Jahren tot, und sie hatte keine Ähnlichkeit mit Lia gehabt. Wie alle in der Familie war sie blond gewesen. Lia hingegen hatte dunkles Haar. Allerdings … War sie jemals bei Grady gewesen, ohne ihre Prinzessinnen-Verkleidung und die blonde Perücke zu tragen? Hatte der Schlaganfall Gradys Gedächtnis womöglich so geschädigt, dass er Avas Tod vergessen hatte?

Ethan beschloss, seinen Großvater vorsichtig auf die Tatsachen hinzuweisen. Ava war mit achtzehn von zu Hause ausgerissen und hatte nie wieder Kontakt zu ihrer Familie aufgenommen. Erst Jahre später hatten sie erfahren, dass Ava vor ihrem Tod eine Tochter zur Welt gebracht und zur Adoption freigegeben hatte.

„Ava … Baby“, sang Grady.

Ethan begriff, dass er seinen Großvater nicht auf Avas Tod hinweisen musste. „Du glaubst, Lia ist Avas Tochter?“

Grady nickte.

Autor

Cat Schield
<p>Cat Schield lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, zwei Birma-Katzen und einem Dobermann in Minnesota, USA und ist die Gewinnerin des Romance Writers of America 2010 Golden Heart® für romantische Serienromane. Wenn sie nicht gerade neue romantisch-heiße Geschichten schreibt, trifft sie sie sich mit ihren Freunden um auf dem St. Croix...
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