Liebe - bei Tag und bei Nacht

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"Hallo Lea!" Michaels erotische Stimme lässt Lea erschauern. Doch warum kommt ihr mitternächtlicher Lover plötzlich am helllichten Tag vorbei? Will er Sex? Oder will er ihre Affäre beenden, weil er schließlich hinter ihr wohlbehütetes Geheimnis gekommen ist ....


  • Erscheinungstag 19.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765965
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

4. Juli

Savannah, Georgia

Sicherheitsberater Michael Whittaker beobachtete das Geschehen mit Adleraugen. Die Fundraising-Party war in vollem Gange, und er hatte den Auftrag, Abraham Danforth zu beschützen, den fünfundfünfzigjährigen Witwer, der für das Amt des Senators kandidierte.

Michael, der im Armeleuteviertel aufgewachsen war, hatte es bis an die Spitze geschafft. Seine prominenten Auftraggeber vertrauten ihm und respektierten ihn.

Im Gegenzug setzte er für sie sein Leben aufs Spiel. Aber das machte ihm nichts aus. Das war sein Job; er hatte diesen Beruf gewählt.

Zusammen mit sorgfältig ausgewählten Mitgliedern seines Sicherheitsteams agierte Michael seit Monaten als Danforths persönlicher Bodyguard. Seit eine Stalkerin den Mann bedrohte, deren Identität noch unbekannt war.

Michael hielt sich in Danforths Nähe auf und beobachtete das Geschehen im Ballsaal des Twin Oaks Hotels. Eine zierliche Brünette erregte seine Aufmerksamkeit. Sie war spät gekommen und für sich geblieben. Soweit er beurteilen konnte, hatte sie bisher mit keinem Menschen gesprochen.

Warum? Was hatte sie vor? Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, und das nervte Michael. Normalerweise konnte er in den Mienen der Menschen lesen. Er besaß einen sechsten Sinn, ein Bauchgefühl, das ihn befähigte, weit mehr als das Offensichtliche zu sehen.

Aber alles an dieser Frau verwirrte ihn: die Farbe ihres Teints, die glatten dunklen Haare, die im Nacken zu einem eleganten Knoten gesteckt waren, ihre exotischen Augen.

Selbst ihre Kleidung, ein blaues Seidenkleid, das bis zu ihren Knöcheln reichte, stellte ihn vor ein Rätsel. Die Farbe war auffallend, so lebhaft wie ein kobaltblauer Himmel. Ihr stilles, zurückhaltendes Benehmen ließ aber eher darauf schließen, dass sie nicht auffallen wollte.

Sie drehte sich um und begegnete seinem Blick. Und für einen Moment, für den Bruchteil einer Sekunde, sahen sie sich an.

In ihren Augen blitzte auf, was sie zu verbergen versucht hatte: Kummer. Schnell senkte sie den Blick, doch es war schon passiert. Plötzlich wollte Michael sie beschützen, sie halten, sie …

Was? Küssen?

Verdammt noch mal!

Er verfluchte seine Hormone, den unwillkommenen Anstieg des Testosterons. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für einen heißen Flirt mit einer Frau.

Die einzige Frau, die seine Gedanken beschäftigen sollte, war die Unbekannte, die Danforth verfolgte, und die Lady in Blau, diese zierliche Brünette, entsprach nicht der Beschreibung von der Stalkerin.

Danforth entschuldigte sich bei den Gästen, mit denen er gerade gesprochen hatte, und gab Michael ein Zeichen. Offensichtlich brauchte er eine kleine Pause. Wie ein Schatten folgte Michael seiner Schutzperson nach draußen.

Abgesehen von einer Blondine, die auf einer verschnörkelten Bank saß, befand sich niemand auf der Terrasse. Obwohl sie in einer dunklen Ecke saß, erkannte Michael Heather Burroughs – eine höfliche, eher schüchterne junge Frau, die für Toby Danforth arbeitete, einen attraktiven Neffen des Politikers. Der alleinerziehende Vater hatte sie als Nanny für seinen Sohn engagiert.

Michael wusste, dass Heather für den Danforth Clan keine Bedrohung darstellte. Er hatte alle Angestellten der Familie überprüft, auch die neue Nanny.

Ihren Wunsch nach Ungestörtheit respektierend, drehte er sich weg und konzentrierte sich stattdessen auf sein Umfeld. Es war eine laue Sommernacht, und am Abendhimmel funkelten die Sterne.

Kurz zuvor hatte ein gigantisches Feuerwerk den Nachthimmel erleuchtet, und auf der Hauptterrasse, dem Rasen und auch hier hatten sich die Gäste getummelt. Jetzt war es ruhig.

Danforth lehnte an einer Wand, Michael hielt sich im Hintergrund. Und dann sah er sie. Die Brünette, die er küssen wollte. Die geheimnisvolle Lady in Blau.

War sie seinetwegen hier oder wegen des Mannes, den er beschützte? Warum war sie ihnen nach draußen gefolgt?

Danforth richtete sich auf, und Michael bemerkte, dass die Brünette und sein Schützling sich anstarrten. Kannte Danforth die Frau? War sie jemand, über die Michael hätte informiert werden müssen? Oder hatte sie diese lähmende Wirkung auf jeden Mann, der ihr tief in die Augen blickte?

Der Politiker erwachte aus seinem Trancezustand. „Entschuldigen Sie“, sagte er zu der Frau. „Ich will nicht unhöflich sein, aber Sie erinnern mich an jemanden, den ich einmal kannte.“

Die Brünette blinzelte, und Michael vermutete, dass Danforths Bemerkung nicht das war, was sie zu hören erwartet hatte.

Was zum Teufel ging hier vor?

„War ihr Name zufällig Lan Nguyen?“, fragte sie schließlich.

„Ja, so hieß sie“, erwiderte der ältere Mann und zog verblüfft eine Augenbraue hoch. „Woher wissen Sie das?“

„Weil ich ihre Tochter bin. Lea. Und auch Ihre Tochter, Mr Danforth. Das Kind, das Sie in Vietnam zurückgelassen haben.“

Gütiger Himmel.

Danforth, einem früheren Navy SEAL, schien es die Sprache verschlagen zu haben.

Besorgt über eine mögliche Sicherheitslücke, bewegte Michael sich vor und blickte in Heathers Richtung. Er gab ihr ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Sie begegnete seinem Blick und nickte.

Er nahm ihre Zustimmung zur Kenntnis, dann kontaktierte er seinen zweiten Mann und wies sein Team an, niemanden auf die Terrasse zu lassen.

Heather war aller Voraussicht nach kein Risiko, doch Danforth konnte absolut keinen geschwätzigen Partybesucher gebrauchen, der in diese Unterhaltung geplatzt kam. Oder noch schlimmer, einen Reporter.

Der Vietnamveteran hatte nicht geleugnet, dass diese exotische Mischlingsschönheit seine Tochter sein könnte. Was bedeutete das? Dass die Behauptung stimmte?

„Lan … hat überlebt?“ Danforth räusperte sich, die Stimme brach ihm. „Sie hat den Angriff auf ihr Dorf überlebt? Ich dachte, sie wäre tot. Ich …“

„Meine Mutter ist jetzt tot“, unterbrach Lea, und dann schwankte sie.

Michael, der fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden, trat aus dem Nichts und fing sie auf. „Nicht ohnmächtig werden.“

„Bringen Sie sie nach Hause, Michael.“ Die Bitte kam von Danforth, der ernsthaft besorgt schien. „Bleiben Sie bei ihr, bis Sie von mir hören. Bis wir uns Klarheit verschafft haben.“

Zu Lea sagte er: „Sie können ihm vertrauen.“

Weder sie noch Michael widersprachen.

Danforth gelang es ausgezeichnet, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Unter den wachsamen Augen des Sicherheitsteams kehrte er auf die Party zurück, während Michael an der Seite der zitternden Lea blieb. Er sprach noch kurz mit Heather, die feierlich schwor, ihren Mund zu halten. Er dankte ihr, dann begleitete er Lea zu einem unauffälligen Ausgang.

Kaum saßen sie in der Limousine, flossen ihre Tränen. Ohne nachzudenken, nahm er ihre Hand und versuchte sie zu beruhigen. Ohne Erfolg. Er fuhr los, und als sie endlich in ihrer Wohnung waren, schluchzte sie herzzerreißend. Michael schloss sie in seine Arme und drückte sie an sein Herz.

„Ich habe es mir anders vorgestellt“, flüsterte sie gegen sein Hemd und verschmierte den weißen Stoff mit ihrer Wimperntusche. „Ich dachte, meinem Vater zu sagen …“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

Sie wirkte so klein, so zerbrechlich. Michael wusste nicht viel über die Nachkriegskinder, die als amerikanisch-asiatische Mischlinge in Vietnam aufgewachsen waren, doch er selbst war fast sein ganzes Leben lang Mischling genannt worden, und der negative Beigeschmack, den die Bezeichnung hatte, verursachte ihm jetzt noch Bauchschmerzen.

Sie hörte auf zu weinen, doch er ließ sie nicht los. Fast eine Stunde lang wiegte er sie in seinen Armen und tröstete sie.

Dann änderte sich etwas, und sie wurden sich ihrer Körper bewusst, merkten, wie seine Männlichkeit gegen ihren Bauch drückte. Zwei Fremde in einer intimen Umarmung.

Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. „Ich habe dich wahrgenommen“, sagte sie.

Er wusste, dass sie von der Fundraising-Party sprach, von dem kurzen Moment, als sie den Kummer in ihrer Seele gezeigt hatte.

Er trocknete ihre feuchten Wangen und war versucht, sie zu küssen und die salzigen Tränen zu schmecken. Er wollte ihren Kummer aufsaugen und in Freude verwandeln. „Ich dich auch.“

„So wie jetzt?“

„Ja.“ Er hatte sie auf der Party küssen wollen, und er wollte sie auch jetzt küssen. Das Verlangen war größer, als Worte beschreiben konnten.

1. KAPITEL

Es war Samstagnachmittag. Lea öffnete die Tür und starrte den Mann an, der davor stand.

Michael besuchte sie sonst nie um diese Uhrzeit. Er kam nur abends, nicht tagsüber, wenn die Sonne Savannah in gleißendes Licht tauchte.

Er sah unglaublich aus mit seinen dunklen Haaren und den dunklen Augen, dem energischen Kinn und hohen Wangenknochen. Die Hemdsärmel hatte er lässig hochgekrempelt, seine Hose war perfekt gebügelt. Michael Whittaker, der Geschäftsführer von Whittaker and Associates, strahlte einen widersprüchlichen Charme aus: ruppig und doch geschliffen, bis hin zu der gedehnten Sprechweise der Südstaatler.

Eine Stimme, die einen Schauer über ihren Rücken schickte.

Nervös glättete sie ihre Bluse und fragte sich, was ihn veranlasst hatte, sie jetzt zu besuchen. Wollte er Sex? Würde er sie ins Schlafzimmer tragen? Würde er sie mit seinen erfahrenen Händen verwöhnen?

„Hallo“, sagte er.

„Hallo.“ Sie blickte an ihm vorbei und sah einen glänzenden schwarzen Mercedes. War das sein Wagen?

Seit einem Monat schlief Lea mit Michael, und trotzdem wusste sie nicht, was für einen Wagen er fuhr. Irgendwie fühlte sie sich deswegen billig, wie ein Animiermädchen in Vietnam.

Würde er sie aus seinem Gedächtnis streichen, wenn ihre heimliche Affäre vorbei war? Vergessen, dass sie existierte?

Sie sah von dem Wagen zu dem Mann und spielte mit dem Gedanken, ihn zu berühren und die Haare zurückzustreichen, die ihm in die Stirn gefallen waren. Das Sonnenlicht ließ die dunklen Strähnen kastanienbraun schimmern, etwas, das sie bisher nicht bemerkt hatte.

Wie sollte sie auch? Dies war das erste Mal, dass sie ihn in der Sonne stehen sah.

„Willst du mich nicht ins Haus bitten?“, fragte er.

Sie blinzelte und nickte. Er war kein Vampir, auch wenn er bisher immer nur nachts erschienen war. Er war ihre mitternächtliche Fantasie, ihr verbotener Lover, der große, dunkle Schatten, der ihr den Atem raubte.

Am Abend der Fundraising-Party waren Michael und sie im Bett gelandet, hatten sich berührt und geküsst und leidenschaftlich geliebt. Zu ihrer Überraschung war er am nächsten Abend wiedergekommen, und auch am übernächsten, bis schließlich ein Monat voller wilder, aufregender Nächte verstrichen war.

Und jetzt stand er im hellen Tageslicht vor ihr …

„Lea?“

„Was? Ach, ja.“ Sie trat zurück, als ihr bewusst wurde, dass sie den Eingang blockierte.

Er trat in die Mitte ihres Wohnzimmers, die Hände in den Hosentaschen. Sie konnte seine Körpersprache nicht lesen. Michael war nicht der Typ Mann, der für eine Frau leicht auszumachen war.

Sollte sie ihm einen Drink anbieten? Lea wusste wirklich nicht, wie sie auf seine Anwesenheit reagieren sollte. Wenn er nachts kam, dann spielte sich alles ab wie ein sündiger Traum. Sie öffnete die Tür, und er übernahm die Führung. Ohne Worte und ohne Vortäuschung falscher Tatsachen entführte er sie in das Reich der Sinne.

Manchmal trug er sie ins Schlafzimmer. Manchmal riss er ihr aber auch schon dort die Kleidung vom Körper, wo sie gerade stand, und ging vor ihr auf die Knie.

„Lea?“ Er wiederholte ihren Namen, und sie bekam heiße Wangen.

Wurde sie rot?

„Alles in Ordnung?“, fragte er mit dieser erotischen Stimme.

„Ja, alles okay.“

„Ich habe das Ergebnis des Vaterschaftstests gesehen.“

Er begegnete ihrem Blick, und ihr Herz überschlug sich. Sie sollte keine Affäre mit dem Bodyguard ihres Vaters haben, mit dem Sicherheitsberater, der eigens engagiert war, um ihn vor der unbekannten Stalkerin zu beschützen. „Dann steht jetzt fest, dass Abraham Danforth mein Vater ist.“

Er neigte den Kopf. „Ja.“

„Bist du deshalb hier? Um mich zu überreden, mit ihm zu sprechen?“ Nach der Fundraising-Party hatte sie dem Vaterschaftstest zugestimmt, auf den Danforths Anwälte bestanden hatten. Allerdings weigerte sie sich, Kontakt mit dem ehemaligen Navy SEAL zu haben, der sich nun tatsächlich als ihr Vater herausgestellt hatte. Warum, durfte sie nicht erklären, vor allem Michael nicht.

„Ich bin nicht wegen Danforth hier.“ Er griff nach der großen Muschel auf dem Glastisch, betrachtete sie und stellte sie zurück. Als Nächstes warf er einen Blick auf die Zeichnungen, die sie sammelte, die Skizzen von Straßenmalern in der River Street. Sie hatte ihr Apartment mit Möbeln eingerichtet, die die hiesige Kultur widerspiegelten, ohne Andenken an ihre Heimat, ohne schmerzliche Erinnerungen an Vietnam.

„Willst du bei mir wohnen, Lea?“

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. „Bei dir wohnen?“

„Für ein paar Wochen. In meinem Haus.“

„Warum?“ war alles, was ihr dazu einfiel. „Warum lädst du mich in dein Haus ein?“

„Damit wir uns besser kennenlernen.“ Er trat etwas näher, berührte sie aber nicht. „Damit wir mehr Zeit miteinander verbringen können.“

Es war ein verlockendes Angebot. Rätselhaft. Aufregend. Aber eins, das sie ablehnen sollte. Sie spielte mit der Spange, die ihr Haar zusammenhielt. „Leider muss ich arbeiten. Ich bin nicht im Urlaub.“

„Ich auch nicht. Aber deshalb könnten wir einige Klubs besuchen, essen gehen, an der Küste entlangspazieren. Freunde werden.“

Sie schwankte. Sie wollte Michaels Respekt und seine Freundschaft. Aber hatte sie sie auch wirklich verdient?

„Was meinst du?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen und zauberte kleine Fältchen um seine Augen.

„Ja“, erwiderte sie schließlich. Sie wollte in seiner Nähe sein. „Ich werde für ein paar Wochen bei dir wohnen.“

„Gut.“ Er lächelte wieder. Dann gab er ihr seine Adresse und bat sie, um fünf Uhr dort zu sein.

Als er sich umdrehte und zur Tür ging, blieb sie wie betäubt stehen.

Sie sah ihn zu seinem schwarzen Mercedes gehen, beobachtete, wie er die Zentralverriegelung mit der Fernbedienung öffnete, sich hinter das Lenkrad setzte und losfuhr.

Jetzt weiß ich zumindest, welchen Wagen er fährt, dachte sie, als sie ihren Kleiderschrank durchwühlte und überlegte, was sie einpacken sollte.

Michael ließ Leas Haus hinter sich und fuhr nach Crofthaven, dem eindrucksvollen Anwesen ihres Vaters.

Er bog in die Toreinfahrt ein und fuhr die Allee mit den prachtvollen, mit Spanischem Moos bewachsenen alten Eichen entlang. Südstaatenschönheit vom Feinsten, dachte er und fluchte in sich hinein.

Er hinterging Lea, und jetzt würde er auch noch Danforth hintergehen.

Aber hatte er eine andere Wahl?

Michael erreichte das Herrenhaus mit den großen, weißen Säulen. Es war ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude aus dem vorherigen Jahrhundert. Crofthaven strahlte Prestige und Charme aus und hatte sogar einen Geist vorzuweisen.

Eine Hausangestellte führte ihn in die elegante Eingangshalle, wo er auf seinen prominenten Auftraggeber wartete.

Einen Moment später kam Abraham Danforth das geschwungene Treppenhaus herunter. Er war neu in der Politik, doch er besaß das Charisma eines Saubermanns. So sehr, dass er in der Presse als Honest Abe II angepriesen wurde, in Anspielung auf Abraham Lincoln.

Danforth beschloss, das Treffen im Garten durchzuführen, einem Ort, der viel Privatsphäre bot. Sie setzten sich auf eine Bank aus Marmor. Um sie herum blühten Sommerblumen. Hinter dem Garten lag eine Pfirsichplantage und verströmte ihren süßen Duft. Doch die friedvolle Umgebung beruhigte weder Michaels Nerven, noch machte sie das Treffen weniger stressig für ihn.

„Wo drückt der Schuh?“, fragte Danforth. Trotz der sommerlichen Temperatur wirkte er kühl und elegant in seiner hellgrauen Hose und dem kurzärmeligen Designerpullover.

Michael ging es nicht ganz so gut. Kleine Schweißperlen liefen ihm über den Rücken. Der heiße Augusttag würde in einer heißen Augustnacht enden. Und heiße Nächte waren seine Obsession geworden. Und sein Verderben.

Wegen Lea.

„Ich muss Ihnen etwas erklären.“ Er fühlte sich wie ein Verräter, als er dem älteren Mann ins Gesicht blickte. Egal, wie sehr er sein Verhalten zu rechtfertigen versuchte, mit Danforths Tochter ins Bett zu gehen, war nicht gentlemanlike. „Lea und ich …“

„Was ist mit Ihnen und Lea?“

„Wir haben …“

„Was haben Sie?“

„Wir haben ein Verhältnis“, erwiderte Michael ehrlich. „Und sie wird für ein paar Wochen bei mir wohnen. Deshalb werde ich meine Arbeitszeiten etwas reduzieren. Mein Sicherheitsteam wird zu Ihrem Schutz da sein, aber ich voraussichtlich nicht.“

Danforth blinzelte gegen die Sonne. „Seit wann?“

„Es ist am ersten Abend passiert. Ich wollte es nicht. Aber wir haben uns zueinander hingezogen gefühlt und …“ Er sprach nicht weiter. Er würde nicht zugeben, dass Lea und ihn nur der Sex verband.

Einen ganzen Monat lang hatten sie kaum miteinander gesprochen, kaum anders kommuniziert als auf rein körperlicher Ebene.

„An jenem ersten Abend?“ Danforth starrte ihn an. „Ich habe Sie gebeten, sie nach Hause zu bringen, und Sie haben mit ihr geschlafen? Ich habe sie Ihnen anvertraut.“

„Ich weiß. Es tut mir leid.“ Er sprach nicht weiter, hielt seine Emotionen in Schach, das Grummeln in seinem Bauch, die Verwirrung, die Lea in ihm auslöste. „Aber sie brauchte mich. Und ich brauchte sie. Manchmal passieren diese Dinge einfach.“

„Ja, Sie haben recht“, antwortete Danforth ruhig.

Michael nickte. Er spürte, dass Danforth das Thema nicht weiter vertiefen würde. Warum sollte er auch? Den Witwer belasteten eigene Schuldgefühle. Er war verheiratet gewesen, als er Sex mit Leas Mutter hatte. Eine Affäre, zu der es wegen einer Kriegsverletzung und der dadurch bedingten Amnesie gekommen war. Eine Affäre war es dennoch gewesen.

Obwohl die Presse noch nicht Wind davon bekommen hatte, wollte Danforth reinen Tisch machen, eine Pressekonferenz anberaumen und Lea der Welt vorstellen. Doch sie wollte nichts mit ihm zu tun haben. „Ich wünschte, es wäre anders gekommen“, sagte Danforth. „Ich wollte Lan nicht im Stich lassen.“

„Ich weiß.“ Aber Leas Mutter ist jetzt tot, dachte Michael. Danforth konnte sich nicht mehr bei ihr entschuldigen.

Als der Politiker in Schweigen verfiel, grübelte Michael über seinen Verdacht nach, dass Lea die Stalkerin sein könnte, die er suchte.

Ja, Lea. Die Frau, die er fast jede Nacht verführte.

Sie entsprach nicht der Beschreibung der Stalkerin, doch vielleicht hatte sie ihr Äußeres verändert. Und sie war Computeranalystin, absolut fähig, Drohmails zu schicken und das Virus zu programmieren, das vor einigen Monaten zum Absturz des Computersystems ihres Vaters geführt hatte.

Doch er wollte über seinen Verdacht noch nicht mit Danforth sprechen. Nicht, solange er die Wahrheit nicht kannte.

Abraham verlagerte sein Gewicht. „Warum gibt Lea mir keine Chance?“

„Ich weiß es nicht. Der Schmerz sitzt zu tief, denke ich.“ Michael konnte nicht für Lea sprechen, und deshalb hatte er sie in sein Haus eingeladen. Er musste Zeit mit ihr verbringen, musste sie besser kennenlernen. Um zu beweisen, so hoffte er zumindest, dass er nicht mit dem Feind schlief.

Michael lebte in einer Privatstraße. Eine Backsteinmauer und ein elektrisches Tor umgaben sein Anwesen.

Lea stoppte an der Sprechanlage und kündigte ihre Ankunft an. Nachdem sie Zugang zum Grundstück bekommen hatte, folgte sie der mit Bäumen gesäumten Einfahrt zu einem beeindruckenden zweigeschossigen Haus.

Sie parkte ihren Wagen. Michael kam in Jeans und T-Shirt aus dem Haus, die Haare wie immer aus dem Gesicht gekämmt. Er war barfuß, und sofort wurde sie an ihre Kindheit erinnert, an den Ort, den sie hinter sich gelassen hatte.

„Ist dein Gepäck im Kofferraum?“, fragte er.

Sie blickte zu ihm auf. Er war fast einen Kopf größer als sie, hatte breite Schultern und einen sehr muskulösen Körper. „Ja.“

„Öffnest du ihn bitte?“

„Natürlich.“ Sie begegnete seinem Blick, doch sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Aber das gelang ihr nie, selbst im Bett nicht.

Michael nahm ihren Koffer. Er war ein leidenschaftlicher Mann, ein fantastischer Liebhaber, aber er war auch kompliziert. Manchmal lächelte er, manchmal war er todernst. Sie vermutete, dass er sein wahres Inneres versteckt hielt. Wie sie selbst auch.

Sie näherten sich der Tür. Lea zögerte.

„Was ist?“, fragte er.

„Nichts.“ Sie senkte den Blick, überlegte, was sie mit ihren Schuhen tun sollte. Er beobachtete sie, verunsicherte sie. Sie beschloss, die Schuhe anzubehalten. Schließlich hatte sie hart an sich gearbeitet, um vietnamesische Angewohnheiten abzulegen und eine amerikanische Frau zu werden. Und Frauen in den Staaten zogen ihre Schuhe nicht aus, wenn sie ein Haus betraten. Daher putzte Lea sie nur gründlich an der Fußmatte ab.

Sie betraten das große Wohnzimmer. Hohe Fenster gaben den Blick frei auf ein sumpfiges Flussgebiet. „Dein Haus ist wunderschön“, sagte sie. Zu den Elementen der Innenarchitektur gehörten eingebaute Eichenschränke, Stuckwände und ein gewaltiges Oberlicht.

„Danke. Es ist mit einem hochmodernen Überwachungssystem ausgestattet und deshalb völlig sicher. Im Außenbereich gibt es Bewegungsmelder. Bei der Planung habe ich an meine Kunden gedacht.“ Er machte eine ausladende Geste. „Manchmal bleiben sie hier, um den Medien aus dem Weg zu gehen. Oder um Zuflucht vor privaten Bedrohungen zu finden.“

„Das ist ja eine richtige Festung.“

„Whittaker and Associates beschützt prominente Kunden.“

„Wie meinen Vater.“

Er nickte, und sie verfielen beide in Schweigen.

Lea blickte auf den Kamin und bemerkte die Korallenstücke im Mauerwerk. Die Möbel waren weiß mit türkisfarbenen Akzenten. Michael hatte keine Kosten gescheut, sein Zuhause zu einer Kulisse zu machen. „Hat mein Vater sich hier jemals aufgehalten?“

„Nein. Crofthaven ist sicher.“

Sie kannte den Namen des Anwesens der Danforths, den Ort, an dem seine anderen Kinder aufgewachsen waren. Lea könnte ihren Halbgeschwistern nie das Wasser reichen. Sie waren in eine angesehene Familie hineingeboren. Lea dagegen war eine my lai, eine Frau amerikanisch-asiatischer Abstammung, geboren am Rand der vietnamesischen Gesellschaft.

„Komm, ich zeige dir dein Zimmer.“ Michael griff nach ihrem Koffer. „Es ist oben, neben meinem Schlafzimmer.“

Sie stiegen die Eichentreppe hinauf, und sie folgte ihm in eine elegante Suite mit Holzböden und einem Himmelbett. Glastüren führten zu einem Balkon mit Blick auf einen Privatanleger.

„Es ist wunderschön.“ Der begehbare Schrank war viel zu groß für ihre wenigen Habseligkeiten. In dem dazugehörigen Badezimmer gab es eine in den Boden eingelassene Badewanne und eine separate Dusche. Lampen umrahmten den Schminkspiegel. „Danke, dass ich hier wohnen darf.“

Würde er später zu ihr kommen? In ihr Zimmer schlüpfen? Über Nacht bleiben? Obwohl sie Liebhaber waren, war sie morgens nie in seinen Armen erwacht. Michael verließ ihr Apartment immer vor Sonnenaufgang. Lea sehnte sich danach, mit ihm zu kuscheln und ihr Liebesspiel noch nachwirken zu lassen, doch sie war nicht mutig genug, um ihm das zu sagen.

Er stellte den Koffer ab. „Komm. Ich zeige dir den Rest des Hauses.“

Sein Schlafzimmer raubte ihr den Atem. Sie wanderte durch die Suite, nahm jedes Möbelstück in sich auf, jedes sorgfältig durchdachte Detail. Auch das Badezimmer mit den zwei Waschbecken und einer Sauna aus Zedernholz war ein Traum.

„Willst du irgendwann heiraten?“, fragte sie.

„Ja, aber ich suche nicht nach einer Frau. Ich hoffe, dass mir die Richtige irgendwann einfach über den Weg läuft.“

Sie versuchte, sich seine Braut in spe vorzustellen. Eine große, schlanke Blondine, dachte sie. Eine Lady, die elegante Kleidung trug und große Feste in diesem außergewöhnlichen Haus gab. „Möchtest du Kinder haben?“

Er nickte. „Und du?“

Sie sah weg und wünschte, sie hätte dieses Thema nicht angeschnitten.

„Lea?“

Autor

Sheri White Feather
Sheri WhiteFeather hat schon viele Berufe ausprobiert: Sie war Verkaufsleiterin, Visagistin und Kunsthandwerkerin. All das gibt ihr für ihre Romances Anregungen, aber am meisten wird sie von ihrem Ehemann inspiriert. Er stammt von den Muskogee-Creek-Indianern ab und ist Silberschmied. Er ist sehr tierlieb, so dass in ihrem Haushalt eine ganze...
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