Auf den ersten Blick

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Liebe auf den ersten Blick? Ein Märchen, glaubt die schöne Chrissie. Aber dann betritt der Antiquitätenhändler Guy Cooke ihr Cottage, und im nächsten Moment liegt sie in seinen Armen. Doch ein dunkles Geheimnis wirft Schatten auf ihr Glück …


  • Erscheinungstag 15.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769666
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Und es macht dir wirklich nichts aus, nach Haslewich zu fahren und alles zu regeln?“

„Nein, Mum, wirklich nicht“, versicherte Chrissie ruhig und tauschte dabei über den Kopf ihrer Mutter hinweg einen bedeutungsvollen Blick mit ihrem Vater.

Es war kein Geheimnis in der kleinen, eng verbundenen Familie, wie sehr Chrissies Mutter Rose unter dem unverantwortlichen Verhalten und der Alkoholsucht ihres jüngeren Bruders Charles litt.

In den früheren Jahren ihrer Ehe hatte sie fest daran geglaubt, dass er sich bessern wollte, und sich sehr bemüht, um ihm zu helfen. Doch acht Jahre zuvor war er des Diebstahls überführt und für einige Zeit ins Gefängnis gesteckt worden. Er hatte aus dem Haus eines Bekannten mehrere kleine Gegenstände entwendet und später verkauft, um von dem Erlös seiner Alkoholsucht zu frönen. Daraufhin hatte Rose erkannt, dass ihm nicht mehr zu helfen war, und sie hatte sich endgültig von ihm gelöst.

Chrissie konnte gut verstehen, warum ihre Mutter sich zu diesem Schritt veranlasst gefühlt hatte.

Ihr Vater war ein angesehener Herzchirurg in einem bekannten Krankenhaus der Kleinstadt an der schottischen Grenze, in der sie lebten, und ihre Mutter gehörte dem lokalen Stadtrat sowie mehreren Wohltätigkeitsvereinen an.

Charles’ negativer Ruf und sein unehrenhaftes Verhalten widersprachen Roses Lebenseinstellung so sehr, dass es ihr sehr schwerfiel, die Situation zu verkraften.

Doch nun war Charles gestorben, und irgendjemand aus der Familie musste nach Cheshire fahren und sich um seinen Nachlass kümmern, der aus einem kleinen Haus im Zentrum von Haslewich bestand. Mehr war nicht übrig geblieben von seinem Anteil an der Farm, die er und Rose von ihren Eltern geerbt hatten. Schließlich hatte Chrissie sich angeboten, die Aufgabe zu übernehmen.

„Wer weiß, in welchem Zustand sich das Haus befindet.“ Rose schüttelte sich. „Als ich es das letzte Mal gesehen habe, war alles dreckig. Man konnte keinen Küchenschrank öffnen, ohne dass eine leere Flasche herausfiel. Ich möchte nur wissen, woher er diese Veranlagung hatte. Bestimmt nicht von unserem Vater. Der war ein freundlicher, gütiger Mensch, genau wie mein Großvater. Aber Charles war schon als Kind tölpelhaft und selbstzerstörerisch. Wir standen uns nie besonders nahe, vielleicht wegen des großen Altersunterschieds.“ Sie seufzte. „Ich fühle mich schuldig, weil ich dich allein nach Haslewich fahren lasse. Aber wir müssen doch an dieser Konferenz in Mexiko teilnehmen, und anschließend kommt die Vorlesungsreise deines Vaters.“

„Hör mal, Mum, das ist schon okay“, wiederholte Chrissie. „Es macht mir nichts aus, ehrlich, und Zeit habe ich schließlich auch.“

In der Schule, in der sie als Lehrerin arbeitete, wurde derzeit eine umfangreiche Umstrukturierung vorgenommen. Chrissie hatte ihre Eltern bereits gewarnt, dass sie ihre Stelle verlieren könnte. Denn Gerüchten zufolge wollte die englische Fakultät Kosten senken und Personal entlassen.

„Ich bin nicht gerade glücklich darüber, dass du in Charles’ Haus wohnen wirst“, wandte Rose ein.

„Aber das ist ja gerade der Sinn der Sache“, rief Chrissie ihr in Erinnerung. „Wir müssen das Haus verkaufen, um seine Schulden bezahlen zu können. Und du hast selbst gesagt, dass wir es unmöglich anbieten können, ohne es vorher gründlich zu säubern.“

„Ich weiß. Dabei fällt mir ein, dass ich mich mit der Bank und den Anwälten in Verbindung setzen und dich ermächtigen muss, sämtliche Papiere zu unterzeichnen.“

Erneut tauschte Chrissie einen Blick mit ihrem Vater.

Charles Platt hatte nicht nur ein schmutziges Haus und einen negativen Ruf, sondern auch eine Menge Schulden hinterlassen.

In Wirklichkeit freute Chrissie sich nicht gerade darauf, das Chaos zu bereinigen, das ihr Onkel angerichtet hatte. Aber irgendjemand musste es tun, und sie wollte ihre Mutter nicht noch mehr aufregen, indem sie ihre Abscheu zeigte.

Ihr letzter Besuch in Haslewich hatte nach dem Tod ihrer Großmutter stattgefunden, und ihre Erinnerungen an den Aufenthalt und die Gegend waren überschattet von der Trauer ihrer Mutter. Damals hatte Charles bei seiner Mutter in dem alten Farmhaus gelebt, das sich viele Generationen lang im Besitz der Familie befunden hatte. Doch sein Vater hatte aus Enttäuschung über seinen Sohn und dessen Schwäche zunächst das Land und nach dem Tod seiner Frau auch das Haus selbst verkauft.

Chrissie erinnerte sich deutlich an den beschämenden Zwischenfall, der sich während eines Einkaufsbummels mit ihrer Mutter zugetragen hatte. Charles war aus einer der vielen Kneipen auf die Straße getorkelt, und eine Schar Kinder hatte ihn johlend verhöhnt. Rose war kreidebleich geworden und abrupt in entgegengesetzter Richtung davongeeilt.

Damals hatte Chrissie zum ersten Mal den Grund für den Kummer im Gesichtsausdruck und in der Stimme ihrer Mutter vermutet, wann immer sie ihren Bruder erwähnte.

Nun, als Erwachsene, wusste Chrissie natürlich über die Alkoholabhängigkeit und Spielsucht ihres Onkels bestens Bescheid.

Als Schwächling und Taugenichts war er stets ein Außenseiter in der Gemeinde, in der er aufgewachsen war, gewesen. Und noch bevor er das Teenageralter erreicht hatte, war deutlich geworden, dass er nicht der Familientradition folgen und Farmer werden würde.

„Er hat meinem Vater das Herz gebrochen“, hatte Rose einmal bekümmert verkündet. „Dad hat sein Bestes getan. Er hat immer wieder Land verkauft, um ihm einen Zuschuss geben zu können, und hat Verständnis für seinen Wunsch aufgebracht, Schauspieler zu werden. Aber es war alles nur ein Vorwand von Charles, um Dad Geld zu entlocken und seine Zeit mit Trinken und Spielen verbringen zu können. Zuerst in Chester, und dann, nachdem seine Kumpane ihm dort auf die Schliche gekommen waren, in Haslewich.“

Und nun war er tot, und mit ihm war ein Teil der Geschichte von Haslewich gestorben. Über drei Jahrhunderte lang hatten die Platts Land in der Gegend bearbeitet, wie die Grabsteine auf dem Friedhof bezeugten.

„Reg dich nicht auf“, beschwichtigte Chrissie nun ihre Mutter. Sie trat zu ihr, legte ihr einen Arm um die Schultern und küsste sie.

Im Gesicht sahen sie sich sehr ähnlich. Beide hatten große, mandelförmige Augen und hohe Wangenknochen. Doch Rose war klein und rundlich, während Chrissie die hoch gewachsene, schlanke Gestalt ihres Vaters geerbt hatte. Außerdem glänzten ihre dichten, glatten Haare rötlich wie polierte Kastanien – aus mysteriösem Grunde, da ihre Eltern beide schwarzhaarig waren.

Mit knapp achtundzwanzig Jahren war sie reif genug, um sich nicht geschmeichelt zu fühlen, wenn Männer ihrem Gesicht und ihrer Figur Bewunderung schenkten, ohne sich die Zeit zu nehmen, ihre Persönlichkeit kennen zu lernen. Körperliche Reize stellten ihrer Ansicht nach nicht den Hauptfaktor dar, um eine Beziehung einzugehen. Für sie war ein zwingenderer Grund nötig. Sie musste sich instinktiv, wie durch eine überwältigende Kraft, zu einer Person hingezogen fühlen. Sie war, mit anderen Worten, eine wahre Romantikerin, obwohl sie es sich nur ungern eingestand.

„Es ist einfach nicht fair“, hatte eine ihrer Freundinnen sich einmal mit gespieltem Neid beklagt. „Wenn ich dein Aussehen hätte, würde ich es besser nutzen. Du weißt gar nicht, wie glücklich du dich schätzen kannst.“

„Wahre Schönheit kommt von innen“, hatte Chrissie sanft entgegnet, und sie meinte es ernst.

Während ihres Studiums war ein Talentsucher einer Modellagentur an sie herangetreten, aber sie hatte sich geweigert, das Angebot ernst zu nehmen.

Einige Leute hatten befürchtet, dass ein unverwüstlicher Sinn für Humor, wie Chrissie ihn besaß, nicht unbedingt wünschenswert bei einer Lehrerin sei. Aber sie hatte bewiesen, dass ihre Fähigkeit, das Leben von der humorvollen Seite zu betrachten, der Qualität ihres Unterrichts keinerlei Abbruch tat. Eher das Gegenteil traf zu. „Ich bin trotzdem nicht besonders froh darüber, dass du in Charles’ Haus wohnen willst“, wiederholte Rose.

Chrissie setzte sich ihr gegenüber. „Das haben wir doch alles schon besprochen. Ich fahre nach Haslewich, um das Haus zum Verkauf herzurichten, und das geht am einfachsten, wenn ich darin wohne.“

„Ja, das stimmt natürlich. Aber wenn ich daran denke, wie Charles gelebt hat!“ Rose schüttelte sich. „Ich sollte mich eigentlich selbst um diese Angelegenheit kümmern“, fuhr sie fort. „Charles ist … war mein Bruder.“

„Und er war mein Onkel. Außerdem kannst du es gar nicht tun. Du hast keine Zeit.“

In gewisser Weise war Chrissie recht froh über die Chance, nach Haslewich entfliehen zu können, denn es bot ihr einen Vorwand, die Einladung eines Kollegen auszuschlagen. Während des gesamten Schuljahres hatte er ihr in den Ohren gelegen, den Sommer mit ihm und einigen Freunden in der Provence zu verbringen. Doch das verschwieg sie vorsichtshalber ihrer Mutter, die trotz ihrer modernen Lebenseinstellung kaum den Tag erwarten konnte, an dem ihre Tochter Ehefrau und Mutter wurde.

Die Provence war zwar verlockend für Chrissie, nicht aber der Kollege. Sie besaß eine Schwäche für verwegene, ungestüme Männer, die eher in einen historischen Roman als in die moderne Gesellschaft passten, auch wenn sie diese Schwäche entschieden unterdrückte, sobald sie sich bemerkbar machte.

Der Kollege hätte zweifellos einen ausgezeichneten Ehemann und Vater abgegeben, aber er rief keinerlei Regung in ihr hervor. Auf keinen Fall vermochte er ihre bedauerliche, eigenartige Sehnsucht nach einem Mann zu stillen, der sie betörte und erregte, der sie herausforderte und ihr gewachsen war.

Nun, eines war für sie sicher. Ganz gewiss war solch ein Mann nicht in Haslewich zu finden. Denn nach allem, was sie von dem Ort wusste, war es ein kleines, verschlafenes Nest in der tiefsten Provinz, in dem nie etwas passierte.

2. KAPITEL

„Der Täter ist wohl noch nicht geschnappt worden, oder?“, erkundigte sich Guy Cooke bei Jenny Crighton, als sie das kleine Antiquitätengeschäft betrat, das sie gemeinsam betrieben.

Sie wusste, dass er den Einbruchsdiebstahl meinte, der kürzlich auf Queensmead, dem Haus ihres Schwiegervaters, verübt worden war. Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.

Er war ein äußerst gut aussehender Mann. Hätte sie nicht eine so glückliche Ehe geführt, hätte sie vielleicht auch zu den Frauen gezählt, die sich scharenweise nach ihm verzehrten.

Er besaß einen sehr muskulösen Körper, der ihn jederzeit als Dressman für moderne, provozierende Jeansreklamen qualifiziert hätte. Dazu gesellten sich geheimnisvoll tiefgründige Augen, ein unwiderstehliches Lächeln und überaus maskuline Züge, die er von seinen Zigeunervorfahren geerbt hatte. Folglich war es nicht verwunderlich, dass die meisten Angehörigen des weiblichen Geschlechts ihm schmachtende Blicke zuwarfen und ihn als umwerfend sexy bezeichneten.

Auch Jenny war nicht völlig immun gegen seinen Charme oder seine überraschende, noch reizvollere Charakterstärke und Herzenswärme. Sie hielt es für sehr bedauerlich, dass er bei allem, was er einer Frau zu bieten hatte, noch nicht die Richtige gefunden hatte. Aber sie liebte nun einmal ihren Jon.

„Zumindest haben sie Ben nichts zu Leide getan“, fuhr sie fort. „Aber es hat ihn sehr getroffen. Jon und ich haben uns sehr bemüht, ihn zu überreden, jemanden bei sich aufzunehmen. Aber du weißt ja, wie starrsinnig er sein kann.“

„Allerdings“, bestätigte Guy. „Als ich bei ihm war, um den Wert seiner Antiquitäten für die Versicherung zu schätzen, habe ich ihm empfohlen, eine Alarmanlage einbauen zu lassen. Er ist beinahe vor Zorn an die Decke gegangen. Ich nehme an, er hat meinen Rat nicht befolgt, oder?“

Jenny schüttelte den Kopf. „Zum Glück wurde nicht sehr viel gestohlen. Die Polizei glaubt, dass die Täter durch irgendetwas oder jemanden gestört wurden. Es ist kaum zu fassen, dass jemand am helllichten Tag einbricht und seelenruhig nicht nur kleine Gegenstände, sondern auch Möbel wegschafft.“ Sie seufzte. „Die Polizei hat uns gewarnt, dass die Chance sehr gering ist, dass wir etwas zurückbekommen. Anscheinend hat in letzter Zeit eine ganze Serie von derartigen Einbrüchen stattgefunden. Es wird vermutet, dass eine Bande aus der Stadt am Werk ist, die von dem Erlös Drogen kauft. Die neue Schnellstraße erleichtert den Tätern natürlich die Flucht und erschwert es der Polizei, das Diebesgut aufzuspüren.“

„Konntet ihr deinen Schwiegervater denn nun dazu überreden, jemanden bei sich aufzunehmen?“, erkundigte sich Guy, während er den Inhalt einer großen Kiste durchsah, die von einer Wohnungsauflösung stammte. Vermutlich handelte es sich zum größten Teil um wertlosen Plunder, aber man konnte ja nie wissen.

„Leider nicht. Aber Madeleine kommt am Wochenende aus London. Du weißt ja, dass sie im Sommer immer ein paar Wochen auf Queensmead verbringt.“

„Kommt Max auch mit?“

Jenny presste die Lippen zusammen. „Nein. Er ist momentan mit einem Fall beschäftigt und muss nach Spanien fliegen, um dort seine Klientin aufzusuchen. Sie hat da drüben eine Jacht.“

Max, Jennys Sohn und Madeleines Ehemann, war Rechtsanwalt bei einer sehr angesehenen Kanzlei in London. Er hatte sich auf Scheidungsfälle spezialisiert, und seine Klienten waren überwiegend weiblichen Geschlechts. Er mochte Frauen. Oder besser gesagt, er benutzte Frauen, um sein Ego zu stärken.

Guy hielt nicht besonders viel von Max, aber er mochte Jenny zu sehr, um es sie wissen zu lassen.

Im Gegensatz zu Max mochte Guy die Frauen wirklich. Besonders gefielen ihm Frauen wie Jenny, die sanftmütig, herzlich, ausgesprochen feminin und auf eine zurückhaltende Weise hübsch waren. Auffallende, aufgedonnerte Geschöpfe sagten ihm dagegen weniger zu. Er war selbst ein gut aussehender Mann und wusste sehr gut, wie wertlos reine Äußerlichkeiten sein konnten. Ein warmherziges, fürsorgliches Wesen hingegen war etwas Dauerhaftes und der Liebe wert.

Doch er hatte schon vor langer Zeit akzeptiert, dass Jenny nicht für ihn bestimmt war, dass sie ihren Ehemann liebte und in Guy nur einen sehr guten Freund sah. „Einen viel jüngeren Freund“, hatte sie einmal betont. Doch mit neununddreißig betrachtete er sich nicht gerade als besonders jung.

„Außer dem Einbruch selbst regt Ben am meisten auf, dass sein kleiner Schreibtisch aus Eibenholz gestohlen wurde“, verkündete Jenny. „Sein Vater hat ihn einem französischen Original nachempfinden lassen, das dessen Großvater gehörte. Es war ein hübsches, kleines Ding, aber als Kopie hatte es eigentlich keinen großen Geldwert.“

„Aber einen beträchtlichen Liebhaberwert“, vermutete Guy.

„Allerdings“, bestätigte sie. „Jons Cousin Luke hat mir neulich erzählt, dass der Familienzweig aus Chester sogar zwei Originale besitzt. Ein Crighton hat sie damals aus Frankreich als Geschenk für seine Zwillingstöchter mitgebracht. Jetzt gehört einer Lukes Vater und der andere seinem Onkel.“

„Vermutlich wussten die Diebe nicht, dass Bens Schreibtisch nur eine Kopie ist.“

„Vielleicht nicht. Aber die Polizei nimmt an, dass er mitgenommen wurde, weil er im Flur stand und leicht zu transportieren war, ebenso wie das Silber und die Juwelen, die gestohlen wurden. Ruth und ich haben praktisch einen ganzen Tag lang das Haus überprüft und alles aufgelistet, was fehlt. Ben war nicht fähig, uns zu helfen. Ich weiß zwar auch in etwa, was vorhanden war, aber als Bens Schwester kennt Ruth sich natürlich besser aus.“

„Wann ist sie aus den Staaten zurückgekommen?“

„Am Samstag.“ Jenny lachte. „Ich finde es wundervoll, dass sie und Grant abwechselnd jeweils drei Monate in der Heimat des anderen leben.“

„Es ist schön, die beiden zusammen zu sehen. Sie sind immer noch so verliebt.“

„Nach allem, was sie durchgemacht haben, ist ihnen die gemeinsame Zeit wohl umso kostbarer.“

„Bestimmt. Ihre Geschichte bestätigt, dass Wahrheit seltsamer als Dichtung sein kann.“

„Und wahre Liebe so stark, dass nichts sie mindern oder zerstören kann“, fügte Jenny sanft hinzu. „In all den Jahren der Trennung war keiner von beiden je versucht, jemand anderen zu heiraten. Jetzt sind sie endlich zusammen und lieben sich wahnsinnig. Bobbie hat sich sogar beklagt, dass Ruth und Grant ein wesentlich romantischeres Paar sind als sie und Luke, obwohl sie mehr oder weniger gleichzeitig geheiratet haben.“

„Tja, Bobbie und Luke haben ein Kleinkind und anstrengende Berufe“, bemerkte Guy, „während ihre Großeltern im Ruhestand sind und sich ausschließlich aufeinander konzentrieren können.“

„Sie mögen zwar Rentner sein, aber Ruth ist immer noch in einem halben Dutzend Komitees und in ihren Heimen für ledige Mütter tätig“, rief Jenny ihm in Erinnerung. „Und Grant hat umfangreiche Geschäftsinteressen, die ihn beschäftigen. Manchmal fühle ich mich schon erschöpft, wenn ich mir nur anhöre, was sie alles leisten. Ich kann nicht umhin, ihre Energie und Lebensfreude mit Bens mangelndem Interesse an allem zu vergleichen.“

Sie krauste besorgt die Stirn, als sie über Ben nachdachte.

„Will er sich die Hüfte immer noch operieren lassen?“

„Ich hoffe es“, verkündete Jenny inbrünstig. „Der Eingriff ist für das Ende des Sommers festgesetzt. Es ist geplant, dass Madeleine sich um ihn kümmert, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird. Er spricht auf sie wesentlich besser an als auf jeden anderen aus der Familie. Vermutlich, weil sie Max’ Frau ist und der in Bens Augen nichts falsch machen kann.“

„Aber auf dich als Max’ Mutter trifft das wohl nicht zu“, bemerkte Guy scharfsinnig.

Jenny schüttelte den Kopf. „Er ist immer von Ben verwöhnt worden und war schon immer davon überzeugt gewesen, dass er eine bevorzugte Behandlung verdient. Ich hatte so sehr gehofft, dass er sich durch die Heirat mit Madeleine ändern würde.“ Sie seufzte. Um das leidige Thema zu wechseln, fragte sie: „Ist unter dem Kram da etwas Interessantes?“

Er verstand den Wink und richtete seine Aufmerksamkeit auf ihre gemeinsamen Geschäftsinteressen. „Eigentlich nicht. Ich bin heute Morgen mit einer weiteren Haushaltsauflösung beauftragt worden. Aber ich bezweifle, dass wir dort etwas Interessantes finden. Charlie Platt“, fügte er grimmig hinzu.

„Charlie Platt?“, wiederholte Jenny nachdenklich. Dann hellte sich ihre Miene auf. „Ach ja, jetzt weiß ich, wen du meinst.“

„Er hat sich praktisch zu Tode gesoffen.“

„Der arme Mann“, murmelte sie mitfühlend.

„Der arme Mann? Keine Spur! Er war der größte Betrüger in der ganzen Stadt. Seine Eltern haben ihn öffentlich enterbt. Er hat überall Schulden hinterlassen.“

Sein grimmiger Ton erweckte in Jenny den Verdacht, dass auch er zu Charlies Schuldnern gehörte. Doch sie fragte ihn nicht danach. Sie wusste, dass er niemals eingestehen würde, nicht einmal ihr gegenüber, dass er ausgenutzt worden war.

Guy war gewöhnlich ein heiterer, mitfühlender Mensch, der eher nachsichtig als hart über andere urteilte. Außerdem besaß er einen ausgesprochenen Stolz. Vermutlich wurde diese Veranlagung durch die Tatsache verstärkt, dass seine Familie, der weit verbreitete Cooke-Clan, aus der sündigen Verbindung eines Zigeuners mit der naiv-unschuldigen Tochter eines Schulmeisters hervorgegangen war.

Das Mädchen war damals in aller Eile und Ungnade mit dem verwitweten Besitzer einer Taverne verheiratet worden, der eine Ehefrau gebraucht hatte, um seine bereits existierende Horde von Kindern zu versorgen.

Die Familie, von der zahlreiche Mitglieder in der Stadt wohnten, wurde von den Mitbürgern mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Verachtung angesehen. Abhängig von der jeweiligen Position in der Lokalhierarchie bestand die Neigung, die geschäftlichen wie privaten Aktivitäten des Cooke-Clans als äußerst verdächtig oder äußerst beneidenswert anzusehen.

Im Laufe der Generationen war der Name Cooke nicht nur zum Inbegriff für die lokalen Tavernen und Pubs geworden, die von der Familie betrieben wurden, sondern auch gleichbedeutend mit den verschiedensten Tätigkeiten wie Wilderei, Glücksspiel und weiteren wagemutigen Methoden zur Steigerung des Einkommens.

Heutzutage beschäftigte sich kein Mitglied der Familie mehr mit Wilderei oder derartigen Dingen, wie Guy ihr einmal versichert hatte. Dieser Brauch war noch zu Lebzeiten seines Großvaters ausgestorben, ebenso wie der Großteil seiner damals erwachsenen männlichen Angehörigen, die während des Ersten Weltkrieges im Regiment von Cheshire gedient hatten.

„Aber einen derartigen Ruf wird man schwer los“, hatte er ihr erklärt. „Einmal ein Wilderer, immer ein Wilderer.“

„Und dieses schurkische, dunkle Aussehen hilft auch nicht gerade, dieses Vorurteil abzubauen“, hatte Jenny ihn sanft geneckt.

„Allerdings nicht“, hatte Guy ihr beigepflichtet.

Er konnte all die Väter nicht mehr zählen, die ihren Töchtern in seinen jüngeren Jahren verboten hatten, mit ihm auszugehen. Vermutlich war er der einzige Teenager im ganzen Umkreis gewesen, der sich den Ruf erworben hatte, wild und gefährlich zu sein, ohne dabei seine Unschuld zu verlieren.

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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