Irrwege zum Glück

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Gerade will Maddy die Scheidung einreichen, als ihr treuloser Ehemann von Jamaica heimkehrt. Offenbar geläutert: Denn Max ist sanft und liebevoll. Schon spürt Maddy, wie ihr Verlangen nach ihm wächst. Doch sie bleibt kühl. Noch traut sie seiner wundersamen Wandlung nicht …


  • Erscheinungstag 15.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769680
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Im Moment war er seiner Familie reichlich überdrüssig. Max Crighton, dreißig, verheiratet, erfolgreich, sexy und Vater zweier gesunder Kinder im Vorschulalter, sah sich mit zynischer Verachtung im Festsaal des Grosvenor Hotels in Chester um, in dem man soeben die Hochzeit seiner Schwester Louise mit Gareth Simmonds feierte.

Mit kühler Belustigung stellte er fest, wie schwer es den meisten seiner Verwandten fiel, seinem Blick standzuhalten. Nein, sie mochten ihn alle nicht besonders, doch das bedrückte ihn nicht weiter. Warum auch? Er hatte noch nie etwas darauf gegeben, ob die Leute ihn mochten oder nicht. Sein brandneues Bentley-Cabrio, seine Stellung als Partner in einer der angesehensten Londoner Anwaltskanzleien – all das war ihm nicht zuteil geworden, weil man ihn mochte. Der Ehrgeiz, einer der hervorragendsten Rechtsanwälte in ganz London zu werden, war stets die treibende Kraft in seinem Leben gewesen.

Onkel David, dem Zwillingsbruder seines Vaters, hatte einst eine ebenso glorreiche Zukunft gewinkt, doch er war gescheitert. Und es hatte eine Zeit gegeben, da hatte auch Max befürchtet, scheitern zu müssen, trotz aller seiner ambitionierten Vorsätze. Damals hatte es so ausgesehen, als sollte ihm in letzter Minute das vor der Nase weggeschnappt werden, wofür er so verbissen gekämpft hatte. Dennoch hatte er einen Weg gefunden, die Lage zu seinen Gunsten umzudrehen und denen, die versucht hatten, ihn zu Fall zu bringen, zu zeigen, wie töricht sie gewesen waren.

Er blickte zu seiner Frau Madeleine hinüber. Zwar war keine seiner Cousinen und auch keine der Ehefrauen seiner Cousins der Typ glamouröse Vorzeigefrau, aber immerhin hübsch genug – vor allem Lukes Frau Bobbie –, um Madeleine noch biederer und langweiliger wirken zu lassen, als sie ohnehin schon aussah.

Jetzt hob Madeleine den Kopf und merkte, dass er sie beobachtete. Zynisch lächelnd registrierte Max, wie in ihre Augen sofort ein erschrockener, verängstigter Ausdruck trat, ehe sie den Blick hastig wieder abwendete.

„Was heißt das, du willst unser Kind nicht?“, hatte sie entsetzt und ungläubig gefragt, nachdem sie ihm damals voller Freude offenbart hatte, sie erwartete ein Baby.

„Das heißt, mein ach so dummes Frauchen, dass ich es nicht will!“, hatte Max grob erwidert. „Ich habe dich nicht geheiratet, damit wir eine weitere Generation kleiner Crightons in die Welt setzen. Das überlasse ich gern den anderen.“

„Aber … warum hast du mich dann geheiratet?“, hatte Madeleine unter Tränen geflüstert.

Die Furcht in ihrem Blick hatte ihn amüsiert. „Weil ich nur so in eine anständige Kanzlei einsteigen konnte“, war sein kalter, grausamer Kommentar gewesen. „Warum so schockiert? Das musst du doch gewusst haben!“

„Du sagtest, du liebtest mich“, hatte Madeleine ihn voller Schmerz erinnert.

Er hatte den Kopf in den Nacken geworfen und schallend gelacht. „Und das hast du geglaubt, Maddy? Wie dem auch sei – lass es wegmachen“, hatte er zum Schluss mit einem verächtlichen Blick auf ihren bereits leicht gerundeten Bauch gefordert.

Doch Maddy hatte sich ihm widersetzt. Und inzwischen hatten sie zwei laute, temperamentvolle Gören, die sein Leben durcheinanderbrachten. Oder besser gesagt, hätten bringen können, wenn er es zugelassen hätte.

Er hielt es für einen persönlichen Geniestreich von sich selbst, seinen Großvater so stark abhängig von Maddy zu machen, dass dieser keinen anderen Menschen außer ihr mehr um sich duldete. Maddy dazu zu überreden, dauernd in Haslewich zu leben, der Kleinstadt in Cheshire, in der Max aufgewachsen war und sein Vater die von seinen Urgroßvater gegründete Kanzlei leitete, war danach fast ein Kinderspiel gewesen. Durch diesen cleveren Schachzug konnte er jetzt ungestört sein eigenes Leben führen, fernab von einer lästigen Ehefrau und zwei nervenaufreibenden Kleinkindern.

Max empfand nicht die geringsten Skrupel wegen seiner zahllosen außerehelichen Affären. Die meisten Frauen waren Mandantinnen, deren Interessen er insofern vertrat, dass sie nach der Scheidung von ihren reichen Ehemännern den Lebensstil aufrechterhalten konnten, den sie von ihrer Ehe her gewohnt waren.

Eigentlich hatte Max nur so lange mit Maddy verheiratet bleiben wollen, bis er sich fest etabliert hatte, doch dann hatte sich diese Ehe durchaus als echter Vorteil entpuppt. Erstens machte die Tatsache, dass er verheiratet war und zwei kleine Kinder hatte, jeder neuen Geliebten von Anfang an klar, dass es sich nur um eine Affäre auf Zeit handeln konnte.

Zweitens mehrten sich neuerdings die Gerüchte, dass ihr Vater für den schon bald neu zu besetzenden Posten des Lord Chief Justice, des obersten Richters von Großbritannien, im Gespräch war. Es konnte Max’ eigener Karriere nur förderlich sein, wenn sich diese Gerüchte bewahrheiten sollten.

Max war sich bewusst, dass Madeleines Eltern ihn nicht sonderlich schätzten, doch das kümmerte ihn nicht. Schließlich mochten ihn seine eigenen Eltern auch nicht, und das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Das einzige Familienmitglied, dem Max je so etwas wie Zuneigung entgegengebracht hatte, war sein Onkel David gewesen, und selbst dieses Gefühl war von Neid überschattet gewesen, weil sein Großvater David abgöttisch liebte. Darüber hinaus empfand Max auch leichte Verachtung für seinen Onkel, denn trotz aller Lobeshymnen seines Großvaters hatte es David nur bis zum Seniorpartner in der kleinstädtischen Familienkanzlei gebracht.

Liebe, dieses starke Gefühl, das andere Menschen verband und zusammenschmiedete, war für Max ein Fremdwort. Sicher, er liebte sich selbst, aber seine Gefühle für andere reichten von milder Verachtung über Gleichgültigkeit bis zu Verärgerung und absoluter Feindseligkeit. In Max’ Augen war es nicht seine Schuld, dass die anderen ihn nicht mochten – sie waren selbst schuld daran. Ihnen entging dadurch etwas, nicht ihm.

Er sah entnervt auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann würde er fahren.

Bobbie Crighton war nicht entgangen, wie Max die arme Maddy angesehen hatte, und wieder einmal schoss es ihr durch den Kopf, wie abscheulich Max doch war.

Ja, arme Maddy. Bobbie war es schleierhaft, wie sie es in dieser Ehe aushalten konnte, aber nun ja, da waren natürlich die Kinder. Verstohlen lächelnd strich sie sich über den noch flachen Bauch; erst vor einer Woche hatte sie erfahren, dass sie zum zweiten Mal schwanger war. Ihr Mann Luke, der zum Familienzweig aus Chester gehörte und dort in der Familienkanzlei arbeitete, hatte sich riesig über die frohe Botschaft gefreut.

Während Bobbie sich nun im Festsaal umsah, musste sie unwillkürlich an das erste Mal denken, als sie an einer großen Feier dieser Familie teilgenommen hatte. Damals hatte sie die Crightons noch nicht gekannt, Joss, der jüngere Bruder der Zwillinge Louise und Katie, hatte sie dazu eingeladen.

Max hatte sich ihr gegenüber sehr zuvorkommend verhalten. Etwas zu zuvorkommend für einen verheirateten Mann, wie Luke sofort unverblümt bemerkt hatte. Sie und Luke hingegen waren vom ersten Augenblick an aneinandergeraten und hatten sich anfangs nicht ausstehen können …

Noch jemand hing in diesem Moment ähnlichen Gedanken über Maddy Crighton nach.

Jennys Herz zog sich zusammen, als sie ihrer Schwiegertochter einen verstohlenen Blick zuwarf. Ein Unbeteiligter hätte sie einfach nur für ruhig und gelassen halten können, doch Jenny hatte vor wenigen Minuten noch gesehen, wie plötzlich Tränen in ihren Augen gestanden hatten, und sie wusste ganz genau, wer dafür verantwortlich war.

Selbst nach all den Jahren konnte sie sich nicht damit abfinden, was für ein Mensch ihr Ältester war, und es schmerzte sie unsagbar, dass ausgerechnet ihr Sohn der Grund für so viel Kummer und Schmerz war. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, warum er so war, was ihn dazu trieb; doch sie wusste, wenn sie das tat, würde er nur halb spöttisch, halb verächtlich grinsen, die Schultern zucken und weggehen.

Maddy war für sie die perfekte Schwiegertochter, ja, sie hätte auch nichts dagegen gehabt, wäre sie ihre leibliche Tochter gewesen, und sie liebte sie von Herzen. Aber Jenny war intelligent genug, zu wissen, dass sie nicht die geeignete Ehefrau für ihren Sohn war. Max suchte Widerstand, Herausforderung, Aggression. Er wollte stets das am meisten, was er nicht bekommen konnte. Und Maddy war nicht … konnte einfach nicht … Arme Maddy.

Madeleine Crighton indessen ahnte ziemlich genau, was gerade in ihrer Schwiegermutter vorging, und sie konnte ihr das nicht im Geringsten verübeln.

Max war erst eine Stunde vor Beginn der Feier in Queensmead eingetroffen, in dem herrlichen alten Haus, das seinem Großvater gehörte und in dem sie und die Kinder inzwischen ein echtes Zuhause gefunden hatten. Das war nicht eben ein vielversprechender Auftakt gewesen. Dazu kam, dass Leo zurzeit eine überaus trotzige Phase durchmachte und sich ungewohnt heftig an seine Mutter klammerte. Im Gegensatz zu seinem Vater hielt er sie anscheinend nicht für so unattraktiv, dass man keinen Grund zur Eifersucht zu haben brauchte … Und so hatte er seinen Vater bei dessen Ankunft nur böse angesehen und sich geweigert, auf ihn zuzugehen.

Insgeheim wusste Maddy, dass es Max völlig gleichgültig war, ob die Kinder ihn beachteten oder nicht. Schließlich hatte er sie beide nicht gewollt. In der Öffentlichkeit war das jedoch etwas ganz anderes. Vor seinem Großvater und allen anderen hatte es gefälligst so auszusehen, als ob ihn die Kinder liebten. Und den Gefallen tat Leo ihm im Moment in keiner Weise.

Max hatte halb laut geflucht und ihr grausam mitgeteilt, dass sie als Mutter genauso unfähig war wie als Ehefrau.

Natürlich kannte Maddy den wahren Grund für seinen Zorn. Dahinter konnte nur eine Frau stecken. Die Anzeichen dafür waren ihr mittlerweile nur allzu vertraut. Max hatte eine Frau in London zurückgelassen, bei der er jetzt viel lieber hätte sein wollen.

Sie redete sich ein, dass sie längst nicht mehr unter seiner Untreue litt, aber tief im Innern wusste sie, dass das nicht stimmte. Auch war ihr klar, dass sie ihrer Schwiegermutter und der übrigen Familie entsetzlich leidtat; das war ihren Blicken und dem Tonfall ihrer Stimmen deutlich anzumerken. Wenn sie sah, wie liebevoll Max’ Cousins und Cousinen mit ihren Partnern umgingen, tat es ihr bisweilen weh, dass ihr so etwas nicht vergönnt war. Gleichzeitig sagte sie sich jedoch mit stoischer Gelassenheit, dass man wohl kaum etwas vermissen konnte, was man nie gehabt hatte. Schon als Kind hatte sie nie die Liebe empfangen, nach der sie sich gesehnt hatte.

Maddy war ein Einzelkind, und sie hatte im Leben ihrer Eltern nie eine besonders große Rolle gespielt. Seit sie verheiratet war, sah sie die beiden kaum noch. Als sie nach Haslewich gekommen war und entdeckt hatte, dass dort nicht nur ein Zuhause bei Max’ Großvater auf sie wartete, sondern dass sie auf einmal auch wirklich gebraucht wurde, war das Balsam für ihre durch die unglückliche Ehe verwundete Seele gewesen.

Von Natur aus war Maddy ein sehr fürsorglicher Mensch, und wenn die anderen das Gesicht verzogen, weil Max’ Großvater so schwierig war, dann lächelte sie nur und erklärte nachsichtig, dass er wohl wegen seiner sehr stark schmerzenden Gelenke oft so unausstehlich war.

„Maddy, du bist eine Heilige!“, hatten seine dankbaren Verwandten ihr mehr als einmal versichert, doch das war sie nicht. Sie war einfach nur eine Frau. Und im Moment war sie eine Frau, die sich verzweifelt danach sehnte, einmal so angesehen zu werden, wie Gareth Simmonds seine Louise ansah – voller Liebe, Stolz, Verlangen … Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der Maddy sich irrtümlich und tragischerweise eingeredet hatte, all diese Empfindungen auch in Max’ Augen lesen zu können. Doch er hatte ihr bloß etwas vorgeheuchelt.

Max hatte sie, wie er ihr wieder und wieder in den Jahren nach ihrer Hochzeit klargemacht hatte, nur aus einem einzigen Grund geheiratet – aus seinem rücksichtslosen Ehrgeiz heraus. Und seine beruflichen Ziele, so hatte sie mittlerweile herausgefunden, hätte er niemals ohne die Hilfe ihres Vaters erreicht.

„Maddy, wie hältst du es bloß mit ihm aus? Warum lässt du dich nicht endlich von ihm scheiden?“, hatte Louise sie einmal ungeduldig gefragt, als sie beide mit angesehen hatten, wie Max unverhohlen und sehr eindeutig mit einer anderen hübschen jungen Frau flirtete.

Maddy hatte nur stumm den Kopf geschüttelt, sie hatte Louise nicht erklären können, warum sie bei Max blieb. Wie auch? Sie wusste es ja selbst nicht genau. Sie hätte vielleicht höchstens sagen können, dass sie sich hier in Haslewich sicher und geborgen fühlte, erwünscht und gebraucht. Hier, wo sie eine Aufgabe hatte, fiel es ihr leichter, ihren Kummer zu verdrängen und, da Max weit weg in London war, so zu tun, als sei ihre Ehe gar nicht so schlecht, wie sie den Anschein haben mochte.

Und insgeheim ließ sie sich auch deswegen nicht von Max scheiden, weil sie Angst davor hatte, wie ihr Leben dann wohl weiter verlaufen würde, ohne ihn, aber vor allem ohne seine Familie. Das war natürlich ein absurder Grund, und die anderen mochten ihr das als Schwäche auslegen. Aber sie dachte dabei gar nicht so sehr an sich selbst, es ging schließlich auch um die Kinder.

In Haslewich waren sie Teil einer großen, liebevoll miteinander verbundenen Familie und genossen einen Luxus, der vielen Kindern heutzutage nicht mehr vergönnt war – umgeben von lauter Tanten, Onkeln und Cousins aufzuwachsen. Maddy wollte ihren Kindern unbedingt etwas mitgeben, das sie für wichtiger hielt als alles andere, nämlich die Gewissheit und das Geborgenheit schenkende Gefühl, dass sie einen festen Platz im Leben hatten.

Die Familie nahm es als gegeben hin, dass Max während der Woche in London blieb, doch in Wirklichkeit war er viel länger abwesend. Manchmal vergingen Wochen, ja, sogar Monate, in denen sie und die Kinder ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekamen. Obwohl Madeleine niemals und mit niemandem über ihre Ehe sprach, war ihr klar, dass Max’ Familie seine Abwesenheit nicht nur reiner Notwendigkeit zuschrieb.

Manchmal fühlte sie sich versucht, sich Jenny anzuvertrauen, doch ihre natürliche Zurückhaltung und ihr stiller Stolz hielten sie davon ab. Abgesehen davon, was hätte Jenny schon ausrichten können? Sollte sie Max etwa befehlen, seine Frau und seine Kinder zu lieben? Sie schüttelte hastig den Kopf und unterdrückte ihre aufsteigenden Tränen. Max war ohnehin schon immer schlecht genug gelaunt. Seine stumme Verachtung und Feindseligkeit ihr gegenüber war so stark, dass Maddy sie förmlich greifen zu können glaubte. Auch wenn er das Zimmer längst verlassen hatte, schienen diese Empfindungen noch lange im Raum zu schweben. Und so öffnete sie jedes Mal, wenn er nach einem kurzen Besuch wieder abgereist war, sofort alle Fenster, um die wohltuend frische, klare Luft tief einzuatmen.

2. KAPITEL

Arme Maddy. Wie oft hatte Madeleine die mitleidigen Blicke gesehen …

Ihre Kinder Emma und Leo lagen im Bett, hatten eine Geschichte vorgelesen bekommen, und inzwischen waren ihnen wohl die Augen zugefallen. Maddy zog sich selbst müde von dem anstrengenden Feststag in ihr Zimmer zurück.

Eigentlich war es das Zimmer, das sie mit Max bei seinen seltenen Besuchen teilte, doch in Wirklichkeit … Max mochte sich zwar herablassen, in dem großen Doppelbett neben ihr zu schlafen, aber genauso gut hätten sie sich in entgegengesetzten Räumen in dem großen Haus aufhalten können. Von der Liebe und der natürlichen Nähe und Vertrautheit, die man sonst bei einem Ehepaar vermutete, konnte bei ihnen keine Rede sein.

Dieses Mal hatte Max jedoch erst gar nicht vorgehabt, über Nacht zu bleiben, und war bereits nach London zurückgefahren. Maddy hatte seit Langem aufgehört so zu tun, als sei ihre Ehe ganz normal. Und ebenso hinterfragte sie längst nicht mehr die Tatsache, dass Max angeblich zum ‚Arbeiten‘ nach London zurückfahren musste. Das Schlimmste an der Sache war nicht, dass sich Max so wenig aus ihr machte – sondern dass er ihr noch viel zu viel bedeutete. Was war nur aus ihren Träumen geworden, aus den schillernden Hoffnungen und dem Glauben, dass Max sie liebte?

Max parkte den Bentley hinter dem elegant ausgebauten ehemaligen Kutscherhäuschen, das er sich von dem Geld gekauft hatte, das er und Maddy zur Hochzeit von ihren Großeltern geschenkt bekommen hatten.

Er schloss den Vordereingang auf und ging geradewegs ins Schlafzimmer, wo er seine Reisetasche auf den Boden fallen ließ und sich der Länge nach auf dem Bett ausstreckte. Zielstrebig griff er nach dem Telefon und wählte eine Nummer.

Die Frauenstimme am anderen Ende klang weich und verschlafen.

„Rate, wer hier ist!“, meldete Max sich.

Sie schwieg einen Moment lang, ehe sie antwortete. „Aber Max, ich dachte … Du sagtest doch, du wolltest zu einer Hochzeit in deiner Familie fahren und das ganze Wochenende fortbleiben?“

„Ich habe meine Meinung eben geändert“, teilte er ihr lachend mit. „Was möchtest du gern zum Frühstück haben?“

„Zum Frühstück … Oh Max, ich werde nicht … Ich kann nicht …“

Sie hörte sich nun eindeutig wacher an, und Max konnte sich vorstellen, wie sie jetzt im Bett saß; wie ihr das goldbraune Haar seidig über die nackten Schultern fiel.

Justine, seine Mandantin, war verheiratet mit einem mehrere Millionen schweren Unternehmer. Als sie entdeckt hatte, dass er sie mit einer ihrer ‚Freundinnen‘ betrog, hatte sie ihren Rechtsberater unverzüglich beauftragt, dafür zu sorgen, dass Max sie bei der Scheidung vor Gericht vertrat. Ihr nächster Schritt war gewesen, sich so viel Beweismaterial wie möglich über die Geschäftspraktiken ihres Mannes sowie seine oft tollkühne Auslegung des Steuerrechts zu verschaffen.

Der Prozess würde Max selbst die Publicity verschaffen, die er benötigte, um seinen Ruf als bester Scheidungsanwalt des Landes noch weiter ausbauen zu können.

„Wir möchten uns hier in unserer Kanzlei eigentlich nicht sonderlich auf Scheidungsrecht spezialisieren“, hatte ihm der Senior, ein Kronanwalt und höchst anerkannter Steuerrechtler, bei seinem Eintritt in die Kanzlei steif erklärt. „Das ist nicht unser Stil, falls Sie verstehen, was ich meine.“

Max hatte ihn sogar sehr gut verstanden, aber er war sich auch durchaus bewusst gewesen, dass er seinen Posten in dieser Kanzlei einzig und allein seinem Schwiegervater zu verdanken hatte. Einen Ruf hatte er damals noch nicht zu verteidigen gehabt, in seiner vorherigen Stellung hatte er nur als Angestellter gearbeitet und die Fälle zugeteilt bekommen, die kein anderer hatte übernehmen wollen. Und so sehnte er sich nach Mandanten, die ihm endlich ein besseres Ansehen und ein höheres Einkommen bescheren würden.

Die Kanzlei, in der er jetzt arbeitete, vertrat Mandanten, die nur die allerbesten Anwälte wünschten, Anwälte, die sich bereits einen Namen gemacht hatten. Schon bald glaubte Max, seine Nische gefunden zu haben, auf dem einzigen Gebiet, für das die Kanzlei noch keinen Spezialisten stellen konnte – dem des Scheidungsrechts.

Das alles lag nun schon ein paar Jahre zurück, und inzwischen hatte sich Max einen sagenhaften Ruf erworben. Sein Name allein genügte, um jeden reichen Mann, der sich mit einer Scheidung konfrontiert sah, das Fürchten zu lehren.

Die extrem hohen Honorare, die Max für seine Bemühungen in Rechnung stellte, waren nicht der einzige Vorteil seiner Arbeit. Schon sehr bald hatte er nicht ohne Zynismus festgestellt, dass Frauen während ihrer Scheidung häufig ein gesteigertes Bedürfnis nach Sex und der damit verbundenen männlichen Zuwendung hatten. Auf die Art konnte er sich nie über einen Mangel an willigen Bettgenossinnen beklagen.

Und das Beste an diesen Beziehungen war, das sie nie lange dauerten. Sobald die Scheidung rechtskräftig war, schob Max die Frauen einfach ab. Eine neue Mandantin, eine neue Geliebte – das Karussell drehte sich weiter.

Wegen der überaus vielschichtigen finanziellen Verhältnisse ihres Mannes und der enorm hohen Geldsumme, die zur Debatte stand, hatte das Verhältnis mit Justine schon beträchtlich länger gedauert als gewöhnlich, und noch immer wusste ihr Mann nichts von der geplanten Scheidung.

Sie waren nun schon mehr als zwei Monate zusammen, und Max musste zugeben, dass sie ihm imponierte. Von emotionaler Verwundbarkeit konnte bei ihr keine Rede sein. Im Bett war Justine die forderndste Frau, die er je kennengelernt hatte; sie gab sich sexuell restlos hin und gestattete ihm nicht aufzuhören, ehe sie nicht vollends befriedigt war. Doch sobald das der Fall war, hatte sie sich blitzschnell wieder unter Kontrolle, und ihr Verstand arbeitete wie gewohnt messerscharf.

Ihr Mann kann von Glück reden, wenn ihm überhaupt die Hälfte seines Vermögens bleibt, hatte Max gedacht, als sie ihm erklärte, wie sie ihn mit seinen steuerlichen ‚Verfehlungen‘ so lange erpressen würde, bis er ihr das zahlte, was sie verlangte.

„Ich werde die Scheidung erst einreichen, wenn er seinen neuesten Geschäftsabschluss getätigt hat“, hatte sie Max gegenüber freimütig bekannt. „Es geht dabei um fünfhundert Millionen Dollar, und davon möchte ich meinen Anteil abbekommen.“

„Hör mal, ich … Ich kann im Moment nicht reden“, wehrte sie jetzt hastig ab. „Wir sehen uns morgen, ich komme bei dir vorbei.“ Und legte einfach auf. Ein zorniges Gefühl sexueller Frustration machte sich in ihm breit, und, was noch bedenklicher war, eine Ahnung bevorstehenden Unheils.

Es war fast zwei Uhr morgens, doch Max war zu unruhig und konnte nicht schlafen. Sein Überlebensinstinkt war hoch entwickelt, hatte es immer sein müssen. Als Liebling seines Großvaters hatte er schon in der Jugend eventuelle Ansprüche von seinen Verwandten auf seine Position abwehren müssen, und das hatte er auch als Erwachsener beibehalten.

Dazu erwies sich sein ‚Talent‘, blitzschnell die Schwäche anderer zu erkennen und für seinen Vorteil auszunutzen, als sehr vorteilhaft. Max wusste nicht genau, wann er zum ersten Mal die Fähigkeit an sich entdeckt hatte, andere verletzen zu können. Woran er sich jedoch nur zu gut erinnerte, war das schreckliche Gefühl von Zorn und Angst, als er einmal zum unfreiwilligen Mithörer eines Gesprächs zwischen seinem Vater und seinem Onkel David geworden war.

Er war damals ungefähr zehn gewesen und hatte bereits zu spüren bekommen, welche Auswirkungen die Geburt seiner Zwillingsschwestern Louise und Katie auf sein Verhältnis zu seinen Eltern hatte. Er war nie ein besonders verschmustes Kind gewesen. Schon ehe er laufen gelernt hatte, hatte er sich stets heftig gewehrt, wenn Erwachsene ihn auf den Arm nehmen wollten.

„Du hast einen prächtigen Jungen“, hatte sein Onkel an jenem Tag neidisch zu seinem Vater gesagt. „Der Alte denkt, ich lasse ihn im Stich, weil ich ihm keinen Enkel schenke. Ich muss schon sagen, Jon – du und Jenny, ihr scheint euch gar nicht bewusst zu sein, was für ein Glück ihr habt. Wenn Max mein Sohn wäre … Ja, vielleicht hätte er meiner sein sollen“, hatte er sanft hinzugefügt. „Vater scheint jedenfalls dieser Meinung zu sein. Er sagt, Max sei mir viel ähnlicher als dir. Weißt du, Jon, manchmal habe ich das Gefühl, als liebtet ihr euren Sohn nicht besonders.“

Die beiden Männer waren weitergegangen, und Max hatte den Rest der Unterhaltung nicht mehr mit anhören können. Was hatte sein Onkel damit gemeint? Warum mochten ihn seine Eltern nicht?

Von da an hatte Max bewusst versucht, sie auf die Probe zu stellen, um herauszufinden, ob an der Bemerkung seines Onkels etwas Wahres war.

Er wünschte sich ein neues Fahrrad, und man erklärte ihm, das sei leider nicht möglich. Und doch bekamen die Zwillinge zum Geburtstag Dreiräder geschenkt … Max hatte sich eins davon ‚ausgeliehen‘, und als es ‚zufällig‘ unter die Räder eines Lieferwagens geriet, beteuerte er seinem streng dreinblickenden Vater, er hätte das Dreirad nicht absichtlich vor den Wagen gestoßen, sondern es nur leider im falschen Moment losgelassen. Das andere Dreirad verschwand auf mysteriöse Weise, und als Max dazu befragt wurde, schwieg er nur hartnäckig.

Immer deutlicher fiel ihm auf, dass seine Mutter viel mehr Zeit mit den Zwillingen verbrachte als mit ihm. Und so teilte er ihr irgendwann mit, dass sie ihn nicht mehr in die Schule bringen sollte, sondern Onkel David.

Von da an begann Max, genau zuzuhören, wenn sein Großvater seine beiden Söhne miteinander verglich, wenn er David lobte und nur verächtliche Worte für Jon fand. Max kam zu dem Schluss, dass sein Vater ein Mann war, den man eigentlich nur verachten und ignorieren konnte. Sein Großvater und sein Onkel wurden zu seinen großen männlichen Vorbildern. Um seine kindliche Angst vor der Zurückweisung durch seine Eltern zu kaschieren, umgab er sich allmählich mit einem Schutzwall aus Gleichgültigkeit allen Emotionen Erwachsener gegenüber. Gleichzeitig lernte er, wie er diese für seine Zwecke ausnutzen konnte.

Sein Vater mochte behaupten, dass er ihn nur aus Liebe strafte, doch Max wusste es besser. Sein Vater liebte ihn gar nicht, das hatte Onkel David schließlich selbst gesagt. Und so, wie er angefangen hatte, seinen Eltern zu misstrauen, so misstraute er auch bald Gleichaltrigen. Besser, er schützte sich selbst, indem er sich ihre Feindschaft zuzog, als den Schmerz zu riskieren, von ihnen zurückgewiesen zu werden.

Wenn ihm jetzt, gute zwanzig Jahre später, jemand gesagt hätte, dass er deshalb zu dem geworden sei, was er war, weil er als Kind zu sensibel und verletzlich gewesen war, dann hätte er ihn nur spöttisch ausgelacht.

Es ärgerte ihn, dass Justine ihm einen Korb gegeben hatte, anstatt sofort zu ihm zu eilen, wie er es eigentlich erwartet hatte. Wenn er Sex mit ihr hatte, fühlte er sich hinterher stets irgendwie befreit, und darauf hatte er sich gefreut. Nicht nur, weil er Lust auf sie gehabt hatte, sondern weil er nach Treffen mit seiner Familie immer gereizt war und sich schlecht behandelt vorkam.

Madeleine mit ihrer entsetzlichen Demut und ewigen Selbstaufopferung, seine Eltern mit ihrer wohlerzogenen ‚Nettigkeit‘, Luke mit seiner arroganten Überlegenheit … Gott, wie sie ihn alle nervten! Er wusste, dass sie ihn nicht mochten, dass sie alle die ‚arme Maddy‘ bedauerten, dass sie hinter seinem Rücken über ihn redeten. Dabei war er derjenige, dessen Name allmählich mit schmeichelhafter Regelmäßigkeit in den Gesellschaftskolumnen auftauchte, dessen Einkommen sich auf sechsstellige Ziffern belief, der sich nie über einen Mangel an willigen Sexpartnerinnen zu beklagen hatte. Nun, normalerweise jedenfalls nicht … Morgen würde er Justine ein wenig bestrafen müssen. Ja, er wollte sich etwas kühl und distanziert geben, dann würde sie schon kommen und nur allzu bereit sein, ihn zu besänftigen. Am Nachmittag hatte er eine Besprechung in der Kanzlei, das würde ihm eine gute Ausrede liefern, warum er nicht so viel Zeit für sie erübrigen konnte. Es war die letzte Besprechung, ehe die Kanzlei wie gewohnt für die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage schloss.

Abgesehen von Justines geplanter Scheidung hatte Max zurzeit kein größeres Mandat, doch das beunruhigte ihn nicht weiter. Das Frühjahr brachte erfahrungsgemäß meist viele neue Aufträge. Die erzwungene Nähe während der Wintermonate im Familienkreis bedeutete häufig das Aus für bereits nicht mehr so harmonische Ehen.

Er stand auf, zog sich aus und ging ins Bad. Wie die meisten Männer seiner Familie war auch Max ausgesprochen sexy. Wie seine Cousins war er groß, breitschultrig, gut gebaut und hatte dunkles Haar sowie männlich-markante Gesichtszüge. Nur kam bei ihm noch eine fast magnetische Anziehungskraft dazu, die ihn unwiderstehlich machte.

Max fühlte sich miserabel, und er wusste, dass nur Sex sein Unbehagen beseitigen konnte. Grimmig drehte er das Wasser der Dusche an. Er hätte doch noch mit Maddy ins Bett gehen sollen, ehe er von Haslewich abgereist war. Er hätte ihr das zwar niemals gesagt, aber trotz ihres Mangels an Selbstwertgefühl verfügte Maddy über eine große sexuelle Wärme und Großzügigkeit. Ihre sehr feminine Art hätten die meisten Männer wohl äußerst betörend gefunden, umso mehr, weil sie sich ihrer Ausstrahlung nicht bewusst war und folglich nur ein Liebhaber Zugang zu diesem Geheimnis finden würde.

Maddy war noch Jungfrau gewesen, als er zum ersten Mal mit ihr ins Bett gegangen war, völlig unerfahren und unwissend, und doch hatte ihr Körper ihn mit natürlicher Wärme und Sanftheit in sich aufgenommen. Heute empfing sie ihn natürlich nicht mehr mit der unschuldigen Großzügigkeit und Wärme von damals. Bei den seltenen Malen, die sie miteinander schliefen, spürte er, wie sehr sie seine Fähigkeit hasste, sie zu erregen, und wie sehr sie sich anstrengte, ihm zu widerstehen. Er wusste, er konnte öfter mit ihr schlafen und ihren Widerstand mühelos in Hingabe und Verlangen umwandeln, doch wozu? Das Letzte, was er wollte, war, dass Maddy sexuell zu fordernd und zu besitzergreifend wurde.

Er beeilte sich mit dem Duschen, und ging zu Bett.

Max sah gerade einige Akten durch, als es klingelte. Auf dem Weg zur Tür betrachtete er sich rasch im Spiegel, der im Flur hing. Er trug das teure Hemd, das Justine ihm geschenkt hatte. Die goldenen Manschettenknöpfe stammten von einer anderen dankbaren Mandantin. Er sah auf die Uhr, eine Rolex, die er von Maddy zur Hochzeit bekommen hatte. Justine kam früher als erwartet. Nun, sie hatte immer noch etwas gutzumachen wegen letzter Nacht und sollte ruhig ein wenig auf ihren Sex warten. Sie konnte ihn auch gern darum anflehen! Max öffnete die Tür.

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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