Dir gehört mein Herz

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Ausgerechnet der unwiderstehliche Gareth Simmonds ist Louises neuer Chef in Brüssel. Der Traummann, an den sie einst ihr Herz verlor - und ihre Unschuld. Aber der Schuft stahl sich aus ihrem Bett, verschwand auf Nimmerwiedersehen. Nicht noch einmal, schwört sich Louise…


  • Erscheinungstag 15.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769673
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Oh, welche Ehre! Es kommt ja in letzter Zeit nicht allzu oft vor, dass du dich von den Freuden der Bürokratie in Brüssel loseist.“

Louise erstarrte, als sie die sarkastische Stimme ihres älteren Bruders Max vernahm. Sie hatten sich schon als Kinder nie besonders gut verstanden, und jetzt, wo sie erwachsen waren, hatte sich ihre Beziehung nicht gerade zum Positiven entwickelt.

„Es fiel Weihnachten direkt auf, dass du nicht da warst“, stichelte Max weiter. „Aber natürlich wissen wir ja alle, dass Saul der Grund für deine Abwesenheit war.“

Louise warf ihm einen zornigen Blick zu. „Wenn du dich mehr um deine eigenen Angelegenheiten kümmern würdest als um die anderer Leute, könntest du dabei ein paar wirklich wertvolle Dinge erfahren. Es war jedoch noch nie deine Stärke, zu erkennen, was im Leben tatsächlich zählt!“ Sie gab ihm nicht die Chance, etwas darauf zu erwidern, und ging mit schnellen Schritten davon.

Sie hatte sich fest vorgenommen, ihrer Familie bei diesem ersten Besuch, seit sie vor einem Jahr in Brüssel zu arbeiten begonnen hatte, zu beweisen, wie grundlegend sie sich verändert hatte und um wie viel reifer sie geworden war. Sie wollte allen zeigen, dass sie nicht mehr das Geringste mit dem jungen Mädchen von einst zu tun hatte, das …

Aus dem Augenwinkel heraus entdeckte sie Saul, den Cousin ihres Vaters, der eben mit seiner Frau Tullah und seinen drei Kindern aus erster Ehe zusammenstand. Tullah hatte den Arm um Sauls Tochter Megan gelegt, während er selbst ihren kleinen gemeinsamen Sohn auf dem Arm hatte.

Louises ganze Familie schien sich im großen Salon des Hauses ihres Großvaters versammelt zu haben. Am Kamin saßen ihre Cousine Olivia, deren Mann und ihre beiden Kinder und unterhielten sich angeregt mit Luke vom Chester-Zweig der Familie und seiner amerikanischen Frau Bobbie, die ihre kleine Tochter auf dem Schoß hatte. Maddy unterdessen, die Frau ihres Bruders Max, behielt diskret Gramps im Auge, der im Alter zunehmend reizbarer wurde.

In den Augen von Louises Mutter war Maddy schon beinahe so etwas wie eine Heilige, weil sie sich stets so geduldig um den alten Herrn kümmerte. Als Jenny Crighton an diesem Morgen beim Frühstück eine solche Bemerkung fallen gelassen hatte, war es Louise nicht gelungen, sich die Antwort zu verkneifen, dass, wenn Maddy es ertragen konnte, mit Max verheiratet zu sein, die Versorgung ihres Großvaters im Vergleich dazu die reinste Erholung sein musste.

Es war kein Geheimnis in der Familie, dass Max Maddy ein schlechter Ehemann war.

„Du siehst ziemlich verstimmt aus.“

Louise verzog das Gesicht, als ihre Zwillingsschwester zu ihr trat. Zwillinge waren bei den Crightons ein Phänomen, das sich von Generation zu Generation fortsetzte, nur in der letzten hatte es bis jetzt noch keine gegeben.

„Ich bin gerade in den Genuss einer Unterhaltung mit Max gekommen“, teilte sie Katie mit. „Er wird sich wohl nie ändern.“

„Nein“, stimmte ihre Schwester zu. „Aber weißt du, in mancher Hinsicht tut er mir richtig leid. Er …“

„Max tut dir leid?“, brauste Louise auf. „Warum das denn? Er hat doch alles, was er sich immer gewünscht hat – einen bequemen Posten in einer der führenden Kanzleien des Landes, wo er sich die besten Fälle aussuchen kann. Und das Einzige, was er dafür tun musste, war, die arme Maddy zur Heirat zu bewegen!“

„Ja, Lou, ich weiß, was er im materiellen Sinn besitzt, aber ist er wirklich glücklich damit?“, beharrte Katie. „Ich denke, das, was mit Onkel David passiert ist, belastet ihn weit mehr, als er je zugeben würde. Immerhin waren sie …“

„Sie waren beide aus demselben Holz geschnitzt“, unterbrach Louise sie ungehalten. „Wenn du meine Meinung hören willst – für die Familie wäre es das Beste, wenn Onkel David sich hier nie wieder blicken lassen würde. Von Olivia weiß ich, dass ihr Vater sich eines schweren Berufsvergehens schuldig gemacht hat, als er und Dad noch Partner waren. Beinahe hätte er die Familie in eine Katastrophe gestürzt, ehe er dann vor ein paar Jahren verschwand.“

„Das gehört inzwischen alles der Vergangenheit an“, erinnerte Katie sie freundlich. „Dad und Olivia haben alle Schwierigkeiten in der Kanzlei ausräumen können, und mittlerweile haben sie wieder so viel zu tun, dass sie mit dem Gedanken spielen, einen dritten Anwalt einzustellen. Nur Gramps vermisst David nach wie vor.“

„Armer Gramps. Er hatte nie ein sonderlich gutes Urteilsvermögen, nicht wahr? Erst war David sein Favorit, und nun ist es Max.“

„Mum freut sich übrigens unheimlich, dass du zu Gramps’ Geburtstag nach Hause kommen konntest“, teilte Katie ihr ruhig mit. „Sie war so traurig, dass du Weihnachten nicht da warst.“

„Dass ich nicht da sein konnte“, verbesserte Louise sie energisch. „Ich habe dir das doch erklärt. Meine Chefin hatte mich beauftragt, zügig einen Bericht über die juristischen Aspekte eines geplanten Europagesetzes zusammenzustellen. Ich musste arbeiten.“

Weil sie nicht sofort als Anwältin hatte tätig sein wollen, hatte sie drei Monate nach ihrem Universitätsabschluss vorübergehend eine Stelle bei einer neu gewählten Europaabgeordneten angenommen, für die sie als Rechtsberaterin fungieren sollte. Vor einem halben Jahr war aus dem Job auf Zeit eine feste Anstellung geworden, und obwohl die Arbeit äußerst fordernd und zeitraubend war, hatte sich Louise Hals über Kopf in sie hineingestürzt.

Die Wahl unserer jeweiligen Berufe hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können, dachte Katie, während sie ihre Schwester voller Zuneigung beobachtete. Louise hatte sich, ihrem Naturell entsprechend, mit Haut und Haaren der Welt der großen Politik und der Intrigen in Europas Hauptstadt Brüssel verschrieben, während sie selbst sich einer noch jungen, aufstrebenden Hilfsorganisation angeschlossen hatte, die weltweit Kinder unterstützte, die durch Kriege zu Waisen oder Flüchtlingen geworden waren. „Hast du schon mit Saul und Tullah gesprochen?“, erkundigte sie sich jetzt vorsichtig.

Louise ging sofort in die Defensive und fuhr ihre Schwester gereizt an: „Nein! Warum sollte ich?“ Sie holte tief Luft. „Zum letzten Mal – Saul bedeutet mir nichts mehr! Ja, ich war mal hoffnungslos in ihn verknallt und habe mich damals völlig idiotisch benommen. Aber jetzt …“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist vorbei, Katie. Endgültig.“

„Als du Weihnachten nicht nach Hause kamst, dachte Mum …“

Louise ließ sie nicht ausreden. „Was dachte sie?“, fiel sie ihr verbittert ins Wort. „Dass ich es nicht ertragen könnte, Saul wiederzusehen?“

„Nein, sie dachte, du hättest vielleicht jemanden in Brüssel kennengelernt“, nahm Katie ihr den Wind aus den Segeln. „Und dass du vielleicht lieber bei ihm bleiben wolltest.“

Katie registrierte interessiert, dass ihre Schwester errötete und darüber hinaus zum ersten Mal um Worte verlegen zu sein schien. Louise hielt den Blick angestrengt auf den Teppich gerichtet. „Nein, da ist niemand. Jedenfalls nicht in der Hinsicht.“

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, es gab schon jemanden, allerdings war ihr klar, dass die Beziehung, die Jean-Claude sich vorstellte, rein auf Sex beruhte.

Jean-Claude war zwölf Jahre älter als sie und bewegte sich in den gehobenen diplomatischen Kreisen von Brüssel. Er war, wie er Louise selbst gesagt hatte, ein Berufsdiplomat, der zurzeit einen Posten bekleidete, der mit der französischen Fischindustrie zu tun hatte.

Louise war sich ihrer Gefühle für ihn nicht ganz sicher. Er verfügte über einen gewandten, trockenen Humor und sah umwerfend gut aus, was auch anderen Frauen durchaus nicht entging.

„Wenn du es auf eine feste Beziehung abgesehen hast, sei lieber vorsichtig“, hatte eine Kollegin sie bereits vorgewarnt. „Er steht im Ruf, die Abwechslung zu lieben.“

Louise hatte nur mit den Schultern gezuckt. Eine feste Beziehung war das Letzte, was sie momentan im Sinn hatte, und daran würde sich auch für lange Zeit nichts ändern. Sie war zwar in der Hinsicht über die Sache mit Saul hinweg, dass sie nicht mehr in ihn verliebt war – was ihr aber immer noch nachhing, war das entsetzliche Gefühl der Demütigung und Selbstverachtung, das sie empfunden hatte, als ihr klar geworden war, wie gefährlich und selbstzerstörerisch ihre Fixierung auf ihn gewesen war.

Einen solchen Fehler wollte sie nie wieder machen. Nie wieder wollte sie in einem solchen Ausmaß zur Sklavin ihrer eigenen Gefühle werden, und sie verstand mittlerweile längst nicht mehr, wie es überhaupt so weit hatte kommen können. Schon als ganz junges Mädchen war sie fest entschlossen gewesen, eines Tages Karriere zu machen. Eine Ehe und Kinder, obwohl sie sich das vorübergehend mit Saul durchaus gewünscht hatte, waren eher etwas für Katie als für sie. Die erschreckende Heftigkeit ihrer Liebe zu Saul war eine geistige Verirrung gewesen, und sie hatte zu einem Verhalten geführt, für das sie sich heute, drei Jahre später, immer noch abgrundtief schämte.

Ja, heute konnte sie Saul, Tullah und die Kinder völlig neutral sehen, ohne jene Qual, die seinerzeit monatelang an ihr genagt und ihr ganzes Leben überschattet hatte. Was sie jedoch niemals würde vergessen können, war, wie traumatisch und peinlich diese Zeit gewesen war.

Von ihrem Platz aus beobachte Tullah die tief in Gedanken versunkene Louise. Sie berührte Saul am Arm, und als er sich zu ihr umdrehte, nahm sie ihm ihren kleinen Sohn ab und meinte: „Ich möchte mich mal ein wenig mit Louise unterhalten.“

Louise spannte sich innerlich an, als Tullah nun auf sie zukam.

„Hallo, Louise!“

„Tullah …“

„Du hast dir die Haare abschneiden lassen, das gefällt mir gut.“

„Vielen Dank.“ Unwillkürlich hob sie die Hand zu ihrem stufig geschnittenen kurzen Haar. Sie war ganz spontan am Tag vor ihrer Heimreise beim Friseur gewesen, und der neue Schnitt brachte ihr zartes Gesicht mit den großen dunklen Augen sehr reizvoll zur Geltung. Die Pfunde, die sie während des Studiums verloren hatte, waren nicht wieder zurückgekehrt, und Tullah fand insgeheim, dass Louise fast ein wenig zu zerbrechlich aussah.

Die beiden schwiegen jetzt, und Louise hatte das Gefühl, als seien plötzlich auch alle anderen im Raum verstummt und beobachteten sie gespannt. Als sie sich von Tullah abwenden wollte, streckte der kleine Scott plötzlich lachend die Hand aus und patschte ihr vergnügt auf die Wange.

„Ach, du Schreck“, meinte Tullah. „Ich glaube, ich muss niesen. Könntest du ihn bitte mal schnell halten?“

Ehe Louise sich versah, hatte sie das Baby auf dem Arm, und Tullah suchte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch.

„Nein, es war wohl falscher Alarm“, stellte Tullah fest, als der erwartete Nieser ausblieb; sie machte jedoch keine Anstalten, Louise das Kind wieder abzunehmen. „Es ist so schön, die ganze Familie mal wieder versammelt zu sehen. Ich weiß, es ist nicht immer ganz leicht mit deinem Großvater …“

„Das kann man wohl sagen“, stimmte Louise trocken zu und löste lächelnd Scotts Finger von ihrer goldenen Halskette. „Die Augen hat er von Saul, aber sonst ist er dir wie aus dem Gesicht geschnitten“, sagte sie. „Wie haben sich denn die anderen drei mit ihm abgefunden?“

„Bisher sehr gut“, gab Tullah Auskunft und kreuzte die Finger. „Wahrscheinlich ist es leichter für sie und für uns alle, weil sie bei uns wohnen. So haben sie nicht das Gefühl, dass Scott mehr von ihrem Vater hat als sie.“

Aus irgendeinem Grund hatte Scott offenbar spontan Gefallen an Louise gefunden, und zu deren Erstaunen und Tullahs Belustigung fing er nun an, ihr jede Menge schmatzende, feuchte Küsse zu geben. Trotz ihres Entschlusses, Karriere zu machen, hatte Louise immer Kinder sehr gern gehabt. Als Teenager hatte sie oft bei Sauls Kindern babygesittet, und zwischen ihr und den dreien war ein ziemlich enges Band entstanden. Zu ihrem eigenen Verdruss merkte sie jetzt, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Rasch gab sie Tullah ihren kleinen Sohn zurück. „Tullah, es tut mir leid“, meinte sie mit belegter Stimme.

Beiden war klar, wofür Louise sich entschuldigte. Tullah strich ihr liebevoll über den Arm. „Es ist vorbei, Lou. Vergiss es. Wir haben es vergessen. Weihnachten hast du uns gefehlt, uns allen.“ Ehe sie sich umdrehte, um zu Saul zurückzukehren, küsste sie Louise kurz auf die Wange.

„Vergiss es“, hatte Tullah gesagt. Louise schloss die Augen. Wenn sie das doch nur gekonnt hätte … Tullah und Saul mochten ihr vergeben haben, aber sie selbst würde sich das Ganze wohl nie verzeihen können.

„Ist alles in Ordnung, Liebes?“, fragte Jenny und bedachte ihre Tochter mit einem teilnahmsvollen Blick. Einerseits hatte sie sich sehr gefreut, als Louise endlich zugesagt hatte, doch zum Geburtstag ihres Großvaters zu kommen, andererseits … Louise war ihre Tochter, und sie liebte sie über alles, trotzdem hatte sie zugeben müssen, ein wenig beunruhigt zu sein. Louise verfügte über ein aufbrausendes Temperament, gepaart mit einem sehr leicht zu verletzendem Stolz.

Tullah und Olivia hatten Jenny beschwichtigt, dass schon alles gut gehen würde. Teenagerschwärmereien waren nichts Ungewöhnliches, und Louise hatte einfach Pech gehabt, dass ihr Schwarm ausgerechnet ein Familienmitglied gewesen war und sich das ganze Drama unter den Augen der gesamten Familie abgespielt hatte.

„Aber sie hat sich so schlecht benommen“, hatte Jenny die beiden besorgt erinnert.

„Nun ja, die Dinge gerieten schon ein wenig außer Kontrolle“, hatte Tullah zugegeben. „Doch durch ihr Verhalten sind Saul und ich zusammengekommen; ohne das alles hätten wir sicher nicht so schnell herausgefunden, wie wir füreinander empfanden. Und deshalb bin ich ihr eigentlich sogar eher dankbar.“

„Hast du schon etwas gegessen?“, fragte Jenny ihre Tochter jetzt. Jon, ihr Mann, ermahnte sie ständig, dass Louise mittlerweile eine erwachsene Frau war, die ihr eigenes Leben führte, aber für Jenny war sie immer noch eins ihrer Kinder. Und als echte Mutter fand sie nun mal, dass Louise doch etwas zu dünn geworden war.

„Ich wollte mir gerade etwas holen“, wich sie aus. Ihr war klar, wie großzügig Tullahs Geste eben gewesen war, trotzdem verspürte sie immer noch einen nervösen Druck im Magen und wusste, dass sie im Moment nichts würde herunterbringen können. „Außerdem würde ich gern ein wenig zu Gramps gehen, um ihm nochmals alles Gute zu wünschen.“ Sie hoffte, sich auf diese Weise zurückziehen zu können, ohne dass die anderen glaubten, sie … ja, was? Liefe vor ihnen weg? Weglaufen! Nein, das hatte sie noch nie getan, ganz gleich, wie andere auch darüber denken mochten.

„Europaparlament … Ein Haufen von Bürokraten, die überhaupt keine Ahnung haben, wie es in der Welt wirklich zugeht …“

Zähneknirschend hörte Louise wenig später ihrem Großvater Ben Crighton zu. Sie wusste, was ihn betraf, so gab es für ihn nur eine anständige Art, als Jurist tätig zu sein – nämlich in einer Kanzlei. Um es nicht auf einen Streit ankommen zu lassen, zog sie sich mit einer Entschuldigung zurück. Einmal mehr tat ihr Maddy leid, die vor einem Jahr in das große Haus eingezogen war, um den alten Mann nach seiner Hüftoperation zu betreuen. Was anfangs nur als vorübergehende Lösung gedacht gewesen war, hatte sich mittlerweile zu einem Aufenthalt auf Dauer entwickelt. Maddy wohnte jetzt fest mit ihren Kindern bei Gramps, während Max die meiste Zeit in London lebte und arbeitete. Louise konnte nicht begreifen, wie Maddy Max’ himmelschreienden Egoismus ertrug – und seine unzähligen Seitensprünge. Sie selbst hätte sich das niemals gefallen lassen, andererseits hätte sie aber auch nie im Leben einen Mann wie ihren Bruder geheiratet. Sie wusste, wie sehr ihre Eltern darunter litten, dass er zu dem geworden war, was er war.

„Gramps wird sich wohl nie ändern, nicht wahr?“ Beim Klang von Sauls vertrauter Stimme fuhr sie herum und sah ihn mit verschlossener und zugleich wachsamer Miene an.

Das letzte Mal, dass sie miteinander gesprochen hatten, war gewesen, als er ihr unmissverständlich klargemacht hatte, dass er nicht nur ihre Gefühle für ihn nicht erwiderte, sondern es ihm auch am liebsten wäre, wenn sie ihm niemals wieder unter die Augen treten würde. Diese Worte waren sicher im Eifer des Gefechts ausgesprochen worden, trotzdem hatten sie tiefe Narben bei Louise hinterlassen, nicht zuletzt deswegen, weil ihr bewusst gewesen war, wie sehr sie seinen Zorn und seine Zurückweisung verdient hatte. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wohl kaum.“

Eigentlich war es unsinnig, dass sie sich mit ihren zweiundzwanzig Jahren so unbehaglich fühlen sollte wie ein schuldbewusstes Kind, und doch war es so. Welch unseliges Geschick auch immer ausgerechnet Saul zum Objekt ihrer jungmädchenhaften Begierde gemacht haben mochte – das alles war nun zum Glück vorbei. Der Mann, der jetzt vor ihr stand, mochte noch der gleiche sein, aber sie selbst hatte sich definitiv verändert. Und so war dieser Mann heute für sie, Gott sei Dank, nichts weiter als ein Mitglied ihrer Familie.

„Deine Mutter sagte, du seist diesmal nur zu einer Stippvisite nach Hause gekommen.“

„Ja, das stimmt“, bestätigte Louise. „Meine Chefin wurde in einen Ausschuss berufen, der sich mit der Problematik der möglichen Überfischung der arktischen Gewässer befassen soll. Von der rechtlichen Seite her gibt es da wohl viel zu untersuchen, und das soll ich übernehmen.“

„Hm, das hört sich ganz so an, als wäre das der richtige Nährboden für eine künftige Europapolitikerin in unserer Familie!“, zog Saul sie auf, doch Louise schüttelte den Kopf.

„Nein, ganz bestimmt nicht“, widersprach sie entschieden. „Politik ist nichts für mich. Zum einen fürchte ich, dass ich viel zu direkt und unverblümt für so etwas bin, und zum anderen verlangt die Politik mehr Finesse, als ich wahrscheinlich je haben werde.“

„Du bist zu streng mit dir selbst“, fand Saul. „In mehr als einer Hinsicht …“, fügte er bedeutungsvoll hinzu und sah sie eindringlich an. „Es wird Zeit für uns, einen Neuanfang zu machen, Lou. Geschehen ist geschehen, doch das gehört der Vergangenheit an.“ Ehe sie etwas dazu sagen konnte, sprach er bereits weiter. „Tullah und ich werden in absehbarer Zeit dienstlich in Brüssel sein. Es wäre schön, wenn wir dann alle zusammen essen gehen könnten.“ Saul arbeitete bei Aarlston-Becker, einem großen, multinationalen Konzern, dessen europäische Zentrale sich am Ortsrand von Haslewich befand. Er und Tullah hatten sich dort kennengelernt, als Tullah bei ihm in der Rechtsabteilung zu arbeiten angefangen hatte.

Louise konnte nur stumm nicken und war völlig überrascht, als Saul sie plötzlich umarmte.

„Lass uns wieder Freunde sein, Lou.“

„Ja“, brachte sie nur mühsam hervor und kämpfte gegen ihre aufsteigenden Tränen an.

„Und vergiss nicht, mir zu schreiben!“, sagte Katie zu ihrer Schwester, als sie am Flughafen angekommen waren.

Louise verzog bei Katies Bitte das Gesicht. „Warum musstest du dich bloß mit irgendeiner Hilfsorganisation einlassen, die sich noch nicht einmal ein Faxgerät leisten kann?“

„Wem sagst du das! Aber mir macht mein Job viel Freude“, erklärte Katie.

„Du kannst jederzeit zu mir nach Brüssel kommen, weißt du“, sagte Louise. „Ich bezahle auch dein Ticket, wenn dir das hilft.“

Kate drückte ihre Schwester kurz an sich. Sie wusste, wie schwer es Louise fiel, sogar ihrer Schwester gegenüber einzugestehen, dass sich unter ihrer rauen Schale ein weicher Kern befand. Louise wirkte immer wie die Unabhängigere, Stärkere von beiden. Katie jedoch vermutete, dass sie selbst viel weniger sensibel war, auch wenn Louise so etwas immer energisch abgestritten hätte. Louise hatte sich immer in der Rolle der größeren, mutigeren Schwester gefallen, aber Katie wusste, dass sie innerlich bei Weitem nicht so selbstbewusst war, wie alle glaubten. Sogar ihre Eltern hatten sich von Louises burschikosem Auftreten täuschen lassen, und seltsamerweise hatte Katie gerade deswegen das Bedürfnis, ihre Schwester zu beschützen.

„Ach, wusstest du übrigens, dass Professor Simmonds nach Brüssel entsandt worden ist? Laut einer früheren Kommilitonin soll er offenbar einen Ausschuss über Fischfangrechte in der Nordsee leiten“, teilte Katie ihr jetzt ganz nebenbei mit.

„Wie bitte? Nein, das wusste ich nicht!“ Louise wurde blass.

„Nein? Ich dachte, du wärst ihm vielleicht schon über den Weg gelaufen“, meinte Katie unschuldsvoll.

„Nein, bin ich nicht!“ Doch wenn das stimmte, was Katie ihr eben erzählt hatte, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis es so weit war. Dieser Ausschuss, den Katie erwähnt hatte, musste derselbe sein, in den auch Louises Chefin einberufen worden war. Was für ein verdammter Zufall … Louises Gedanken überschlugen sich, und ihr wurde übel, dennoch wollte sie sich vor Katie nicht anmerken lassen, was für ein Schock das für sie war.

„Ich weiß, du magst ihn nicht“, sagte Katie ruhig.

„Nein, das tue ich auch nicht“, bestätigte Louise schroff. „Immerhin hat er mir meinen Abschluss verdorben, und …“

„Louise, das ist unfair.“

Louise wandte den Blick zur Seite. Da war so vieles, was Katie nicht wusste und was sie ihr auch einfach nicht erzählen konnte. Gareth Simmonds war in einer für sie besonders traumatischen Zeit ihr Tutor in Oxford gewesen, und er hatte nicht nur miterlebt, wie sehr sie sich damals zum Narren gemacht hatte, sondern auch … Louise nagte an ihrer Unterlippe. Das Gefühl der Panik wollte nicht abebben, im Gegenteil. „Oh, das ist der letzte Aufruf für meinen Flug!“, rief sie erleichtert. Sie umarmte Katie rasch zum Abschied, nahm ihre Tasche und eilte zum Gate.

Gareth Simmonds in Brüssel! Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

2. KAPITEL

Gareth Simmonds in Brüssel. Leise aufstöhnend schloss Louise die Augen.

Typisch Katie, dass sie diese Bombe erst in allerletzter Minute hatte platzen lassen!

Gareth Simmonds. In ohnmächtiger Wut presste sie die Kiefer aufeinander. Sie hatte damals ihr erstes Studienjahr zur Hälfte hinter sich gehabt, als er die Nachfolge ihres vorherigen Tutors angetreten hatte, der aus gesundheitlichen Gründen unerwartet in den Ruhestand gegangen war. Gareth und sie waren sofort aneinandergeraten.

Er zeigte schon bald ganz offen, dass er ein wesentlich fordernderer Tutor zu werden gedachte, und das behagte ihr nicht. Sie war an seinen ältlichen, kränkelnden Vorgänger gewöhnt gewesen, der sie meist sich selbst überlassen hatte. Das hatte Louise natürlich hervorragend gepasst, denn so hatte sie nur ein Minimum an Zeit für ihr Studium aufbringen müssen und sich umso stärker auf das konzentrieren können, was seinerzeit das wichtigste Ziel für sie gewesen war – nämlich Saul in sich verliebt zu machen.

Die Situation wäre schon schlimm genug gewesen, wenn Gareth sich mit der Rolle des Tutors begnügt hätte, aber nein, das hatte ihm nicht gereicht. Er hatte auch noch die unglaubliche Dreistigkeit besessen, sich in ihr Privatleben einzumischen.

Louise straffte zornig die Schultern. Jetzt hatte sie endlich angefangen, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken; und nach den Ereignissen des Wochenendes hatte sie erstmals wieder das Gefühl, ihre Selbstachtung zurückgewonnen zu haben – und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt sollte ihr die ganze hässliche Vergangenheit durch Gareth Simmonds wieder vor Augen gehalten werden!

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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