Die Schöne und der geheimnisvolle Apollo

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

London, 1741. Angst - und Faszination! Im verwilderten Garten des Harte’s Folly Theater entdeckt die schöne Schauspielerin Lily Stump einen Mann, der dort arbeitet. Wie ein wilder Gott sieht er aus, breitschultrig und muskulös. Er kann nicht sprechen - aber seine Nähe erfüllt sie mit einer nie gekannten Erregung, und sein erster Kuss macht sie atemlos! Doch wer ist dieser Fremde mit der Kraft einer entfesselten Naturgewalt? Als kurz darauf Schüsse durch den Garten hallen, die ihm gelten, stellt Lily Fragen. Und bekommt von dem verleumdeten Viscount Kilbourne Antworten, die sie zutiefst erschüttern! Kann sie ihm mit ihrer Liebe helfen?


  • Erscheinungstag 03.04.2020
  • Bandnummer 121
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748647
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nun, einst gab es einen König, der dafür lebte, Krieg zu führen. Seine Kleidung bestand aus einem Kettenhemd und Lederrüstung, er dachte nur an Strategien und Konflikte, und nachts träumte er von den Schreien seiner Feinde und lächelte im Schlaf …

Aus: Der Minotaurus

April 1741

London, England

Als Mutter eines siebenjährigen Jungen war Lily Stump an seltsame Gesprächsthemen gewöhnt. Da gab es die Debatte, ob Fische Kleidung trugen. Die tiefschürfende und aufschlussreiche Diskussion darüber, woher Bonbons kamen und den darauffolgenden Vortrag, warum kleine Jungen sie nicht jeden Tag frühstücken durften. Und natürlich die berühmt-berüchtigte Diskussion, warum Hunde bellen und Katzen nicht. Also war es nicht wirklich Lilys Schuld, dass sie nicht darauf achtete, als ihr Sohn beim Mittagessen verkündete, dass es ein Monster im Garten gab.

„Indio“, bemerkte Lily nur ein wenig verärgert, „musst du dir wirklich deine marmeladenverschmierten Finger an Daffodil abwischen? Ich glaube nicht, dass ihr das gefällt.“

Leider war das nur allzu offensichtlich nicht wahr. Daffodil, ein sehr junges und sehr dummes rotes italienisches Windspiel mit einer weißen Blesse auf seiner Brust, bog bereits seinen schlanken Körper zu einem Kreis, um das klebrige Stück auf ihrem Rücken abzulecken.

„Mama“, sagte Indio sehr geduldig, während er sein Marmeladenbrot ablegte, „hast du mich nicht gehört? Da ist ein Monster im Garten.“ Er kniete auf seinem Stuhl und jetzt lehnte er sich über den Tisch nach vorne, um seine Worte zu bekräftigen. Eine Locke seines dunklen, lockigen Haars fiel ihm in sein rechtes, blaues Auge. Indios anderes Auge war grün, was manche Leute befremdlich fanden, obwohl Lily sich schon lange an die Ungleichheit gewöhnt hatte.

„Hatte es Hörner?“, fragte das dritte Mitglied ihrer kleinen Familie sehr ernst.

„Maude!“, zischte Lily.

Maude Ellis knallte einen Teller mit Käse auf ihren nur ein wenig angesengten Tisch und stemmte die Hände in ihre knochigen Hüften. Maude hatte fünf Dekaden erlebt und trotz ihrer kleinen Statur – sie reichte Lily gerade bis an die Schulter – scheute sie sich niemals, ihre Meinung zu sagen. „Na, und könnte es nicht der Teufel sein, den er gesehen hat?“

Lily kniff warnend die Augen zusammen – Indio neigte zu recht beunruhigenden Albträumen, und diese Unterhaltung schien ihr keine gute Idee zu sein. „Indio hat den Teufel nicht gesehen – und auch kein Monster, was das angeht.“

„Doch“, beharrte Indio. „Aber er hat keine Hörner. Er hat so breite Schultern.“ Und er zeigte das, indem er seine Arme so weit ausstreckte wie er konnte, wobei er beinahe seine Schüssel mit Karottensuppe auf den Boden warf.

Lily fing die Schüssel geschickt – zur großen Enttäuschung von Daffodil. „Indio, bitte iss deine Suppe, bevor sie auf dem Boden endet.“

„Also isses kein Dunnie“, sagte Maude entschieden und setzte sich auf ihren Stuhl. „Die sind ziemlich klein, außer wenn sie sich in ein Pferd verwandeln. Hat er sich in ein Pferd verwandelt, Kleiner?“

„Nein, Maude.“ Indio schaufelte sich einen großen Löffel Suppe in den Mund und redete dann bedauerlicherweise weiter. „Er sieht aus wie ein Mann, aber größer und Furcht einflößender. Seine Hände sind so groß wie … wie …“ Indio zog seine kleinen Augenbrauen zusammen, während er über einen passenden Vergleich nachdachte.

„Dein Kopf“, warf Lily helfend ein. „Ein Dreispitz. Eine Lammkeule. Daffodil.“

Daffodil bellte bei der Erwähnung ihres Namens und drehte sich fröhlich im Kreis.

„War er tropfnass oder ganz grün?“, fragte Maude.

Lily seufzte und sah zu, wie Indio versuchte, sein Monster zu beschreiben, und Maude versuchte es, anhand ihrer langen Liste von Feen, Kobolden und imaginären Kreaturen zu identifizieren. Maude war im Norden Englands aufgewachsen und hatte ihre prägenden Jahre offenbar damit zugebracht, sich die schrecklichsten Volksmärchen zu merken. Lily hatte diese Geschichten selbst von Maude gehört, als sie noch klein gewesen war – was zu einigen qualvollen Nächten geführt hatte. Sie bemühte sich – meist ohne Erfolg –, Maude davon abzuhalten, Indio dieselben Geschichten zu erzählen.

Sie ließ den Blick durch den recht heruntergekommenen Raum wandern, in den sie gestern Nachmittag eingezogen waren. Ein kleiner Kamin befand sich an einer verkohlten Wand. Maudes Bett und ihre Truhe standen dicht aneinandergedrängt. Der Tisch und vier Stühle befanden sich in der Mitte des Zimmers. Ein winziger Schreibtisch und ein wackeliges dunkellilafarbenes Sofa standen in der Nähe der Feuerstelle. An der Seite gelangte man durch eine Tür in ein kleines Zimmer – einer ehemaligen Künstlergarderobe –, in dem Lily ihr Bett und Indio sein Kinderbett stehen hatten. Diese beiden Räume waren alles, was von den Garderobenräumen des einstmals großen Theaters von Harte’s Folly übrig waren. Das Theater – und mit ihm der gesamte Lustgarten – waren im Herbst zuvor niedergebrannt. Der Gestank des Rauchs hielt sich über dem Ort wie ein Geist, obwohl der Großteil der Trümmer inzwischen abtransportiert worden war.

Lily schauderte. Vielleicht brachte der düstere Ort Indio dazu, sich Monster einzubilden.

Indio schluckte einen großen Bissen seines Marmeladenbrots herunter. „Er hat struppiges Haar, und er lebt im Garten. Daff hat ihn auch gesehen.“

Sowohl Lily als auch Maude blickten den kleinen Windhund an. Daffodil saß neben Indios Stuhl und kaute an ihrer hinteren Pfote. Noch während sie zusahen, verlor sie das Gleichgewicht und plumpste auf den Rücken.

„Vielleicht hat Daffodil etwas gegessen, das ihr nicht bekommen ist“, bemerkte Lily diplomatisch, „und wegen der Bauchschmerzen hat sie geglaubt, ein Monster zu sehen. Ich habe kein Monster im Garten gesehen und Maude auch nicht.“

„Na ja, da war dieser Fährmann mit der großen Nase, der gestern so verdächtig am Kai herumlungerte“, murmelte Maude. Lily bedachte sie mit einem scharfen Blick, und Maude fügte hastig hinzu: „Äh, aber nein, ich hab noch nie ein echtes Monster gesehen. Nur Fährmänner mit großen Nasen.“

Indio dachte über das Gesagte nach. „Mein Monster hat eine große Nase.“ Seine zweifarbigen Augen weiteten sich, als er aufgeregt aufsah. „Und einen Haken. Vielleicht schneidet er mit dem Haken Kinder in kleine Stücke und frisst sie!“

„Indio!“, rief Lily. „Das reicht.“

„Aber Mama …“

„Nein. Warum reden wir nicht über Kleidung für Fische oder … oder wie wir Daffodil beibringen, Sitz zu machen und Pfötchen zu geben?“

Indio seufzte heftig. „Ja, Mama.“ Er ließ die Schultern hängen wie die personifizierte Niedergeschlagenheit, und Lily dachte, er würde eines Tages ein großartiger Schauspieler werden. Sie warf Maude einen bittenden Blick zu.

Aber Maude schüttelte nur den Kopf und beugte sich über ihre Suppe.

Lily räusperte sich. „Ich bin sicher, etwas Unterricht würde Daffodil guttun“, sagte sie ein wenig verzweifelt.

„Wahrscheinlich.“ Indio schluckte den letzten Löffel seiner Suppe herunter und umklammerte das Brot in seiner Hand. Er sah Lily mit großen Augen an. „Darf ich bitte vom Tisch aufstehen, Mama?“

„Oh, na gut.“

Rasch sprang er von seinem Stuhl auf und rannte zur Tür. Daffodil flitzte bellend hinter ihm her.

„Geh nicht in die Nähe des Teichs!“, rief Lily.

Die Tür zum Garten fiel knallend ins Schloss.

Lily zuckte zusammen und sah die ältere Frau an. „Das verlief nicht besonders gut, oder?“

Maude zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, aber der Junge ist sensibel, das ist er. Warst du in dem Alter auch.“

„War ich das?“

Maude war ihr Kindermädchen gewesen – und, um ehrlich zu sein, viel mehr. Sie mochte abergläubisch sein, aber Lily vertraute Maude bedingungslos, wenn es um das Aufziehen von Kindern ging. Und das war auch gut, weil sie Indio allein großziehen musste. „Sollte ich ihm nachgehen, was meinst du?“

„Aye, in einer Weile. Jetzt bringt es nichts. Gib ihm ein Weilchen, um sich zu beruhigen.“ Maude deutete mit dem Kinn auf Lilys Schüssel. „Am besten isst du erst einmal, meine Kleine.“

Lilys Mundwinkel zog sich nach oben, als sie das alte Kosewort hörte. „Ich wünschte, ich hätte einen anderen Ort gefunden, an dem wir bleiben könnten. Einen, der nicht so …“ Sie zögerte, unwillig, der Atmosphäre des ruinierten Lustgartens einen Namen zu geben.

„Unheimlich ist“, vollendete Maude prompt, die damit kein Problem hatte. „All die verbrannten Bäume und eingestürzten Gebäude und nachts keine Menschenseele in der Nähe. Ich lege jede Nacht einen kleinen Beutel mit Knoblauch und Salbei unter mein Kopfkissen, ja, das tue ich, und du solltest das auch.“

„Mhm“, murmelte Lily zurückhaltend. Sie war nicht ganz sicher, ob sie mit dem Geruch von Knoblauch und Salbei aufwachen wollte. „Zumindest sind die Arbeiter tagsüber hier.“

„Und ein heruntergekommener Haufen ist das, alle miteinander“, sagte Maude entschieden. „Ich weiß nicht, wo Mr. Harte diese sogenannten Gärtner herhat, aber es würde mich nicht überraschen, wenn er sie auf der Straße gefunden hätte. Oder noch schlimmer“ – sie beugte sich vor und flüsterte heiser – „er hat sie von einem Schiff aus Irland.“

„Oh Maude“, schalt Lily sie sanft. „Ich weiß nicht, woher du diese Abneigung gegen die Iren hast – sie suchen nur nach Arbeit, wie alle anderen auch.“

Maude schnaubte, während sie energisch Butter auf eine Scheibe Brot strich.

„Außerdem“, fügte Lily hastig hinzu, „sind wir nur hier, bis Mr. Harte ein neues Stück mit einer Rolle für mich produziert.“

„Und wann wird er das tun?“, fragte Maude und blickte zu den verkohlten Balken über ihren Köpfen hinauf. „Er braucht zuerst ein neues Theater und davor ein Grundstück, auf das er es stellen kann. Das dauert mindestens ein Jahr – wahrscheinlich länger.“

Lily zuckte zusammen und öffnete den Mund, aber Maude schüttelte den Kopf und brachte sie so zum Schweigen. „Ich hab dem Mann noch nie vertraut, ich nicht. Viel zu charmant und geschwätzig. Mr. Harte könnte einen Vogel dazu überreden, vom Baum in seine Hand zu fliegen und dann direkt in den Ofen, ja, das könnte er. Oder“ – sie klatschte ein letztes bisschen Butter auf das Brot – „eine Schauspielerin, der ganz London zu Füßen liegt, davon überzeugen, in seinem Theater zu spielen – und nur in seinem Theater.“

„Na ja, gerechterweise muss man sagen, Mr. Harte konnte damals nicht wissen, dass sein Lustgarten und das Theater niederbrennen würden.“

„Nein, aber er wusste, dass es Mr. Sherwood verärgern würde.“ Maude biss in ihr Brot, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

Lily krauste angesichts der Erinnerung die Nase. Mr. Sherwood, der Besitzer des King’s Theatre und ihr ehemaliger Arbeitgeber, war ein ziemlich rachsüchtiger Mann. Er hatte Lily geschworen, dafür zu sorgen, dass sie nirgendwo in London mehr Arbeit finden würde, wenn sie Mr. Harte und seinem Angebot, ihr das Doppelte von dem zu zahlen, das Mr. Sherwood ihr gezahlt hatte, folgte.

Das war kein Problem gewesen, bis Harte’s Folly niedergebrannt war. Da hatte Lily herausgefunden, dass Mr. Sherwood sein Versprechen gehalten hatte: Alle anderen Theater in London weigerten sich, sie für sie spielen zu lassen.

Jetzt, nachdem sie sechs Monate nicht gearbeitet hatte, hatte sie ihre geringen Ersparnisse aufgebraucht, was ihre kleine Familie dazu gezwungen hatte, ihre eleganten gemieteten Räume aufzugeben.

„Zumindest lässt Mr. Harte uns hier umsonst wohnen“, bemerkte Lily recht kläglich.

Zum Glück war Maudes Antwort wortlos, da sie gerade einen Löffel Suppe aß.

„Tja, ich sollte wirklich nach Indio sehen“, meinte Lily und stand auf.

„Und was wird dann aus deinem Mittagessen?“ Maude, die ihre Mahlzeit beendet hatte, nickte in Richtung von Lilys halb gegessener Suppe.

„Die esse ich später.“ Lily biss sich auf die Unterlippe. „Ich hasse es, wenn er aufgebracht ist.“

„Du verhätschelst den Jungen“, schnaubte Maude, aber Lily bemerkte, dass die ältere Frau keine weiteren Einwände erhob.

Lily unterdrückte ein Lächeln. Wenn jemand Indio verhätschelte, dann war es Maude selbst. „Ich bin bald zurück.“

Maude winkte, als Lily sich zur Tür nach draußen wandte. Die Tür quietschte entsetzlich, als sie sie öffnete. Eine der Angeln war von der Hitze des Feuers gesprungen, und die Tür hing schief. Draußen war es wolkig. Dunkelgraue Wolken versprachen mehr Regen, und der Wind peitschte über den geschwärzten Boden. Lily zitterte und schlang die Arme fest um sich. Sie hätte ihr Schultertuch mitnehmen sollen.

„Indio!“ Ihr Ruf wurde vom Wind geschwächt.

Hilflos sah sie sich um. Was einst ein eleganter Lustgarten gewesen war, war vom Feuer und dem Frühlingsregen in ein Meer aus Schlamm verwandelt worden. Die Hecken, die die Kieswege gesäumt hatten, waren verbrannt und abgestorben und wanden sich bis in die Ferne. Links befanden sich die Überreste des gepflasterten Hofs und der Logen, wo die Musiker für die Gäste gespielt hatten: eine Reihe zerbrochener Pfeiler, die nichts als den Himmel stützten. Rechts ragte ein Wäldchen empor mit ein bisschen spiegelndem Wasser, das dahinter hervorblitzte – alles, was von einem Zierteich übrig geblieben war, der jetzt voller Schlamm war. Hier und da schaute ein wenig Grün aus dem Grau und dem Schwarz, aber sie musste zugeben, dass zumindest an einem so bedeckten Tag wie diesem, wenn Nebelschwaden über den Boden zogen, der Garten recht unheilverkündend und ziemlich beängstigend wirkte.

Lily verzog das Gesicht. Sie hätte Indio niemals allein zum Spielen nach draußen gehen lassen dürfen, aber es war schwierig, einen quirligen kleinen Jungen drinnen zu halten. Sie ging einen der Wege entlang, rutschte ein wenig im Schlamm aus und wünschte, sie hätte zuerst ihre Überschuhe angezogen, bevor sie nach draußen gegangen war. Wenn sie ihren Sohn nicht bald fand, würde sie die üppig bestickten Pantoffeln an ihren Füßen ruinieren.

„Indio!“

Sie umrundete das, was einmal ein kleines Dickicht gestutzter Bäume gewesen war. Nun knarrten die verkohlten Äste im Wind. „Indio!“

Aus dem Dickicht ertönte ein Grunzen.

Lily erstarrte.

Da war es wieder – noch lauter als zuvor. Das Geräusch war zu laut und zu tief für Indio. Es klang beinahe wie ein … ein großes Tier.

Sie blickte sich rasch um, aber sie war vollkommen allein. Sollte sie zurückkehren, um Maude zu holen? Aber Indio war da draußen!

Ein weiteres Grunzen, diesmal lauter. Ein Rascheln.

Im Gebüsch atmete etwas schwer.

Gütiger Gott. Lily raffte die Röcke, falls sie weglaufen musste und schlich vorwärts.

Ein Stöhnen und ein tiefer, grollender Laut.

Wie ein Knurren.

Sie schluckte und spähte um einen verbrannten Stamm herum.

Zuerst sah das, was sie erblickte aus wie ein riesiger, sich bewegender, schlammbedeckter Hügel, und als es sich aufrichtete, enthüllte es einen endlos breiten Rücken, riesige Schultern und einen zotteligen Kopf.

Lily konnte nichts dagegen tun. Sie gab einen Ton von sich, der gefährlich nah an einem Quietschen war.

Das Ding wirbelte herum – viel schneller, als etwas so Großes das tun dürfte – und ein schreckliches, rußverschmutztes Gesicht starrte sie an, eine Pranke erhoben, als wollte das Wesen sie angreifen. Darin befand sich ein scharfes, hakenförmiges Messer.

Lily schluckte. Wenn sie diesen Tag überlebte, musste sie sich bei Indio entschuldigen.

Denn da war ein Monster im Garten.

Dieser Tag ist kein guter, dachte Apollo Greaves, Viscount Kilbourne.

Grob geschätzt, war die Hälfte der Gehölze und der anderen Pflanzen im Lustgarten abgestorben – und ein weiteres Viertel vielleicht ebenfalls. Die Frischwasserquelle des Zierteichs war von Schutt blockiert, und das Gewässer stand nun. Die Gärtner, die Asa angeheuert hatte, waren ein ungelernter Haufen. Und zu allem Überfluss hatte der Frühlingsregen das, was von Harte’s Folly übrig war, in einen schlammigen Morast verwandelt. Bis der Boden getrocknet war, war es unmöglich, etwas zu pflanzen oder die Erde umzugraben.

Und jetzt stand diese fremde Frau in seinem Garten.

Apollo starrte in große moosgrüne Augen, die von so dunklen und dichten Wimpern umgeben waren, dass sie aussahen wie verschmierter Ruß. Die Frau – das Mädchen? Sie war nicht sehr groß, aber ein rascher Blick auf ihr Mieder zeigte ihm, dass sie zwar ein schmales Ding war, aber durchaus sehr weiblich, das hier draußen törichterweise nur ein grünes Samtkleid, das reich mit Rot und Gold bestickt war, anhatte. Sie trug nicht einmal eine Haube. Ihr dunkles Haar löste sich aus einem unordentlichen Knoten in ihrem Nacken, und flatternde Strähnen wehten ihr über die rosigen Wangen. Tatsächlich war sie auf eine knabenhafte Art und Weise sehr hübsch.

Aber das tat nichts zur Sache.

Wo war sie hergekommen? Soweit er wusste, waren die einzig anderen Menschen im ruinierten Lustgarten diese sogenannten Gärtner, die momentan an den Hecken hinter dem Teich arbeiteten. Er hatte gerade seinen Ärger an dem toten Baumstumpf ausgelassen und versucht, das Ding von Hand zu entwurzeln, da ihr einziges Zugpferd bei den anderen Männern arbeitete, als er eine weibliche Stimme hatte rufen hören und sie plötzlich aufgetaucht war.

Die Frau blinzelte, und ihr Blick schnellte zu seinem erhobenen Arm.

Apollo folgte ihrem Blick mit den Augen und zuckte zusammen. Er hatte unwillkürlich die Hand erhoben, als er sich zu ihr umgedreht hatte und das Baummesser, das er festhielt, hätte man durchaus als bedrohlich empfinden können.

Hastig senkte er den Arm. Nun stand er in seinem schlammbeschmutzten Hemd und der Weste schwitzend und stinkend da und fühlte sich wie ein dummer Ochse neben ihrer weiblichen Zartheit.

Aber anscheinend beruhigte seine Geste sie. Sie richtete sich auf – nicht, dass das bei ihrer Größe einen Unterschied gemacht hätte. „Wer sind Sie?“

Er hätte sie gerne das Gleiche gefragt, aber leider konnte er das dank der letzten Prügel, die er in Bedlam erhalten hatte, nicht.

Ein wenig zu spät erinnerte er sich daran, dass er ein einfacher Arbeiter sein sollte. Er nestelte an einer Stirnlocke und senkte den Blick – zu den elegant bestickten Pantoffeln, die mit Schlamm verkrustet waren.

Wer war diese Frau?

„Sagen Sie es mir jetzt sofort“, sagte sie recht gebieterisch, wenn man bedachte, dass sie in drei Zoll Schlamm stand. „Wer sind Sie, und was machen Sie hier?“

Er sah in ihr Gesicht – die Augenbrauen hochgezogen, eine üppige, rosige Unterlippe, auf die sie biss – und sah wieder zu Boden. Er tippte sich auf den Hals und schüttelte den Kopf. Wenn sie das nicht verstand, war sie um einiges dümmer, als sie aussah.

„Oh“, hörte er sie sagen, während er auf ihre Schuhe starrte. „Oh, das habe ich nicht bemerkt.“ Sie hatte eine heisere Stimme, die nun einen sanfteren Ton angenommen hatte. „Nun, es ist nicht wichtig. Sie können hier nicht bleiben, das müssen Sie verstehen.“

Unbemerkt verdrehte er die Augen. Was meinte sie? Er arbeitete im Garten – sicher konnte sie das erkennen. Wer war sie, dass sie ihm befahl zu gehen?

„Sie.“ Sie zog das Wort in die Länge und sprach es deutlich aus, als hielte sie ihn für schwerhörig. Manche glaubten, dass er, da er nicht sprechen konnte, auch nicht hören konnte. Er spürte, dass er anfing, finster dreinzublicken und bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. „Können. Nicht. Hierbleiben.“ Eine Pause, dann murmelte sie: „Oh, um Himmels willen. Ich weiß nicht einmal, ob er mich versteht. Ich kann nicht glauben, dass Mr. Harte erlaubt hat …“

Und Apollo begriff mit amüsiertem Entsetzen, dass dieser schreckliche Tag ins absolut Lächerliche abgedriftet war. Diese lächerlich gekleidete Frau hielt ihn für einen Idioten.

Sie räusperte sich. „Sehen Sie mich bitte an.“

Langsam hob er den Blick und gab sich Mühe, sein Gesicht ausdruckslos zu halten.

Die Brauen waren über ihren großen Augen zusammengezogen. Zweifellos hielt sie diesen Gesichtsausdruck für streng, aber in Wirklichkeit war er recht bezaubernd. Wie ein kleines Mädchen, das mit einem Kätzchen schimpft. Sie sollte nicht allein in diesem niedergebrannten Garten sein. Wäre er eine andere Art von Mann – ein brutaler Mann, wie die, die Bedlam leiteten – wäre ihre Ehre, vielleicht sogar ihr Leben in Gefahr gewesen. Hatte sie keinen Ehemann, keinen Bruder, keinen Vater, der dafür sorgte, dass sie in Sicherheit war? Wer ließ diese kleine Frau allein hier draußen herumlaufen?

Er bemerkte, dass ihr Gesichtsausdruck weicher geworden war, während er weiterhin geschwiegen hatte.

„Sie können es mir nicht sagen, oder?“, fragte sie leise.

Er erfuhr Mitleid von anderen, seit er seine Stimme verloren hatte. Normalerweise machte es ihn wütend und verzweifelt – nach neun Monaten war er immer noch nicht sicher, ob er seine Stimme je wiederfinden würde. Aber ihre Frage rief nicht den üblichen Ärger hervor. Vielleicht war es ihr weiblicher Charme – es war eine Weile her, dass eine Frau außer seiner Schwester versucht hatte, mit ihm zu reden – oder vielleicht lag es auch einfach an ihr selbst.

Die Frau sprach mit Mitgefühl, nicht mit Verachtung und das machte den Unterschied.

Er schüttelte den Kopf und beobachtete sie, setzte eine unbeteiligte Miene auf und reagierte nicht.

Sie seufzte und schlang die Arme um sich. Dabei sah sie sich um. „Was soll ich tun?“, murmelte sie. „Ich kann Indio nicht allein hier draußen lassen.“

Apollo musste sich Mühe geben, um sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Wer oder was war Indio?

„Gehen Sie!“, sagte sie entschlossen und so plötzlich, dass er blinzelte. Sie deutete befehlend mit dem Finger hinter ihn.

Apollo unterdrückte ein Grinsen. Sie gab nicht auf, oder? Er drehte sich langsam um, sah in die Richtung, in die sie zeigte und wandte sich dann noch langsamer wieder ihr zu. Dabei ließ er den Mund halb offen stehen.

„Oh!“ Sie ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten, während sie gen Himmel sah. „Das ist unerträglich.“

Sie trat zwei rasche Schritte nach vorne, legte ihm die Hände auf die Brust und drückte.

Er ließ sich von ihrem Schubs einen Zoll zurückschwingen, bevor er sich wieder aufrichtete. Sie erstarrte und sah ihn an. Ihr Kopf reichte kaum bis zur Mitte seiner Brust.

So dicht stand sie vor ihm, dass er spürte, wie ihr Atem über seine Lippen streifte. Die Wärme ihrer Hände schien durch den rauen Stoff seiner Weste zu brennen. Aus dieser Nähe betrachtet, waren ihre Augen riesig, und er konnte sehen, dass ihre Pupillen von goldenen Splittern gesprenkelt waren.

Sie öffnete den Mund, und sein Blick fiel auf ihre Lippen.

„Mama!“

Das gezischte Wort ließ sie beide zusammenfahren.

Apollo wirbelte herum. Ein kleiner Junge stand auf dem schlammigen Weg direkt vor dem Gestrüpp. Er hatte schulterlanges, dunkles lockiges Haar, trug eine rote Jacke und blickte wild drein. Neben ihm stand der lächerlichste Hund, den Apollo je gesehen hatte: ein zierliches, kleines Windspiel, dessen Ohren nach links fielen. Sein Kopf saß aufrecht auf einem schmalen Hals und die rosa Zunge hing ihm auf einer Seite aus dem Maul. Das gesamte Verhalten des Hundes hätte man als überrascht bezeichnen können.

Der Hund erstarrte, als Apollo sich bewegte, dann drehte er sich um und rannte davon.

Das Gesicht des Jungen verzog sich angesichts dieser Fahnenflucht, dann straffte er die kleinen Schultern und starrte Apollo wütend an. „Geh weg von ihr!“

Endlich: Ihr Beschützer – obwohl Apollo auf jemand Imposanteren gehofft hatte.

„Indio.“ Die Frau trat hastig von Apollo zurück und strich über ihre Röcke. „Da bist du ja. Ich habe dich gerufen.“

„Es tut mir leid, Mama.“ Apollo bemerkte, dass das Kind ihn nicht aus den Augen ließ – eine Haltung, die er schätzte.

„Daff und ich haben den Garten ausgekundschaftet.“

„Nun, nächstes Mal kundschafte näher am Theater. Ich will nicht, dass du auf jemanden triffst, der vielleicht …“ Sie verstummte und blickte Apollo beklommen an. „Äh, gefährlich ist.“

Apollo riss die Augen auf und versuchte, harmlos auszusehen – leider war das beinahe unmöglich. Im Alter von fünfzehn war er bereits einen Meter achtzig groß gewesen und war in den vierzehn Jahren danach noch um einige Zoll gewachsen. Wenn man seine breiten Schulter, seine riesigen Hände und sein Gesicht, das seine Schwester einmal liebevoll mit dem eines Wasserspeiers verglichen hatte, hinzufügte, war harmlos auszusehen ein Ding der Unmöglichkeit.

Seine Befürchtung, was die Wirkung seines äußeren Erscheinungsbildes anbetraf, wurde wahr, als die Frau sich von ihm entfernte und die Hand ihres kleinen Sohns nahm. „Komm. Lass uns herausfinden, wo Daffodil hingelaufen ist.“

„Aber Mama“, flüsterte der Junge laut. „Was ist mit dem Monster?“

Man musste kein Genie sein, um zu begreifen, dass das Kind ihn meinte. Apollo seufzte beinahe.

„Mach dir keine Sorgen“, antwortete die Frau entschieden. „Ich werde morgen so schnell wie möglich mit Mr. Harte über das Monster sprechen. Es wird morgen verschwunden sein.“

Sie warf Apollo einen letzten Blick zu, drehte sich um und zog den Jungen mit sich.

Apollo blickte mit zusammengekniffenen Augen ihrem Rücken nach. So klein und zierlich sie war, strahlte sie doch eine beeindruckende Selbstsicherheit aus. Grünauge würde einen Schreck bekommen, wenn sie herausfand, wer von ihnen aus dem Garten geworfen werden würde.

2. KAPITEL

Der König hatte eine große Armee und mit der marschierte er über Felder und Berge und unterwarf alle Völker, auf die er traf, bis er schließlich zu einer Insel kam, die im blauen Meer lag wie eine Perle in einer Austernschale. Diese eroberte er sofort, und als er sah, wie schön die Insel war, ließ er sofort nach seiner Königin schicken und einen goldenen Palast als ihr Zuhause errichten. Aber in der ersten Nacht, in der er dort schlief, kam im Traum ein schwarzer Stier zu ihm …

Aus: Der Minotaurus

Für einen Mann, der einen Lustgarten besaß, lebte Asa Makepeace ganz sicher nicht im Luxus – wenn überhaupt, kam er dem Elend gefährlich nahe.

Apollo stieg am nächsten Morgen die letzten drei wackeligen Treppen zu Makepeace’ gemieteten Räumen hinauf. Makepeace lebte in Southwark, das am südlichen Ufer der Themse lag, nicht allzu weit von Harte’s Folly. Auf dem Gang gab es zwei Türen, eine rechts, die andere links.

Apollo hämmerte an die rechte Tür, dann hielt er inne und legte das Ohr an die Tür. Er hörte ein leises Rascheln und dann ein Stöhnen. Er richtete sich auf und hämmerte erneut gegen das Holz.

„Ich muss doch bitten.“ Die linke Tür öffnete sich und ein gekrümmter, älterer Mann erschien, eine weiche, rote Samtmütze auf dem Kopf. „Manche von uns wollen morgens schlafen!“

Apollo wandte sich ein wenig ab, verbarg das Gesicht hinter seinem breitkrempigen Hut und winkte dem alten Mann entschuldigend zu.

Der alte Mann warf seine Tür in dem Moment zu, als Makepeace die seine öffnete.

„Was?“ Makepeace stand in der Tür und schwankte leicht, wie im Wind. „Was?“ Sein gelblich-braunes Haar stand ihm vom Kopf ab wie die Mähne eines Löwen – vorausgesetzt, der Löwe war in einen Zyklon geraten – und sein Hemd war aufgeknöpft und enthüllte eine sehr behaarte, kräftige Brust.

Zumindest trug er Breeches.

Apollo drängte sich an seinem Freund vorbei in das Zimmer – aber kam nicht weit. Es war einfach nicht genug Platz, um sich zu bewegen. Der Raum strotzte, wimmelte, war übersät von Dingen: Bücherstapel standen auf dem Boden, dem Tisch und sogar dem Himmelbett in der Ecke, ein lebensgroßes Porträt eines Mannes lehnte an einer Wand neben einem ausgestopften Raben, der neben einem schwankenden Stapel angeschlagener, schmutziger Teller stand und daneben befand sich ein vier Fuß großes Modell eines Schiffs mit Takelage und allem. Bunte Kostüme waren in einer Ecke willkürlich aufgetürmt, und Papiere waren in einem wilden Durcheinander über allem verteilt.

Makepeace schloss die Tür und ein paar Blätter flatterten zu Boden. „Wie spät ist es?“

Apollo deutete auf eine große rosafarbene Porzellanuhr, die auf einem Stapel Bücher auf dem Tisch lag, bevor er genauer hinsah und bemerkte, dass die Uhr stehen geblieben war. Oh, um Gottes willen. Er wählte einen direkteren Weg, die Uhrzeit mitzuteilen, indem er den Tisch umrundete, zum einzigen Fenster trat und die schweren Samtvorhänge aufriss.

Eine Staubwolke stob aus dem Stoff auf und tanzte hübsch im Licht der frühen Morgensonne, die nun in das Zimmer strömte.

„Ahhh!“ Makepeace reagierte, als würde er aufgespießt. Er stolperte und warf sich zurück aufs Bett. „Hast du kein Mitleid? Es kann noch nicht Mittag sein.“

Apollo seufzte und ging zu seinem Freund hinüber. Unsanft schob er eines seiner Beine beiseite und setzte sich auf die Bettkante. Dann holte er sein allgegenwärtiges Notizbuch und einen Bleistiftstummel hervor.

Er schrieb Wer ist die Frau im Garten? Und hielt das Notizbuch Makepeace vor die Augen. Makepeace schielte für eine Weile, bevor er die Schrift fokussierte. „Welche Frau? Du bist verrückt, Mann, da ist keine Frau in irgendeinem Garten, es sei denn du redest über Eva in dem Garten, was dich zu Adam machen würde, und ich würde bezahlen, um das zu sehen, besonders, wenn du einen Gürtel aus Eichenblättern …“

Während er noch schwafelte, hatte Apollo weiter geschrieben. Nun zeigte er es wieder seinem Freund und unterbrach damit dessen Tirade: Grüne Augen, übertrieben gut gekleidet, hübsch. Hat einen kleinen Jungen namens Indio.

„Oh, diese Frau“, meinte Makepeace ohne ein Zeichen von Verlegenheit. „Lily Stump. Beste Schauspielerin ihrer Generation – vielleicht aller Generationen, wenn ich darüber nachdenke. Sie ist unglaublich gut – es ist beinahe, als verzauberte sie ihr Publikum, na ja, jedenfalls die männlichen Zuschauer. Benutzt den Namen Robin Goodfellow auf der Bühne. Wunderbare Sache, ausgedachte Namen. Sehr nützlich.“

Bei diesen Worten warf Apollo ihm einen neidischen Blick zu. Asa Makepeace war besser bekannt als Mr. Harte – obwohl nur wenige seine beiden Namen kannten. Makepeace hatte sich den falschen Namen zugelegt, als er Harte’s Folly vor beinahe zehn Jahren eröffnet hatte. Es hatte etwas damit zu tun, dass seine Familie ein religiöser Haufen war und die Bühne und Lustgärten allgemein missbilligte. Makepeace war das eine Mal, als Apollo ihn danach gefragt hatte, sehr vage geblieben.

Apollo schrieb wieder etwas in das Notizbuch. Schaff sie mir aus meinem Garten.

Makepeace‘ Augenbrauen zuckten nach oben, als er die Bemerkung las. „Weißt du, eigentlich ist es mein Garten …“

Apollo starrte ihn wütend an.

Makepeace hob hastig die Hände. „Obwohl du natürlich eine bedeutende Summe darin investiert hast.“

Apollo schnaubte. Verdammt richtig, er hatte eine bedeutende Summe investiert – und zwar alles Kapital, das er vor viereinhalb Jahren hatte zusammenkratzen können. Und da er die meiste Zeit seitdem in Bedlam eingesperrt verbracht hatte, war es ihm nicht möglich gewesen, anderes Kapital oder Einkommen zu erlangen. Seine Investition in Harte’s Folly war sein einziges finanzielles Polster und der Grund, warum er nicht einfach aus London fliehen konnte. Bis Harte’s Folly wieder auf den Füßen stand und Gewinn abwarf, gab es für Apollo keine Möglichkeit, sein Geld zurückzubekommen.

Daher rührte seine Entscheidung zu helfen, indem er die Gartengestaltung des ruinierten Gartens beaufsichtigte.

Makepeace ließ die Hände sinken und seufzte. „Aber ich kann Miss Stump nicht zwingen, den Garten zu verlassen.“

Diesmal machte Apollo sich nicht die Mühe zu schreiben. Er hob nur ungläubig eine Braue und neigte den Kopf.

„Sie kann sonst nirgends hin.“ Plötzlich munter rollte Makepeace sich vom Bett.

Apollo wartete geduldig. Etwas Gutes hatte das Stummsein: Schweigen brachte die anderen zum Reden.

Makepeace schnupperte unter seinem Arm, schnitt eine Grimasse und zog das Hemd aus, bevor es aus ihm herausbrach. „Vielleicht habe ich sie von Sherwood am King’s Theatre gestohlen, was Sherwood aus irgendeinem Grund persönlich genommen hat, der Esel. Er hat es ihr unmöglich gemacht, irgendwo in London Arbeit zu finden. Als sie also letzte Woche zu mir kam, weil sie die Miete für ihre Räume nicht mehr zahlen kann …“

Er zuckte mit den Schultern und warf das schmutzige Hemd in eine Ecke.

Apollo krauste die Stirn und schrieb wie wild. Ich kann mich nicht verstecken, wenn Fremde im Garten herumlaufen.

„Was ist mit den Gärtnern, die wir angeheuert haben?“, fragte Makepeace höhnisch. „Bei denen hast du keinen Aufstand gemacht.“

Die müssen sein – wir brauchen die Gärtner. Außerdem ist keiner von ihnen so intelligent wie Mrs. Stump.

„Miss Stump – soweit ich weiß, gibt es keinen Mr. Stump.“

Abgelenkt blinzelte Apollo und legte den Kopf auf die Seite. Der Junge?

„Ihr Sohn.“ Makepeace streckte die Hand nach einem Krug aus, der wundersamerweise voller Wasser war und goss es in eine angeschlagene Schüssel. „Du weißt, wie die Leute vom Theater manchmal sind. Sei nicht so ein Puritaner.“

Also gehörte sie keinem anderen Mann. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre – sie hielt ihn buchstäblich für einen Idioten, und er versteckte sich vor den Soldaten des Königs, nachdem er aus Bedlam geflohen war.

Apollo seufzte und schrieb: Du musst eine andere Unterkunft für sie finden.

Makepeace neigte den Kopf, um die Bemerkung zu lesen, die ihm hingestreckt wurde und öffnete den Mund wie ein Karpfen an der Angel. „Gute Güte, was für eine wunderbare Idee, Kilbourne! Ich schicke sie einfach auf mein altes Familienschloss in Wales, ja? Es ist ein bisschen heruntergekommen, aber die etwa siebzig Dienstboten und unzähligen Morgen Land werden die Unannehmlichkeiten wettmachen. Oder vielleicht wäre das Château in Südfrankreich mehr nach ihrem Geschmack? Ich weiß nicht, warum ich nicht selbst darauf gekommen bin bei meinen vielen, vielen …“

Apollo unterbrach seine Ansprache, indem er den Kopf seines Freundes in die Waschschüssel tauchte.

Brüllend tauchte Makepeace wieder auf und schüttelte den Kopf so heftig, dass Apollo den Kopf auch selbst in die Schüssel hätte tauchen können.

„Ähem.“

Beide Männer wirbelten herum, als sie das leise Husten hörten.

Der Aristokrat, der in der Tür zu Makepeace’ Räumen stand, war nicht besonders groß – Asa war einige Zoll größer, und Apollo überragte ihn um mehr als einen Kopf. Der Mann posierte lässig, in seiner Hand hielt er locker einen Stock aus Gold und Ebenholz. Er war mit einem rosafarbenen Anzug bekleidet, der mit leuchtenden Blautönen, Grüntönen, Gold und Schwarz bestickt war. Statt der üblichen weißen Perücke trug er sein goldenes Haar ungepudert – obwohl es gelockt und sorgfältig mit einer schwarzen Schleife zurückgebunden war. Apollo hatte Valentine Napier, den siebten Duke of Montgomery, beim ersten Mal als er ihn gesehen hatte – in der Nacht, in der Harte’s Folly gebrannt hatte –, für sich einen Gecken genannt, und es hatte keinen Grund gegeben, diesen Eindruck in den Monaten die verstrichen waren, zu korrigieren. Er hatte jedoch ein Adjektiv hinzugefügt: Montgomery war ein gefährlicher Geck.

„Gentlemen.“ Montgomerys Unterlippe zuckte, als amüsierte er sich. „Ich hoffe, ich störe nicht bei irgendetwas?“

Er blickte vieldeutig von einem zum anderen. Apollo erstarrte.

„Nur meine Morgentoilette“, erwiderte Makepeace und ignorierte die Andeutung. Er nahm ein Tuch und rubbelte sich das Haar kräftig. „Bitte, Sie können gerne gehen und zu einer passenderen Zeit wiederkommen, Euer Gnaden.“

„Oh, aber Sie sind ein so beschäftigter Mann“, murmelte Montgomery und stocherte mit seinem oben vergoldeten Stock in einem Stapel Papieren auf einem Stuhl. Die Papiere glitten herunter und landeten mit einem staubigen Rascheln auf dem Boden. Ein winziges Lächeln flackerte über Montgomerys Gesicht, und Apollo fühlte sich an die graue Katze erinnert, die seine Mutter gehabt hatte, als er noch ein Junge gewesen war. Das Tier war gerne über den Kaminsims im Salon seiner Mutter gewandert und hatte sachte die kleinen Figuren hinuntergeworfen. Die Katze hatte mit gleichgültigem Interesse zugesehen, wie jede Figur am Kamin zerschellt war, bevor sie zur nächsten gegangen war.

„Setzen Sie sich“, sagte Makepeace gedehnt. Er öffnete eine Schublade und nahm ein Hemd heraus.

„Danke“, erwiderte Montgomery ohne jegliches Zeichen von Verlegenheit. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander und schnipste einen winzigen Fusel von seinen seidenen Breeches. „Ich bin hier, um nach meiner Investition zu sehen.“

Apollo runzelte die Stirn. Er war von Anfang an dagegen gewesen, von Montgomery Geld anzunehmen, aber Makepeace hatte ihn wie immer mit seiner Wortgewandtheit irgendwie überredet. Apollo konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten. Montgomery war vor seiner plötzlichen Rückkehr nach London und in die gute Gesellschaft für mehr als zehn Jahre im Ausland gewesen. Niemand schien viel über den Mann zu wissen – oder was er in diesen zehn Jahren gemacht hatte – auch wenn sein Titel und seine Familie wohlbekannt waren.

Ein solches Geheimnis verursachte bei Apollo ein Jucken zwischen den Schulterblättern.

„Gut“, sagte Makepeace laut. „Alles läuft prima. Smith hat die Gartengestaltung gut in der Hand.“

„Sssm-i-th“, Montgomery zog den lächerlichen Namen, den Makepeace Apollo gegeben hatte, zischend in die Länge. Er drehte sich zu Apollo und lächelte recht süßlich. „Und ich glaube, Mr. Makepeace erwähnte, dass Ihr Vorname Samuel lautet, nicht wahr?“

„Er zieht Sam vor“, knurrte Makepeace und fügte ein hastiges „Euer Gnaden“ an.

„Soso.“ Montgomery lächelte immer noch, beinahe für sich selbst. „Mr. Sam Smith. Irgendwie mit den Horace Smiths aus Oxfordshire verwandt?“

Apollo schüttelte einmal den Kopf.

„Nein? Wie schade. Ich habe einige Belange dort. Aber es ist ein sehr gewöhnlicher Name“, murmelte Montgomery. „Und welche Pläne haben Sie für den Garten, wenn ich fragen darf?“

Apollo schlug den hinteren Teil seines Notizbuchs auf und zeigte es dem Duke.

Montgomery beugte sich vor und begutachtete die Skizzen, die Apollo angefertigt hatte, mit geschürzten Lippen.

„Sehr schön“, meinte er schließlich und ließ sich zurücksinken. „Ich werde heute im Laufe des Tages im Garten vorbeischauen und es mir ansehen, ja?“

Apollo und Makepeace tauschten Blicke.

„Das ist nicht nötig, Euer Gnaden“, sagte Makepeace.

„Ich weiß, dass es nicht nötig ist. Nennen Sie es eine Laune. Wie dem auch sei, ich lasse es mir nicht verwehren. Erwarten Sie mich, Mr. Smith.“

Apollo nickte grimmig. Er konnte nicht genau sagen, warum es ihn störte, aber der Gedanke, dass der Duke in seinem Garten herumschnüffelte, gefiel ihm nicht.

Montgomery wirbelte seinen Stock herum und betrachtete das funkelnde Licht des goldenen Oberteils. „Daraus folgere ich, dass wir bald einen Architekten brauchen, um die verschiedenen Gebäude des Lustgartens zu entwerfen und wiederaufzubauen.“

„Sam hat gerade erst mit der Arbeit im Garten angefangen“, erklärte Makepeace. „Er hat viel zu tun – Sie haben gesehen, in welchem Zustand der Garten ist. Wir haben noch genug Zeit, um einen Architekten zu finden.“

„Nein“, widersprach Montgomery bestimmt, „haben wir nicht. Nicht, wenn wir den Garten innerhalb des nächsten Jahres wiedereröffnen wollen.“

„Innerhalb eines Jahres?“, krächzte Makepeace.

„In der Tat.“ Montgomery stand auf und schlenderte zur Tür. „Habe ich Ihnen das nicht gesagt? Ich befürchte, ich bin ein ungeduldiger Mann. Wenn der Garten nicht im April nächsten Jahres bereit für die Gäste – und das Geld, das sie ausgeben – ist, dann befürchte ich, muss ich mir mein Kapital zurückzahlen lassen.“ An der Tür drehte er sich um und warf ihnen ein weiteres seines engelsgleichen Lächelns zu. „Mit Zinsen.“

Leise schloss er die Tür hinter sich.

„Tja, Mist“, sagte Makepeace ausdruckslos.

Apollo musste ihm zustimmen.

„Ist übermütiglich ein richtiges Wort?“, fragte Lily Maude einige Tage später.

Sie saß am Küchen-und-Esszimmertisch, während Maude ihre Wäsche neben dem Kamin aufhängte.

„Übermütiglich“, wiederholte Maude und rollte das Wort im Mund herum. Sie schüttelte entschieden den Kopf, während sie eines von Indios Hemden auf dem Wäscheständer zurechtzupfte. „Nein, hab ich noch nie gehört.“

Verflixt! Lily sah schmollend auf das Stück, das sie schrieb, Der bekehrte Verschwender. Übermütiglich war so ein wunderbares Wort – und sie brauchte wirklich mehr davon. „Na ja, ist es wichtig, ob es ein richtiges Wort ist? William Shakespeare hat alle möglichen neuen Wörter erfunden, oder?“

Maude blickte sie an. „Du bis ziemlich clever, Mädchen, aber du bist kein Shakespeare.“

„Hmm.“ Lily beugte sich wieder über ihr Stück. Übermütiglich klang für sie nach einem hübschen Wort – recht schlau und vielsagend, wie die Heldin ihres Stücks. Dass noch nie jemand auf das Wort gekommen war, schien kein guter Grund zu sein, es nicht zu benutzen.

Sie tauchte die Feder in das Tintenfass und schrieb eine weitere Zeile: „Ein Verschwender mag wohl übermütiglich sein, aber er sollte nicht auch noch vergeuderisch sein.“

Lily neigte den Kopf und sah zu, wie die Tinte trocknete. Hmm. Zwei erfundene Wörter in einer Zeile. Das erzählte sie Maude lieber nicht.

Jemand klopfte an der Theatertür.

Sowohl Lily als auch Maude hielten inne und blickten zur Tür, denn das war noch nie passiert. Zugegeben, sie lebten noch nicht länger im Theater als eine Woche, aber dennoch. Es war nicht die Art von Ort, an dem die Leute vorbeikamen.

Lily runzelte die Stirn. „Wo ist Indio?“

Maude zuckte mit den Schultern. „Ist gleich nach dem Mittagessen zum Spielen rausgegangen.“

„Ich habe gesagt, er soll in der Nähe bleiben“, murmelte Lily, die einen leichten Anflug von Sorge verspürte. Sie war neulich zu Mr. Hartes Räumen gegangen, nachdem sie Indios „Monster“ getroffen hatte, aber er hatte lächerlich fest darauf bestanden, dass der hünenhafte Kerl nicht aus dem Garten entfernt werden konnte. Keines von Lilys wohldurchdachten Argumenten hatte den sturen Mann überzeugt, und schließlich war sie gezwungen gewesen, recht unzufrieden den Rückzug anzutreten. Glücklicherweise war der Stumme seitdem nicht mehr in die Nähe des Theaters gekommen. Unglücklicherweise war Indio von ihm seltsam fasziniert. Mehrere Male war der Junge mit Daffodil im Garten verschwunden, trotz Lilys schrecklicher Drohung Pudding und kleine Jungen betreffend, die nicht auf ihre Mutter hörten.

Sie seufzte, als sie aufstand, um aufzumachen. Sie musste erneut mit Indio über sein „Monster“ sprechen – immer vorausgesetzt, ihr Sohn hatte sich wieder im Garten umgesehen.

Lily öffnete die Tür und sah einen Mann in einem violetten Anzug draußen stehen. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, während er den Garten betrachtete.

Er drehte sich um, und sie wurde von seinem alarmierend guten Aussehen geblendet. Er hatte hellblaue Augen, lange, schokoladenbraune Wimpern, so scharfe Wangenknochen, dass man damit Glas hätte schneiden können und einen weichen, geschwungenen Mund, auf den sie wirklich nicht neidisch war. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen – als ob er beweisen wollte, dass die Vorsehung wirklich, wirklich nicht gerecht war – hatte er goldenes, weiches Haar, das sich perfekt lockte.

Als Lily ein sehr kleines Mädchen gewesen war, hatte sie jede Nacht um goldenes Haar gebetet.

Jetzt blinzelte sie. „Äh … ja?“

Er lächelte. Tödlich. „Habe ich das Vergnügen, mit der berühmten Robin Goodfellow zu sprechen?“

Lily richtete sich auf und reckte das Kinn, nutzte ihr eigenes Lächeln – das, wie sie aus guter Quelle wusste, ziemlich umwerfend sein konnte. Lily Stump mochte gelegentlich eine schlechte Haltung haben, ihr Haar war vielleicht nicht golden und manchmal war es nicht akkurat frisiert, sie mochte im Dunkel der Nacht Ängste und Selbstzweifel haben, aber Robin Goodfellow kannte nichts dergleichen. Robin Goodfellow war eine sehr beliebte Schauspielerin, die von ganz London bewundert wurde.

Und sie wusste es.

Also lächelte Robin Goodfellow den schönen Mann mit der exakt richtigen Menge Unartigkeit an – und bei Gott, das brachte ihn zum Blinzeln.

„Das haben Sie“, sagte sie kehlig.

Ein Funken Bewunderung entzündete sich in seinen schönen blauen Augen. „Ah. Darf ich mich dann vorstellen? Ich bin Valentine Napier, der Duke of Montgomery. Mr. Harte hat mich darüber informiert, dass Sie hier wohnen, und ich dachte, ich würde gern Ihre Bekanntschaft machen.“

Er zog sich den mit Spitze eingefassten Dreispitz vom Kopf und verneigte sich tief, während er seinen Stock in der anderen Hand hielt.

Hinter ihr polterte etwas.

Lily drehte sich nicht um, um nachzusehen, was Maude fallen gelassen hatte. Stattdessen neigte sie den Kopf kokett und knickste. „Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Euer Gnaden. Möchten Sie eine Tasse Tee mit mir trinken?“

„Es wäre mir eine Ehre, Madam.“

Lily wandte sich um und tauschte einen vielsagenden Blick mit Maude. Auf Besuch waren sie nicht vorbereitet, aber Maude war ein alter Hase im Theatergeschäft und kannte die Kunst, eine falsche Fassade aufrechtzuerhalten. „Es ist ein so bezaubernder Tag. Wir trinken unseren Tee im Garten, Maude.“

„Ja, Madam“, antwortete Maude und spielte sofort die eilfertige Dienstbotin.

Als Lily sich wieder umdrehte, betrachtete der Duke sie nachdenklich. „Ist es nicht ein wenig kalt für Tee draußen?“

Sie kniff nicht einmal die Augen zusammen. Er wusste genau, warum sie ihn nicht in das elende Theater ließ – sie würde ihren sozialen Abstieg nicht vor ihm zur Schau stellen.

„Ach, Euer Gnaden, ich mag die frische Luft. Wenn Sie natürlich lieber drinnen im Stickigen sitzen …“

„Nein, nein“, meinte er zögerlich mit einem Glänzen in den Augen.

Sie hatte diesen Punkt erzielt, und er wusste es. Aber er schien den Rückschlag mit Humor zu nehmen. Er trat beiseite, als Maude mit zwei Stühlen herausgeeilt kam – die natürlich nicht zusammenpassten, aber Lily war nicht so dumm, sich zu entschuldigen. Einem Mann wie dem Duke gegenüber Schwäche zu zeigen war ebenso unklug, wie eine Maus, die vor eine Katze herumsaust.

Galant deutete er auf einen der beiden Stühle, und sie setzte sich anmutig. Dabei beobachtete sie ihn, wie er sich auf seinen Stuhl setzte. Der Duke bewegte sich mit einer trägen Eleganz, die bewies, wie gefährlich er war.

Er sah sich im verwüsteten Garten um. „Es ist ein recht makabrer Ort, finden Sie nicht?“

„Überhaupt nicht, Euer Gnaden“, log Lily. Er wollte sie doch wohl nicht mit einer so banalen Falle fangen? „Die Atmosphäre des Gartens ist schrecklich geheimnisvoll. Ich finde es ganz charmant – und es ist eine wunderbare Inspiration für mein schauspielerisches Können. Eine Schauspielerin muss immer Inspiration für sich und ihre Kunst finden.“

„Ich freue mich, das zu hören“, erwiderte der Duke sanft, „denn wie Sie wissen, bin ich jetzt Mitbesitzer von Harte’s Folly.“ Sie musste sich irgendwie verraten haben – eine kleine unabsichtliche Bewegung oder ein Weiten der Augen – denn er beugte sich vor. „Ah. Sie wussten es nicht.“

Dieser elende Wicht. Sie zwang sich, sich zu entspannen. „Ach, ich bin nicht über jedes geschäftliche Detail den Garten betreffend informiert, Euer Gnaden.“

„Natürlich nicht“, murmelte er, als Maude mit einem kleinen Hocker herauskam. Sie stellte ihn zwischen den beiden ab und verschwand wieder im Theater. Der Duke hob eine Augenbraue und sprach ungerührt weiter. „Aber dieses ‚kleine geschäftliche Detail‘ macht mich zu ihrem“ – er räusperte sich dezent und sah zu ihr auf – „Arbeitgeber.“

Maude kehrte in diesem Moment mit einem Tablett mit Tee zurück und rettete Lily vor einer unüberlegten Antwort.

Lily lächelte, als Maude das Tablett abstellte und ihnen beiden Tee einschenkte. Maude reichte ihr die Tasse Tee mit fragenden Augen. Lily erwiderte ihren Blick und flüsterte ein Danke. So signalisierte sie, dass sie keine Hilfe brauchte.

Das Dienstmädchen schnaubte leise und ging.

„Sie ist sehr loyal, nicht wahr?“, bemerkte der Duke.

Lily trank einen Schluck Tee. Er war dünn – Maude musste die letzten guten Teeblätter verwendet haben – aber heiß. „Sind nicht alle guten Dienstboten loyal, Euer Gnaden?“

Er neigte den Kopf, als dächte er ernsthaft über ihre Bemerkung nach, bevor er entschieden antwortete: „Nicht unbedingt. Ein Dienstbote kann zulänglich dienen – sogar hervorragend – ohne aber jegliche Loyalität für seinen Herrn zu empfinden.“ Er lächelte, rasch und vergnügt. „Natürlich nur, solange der Herr den Diener mit einem passenden Mundstück ausgestattet hat. Wie ein Reiter sein Pferd.“

Lily unterdrückte ein Erschauern. Was für ein abstoßendes Bild. Aber Adelige waren nicht wie andere Menschen. Sie spielten mit dem Leben der gewöhnlichen Menschen, so wie Indio einen Stock in ein Ameisennest stieß und dachten nie über die Zerstörung nach, die sie verursachten.

„Mir gefällt der Gedanke an Mundstücke nicht“, murmelte Lily.

„Nein?“, fragte er. „Würden Sie es Pferden erlauben, frei herumzulaufen?“

Menschen sind keine Pferde.“

„Nein, aber Dienstboten kommen ihnen recht nah“, entgegnete er. „Beide, Diener und Pferde, leben, um ihrem Herrn zu dienen – oder zumindest sollten sie das tun. Ansonsten sind sie ziemlich nutzlos und müssen niedergemacht werden.“

Sie sah ihn an, wartete auf ein Augenzwinkern, das Zucken einer Lippe, um zu zeigen, dass er gescherzt hatte. Sein Gesicht war freundlich, aber ernst.

Machte er Scherze?

Er nahm einen Schluck Tee und beobachtete sie. „Finden Sie nicht, Miss Goodfellow?“

„Nein, Euer Gnaden“, erwiderte sie süßlich. „Das finde ich nicht.“

Bei diesen Worten lächelte er – schön und verdorben. „Sie sagen, was Sie denken, Madam. Wie erfrischend. Sagen Sie, haben Sie einen Beschützer?“

Oh, lieber Gott, sie würde eher mit einer Schlange das Bett teilen. Ganz zu schweigen von der beleidigend offenen Art, in der er seinen Vorschlag gemacht hatte.

Sie lächelte erneut – obwohl es immer schwieriger wurde, den höflichen Gesichtsausdruck zu wahren. „Euer Gnaden, Sie schmeicheln mir mit Ihrer Aufmerksamkeit, aber ich brauche keinen Beschützer.“

„Nicht?“ Er ließ seinen Blick skeptisch über das verfallene Theater gleiten, in dem sie wohnte. „Aber zweifellos kennen Sie Ihre Umstände am besten.“ Seine Stimme war höflich zweifelnd. „Ich habe noch eine andere Verwendung für Ihre, äh, Person, die mehr nach Ihrem Geschmack sein dürfte: Ein Bekannter von mir veranstaltet eine mehrtägige Landgesellschaft und plant ein eigens für diesen Anlass geschriebenes Stück als Teil der Festivitäten aufzuführen. Er hat eine Theatertruppe engagiert, aber die Hauptdarstellerin ist leider nicht in der Lage zu spielen.“ Er schürzte ein wenig die Lippen. „Eine leichte Unpässlichkeit, Sie verstehen.“

„Ja, das tue ich“, antwortete Lily kühl. Sie hatte Mitleid mit der Schauspielerin, die ein Kind erwartete und nun keine Arbeit hatte. Sie hoffte, die arme Frau hatte jemanden, der für sie da war. Sie wusste nicht, was sie ohne Maude gemacht hätte, als Indio zur Welt gekommen war. „Aber ich bin überrascht, Euer Gnaden.“

Er neigte den Kopf, und seine blauen Augen funkelten vor Interesse. „Tatsächlich?“

„Ich dachte, es wäre weit unter Ihrer Würde, sich um das Arrangement eines Stücks für eine einfache Landgesellschaft zu kümmern.“

Er lächelte sinnierend. „Ich tue gerne gelegentlich jemandem einen Gefallen. So steht der Empfänger noch tiefer in meiner Schuld.“

Lily schluckte. Dachte der Duke, sie stünde nun in seiner Schuld? Wahrscheinlich, aber das war wirklich nicht wichtig: Sie brauchte die Arbeit. Private Theatervorstellungen waren sehr beliebt, aber natürlich teuer umzusetzen und darum gab es wenige. Sie hatte Glück, ein solches Angebot zu erhalten. „Ich würde mich sehr freuen, in dem Stück zu spielen.“

„Wunderbar“, sagte der Duke. „Man hat mir erklärt, dass die Proben erst in zwei Wochen oder so beginnen, da das Stück noch nicht fertiggestellt ist. Ich werde Sie zur gegebenen Zeit kontaktieren, ja?“

„Danke.“

Er lächelte träge. „Ihr Talent wird hochgepriesen, Miss Goodfellow. Ich erwarte die Gesellschaft – und das Stück – mit ungeahnter Vorfreude.“

Lily überlegte noch, was die angemessene Antwort auf eine solch vieldeutige Bemerkung war, als ein schmutziger Wirbelwind aus den schwarzen Bäumen hervorbrach, dem ein stolperndes Wesen aus rot-schwarzem Schlamm folgte. „Mama! Mama! Du errätst nie …“

Indio kam schlitternd zum Halten, als er ihren Gast sah und verstummte plötzlich.

Leider hatte Daffodil keine solche Eingebung. Die kleine Windhündin hielt neben ihrem Freund und begann, schrill zu kläffen. Die Wucht ihres Gebells ließ sie hochhüpfen.

Der Duke betrachtete den Hund mit zusammengekniffenen Augen, und Lily verspürte plötzlich Angst um ihr Haustier.

Maude kam aus dem Theater und nahm Daffodil hoch, die beschloss, anhänglich zu werden und das Gesicht des Dienstmädchens mit ihrer rosa Zunge abschleckte.

„Genug jetzt“, schimpfte Maude. „Komm her, Indio.“

Sie streckte die Hand nach dem Jungen aus, und Indio ging auf sie zu.

Autor

Elizabeth Hoyt
Elizabeth Hoyt zählt zu den US-amerikanischen Bestseller-Autoren der New York Times für historische Romane. Ihren ersten Roman der Princess-Trilogie „Die Schöne mit der Maske“ veröffentlichte sie im Jahr 2006, seitdem folgten zwölf weitere Romane. Gern versetzt die erfolgreiche Schriftstellerin ihre Romanfiguren in das georgianische Zeitalter. Nachdem ihre beiden Kinder zum...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Maiden Lane