Mitternacht mit dem Duke

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Bei Tag ist der berühmte Duke of Wakefield ein ehrbarer Adliger, bei Nacht ein maskierter Rächer, der für die Ärmsten der Armen kämpft. Niemand ahnt etwas von seinem wohlgehüteten Geheimnis, bis er bei einem seiner Streifzüge durch das nächtliche London die betörende Artemis vor einem brutalen Angreifer rettet. Nicht nur erhascht sie einen Blick hinter seine Maske, unerwartet trifft er sie bei Tag wieder. Eiskalt droht sie, ihn zu verraten - es sei denn, er hilft ihr, ihren Bruder aus dem Gefängnis zu befreien! Ein riskantes Vorhaben mit ungeahnt sinnlichen Folgen, die nicht nur sein Doppelleben, sondern auch sein Herz jäh in Gefahr bringen …


  • Erscheinungstag 27.09.2019
  • Bandnummer 116
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758684
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ich habe schon viele Geschichten erzählt, aber keine war so seltsam wie die des Königs Herla …

Aus: Die Legende vom König Herla

Juli 1740

London, England

Artemis Greaves hielt sich nicht für zynisch, aber als die maskierte Gestalt in die vom Mond beleuchtete Gasse sprang, um den drei Schlägern entgegenzutreten, die sie und ihre Cousine bereits bedrohten, schloss sie die Hand fester um das Messer in ihrem Stiefel.

Es schien ihr einfach vernünftig zu sein.

Der Maskierte war groß und trug das bunte Kostüm eines Harlekins – schwarz-rot karierte Beinlinge und Tunika, schwarze Schaftstiefel, einen Schlapphut mit breiter Krempe und eine schwarze Halbmaske mit einer grotesk großen Nase. Harlekine sollten Clowns sein – albern und unterhaltend –, aber niemand in der dunklen Gasse lachte. Der Harlekin richtete sich mit einer ebenso eleganten wie tödlichen Bewegung auf, und Artemis stockte der Atem. Er war wie eine Raubkatze – wild und ohne die geringste Spur von Mitleid – und wie eine Raubkatze zögerte auch er nicht anzugreifen.

Er stürzte sich auf die drei Männer.

Artemis starrte ihn an. Sie kniete immer noch und umklammerte die kleine Klinge, die in ihrem Stiefel steckte. Sie hatte noch nie jemanden so kämpfen gesehen – voller brutaler Anmut blitzten zwei Degen gleichzeitig durch die Schatten, zu schnell, um vom menschlichen Auge wahrgenommen zu werden.

Der erste der drei Männer fiel zu Boden, rollte ein Stück, bis er still und benommen dalag. Auf der anderen Seite des Kampfs winselte Artemis’ Cousine Lady Penelope Chadwick und schreckte vor dem blutenden Mann zurück. Ein zweiter Mann machte einen Satz nach vorne, aber der Harlekin duckte sich, schwang sein ausgestrecktes Bein unter die Füße seines Gegners, dann trat er den Mann zu Boden und trat ihn nochmals – brutal – ins Gesicht. Der Harlekin erhob sich und griff bereits den dritten Mann an. Er schlug mit dem Griff seines Degens gegen die Schläfe seines Gegners.

Der Mann kollabierte mit einem dumpfen Aufschlag.

Artemis schluckte trocken.

Die schmutzige kleine Gasse war plötzlich still, und die verfallenden Gebäude zu beiden Seiten neigten sich baufällig und bedrohlich nach innen. Der Harlekin drehte sich um. Er war nicht einmal außer Atem, und die Absätze seiner Stiefel scharrten über das Kopfsteinpflaster, als er Penelope ansah. Sie schluchzte immer noch ängstlich an der Mauer.

Lautlos wandte er den Kopf und blickte von Penelope zu Artemis.

Artemis atmete tief ein, als sie in die kalten Augen blickte, die hinter seiner unheimlichen Maske glitzerten.

Früher hatte sie geglaubt, dass die meisten Menschen gut wären. Dass Gott über sie wachen und dass letztendlich alles gut ausgehen würde, wenn sie ehrlich und brav war und immer jemand anderem das letzte Stück Himbeerkuchen anbot. Aber das war früher gewesen. Bevor sie ihre Familie und den Mann verloren hatte, der behauptet hatte, sie mehr zu lieben als die Sonne selbst. Bevor ihr geliebter Bruder zu Unrecht in Bedlam eingesperrt worden war. Bevor sie so elendiglich verzweifelt und allein gewesen war, dass sie vor Erleichterung und Dankbarkeit geweint hatte, als man ihr die Stelle als Gesellschafterin bei ihrer albernen Cousine angeboten hatte.

Früher hätte Artemis diesem grimmigen Harlekin überschwänglich gedankt, weil er sie gerade noch rechtzeitig gerettet hatte.

Jetzt verengte Artemis die Augen, als sie den Maskierten ansah, und fragte sich, warum er zwei einsamen Frauen, die um Mitternacht durch die gefährlichen Straßen von St. Giles liefen, zu Hilfe kam.

Sie zuckte zusammen.

Vielleicht war sie ein wenig zynisch geworden.

Mit zwei geschmeidigen Schritten war er bei ihr und ragte über ihr auf. Sie sah, wie der Blick aus seinen unnachgiebigen Augen von der Hand an ihrem lächerlichen Messer zu ihrem Gesicht wanderte. Sein breiter Mund zuckte – belustigt? Verärgert? Mitleidig? Letzteres bezweifelte sie, aber sie wusste es einfach nicht – wobei sie es seltsamerweise sehr wohl wissen wollte. Aus irgendeinem Grund war es wichtig, was dieser Fremde von ihr dachte – und natürlich auch, was er mit ihr vorhatte.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, schob er seinen kurzen Degen ins Futteral und zog sich mit den Zähnen den Handschuh von der linken Hand. Er streckte ihr seine bloße Hand hin.

Sie sah die dargebotene Hand an und bemerkte den stumpfen Glanz von Gold an seinem kleinen Finger, bevor sie ihre Hand in seine legte. Seine Hand war warm, als er die ihre fest umschloss und ihr auf die Füße half. Sie war ihm so nah, hätte sie sich ein wenig vorgebeugt, hätte sie ihm mit den Lippen über den Hals streifen können. Sie beobachtete, wie sein Puls dort stark und regelmäßig schlug, bevor sie ihm ins Gesicht sah. Er hatte den Kopf geneigt, als betrachtete er sie eingehend – als suchte er in ihrem Gesicht nach etwas.

Sie öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen.

Genau in diesem Moment stürzte Penelope sich auf den Rücken des Harlekins. Penelope schrie – offensichtlich halb wahnsinnig vor Angst –, während sie nutzlos auf die Schultern des Harlekins einschlug.

Natürlich reagierte er. Er wirbelte herum und riss seine Hand aus Artemis’ Fingern, als er einen Arm hob, um Penelope abzuschütteln. Aber Artemis schloss ihre Hand fester um die seine. Das geschah wie von selbst, denn sonst hätte sie ganz sicher nicht versucht, ihn zurückzuhalten. Als seine Finger ihr entglitten, fiel ihr etwas in die Handfläche.

Dann schob er Penelope beiseite und rannte die Gasse hinunter.

Penelope rang nach Luft. Einige Strähnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst, und sie hatte einen Kratzer in ihrem hübschen Gesicht. „Er hätte uns umbringen können!“

„Wie bitte?“, fragte Artemis, die den Blick vom Ende der Gasse losriss, wo der maskierte Mann verschwunden war.

„Das war der Geist von St. Giles“, sagte Penelope. „Hast du ihn nicht erkannt? Man sagt, er tue Jungfrauen Gewalt an und sei ein kaltblütiger Mörder!“

„Für einen kaltblütigen Mörder war er recht hilfreich“, meinte Artemis, während sie die Laterne aufhob. Sie hatte sie abgesetzt, als die Strauchdiebe am Ende der Gasse aufgetaucht waren. Zum Glück hatte sie den Kampf überlebt, ohne umgeworfen worden zu sein. Artemis überraschte es, dass das Licht der Laterne zu wanken schien. Ihre Hand zitterte. Sie atmete ruhig ein. Angst würde sie nicht lebendig aus St. Giles herausbringen.

Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Penelope schmollte.

„Aber es war sehr tapfer von dir, mich zu verteidigen“, fügte Artemis hastig hinzu.

Penelopes Miene hellte sich auf. „Das war es, nicht wahr? Ich habe einen schrecklichen Schurken vertrieben! Das ist noch viel besser, als um Mitternacht einen Becher Gin in St. Giles zu trinken. Ich bin sicher, Lord Featherstone wird sehr beeindruckt sein.“

Artemis verdrehte die Augen, als sie sich rasch in die Richtung umdrehte, aus der sie gekommen waren. Im Moment war ihr Lord Featherstone der am wenigsten liebe Mensch auf Erden. Er war ein alberner Stutzer der guten Gesellschaft, der Penelope dazu angestiftet hatte, die verrückte Wette anzunehmen, um Mitternacht nach St. Giles zu fahren, einen Zinnbecher mit Gin zu kaufen und zu trinken. Wegen Lord Featherstone waren sie beinahe umgebracht worden – oder Schlimmeres.

Und sie waren immer noch in St. Giles.

Wenn Penelope nur nicht so wild entschlossen gewesen wäre, kühn zu werden – welch ein abscheuliches Wort – um die Aufmerksamkeit eines gewissen Dukes zu erregen, hätte sie sich nicht auf Lord Featherstones lächerliche Mutprobe eingelassen. Artemis schüttelte den Kopf und hielt wachsam die Augen offen, während sie im Eilschritt die Gasse verließen und in eine der Tausenden engen Gassen, die sich durch St. Giles zogen, einbogen. Die Rinne in der Mitte der Gasse war mit etwas Ekelerregendem verstopft, und Artemis achtete darauf, nicht hinzusehen, um was genau es sich handelte. Penelope war still geworden und folgte ihr beinahe fügsam. Eine gebeugte, schemenhafte Gestalt kam aus einem der baufälligen Gebäude. Artemis erstarrte und bereitete sich darauf vor, die Beine in die Hand zu nehmen, aber der Mann oder die Frau huschte davon, als er oder sie die beiden Frauen sah.

Dennoch entspannte sie sich erst, als sie um die Ecke bogen und Penelopes Kutsche erblickten, die sie in einer breiteren Straße stehen lassen hatten.

„Ach, da wären wir“, sagte Penelope, als kehrte sie gerade von einem kleinen Spaziergang in der Bond Street zurück. „Das war aufregend, nicht wahr?“

Artemis sah ihre Cousine ungläubig an – und eine Bewegung auf dem Dach des Gebäudes gegenüber fiel ihr ins Auge. Dort kauerte eine athletische Gestalt und wartete.

Sie erstarrte. Während sie ihn ansah, hob er die Hand wie zu einem spöttischen Gruß zur Krempe seines Huts.

Ein Schauer durchfuhr sie.

„Artemis?“ Penelope war bereits die Stufen der Kutsche emporgestiegen.

Sie löste den Blick von der ominösen Gestalt. „Ich komme, Cousine.“

Artemis kletterte in die Kutsche und ließ sich in die luxuriösen, indigoblauen Polster sinken. Er war ihnen gefolgt, aber warum? Um herauszufinden, wer sie waren? Oder aus einem wohlwollenderen Grund – um sicherzugehen, dass sie die Kutsche sicher erreicht hatten?

Wie albern, schalt sie sich – es hatte keinen Sinn, sich romantischen Hirngespinsten hinzugeben. Sie bezweifelte, dass ein solches Geschöpf wie der Geist von St. Giles sich um die Sicherheit zweier alberner Damen sorgte. Zweifellos hatte er seine eigenen guten Gründe, um ihnen zu folgen.

„Ich kann es kaum erwarten, dem Duke of Wakefield von meinem Abenteuer heute Nacht zu erzählen“, sagte Penelope und unterbrach Artemis’ Gedanken. „Er wird schrecklich überrascht sein, da wette ich.“

„Mmm“, murmelte Artemis zurückhaltend. Penelope war sehr schön, aber würde irgendein Mann eine Ehefrau wollen, die so dämlich war, dass sie sich nachts wegen einer Wette nach St. Giles wagte und es für einen großen Spaß hielt? Penelopes Art und Weise, die Aufmerksamkeit des Dukes zu erregen, war im besten Fall unüberlegt und im schlimmsten Fall töricht. Einen Augenblick lang zog sich Artemis aus Mitleid für ihre Cousine das Herz zusammen.

Andererseits war Penelope eine der reichsten Erbinnen Englands. Für einen regelrechten Berg Gold konnte man über vieles hinwegsehen. Außerdem galt Penelope mit ihrem rabenschwarzen Haar, der milchweißen Haut und den veilchenblauen Augen als eine der größten Schönheiten dieser Zeit. Vielen Männern wäre der Mensch unter dieser bezaubernden Oberfläche egal.

Artemis seufzte still und ließ sich von dem aufgeregten Geplapper ihrer Cousine berieseln. Sie sollte besser aufpassen. Ihr Schicksal war untrennbar mit Penelopes verbunden, denn Artemis würde Teil der Familie werden, in die ihre Cousine einheiraten würde.

Es sei denn, Penelope beschloss, dass sie keine Gesellschafterin mehr brauchte, sobald sie verheiratet war.

Artemis’ Finger schlossen sich fester um den Gegenstand, den der Geist von St. Giles in ihrer Hand zurückgelassen hatte. Sie hatte im Laternenlicht der Kutsche einen kurzen Blick daraufgeworfen, bevor sie eingestiegen war. Es war ein goldener Siegelring mit einem roten Stein. Geistesabwesend rieb sie mit dem Daumen über den abgenutzten Stein. Er fühlte sich alt an. Mächtig. Das war interessant.

Ein Adeliger würde einen solchen Ring tragen.

Maximus Batten, der Duke of Wakefield, wachte auf wie immer: mit dem bitteren Geschmack des Versagens im Mund.

Einen Moment lang blieb er mit geschlossenen Augen in seinem großen Bett mit Vorhang liegen und versuchte, die Galle hinunterzuschlucken, während er sich an die dunklen Locken erinnerte, die im blutigen Wasser lagen. Er streckte die Hand aus und legte die rechte Handfläche auf die verschlossene Schatulle, die neben seinem Bett auf dem Nachttisch stand. Die Smaragdanhänger ihres Halsbands, die er in Jahren der Suche gewissenhaft zusammengesammelt hatte, befanden sich darin. Aber das Halsband war nicht vollständig, und er begann zu verzweifeln, weil es vielleicht niemals vollständig sein würde. Und weil der Makel seines Versagens für immer auf seinem Gewissen lasten würde.

Und nun hatte er erneut versagt. Er bewegte die Finger seiner linken Hand und spürte die ungewohnte Leichtigkeit. Er hatte den Ring seines Vaters – den Ring seiner Ahnen – letzte Nacht irgendwo in St. Giles verloren. Es war ein weiteres Vergehen, das er der langen Liste seiner unverzeihlichen Sünden hinzufügen konnte.

Vorsichtig reckte er sich und verdrängte den Gedanken, sodass er aufstehen und seine Pflicht erfüllen konnte. In seinem Knie pochte ein dumpfer Schmerz, und etwas stimmte mit seiner linken Schulter nicht. Für einen Dreiunddreißigjährigen war er recht ramponiert.

Sein Kammerdiener Craven drehte sich am Wäscheschrank um. „Guten Morgen, Euer Gnaden.“

Maximus nickte stumm und warf die Decke beiseite. Nackt erhob er sich und tappte mit nur einem leichten Hinken zu der Kommode mit Marmorplatte. Dort wartete bereits eine Schüssel mit heißem Wasser auf ihn. Sein Rasiermesser lag, von Craven frisch geschärft, neben der Schüssel, während Maximus sich das Kinn einseifte.

„Werden Sie Ihr Frühstück heute Morgen mit Lady Phoebe und Miss Picklewood einnehmen?“, erkundigte sich Craven.

Stirnrunzelnd blickte Maximus in den goldenen Spiegel, der auf der Kommode stand, als er sein Kinn hob und sich das Rasiermesser an den Hals hielt. Seine jüngste Schwester Phoebe war erst zwanzig. Als Hero, seine andere Schwester, vor einigen Jahren geheiratet hatte, hatte er beschlossen, dass Phoebe und ihre ältere Cousine Bathilda Picklewood zu ihm nach Wakefield House ziehen sollten. Es freute ihn, sie im Auge behalten zu können, aber seine Unterkunft mit zwei Damen zu teilen – selbst, wenn sie so palastartig wie Wakefield House war – kam seinen anderen Aktivitäten in die Quere.

„Nicht heute“, erwiderte er und kratzte sich die abrasierten Barthaare vom Kinn. „Bitte entschuldigen Sie mich bei meiner Schwester und Cousine Bathilda.“

„Ja, Euer Gnaden.“

Maximus beobachtete im Spiegel, wie der Kammerdiener vorwurfsvoll die Brauen in die Höhe schnellen ließ, bevor er sich zum Wäscheschrank zurückzog. Maximus tolerierte Tadel – auch stillen – nur von wenigen, aber Craven war ein besonderer Fall. Er war fünfzehn Jahre lang der Kammerdiener von Maximus’ Vater gewesen, dann hatte Maximus ihn mit dem Titel zusammen geerbt. Craven hatte ein schmales, langes Gesicht, das durch die senkrechten Linien auf beiden Seiten seines Mundes und seine herabhängenden Augenwinkel noch länger erschien. Er musste schon mindestens Mitte fünfzig sein, aber man sah es ihm nicht an: Er sah so aus, als könnte er sowohl dreißig als auch siebzig sein. Zweifellos würde Craven immer noch genauso aussehen, wenn Maximus ein kahler Tattergreis war.

Er schnaubte leise, während er mit dem Rasierer an die Porzellanschüssel klopfte und Seifenschaum und Bartstoppeln von der Klinge schüttelte. Hinter ihm begann Craven, seine Unterwäsche, Strümpfe, ein schwarzes Hemd, eine Weste und Breeches bereitzulegen. Maximus wandte den Kopf, entfernte das letzte bisschen Schaum von seinem Kinn und wischte sich mit einem feuchten Tuch das Gesicht ab.

„Haben Sie die Informationen?“, fragte er, während er seine Leibwäsche anzog.

„Ja, Euer Gnaden.“ Craven spülte den Rasierer ab und trocknete vorsichtig die schmale Klinge. Er legte ihn so ehrfürchtig in eine mit Samt ausgekleidete Schatulle, als wäre der Rasierer die Reliquie eines Heiligen.

„Und?“

Craven räusperte sich, als wollte er einem König ein Gedicht rezitieren. „Die Finanzen des Earl of Brightmore sind, soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, recht zufriedenstellend. Zusätzlich zu seinen beiden Anwesen in Yorkshire, zu denen jeweils landwirtschaftlich nutzbares Land gehört, besitzt er drei Kohleminen im West Riding, ein Eisenwerk in Sheffield, und er hat kürzlich Anteile der East India Company erstanden. Anfang des Jahres hat er eine vierte Kohlemine eröffnet und dafür einige Schulden gemacht, aber die Berichte aus der Mine sind positiv. Meiner Meinung nach sind diese Schulden unerheblich.“

Maximus grunzte, als er in die Breeches stieg.

Craven fuhr fort: „Was Lady Penelope Chadwick, die Tochter des Earls, angeht, so ist es wohlbekannt, dass Lord Brightmore vorhat, ihr eine nette Summe zu bieten, wenn sie heiratet.“

Zynisch hob Maximus eine Braue. „Haben wir eine genaue Zahl?“

„Ja, Euer Gnaden.“ Craven nahm ein schmales Notizbuch aus seiner Tasche, leckte an seinem Daumen und blätterte darin. Er las eine so große Summe vor, dass Maximus beinahe an Cravens Fähigkeit zweifelte, Informationen einzuholen.

„Gütiger Gott. Sind Sie sicher?“

Craven warf ihm einen leicht vorwurfsvollen Blick zu. „Ich habe es aus guter Quelle, nämlich vom Chefsekretär des Anwalts des Earls. Ein recht bitterer Gentleman, der nicht besonders trinkfest ist.“

„Ah.“ Maximus zupfte sein Krawattentuch zurecht und schlüpfte in seine Weste. „Dann bleibt nur noch Lady Penelope selbst übrig.“

„Richtig.“ Craven steckte sein Notizbuch weg, schürzte die Lippen und blickte zur Decke. „Lady Penelope Chadwick ist vierundzwanzig Jahre alt und das einzige lebende Kind ihres Vaters. Obwohl sie trotz ihres Alters immer noch nicht verheiratet ist, mangelt es ihr nicht an Verehrern, und es scheint, als wäre sie nur deshalb noch nicht verheiratet, weil sie … äh … ungewöhnlich hohe Ansprüche bei der Wahl eines Gentlemans hat.“

„Sie ist pingelig.“

Angesichts dieser unverblümten Einschätzung zuckte Craven zusammen. „Es scheint so, Euer Gnaden.“

Maximus nickte und öffnete seine Schlafzimmertür. „Wir reden unten weiter.“

„Ja, Euer Gnaden.“ Craven nahm eine Kerze und entzündete sie am Kamin.

Vor seinem Schlafzimmer erstreckte sich ein breiter Gang. Zur Linken befanden sich die Front des Hauses und die große Treppe, die zu den Gesellschaftsräumen von Wakefield House führte. Maximus wandte sich nach rechts, und Craven eilte ihm direkt hinterher. So gelangte man zu den Unterkünften der Dienstboten und anderen Räumlichkeiten, die nicht für gesellschaftliche Anlässe gedacht waren. Maximus öffnete eine Tür, die so paneeliert war, dass sie wie die Wandtäfelung im Gang aussah, und lief klappernd die bloßen Stufen hinunter. Er kam am Eingang der Küche vorbei und ging ein weiteres Stockwerk hinunter. Die Stufen endeten plötzlich vor einer schlichten Holztür. Maximus nahm einen Schlüssel aus seiner Westentasche und schloss die Tür auf. Dahinter befand sich eine weitere Treppe, aber diese war aus Stein und so alt, dass die Stufen sich in der Mitte senkten, so ausgetreten waren sie von den Füßen lange Verstorbener. Maximus folgte ihnen, während Craven Kerzen entzündete, die in die Ecken der Steinwände gesteckt waren.

Maximus duckte sich unter einem tiefen Steinbogen hindurch und erreichte einen kleinen, gepflasterten Raum. Das Kerzenlicht hinter ihm flackerte über die abgenutzten Steinwände. Hier und da waren Figuren in den Stein gekratzt worden: Symbole und primitive Darstellungen von Menschen. Maximus zweifelte sehr daran, dass sie im Zeitalter des Christentums entstanden waren. Direkt vor ihm ragte eine zweite Tür auf, deren Holz vom Alter schwarz geworden war. Er schloss auch diese auf und öffnete sie.

Hinter der Tür lag ein lang gezogener Kellerraum mit einer überraschend hohen Decke, dessen Kreuzgewölbe aus kleineren, verzierten Steinen gefertigt war. Sein Vater und sein Großvater hatten den Ort als Weinkeller genutzt, aber Maximus hätte es nicht verwundert, wenn dieser verborgene Raum ursprünglich gebaut worden war, um einer alten heidnischen Gottheit zu huldigen.

Hinter ihm schloss Craven die Tür, und Maximus begann, sich die Weste auszuziehen. Es schien Zeitverschwendung zu sein, sich jeden Morgen anzuziehen und fünf Minuten später wieder auszuziehen, aber ein Duke ließ sich niemals halb bekleidet sehen – nicht einmal im eigenen Haus.

Craven räusperte sich.

„Fahren Sie fort“, murmelte Maximus, ohne sich umzudrehen. Er stand jetzt nur in seiner Leibwäsche da. In unregelmäßigen Abständen befanden sich Eisenringe in der Decke, die er in den Stein gehauen hatte.

„Lady Penelope gilt als eine der größten Schönheiten unserer Zeit“, erklärte Craven.

Maximus sprang hoch und klammerte sich an den Pfeiler. Er schob seine nackten Zehen in einen Spalt und drückte sich ab. Dabei streckte er sich nach einem schmalen Halt für seine Finger, von dem er wusste, dass er sich über seinem Kopf befand. Er stöhnte leise, als er sich zur Decke und dem am nächsten liegenden Eisenring hochzog.

„Erst letztes Jahr haben ihr zwei Earls und ein auswärtiger Prinz eines Kleinstaats den Hof gemacht.“

„Ist sie noch Jungfrau?“ Der Ring war gerade außerhalb seiner Reichweite – und er war dort absichtlich platziert, eine Tatsache, die Maximus an einem Morgen wie diesem manchmal verfluchte. Mit ausgestrecktem Arm stieß er sich vom Pfeiler ab. Falls seine Finger den Ring verfehlten, würde der Boden unter ihm sehr, sehr hart sein.

Aber er erwischte ihn mit einer Hand. Die Muskeln in seiner Schulter schmerzten, als er sein Gewicht zum nächsten Ring schwingen ließ. Und zum nächsten.

„Mit großer Wahrscheinlichkeit, Euer Gnaden“, rief Craven von unten, während Maximus sich leicht von Ring zu Ring durch den riesigen Raum und wieder zurückschwang. „Obwohl die Dame ein wenig übermütig ist, scheint ihr doch bewusst zu sein, wie wichtig Besonnenheit ist.“

Maximus schnaubte, als er den nächsten Ring umfasste. Dieser war ein wenig näher als der letzte, und er hing nun zwischen ihnen. Seine Arme bildeten ein breites V über seinem Kopf. Er konnte jetzt die Hitze in seinen Schultern und Armen spüren. Er streckte die Zehen durch. Langsam und bewusst faltete er sich zusammen, bis seine Zehen beinahe die Decke über seinem Kopf berührten. Schwer atmend hielt er diese Position, auch wenn seine Arme zu zittern begannen. „Ich würde die Aktion letzte Nacht nicht besonnen nennen.“

„Vielleicht nicht“, räumte Craven ein. „Diesbezüglich muss ich auch noch berichten, dass Lady Penelope, obwohl sie nähen und sticken, tanzen, Cembalo spielen und zeichnen kann, in keiner dieser Fähigkeiten als talentiert gilt. Noch haben ihre Bekannten eine hohe Meinung von ihrem Verstand. Das soll nicht heißen, dass ihr Verstand in irgendeiner Weise beeinträchtig ist. Sie ist einfach nicht … äh …“

„Sie ist dumm.“

Craven summte zurückhaltend und blickte zur Decke.

Maximus ließ die Beine wieder sinken, bevor er die Finger von den Eisenringen löste, dann landete er sanft auf den Füßen. Er ging zu einer flachen Bank, auf der eine Reihe verschieden großer Kanonenkugeln lag. Er wählte eine, die gut in seine Hand passte, hob sie zu seiner Schulter, lief durch den Keller und stieß die Kanonenkugel in Richtung einiger Strohlager, die zu genau diesem Zweck an der Wand am anderen Ende des Raums aufgeschichtet worden waren. Die Kugel flog durch das Stroh hindurch und traf dumpf scheppernd auf die Steinwand.

„Sehr gut, Euer Gnaden.“ Craven gestattete sich ein kleines Lächeln, als Maximus zurückkehrte. Das Mienenspiel wirkte auf seinem schwermütigen Gesicht seltsam komisch. „Die Strohballen sind zweifellos eingeschüchtert.“

„Craven.“ Maximus kämpfte gegen ein Zucken seines eigenen Munds. Er war der Duke of Wakefield, und niemand durfte über Wakefield lachen – nicht einmal er selbst.

Er nahm eine weitere der bleiernen Kugeln.

„Natürlich. Natürlich.“ Der Kammerdiener räusperte sich. „Zusammengefasst: Lady Penelope ist sehr reich, sehr schön und sehr elegant und fröhlich, ist jedoch nicht von außergewöhnlicher Intelligenz oder, äh, … hat einen bemerkenswerten Selbsterhaltungstrieb. Soll ich sie von der Liste streichen, Euer Gnaden?“

„Nein.“ Maximus wiederholte seine vorherige Übung mit einer zweiten Kanonenkugel. Ein Stück Stein splitterte von der Wand ab. Er machte sich in Gedanken eine Notiz, dass er mehr Stroh brauchte.

Als er sich umdrehte, sah er, dass Craven ihn verwirrt anblickte. „Aber sicherlich wollen Euer Gnaden mehr als nur eine große Mitgift, eine adelige Herkunft und Schönheit, wenn es um Ihre Braut geht?“

Maximus sah seinen Kammerdiener scharf an. Sie hatten diese Diskussion bereits geführt. Craven hatte gerade die wichtigsten Eigenschaften einer passenden Gemahlin aufgezählt. Gesunder Menschenverstand – oder dessen Fehlen – stand gar nicht auf der Liste.

Einen Moment lang sah er klare graue Augen und ein entschlossenes weibliches Gesicht vor sich. Miss Greaves hatte letzte Nacht ein Messer nach St. Giles mitgenommen – der Glanz des Metalls in ihrem Stiefelschaft war unverwechselbar gewesen. Und noch wichtiger war, dass sie bereit zu sein schien, es zu benutzen. Ebenso wie gestern entzündete sich ein Funken Bewunderung in ihm. Welche andere Dame aus seinem Bekanntenkreis hatte jemals eine solch grimmige Courage gezeigt?

Dann vertrieb er mit einem Kopfschütteln den sinnlosen Gedanken und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die vorliegende Angelegenheit. Sein Vater war für ihn gestorben, und er würde nichts Geringeres tun, als sein Andenken zu ehren, indem er die passendste Kandidatin zu seiner Duchess machen würde.

„Sie kennen meine Ansichten diesbezüglich. Lady Penelope ist die perfekte Partie für den Duke of Wakefield.“

Maximus nahm eine weitere Kanonenkugel und tat so, als hörte er Cravens leise Antwort nicht.

„Aber ist sie die richtige Partie für Sie?“

Es gab Menschen, die verglichen Bedlam mit der Hölle – einem Fegefeuer aus Folter und Wahnsinn. Aber Apollo Greaves, Viscount Kilbourne, wusste, was Bedlam wirklich war. Es war die Vorhölle.

Ein Ort, an dem man ewig wartete.

Er wartete darauf, dass das ruhelose Stöhnen in der Nacht aufhörte. Wartete auf das Scharren des Absatzes auf dem Stein, das ein Stück altbackenen Brots zum Frühstück ankündigte. Wartete auf den kalten Spritzer Wasser, der ein Bad genannt wurde. Wartete darauf, dass der stinkende Inhalt des Eimers, der ihm als Abort diente, geleert wurde. Er wartete auf Essen. Wartete auf etwas zu trinken. Wartete auf frische Luft. Er wartete auf etwas – irgendetwas – das ihm bewies, dass er noch lebte und nicht verrückt war.

Zumindest noch nicht.

Aber am meisten wartete Apollo auf seine Schwester Artemis, die ihn in der Vorhölle besuchen kam.

Sie kam, wenn sie konnte, für gewöhnlich einmal die Woche. Gerade oft genug, damit er nicht den Verstand verlor. Ohne sie hätte er ihn schon vor langer, langer Zeit verloren.

Also lehnte er den Kopf gegen die Wand und schaffte es, ein Lächeln auf sein verwüstetes Gesicht zu zaubern, als er die leichten Schritte einer Frau auf dem schmutzigen Steinen im Gang vor seiner Zelle hörte.

Einen Augenblick später spähte sie um die Ecke, und ihr süßes, ernstes Gesicht hellte sich auf, als sie ihn sah. Artemis trug ein abgetragenes, aber sauberes braunes Kleid und einen Strohhut, den sie seit mindestens fünf Jahren besaß. Über dem rechten Ohr war das Stroh mit kleinen, sauberen Stichen ausgebessert worden. In ihren grauen Augen leuchteten Wärme und Sorge um ihn, und sie schien einen Schwall frischer Luft mit sich zu bringen. Doch das war unmöglich: Wie konnte man die Abwesenheit von Gestank riechen?

„Bruder“, flüsterte sie mit ihrer tiefen, ruhigen Stimme. Sie ging weiter in seine Zelle hinein, ohne ein Anzeichen von Ekel zu zeigen, den sie zweifelsohne verspüren musste, wenn sie den unbedeckten Eimer mit seinem Unrat in der Ecke oder seinen grässlichen Zustand sah – die Flöhe und Läuse labten sich seit Langem an seiner Haut. „Wie geht es dir?“

Es war eine dumme Frage. Seit vier Jahren ging es ihm schrecklich. Aber sie meinte die Frage ernst, denn sie machte sich wirklich Sorgen, dass es ihm eines Tages noch schlimmer gehen könnte als jetzt. Zumindest damit hatte sie recht: Schließlich gab es immer noch den Tod.

Nicht, dass er ihr jemals sagen würde, wie nahe er dem Tod in der Vergangenheit gekommen war.

„Oh, mir geht es blendend“, erwiderte er grinsend und hoffte, sie bemerkte nicht, dass sein Zahnfleisch inzwischen bei der kleinsten Bewegung anfing zu bluten. „Die gebutterten Nieren heute Morgen waren exzellent, genau wie die pochierten Eier und der geräucherte Schinken. Ich muss dem Koch ein Kompliment machen, aber ich bin gerade unabkömmlich.“

Er deutete auf seine Fußfesseln. Eine lange Kette führte von den Fesseln zu einem großen Eisenring in der Wand. Die Kette war lang genug, dass er stehen und zwei Schritte in jede Richtung gehen konnte, aber nicht weiter.

„Apollo“, sagte sie, und in ihrer Stimme schwang ein leichter Tadel mit, aber ihre Lippen zuckten nach oben, also betrachtete er sein Herumalbern als Sieg. Sie stellte den kleinen, weichen Beutel, den sie in der Hand hielt, ab. „Es tut mir leid, dass du schon gegessen hast, denn ich habe dir etwas gebratenes Hähnchen mitgebracht. Ich hoffe, du bist nicht zu satt, um es zu genießen.“

„Oh, ich denke, das schaffe ich“, meinte er.

Der Duft des Hähnchens stieg ihm in die Nase, und ihm lief unwillkürlich das Wasser im Munde zusammen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als er nicht viel über seine nächste Mahlzeit nachgedacht hatte – außer sich unbewusst zu wünschen, dass es jeden Tag Kirschkuchen gab. Nicht, dass seine Familie reich gewesen wäre – eigentlich eher das Gegenteil – aber es hatte ihnen niemals an Essen gemangelt. Brot und Käse und Braten und Buttererbsen und in Honig und Wein geschmorte Pfirsiche. Fischpastete und die kleinen Teekuchen, die seine Mutter manchmal gebacken hatte. Lieber Gott, der erste Schluck Ochsenschwanzsuppe, die kleinen Stücke Fleisch, die so zart waren, dass sie ihm auf der Zunge zergingen. Saftige Orangen, geröstete Walnüsse, Ingwerkarotten und diese Süßigkeit, die aus gezuckerten Rosenblüten gemacht wurde. Manchmal verbrachte er die Tage damit, einfach an Essen zu denken – ganz gleich, wie sehr er versuchte, die Gedanken zu verdrängen. Nie wieder würde er Essen als Selbstverständlichkeit betrachten.

Apollo sah beiseite und versuchte sich abzulenken, als er das Hähnchen herausnahm. Er würde es so lange wie möglich hinauszögern, den unausweichlichen Abstieg, wenn er ein alles fressendes, hirnloses Tier werden würde.

Er machte eine ungeschickte Bewegung, und die Ketten klirrten. Man gab ihm Stroh für den Sitzplatz und für das schmale Bett, und wenn er ein wenig suchte, könnte er eine saubere Stelle für seine Schwester finden, auf der sie sitzen konnte. Das war die einzige Bequemlichkeit, die er einem Gast in seiner Zelle zu bieten hatte.

„Da ist noch Käse und ein halber Apfelkuchen, den ich Penelopes Köchin abgeschwatzt habe.“ Artemis’ Gesichtsausdruck war sanft und ein wenig besorgt, als wüsste sie, wie nahe er daran war, über ihr Geschenk herzufallen und es halb wahnsinnig mit einem Bissen hinunterzuschlingen.

„Setz dich her“, sagte er schroff.

Dankbar setzte sie sich und legte die Beine so zur Seite, als hielten sie ein idyllisches Picknick ab und befänden sich nicht in einem stinkenden Irrenhaus. „Hier.“

Sie legte einen Hähnchenschenkel und ein Stück Kuchen auf ein sauberes Tuch und reichte es ihm. Vorsichtig nahm er den Schatz und versuchte, durch den Mund zu atmen, ohne dass Artemis es bemerkte. Er spannte den Kiefer an und atmete tief ein, während er auf das Essen blickte. Selbstkontrolle war das Einzige, was ihm noch geblieben war.

„Bitte, Apollo, iss.“ Ihr Flüstern klang beinahe schmerzerfüllt, und er erinnerte sich daran, dass er nicht der Einzige war, der für eine Nacht jugendlicher Torheit bestraft worden war.

In jener Nacht hatte er auch das Leben seiner Schwester zerstört.

Also hob er sich den Hähnchenschenkel an die Lippen und nahm einen kleinen Bissen, kaute sorgfältig und hielt den Wahnsinn in Schach. Der Geschmack war wunderbar, füllte seinen Mund, und am liebsten hätte er vor Hunger aufgeheult. Er schluckte und ließ sich das Tuch mit seinem Inhalt auf den Schoß sinken. Er war ein Gentleman, kein Tier. „Wie geht es meiner Cousine?“

Wäre Artemis keine Dame gewesen, hätte sie die Augen verdreht. „Heute Morgen ist sie furchtbar aufgeregt wegen eines Balls, zu dem wir heute gehen. Er findet im Stadthaus von Viscount d’Arque statt. Erinnerst du dich an ihn?“

Apollo aß einen weiteren Happen. Er hatte sich nie in den elitärsten Kreisen bewegt – dafür fehlte ihm das Geld – aber bei dem Namen klingelte etwas.

„Ein großer, dunkler Kerl mit einem gewissen Auftreten? Geistreich und er weiß es?“ Und teuflisch erfolgreich bei den Damen, dachte er, sagte es aber nicht laut in Gegenwart seiner Schwester.

Sie nickte. „Genau der. Er lebt mit Lady Whimple, seiner Großmutter, zusammen, was ein wenig seltsam ist, wenn man seinen Ruf bedenkt. Ich bin sicher, dass sie den gesamten Ball geplant hat, aber er hat eingeladen.“

„Ich dachte, Penelope geht beinahe jeden Abend auf einen Ball?“

Einer von Artemis’ Mundwinkeln zuckte. „Manchmal scheint es so.“

Er biss in den Kuchen und stöhnte beinahe auf, als er den knackig-süßen Apfel schmeckte. „Warum dann die Aufregung wegen d’Arques Ball? Hat sie es auf ihn abgesehen?“

„Oh nein.“ Artemis schüttelte bekümmert den Kopf. „Ein Viscount würde ihr niemals genügen. Sie hat ein Auge auf den Duke of Wakefield geworfen, und Gerüchten zufolge nimmt er heute Abend am Ball teil.“

„Wirklich?“ Apollo blickte seine Schwester an. Wenn ihre Cousine sich endlich für einen Ehemann entschied, dann könnte Artemis obdachlos werden. Und es gab absolut nichts, was er dagegen tun konnte. Er zügelte den Drang, seine Wut herauszubrüllen. Er holte nochmals tief Luft und trank aus der Flasche Ale, die sie ihm mitgebracht hatte. Der warme, saure Geschmack des Hopfens beruhigte ihn für einen Moment. „Dann wünsche ich ihr alles Gute bei ihren Bestrebungen mit Seiner Gnaden – Gott weiß, ich möchte nicht, dass unsere Cousine sich Hoffnung in Bezug auf mich macht.“

„Apollo“, tadelte sie ihn sanft. „Penelope ist ein reizendes Mädchen, das weißt du.“

„Ist sie das?“, neckte er sie. „Wohlbekannt für ihre Philanthropie und Wohltätigkeit?“

„Nun, sie ist ein Mitglied der Gesellschaft der Damen für das Wohlergehen der Waisen und Findelkinder“, erwiderte seine Schwester steif. Sie zupfte ein Stück Stroh hervor und drehte es zwischen ihren Fingern.

„Und einmal wollte sie allen kleinen Jungen im Waisenhaus gelbe Jacken anziehen, hast du mir erzählt.“

Artemis zuckte zusammen. „Sie versucht es. Sie versucht es wirklich.“

Er hatte Mitleid mit seiner Schwester und rettete sie vor der zum Scheitern verurteilten Verteidigung ihrer gefallsüchtigen Cousine. „Wenn du das glaubst, dann bin ich sicher, du hast recht.“ Er beobachtete, wie sie das Stück Stroh zwischen ihren Fingern in eckige Formen bog. „Gibt es noch etwas an dem heutigen Ball, von dem du mir nichts erzählt hast?“

Überrascht sah sie auf. „Nein, natürlich nicht.“

Er deutete mit dem Kinn auf das zerstörte Stück Stroh in ihren Händen. „Was beunruhigt dich dann?“

„Oh.“ Sie blickte auf das Stroh, rümpfte die Nase, dann warf sie es weg. „Es ist nichts, wirklich. Es ist nur, letzte Nacht …“ Ihre Hand wanderte zu dem Fichu, das ihre Brust bedeckte.

„Artemis.“ Die Wut war beinahe überwältigend. Wäre er doch nur frei, sodass er sie befragen könnte, von Dienstboten oder Freunden erfahren könnte, was los war, es dann verfolgen und wiedergutmachen, was auch immer ihr Sorgen bereitete.

Hier drinnen konnte er nur warten und hoffen, dass sie ihm die Wahrheit darüber erzählte, wie ihr Leben draußen war.

Sie sah auf. „Erinnerst du dich an das Halsband, das du mir zu unserem fünfzehnten Geburtstag geschenkt hast?“

Er erinnerte sich nur zu gut an den kleinen grünen Stein. In den Augen eines Jungen hatte er ausgesehen wie ein echter Smaragd, und er war mehr als stolz gewesen, seiner Schwester ein so wundervolles Geschenk zu machen. Aber darüber hatten sie gerade nicht geredet. „Du versuchst, das Thema zu wechseln.“

Sie schürzte die Lippen in einem seltenen Ausdruck der Verärgerung. „Nein, das tue ich nicht. Apollo …“

„Was ist passiert?“

Sie atmete lautstark aus. „Penelope und ich waren in St. Giles.“

„Wie bitte?“ St. Giles war ein wahrer Schmelztiegel für Gesindel. An einem solchen Ort konnte einer Dame alles passieren. „Bei Gott, Artemis! Geht es dir gut? Bist du belästigt worden? Was …“

Sie schüttelte bereits den Kopf. „Ich wusste, ich hätte es dir nicht erzählen sollen.“

„Nein.“ Er zuckte zurück, als wäre der Schlag real gewesen. „Verheimliche mir nichts.“

„Oh.“ Augenblicklich war sie reuevoll. „Nein, mein Lieber, ich werde dir nichts verheimlichen. Wir waren in St. Giles, weil Penelope eine dumme Wette eingegangen ist, aber ich habe den Dolch mitgenommen, den du mir gegeben hast – erinnerst du dich daran?“

Er nickte und verbarg seine Angst. Als er mit elf auf die Schule geschickt worden war, hatte er den Dolch für ein kluges Geschenk gehalten. Schließlich hatte er seine Zwillingsschwester in der Obhut ihres halb verrückten Vaters und einer bettlägerigen, kranken Mutter zurückgelassen.

Aber was einem Jungen als anständig große Waffe erschienen war, war für einen Mann eine zu kleine Waffe. Apollo erschauerte bei der Vorstellung, wie seine Schwester versuchte, sich in St. Giles mit diesem kleinen Dolch zu verteidigen.

„Ganz ruhig“, sagte sie und brachte ihn mit einem Druck ihrer Finger wieder in die Gegenwart. „Ich gebe zu, dass wir belästigt wurden, aber es ist gut ausgegangen. Wir sind ausgerechnet vom Geist von St. Giles gerettet worden.“

Offensichtlich hielt sie diese Information für beruhigend. Apollo schloss die Augen. Man behauptete, der Geist von St. Giles sei ein Mörder und Vergewaltiger und noch Schlimmeres. Er glaubte die Geschichten nicht, wenn auch nur, weil kein Mann – noch nicht einmal ein Wahnsinniger – all das getan haben könnte, was man ihm vorwarf. Dennoch. Der Geist war kein harmloses Kätzchen.

Apollo öffnete die Augen und nahm die Hände seiner Schwester in die seinen. „Versprich mir, dass du dich von Penelopes verrückten Plänen fernhältst.“

„Ich …“, sie sah beiseite. „Du weißt, dass ich ihre Gesellschafterin bin, Apollo. Ich muss tun, was sie wünscht.“

„Sie schafft es, dich wie eine hübsche Schäferin aus Porzellan kaputt zu machen und dich dann wegzuwerfen, um ein neues Spielzeug zu finden.“

Artemis sah entsetzt aus. „Sie würde niemals …“

„Bitte, meine liebste Schwester“, sagte er mit heiserer Stimme. „Bitte.“

„Ich werde mir Mühe geben“, flüsterte sie. „Für dich.“

Er nickte, denn er hatte keine Wahl. Er musste sich mit diesem Versprechen zufriedengeben. Und dennoch drängte sich ihm eine Frage auf.

Wenn es ihn nicht mehr gab, wer würde sich dann um Artemis sorgen?

2. KAPITEL

Vor langer, langer Zeit, als Großbritannien noch jung war, lebte dort der beste aller Herrscher. Sein Name war König Herla. Sein Gesicht war weise und tapfer, sein Arm war stark und geschickt, und er liebte nichts mehr, als im dunklen, wilden Wald jagen zu gehen …

Aus: Die Legende vom König Herla

In den Augen Artemis’ war der Earl of Brightmore vieles: ein respektierter Adeliger, ein Mann, der sich seines Reichtums bewusst war, und – in seinen besten Momenten – ein Christ, der sich an das Wort, wenn auch nicht den Geist, des Mitgefühls halten konnte. Aber er war kein aufmerksamer Vater.

„Papa, ich habe dir gestern beim Mittagessen erzählt, dass ich heute auf den Ball des Viscount d’Arque gehe“, erklärte Penelope an diesem Abend, während ihre Zofe Blackbourne an der Schleife ihres Capes herumzupfte. Sie befanden sich in der großen Eingangshalle von Brightmore House und warteten auf die Kutsche, die um die Stallungen fuhr.

„Ich dachte, da bist du gestern Abend gewesen“, meinte der Earl geistesabwesend. Er war ein großer Mann mit hervorstehenden blauen Augen und einer großen Nase, die über sein Kinn herausragte. Er war eben mit seinem Sekretär zu Hause angekommen – einem kleinen, verhutzelten Mann mit einem beängstigenden Talent für Zahlen – und legte gerade Dreispitz und Umhang ab.

„Nein, Papa“, erwiderte Penelope und verdrehte die Augen. „Gestern Abend habe ich mit Lady Waters in ihrem Haus gespeist.“

Artemis wollte ebenfalls die Augen verdrehen, ließ es jedoch, denn natürlich waren sie letzte Nacht nicht einmal in der Nähe von Lady Waters’ Haus gewesen, sondern waren beinahe in St. Giles getötet worden. Sie glaubte, dass Lady Waters momentan nicht einmal in London weilte. Penelope log mit atemberaubender Kunstfertigkeit.

„Äh“, machte der Earl. „Nun, du siehst jedenfalls großartig aus, Penny.“

Penelope strahlte und wirbelte herum, um ihr neues Kleid vorzuführen. Es war ein gelbes Kleid aus Seidenbrokat, das über und über mit blauen, roten und grünen Blumensträußen bestickt war. Es hatte einen Monat gedauert, das Kleid zu fertigen, und es kostete mehr, als neunzig Prozent der Londoner in einem Jahr verdienten.

„Und du natürlich auch, Artemis“, fügte der Earl zerstreut hinzu. „Wirklich, ganz bezaubernd.“

Artemis knickste. „Danke, Onkel.“

Einen Moment kam ihr der Gedanke, wie sehr sich dieses Leben von ihrem früheren unterschied. Als Kind hatte sie auf dem Land gelebt, nur sie, Apollo, Papa und Mama. Papa hatte sich mit seinem eigenen Vater zerstritten, und ihr Haushalt war ärmlich gewesen. Es hatte keine Feste gegeben, von Bällen ganz zu schweigen. Seltsam, dass sie sich so daran gewöhnt hatte, große Abendveranstaltungen zu besuchen – so sehr, dass sie von der Aussicht auf eine weitere tatsächlich gelangweilt war.

Artemis lächelte trocken in sich hinein. Sie war dem Earl dankbar – der eigentlich ein entfernter Cousin war und nicht ihr Onkel. Sie hatte weder ihn noch Penelope jemals getroffen, während Mama und Papa noch lebten, und dennoch hatte er sie in sein Haus aufgenommen, als sie von der Gesellschaft ausgestoßen worden war. Ohne Mitgift und mit dem Stigma des Familienwahnsinns hatte sie keinerlei Hoffnung, eine Ehe eingehen und einen eigenen Haushalt gründen zu können.

Dennoch konnte sie nicht ganz vergessen, dass der Earl sich unerbittlich geweigert hatte, Apollo ebenfalls zu helfen. Das Äußerste, was er getan hatte, war, dafür zu sorgen, dass Apollo rasch nach Bedlam gebracht worden war, anstatt vor Gericht gestellt zu werden. Für den Earl of Brightmore war das nicht schwer gewesen: Niemand wollte, dass ein Adeliger wegen Mordes gehängt wurde. Die gesellschaftliche Elite würde das nicht hinnehmen – auch wenn sich der betreffende Adelige nie in den Kreisen der feinen Gesellschaft bewegt hatte.

„Du wirst allen jungen Gentlemen auf diesem Ball den Kopf verdrehen.“ Der Earl sprach schon wieder mit seiner Tochter. Kurz kniff er die Augen zusammen. „Achte nur darauf, dass man dir nicht auch den Kopf verdreht.“

Vielleicht nahm er Penelope mehr wahr, als Artemis dachte.

„Keine Sorge, Papa.“ Penelope küsste ihrem Vater die Wange. „Ich sammle nur Herzen – ich verschenke meines nicht.“

„Ha“, erwiderte ihr Vater nur – sein Sekretär flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Wir sehen uns morgen, ja?“

„Ja, liebster Papa.“

Und mit einigen letzten, hektischen Knicksen und Verbeugungen der Horde von Zofen und Dienern waren Penelope und Artemis zur Tür hinaus.

„Ich weiß nicht, warum wir Bon Bon nicht mitgenommen haben“, sagte ihre Cousine, als die Kutsche losfuhr. „Seine Fellfarbe wäre eine passende Ergänzung zu meinem Kleid gewesen.“

Bon Bon war Penelopes kleiner, weißer und recht alter Hund. Artemis war sich nicht sicher, wie er Penelopes Kleid „ergänzt“ hätte. Außerdem hatte sie es nicht übers Herz gebracht, das arme Ding zu stören, als sie gesehen hatte, wie er sich in dem albernen grün- und rosafarbenen Hundebett zusammengerollt hatte, das Penelope für ihn gemacht hatte.

„Vielleicht“, murmelte Artemis. „Aber seine weißen Haare hätten auch an deinen Röcken geklebt.“

„Oh.“ Penelopes Stirnrunzeln stand ihr gut, und sie zog einen Schmollmund mit ihren rosigen Lippen. „Ich frage mich, ob ich mir einen Mops anschaffen sollte. Aber jeder hat einen – sie sind schon beinahe gewöhnlich – und das Beige ist nicht annähernd so auffällig wie Bon Bons Weiß.“

Artemis seufzte stumm und behielt ihre Meinung darüber, sich einen Hund nach der Farbe des Fells auszusuchen, für sich.

Penelope begann, über Hunde und Kleider und Mode und das Fest auf dem Landsitz des Duke of Wakefield, an dem sie bald teilnehmen würden, zu plappern. Artemis musste nur hier und da nicken, um am Gespräch teilzunehmen. Sie dachte an Apollo und wie dünn er ihr heute Morgen erschienen war. Er war ein großer Mann – oder war es gewesen. Bedlam hatte seine Wangen hohl werden lassen, seine Augen ausgehöhlt und die Knochen an den Handgelenken vorstehen lassen. Sie musste mehr Geld auftreiben, um die Wachen zu bezahlen und um ihm mehr Essen und Kleidung mitzubringen. Aber das alles war nur eine vorübergehende Lösung. Wenn sie keinen Weg fand, ihren Bruder aus Bedlam herauszuholen, dann, so befürchtete sie, würde er dort kein weiteres Jahr überleben.

Sie seufzte abermals im Stillen, als Penelope sich noch weiter über belgische Spitze ausließ.

Eine halbe Stunde später stiegen sie vor einem großen Herrenhaus, das taghell erleuchtet war, aus der Kutsche.

„Es ist wirklich schade“, sagte Penelope und schüttelte ihre Röcke aus.

„Was ist schade?“ Artemis beugte sich hinunter, um den hinteren Saum geradezuziehen.

„Lord d’Arque.“ Ihre Cousine deutete vage auf das überwältigende Stadthaus. „So ein schöner Mann und auch reich – er ist beinahe perfekt.“

Artemis furchte die Stirn und versuchte dem oftmals labyrinthgleichen Gedankengang ihrer Cousine zu folgen. „Aber nicht ganz?“

„Nein, natürlich nicht, du Dummchen“, antwortete Penelope, während sie zum Haupteingang schwebte. „Er ist kein Duke, oder? Oh, schau, da ist Lord Featherstone!“

Artemis folgte Penelope, als sie zu dem jungen Lord huschte. George Featherstone, Baron Featherstone, hatte große blaue Augen mit üppigen, geschwungenen Wimpern und rote, volle Lippen, und hätte er nicht ein markantes Kinn und eine lange Nase gehabt, hätte man ihn für ein Mädchen halten können. Die meisten Damen der Londoner Gesellschaft hielten ihn für gut aussehend, aber Artemis fand das gehässige Glitzern in diesen hübschen blauen Augen abstoßend.

„Mylady Penelope!“, krähte Lord Featherstone, blieb auf den Marmorstufen stehen und verneigte sich übertrieben. Er trug einen purpurroten Rock und Breeches mit einer goldenen Weste, die mit Purpurrot, Violett und einem hellen Laubgrün bestickt war. „Was gibt es Neues?“

„Mylord, ich freue mich, Ihnen berichten zu können, dass ich in St. Giles war“, sagte Penelope und streckte die Hand aus.

Lord Featherstone beugte sich darüber und verweilte dort für den Bruchteil einer Sekunde zu lange, bevor er durch seine langen Wimpern zu ihr aufblickte. „Und haben Sie einen Becher Gin getrunken?“

„Leider nicht.“ Penelope öffnete den Fächer und verbarg ihr Gesicht dahinter, als wäre sie beschämt. „Besser.“ Sie senkte den Fächer und enthüllte ein Grinsen. „Ich habe den Geist von St. Giles getroffen.“

Lord Featherstone riss die Augen auf. „Was Sie nicht sagen?“

„In der Tat. Meine Gesellschafterin Miss Greaves kann es bezeugen.“

Artemis knickste.

„Aber das ist ja wundervoll, Mylady!“ Lord Featherstone breitete abrupt die Arme aus, und die Geste ließ ihn taumeln. Einen Augenblick lang befürchtete Artemis, dass er auf der Treppe die Balance verlieren würde, aber er fing sich, indem er einfach einen Fuß auf die nächsthöhere Stufe stellte. „Ein maskierter Dämon, der von der Schönheit einer Jungfrau bezwungen wird.“ Er legte den Kopf auf die Seite und blickte Penelope mit einem listigen Lächeln auf den Lippen an. „Sie haben ihn bezwungen, oder etwa nicht, Mylady?“

Artemis hob die Brauen. Bezwingen war ein schlüpfriges Wort, das man –

„Guten Abend, Mylady. Mylord“, ließ sich eine ruhige, tiefe Stimme vernehmen.

Artemis drehte sich um. Der Duke of Wakefield erschien in der Dunkelheit hinter ihnen. Seine Schritte waren lautlos. Er war ein großer, schlanker Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war und eine elegante weiße Perücke trug. Die Lichter, die aus den Fenstern des Herrenhauses schienen, warfen unheilvolle Schatten auf sein Gesicht und betonten seine Konturen: seine unnachgiebigen, dunklen, geraden Augenbrauen, die markante Nase, die sich beinahe senkrecht darunter erstreckte und direkt zu seinem dünnen, beinahe grausamen Mund führte. Die Damen der Gesellschaft hielten den Duke of Wakefield für nicht so gut aussehend wie Lord Featherstone, aber wenn man sein Gesicht getrennt von dem Mann dahinter betrachtete, konnte man sehen, dass er tatsächlich ein attraktiver Mann war.

Gut aussehend auf eine kalte, ernste Weise, ohne die geringste Spur Weichheit, um die harten Ebenen seines Gesichts abzumildern.

Artemis unterdrückte einen Schauer. Nein, der Duke of Wakefield würde nie zum Liebling der Damen der Gesellschaft avancieren. Etwas an ihm war so gegensätzlich zu allem Weiblichen, dass er das schwächere Geschlecht beinahe abstieß. Dieser Mann konnte nicht durch Sanftmut, Schönheit oder süße Worte beeinflusst werden. Er würde sich nur beugen – vorausgesetzt, er war überhaupt fähig, sich zu beugen – wenn er seine eigenen Gründe dafür hatte.

„Euer Gnaden.“ Penelope knickste kokett, wohingegen Artemis sich neben ihr gesetzter knickste. Nicht, dass es jemand bemerkt hätte. „Wie schön, Sie heute Abend zu sehen.“

„Lady Penelope.“ Der Duke verneigte sich über ihrer Hand und richtete sich dann auf. In seinen dunklen Augen spiegelte sich keine Emotion. Weder positive noch negative. „Was hörte ich da über den Geist von St. Giles?“

Penelope leckte sich über die Lippen. Es hätte eine verführerische Geste sein können, aber Artemis erkannte, dass ihre Cousine unsicher war. Der Duke war selbst im besten Fall ziemlich einschüchternd. „Ein großes Abenteuer, Euer Gnaden. Ich habe den Geist persönlich gestern Nacht in St. Giles getroffen!“

Der Duke sah sie nur an.

Artemis bewegte sich unruhig von einem Fuß auf den anderen. Penelope schien nicht bewusst zu sein, dass der Duke ihr Abenteuer nicht für eine große Leistung halten könnte. „Cousine, vielleicht sollten wir –“

„Lady Penelope besitzt den Mut von Britannia selbst“, ertönte Lord Featherstone. „Eine bezaubernd tapfere Haltung, verbunden mit der Schönheit ihrer Gestalt und ihres Gesichts, die das perfekte Zusammenspiel von Benehmen und Anmut ergeben. Mylady, bitte, nehmen Sie diese Nichtigkeit als ein Symbol meiner Bewunderung an.“

Lord Featherstone sank auf ein Knie und hielt ihr seine juwelenbesetzte Schnupftabakdose hin. Artemis schnaubte leise. Ihrer Meinung nach hatte Penelope die Wette gewonnen und dabei ihr Leben riskiert. Lord Featherstones Schnupftabakdose war nicht die schlichte Gabe, für die er sie ausgab.

Was für ein Idiot.

Penelope griff nach der Dose, aber kräftige Finger kamen ihr zuvor. Der Duke nahm sie Lord Featherstone aus der Hand – was den jungen Mann zum Zurückweichen veranlasste – und hielt sie ins Licht. Sie war oval, golden und hatte ein kleines Gemälde eines Mädchens auf dem Deckel, das von Perlen gesäumt war.

„Sehr hübsch“, sagte Seine Gnaden gedehnt. Er umschloss die Dose mit der Hand und wandte sich an Lady Penelope. „Aber wohl kaum Ihr Leben wert, Mylady. Ich hoffe, Sie werden etwas so Kostbares nicht noch einmal für ein solch banales Stück riskieren.“

Er warf Penelope die Dose zu, die nur blinzelte, und Artemis war somit gezwungen, sie recht ungraziös zu fangen. Sie erhaschte die Schnupftabakdose, bevor sie auf den Boden fallen oder Penelope treffen konnte, und fand sich dem Blick des Dukes ausgesetzt, als sie sich aufrichtete.

Einen Moment lang erstarrte sie. Sie hatte ihm noch niemals in die Augen gesehen – sie war ein Geschöpf, das an den Rand des Ballsaals und in den hinteren Teil der Salons verbannt wurde. Gentlemen nahmen die Gesellschafterin einer Dame nur selten wahr. Wenn man sie nach der Augenfarbe Seiner Gnaden gefragt hätte, hätte sie antworten müssen, dass sie dunkel waren. Und das waren sie auch. Sehr dunkel, beinahe schwarz, aber nicht ganz. Die Augen des Duke of Wakefield waren tiefdunkelbraun, wie frisch gebrühter Kaffee, wie geöltes und poliertes Walnussholz, wie Seehundfell, das im Licht glänzte, und obwohl sie sehr schön waren, waren sie so kalt wie Eisen im Winter. Eine Berührung und ihre Seele würde erfrieren.

„Geschickt gefangen, Miss Greaves“, meinte der Duke und brach den Bann.

Er drehte sich um und ging die Treppe hinauf.

Artemis blickte ihm ungläubig blinzelnd nach. Seit wann kannte er ihren Namen?

„Aufgeblasener Wichtigtuer“, sagte Lord Featherstone so laut, dass der Duke es gehört haben musste, obwohl er es sich nicht anmerken ließ, als er im Haus verschwand. Lord Featherstone wandte sich an Lady Penelope. „Mylady, ich muss mich für das unfeine Benehmen des Dukes entschuldigen. Ich kann nur vermuten, dass er jeglichen Sinn für Spiel und Spaß verloren hat und noch vor seinem vierzigsten Lebensjahr zu einem alten Mann verknöchert ist. Oder ist er fünfzig? Ich schwöre, der Duke könnte ebenso alt wie mein Vater sein.“

„Sicherlich nicht.“ Lady Penelope runzelte die Stirn, als machte sie sich tatsächlich Sorgen, dass der Duke über Nacht plötzlich gealtert sein könnte. „Er kann nicht über vierzig sein, oder?“

Sie hatte Artemis angesprochen, die seufzte und sich die Schnupftabakdose in die Tasche steckte, um sie Penelope später zurückzugeben. Wenn sie sich nicht darum kümmerte, würde Penelope sie sicher im Herrenhaus oder in der Kutsche vergessen. „Ich glaube, Seine Gnaden ist erst dreiunddreißig.“

„Wirklich?“ Penelope strahlte, dann blinzelte sie misstrauisch. „Woher weißt du das?“

„Seine Schwestern haben es beiläufig erwähnt“, erwiderte Artemis trocken. Penelope war mit Lady Hero und Lady Phoebe befreundet – oder zumindest gut bekannt –, aber Penelope hatte nicht die Angewohnheit, zuzuhören, ganz zu schweigen davon, sich daran zu erinnern, was ihre Freundinnen in einem Gespräch gesagt hatten.

„Oh. Nun, dann ist es gut.“ Und dann nickte sie, nahm Lord Featherstones Arm und betrat das Stadthaus.

Sie wurden von Dienern in Livree empfangen, die ihre Tücher entgegennahmen und verwahrten, bevor sie die große Treppe in den ersten Stock hinaufgingen und Lord d’Arques Ballsaal betraten. Der Saal sah aus wie ein Märchenland. Der weiß- und rosafarbene Marmor unter ihren Füßen glänzte. Über ihnen funkelten die Kristalllüster mit Tausenden von Kerzen. Riesige Vasen waren mit Nelken aus dem Gewächshaus in allen Rosa-, Weiß- und Rottönen üppig gefüllt, die die Luft mit dem überwältigenden Duft von Gewürznelken parfümierten. Eine Gruppe Musiker am anderen Ende des Ballsaals spielte eine langsame Melodie. Und die Gäste waren in alle Farben des Regenbogens gekleidet und bewegten sich anmutig wie eine Gruppe ätherischer Feen in einem stummen Tanz.

Artemis rümpfte bedauernd die Nase über ihr schlichtes Kleid. Es war braun, und wenn die anderen Gäste Feen waren, dann musste sie wohl der dunkle kleine Troll sein. Ihr Kleid war im ersten Jahr geschneidert worden, in dem sie bei Penelope und dem Earl gelebt hatte, und sie hatte es seitdem zu jedem Ball getragen, den sie mit Penelope besucht hatte. Schließlich war sie nur die Gesellschafterin. Sie war da, um im Hintergrund zu verschwinden, was sie mit großem Geschick tat, auch wenn sie das selbst behauptete.

„Das war gut“, meinte Penelope fröhlich.

Artemis blinzelte und fragte sich, ob sie etwas verpasst hatte. Sie hatten Lord Featherstone verloren, und es strömten immer mehr Menschen in den Saal. „Wie bitte?“

„Wakefield.“ Penelope öffnete ihren kunstvoll bemalten Fächer, als könnte ihre Gesellschafterin ihr in den Kopf blicken und den Gedanken vervollständigen.

„Unser Treffen mit dem Duke verlief gut?“, mutmaßte Artemis zweifelnd. Ganz sicher nicht.

„Oh ja.“ Penelope klappte ihren Fächer zusammen und tippte Artemis damit auf die Schulter. „Er ist eifersüchtig.“

Artemis blickte ihre hübsche Cousine an. Es gab einige Adjektive, mit denen sie die Stimmung des Dukes beschreiben würde, als er sie verlassen hatte: verächtlich, geringschätzig, überlegen, arrogant … jetzt, da sie darüber nachdachte, war sie sich sicher, dass ihr Dutzende von Adjektiven einfallen würden, aber eifersüchtig war keines davon.

Artemis räusperte sich vorsichtig. „Ich bin mir nicht sicher –“

„Ah, Lady Penelope!“ Ein Gentleman mit einem kleinen Bauch, über dem sich die Knöpfe seines eleganten Anzugs spannten, trat vor sie hin. „Sie sind bezaubernd wie eine Sommerrose.“

Penelope zog angesichts dieses prosaischen Kompliments einen Schmollmund. „Ich danke Ihnen, Euer Gnaden.“

„Gern geschehen, gern geschehen.“ Der Duke of Scarborough wandte sich Artemis zu und zwinkerte. „Und ich hoffe, Sie erfreuen sich bester Gesundheit, Miss Greaves.“

„Ja, Euer Gnaden.“ Artemis lächelte, als sie knickste.

Der Duke war durchschnittlich groß, ging aber leicht gebeugt, was ihn kleiner wirken ließ. Er trug eine schneeweiße Perücke, einen sehr schönen champagnerfarbenen Anzug und Diamantschnallen auf seinen Schuhen – die er, wie man munkelte, sich sehr wohl leisten konnte. Man behauptete auch, dass er auf der Suche nach einer neuen Ehefrau war, denn die Duchess war vor ein paar Jahren dahingeschieden. Leider konnte Penelope ihm wohl seine gebeugte Haltung und den kleinen Bauch verzeihen, nicht jedoch sein Alter, denn der Duke of Scarborough war, im Gegensatz zum Duke of Wakefield, bereits weit über sechzig.

„Ich treffe mich gleich mit einer Freundin“, meinte Penelope kurz und versuchte so, dem Duke auszuweichen.

Aber der Duke war ein Veteran, was Bälle betraf. Er bewegte sich mit einer unglaublichen Geschicklichkeit für sein Alter, schaffte es irgendwie, Penelopes Hand zu ergreifen und sie bei sich unterzuhaken. „Dann werde ich das Vergnügen haben, Sie zu begleiten.“

„Oh, aber ich bin ziemlich durstig“, lenkte Penelope ihn geschickt ab. „Vielleicht wären Sie so freundlich, mir eine Tasse Punsch zu holen, Euer Gnaden?“

„Das würde ich mit Vergnügen tun, Mylady“, erwiderte der Duke, und Artemis glaubte, ein Zwinkern in seinen Augen zu sehen. „Aber ich bin sicher, Ihrer Gesellschafterin macht es nichts aus, das zu tun. Macht es Ihnen etwas aus, Miss Greaves?“

„Natürlich nicht“, murmelte Artemis.

Penelope mochte ihre Herrin sein, aber Artemis mochte den alten Duke – auch wenn er keine Chance hatte, Penelope für sich zu gewinnen. Sie drehte sich ruhig, aber rasch genug um, um vorgeben zu können, das entrüstete Zischen ihrer Cousine nicht zu hören. Der Raum mit den Erfrischungen befand sich auf der anderen Seite des Ballsaals, und sie kam nur langsam voran, denn die Mitte des Saals gehörte den Tanzenden.

Dennoch lächelte sie noch ein wenig, als sie eine bedrohlich tiefe Stimme vernahm. „Miss Greaves. Auf ein Wort?“

Natürlich, dachte sie, als sie aufsah und in die kalten, seehundbraunen Augen des Duke of Wakefield blickte.

„Es überrascht mich, dass Sie wissen, wie ich heiße“, sagte Miss Greaves.

Unter normalen Umständen hätte er sie nicht einmal bemerkt. Maximus blickte in das Gesicht von Miss Greaves und dachte, dass sie eine der unzähligen weiblichen Schatten war: Gesellschafterinnen, unverheiratete Tanten, arme Angehörige. Diejenigen, die zurückblieben. Die, die schweigend am Rand standen. Jeder wohlhabende Mann hatte mit ihnen zu tun, denn es war die Pflicht eines Gentlemans, sich um Frauen wie sie zu kümmern. Dafür zu sorgen, dass sie Kleidung besaßen, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hatten und, wenn möglich, dass sie glücklich oder doch wenigstens zufrieden mit ihrem Los waren. Darüber hinaus nichts, denn diese Frauen besaßen keinen Einfluss auf die Welt der Männer. Sie heirateten nicht und bekamen keine Kinder. Genau genommen hatten sie überhaupt keinen Sex. Es gab keinen Grund, einer Frau wie ihr Beachtung zu schenken.

Und dennoch hatte er es getan.

Auch vor letzter Nacht hatte er Miss Greaves bemerkt, die ihre Cousine stets begleitete und dabei immer gedeckte Farben trug – braun und grau – wie ein Spatz, der einem Papageien folgte. Sie sagte nur selten etwas – zumindest, wenn er zugegen war – und beherrschte die Kunst der ruhigen Wachsamkeit. Sie tat nichts, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Bis letzte Nacht.

Sie hatte es gewagt, im übelsten Teil Londons ein Messer zu ziehen, um ihn zu bedrohen, hatte ihm ohne Angst in die Augen gesehen, und es war, als wäre sie so ins Licht getreten. Plötzlich sah er ihre Gestalt klar und deutlich, die aus der Masse um ihn herum herausstach. Er sah sie. Sah das ruhige, ovale, ganz gewöhnlich weibliche Gesicht – gewöhnlich, bis auf die großen, recht schönen dunkelgrauen Augen. Ihr braunes Haar war im Nacken zu einem Knoten gebunden, und ihre langen Finger umschlossen ruhig ihre Taille.

Er sah sie, und das zu begreifen war ein wenig beunruhigend.

Sie hob ihre zarten Augenbrauen. „Euer Gnaden?“

Er hatte sie zu lange gedankenverloren angestarrt. Der Gedanke verärgerte ihn, daher war seine Stimme mehr als barsch. „Was haben Sie sich dabei gedacht, Lady Penelope nachts allein nach St. Giles gehen zu lassen?“

Viele Damen aus seinem Bekanntenkreis wären bei dieser Anschuldigung in Tränen ausgebrochen.

Miss Greaves blinzelte nur langsam. „Ich weiß nicht, warum Sie glauben, ich hätte die Kontrolle über das, was meine Cousine tut.“

Da hatte sie recht, aber er konnte es nicht zugeben. „Sie müssen gewusst haben, wie gefährlich dieser Teil Londons ist.“

„Oh, das tue ich, Euer Gnaden.“ Er hatte sie auf ihrem Weg, den sie sich am Rande des Ballsaals gebahnt hatte, abgefangen, und nun setzte sie sich wieder in Bewegung.

Notgedrungen musste er neben ihr hergehen, wenn er nicht wollte, dass sie ihn einfach stehen ließ. „Dann hätten Sie Ihre Cousine sicherlich davon überzeugen können, eine solche Torheit zu unterlassen?“

„Ich befürchte, Euer Gnaden, Sie haben eine etwas zu optimistische Ansicht, was die Fügsamkeit meiner Cousine und meinen Einfluss auf sie betrifft. Wenn Penelope sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann halten keine zehn Pferde sie davon ab. Ich denke, wir waren verloren, sobald Lord Featherstone die Worte ‚Wette‘ und ‚schneidig‘ erwähnt hatte.“ In ihrer wohlklingenden Stimme schwang ein amüsierter Unterton mit, der eine unangemessen charmante Wirkung auf ihn ausübte.

Er runzelte die Stirn. „Also war es Featherstones Schuld.“

„Oh, sicher“, erwiderte sie mit unbegründeter Fröhlichkeit.

Missmutig blickte er sie an. Miss Greaves schien sich überhaupt keine Sorgen darüber zu machen, dass ihre Cousine beinahe ihrer beider Tod in St. Giles verursacht hatte. „Man sollte Lady Penelope davon abraten, mit Gentlemen wie Featherstone Umgang zu pflegen.“

„Nun, ja – und auch mit solchen Damen.“

„Damen?“

Sie warf ihm einen trockenen Blick zu. „Einige der verrücktesten Ideen meiner Cousine stammen von anderen Damen, Euer Gnaden.“

„Ah.“ Er sah sie ausdruckslos an und bemerkte geistesabwesend, dass ihre Wimpern recht üppig und schwarz waren – sogar dunkler als ihr Haar. Färbte sie sie irgendwie?

Sie seufzte und beugte sich zu ihm. Ihre Schulter streifte die seine. „Im letzten Jahr hat man Lady Penelope weisgemacht, dass ein lebendiger Vogel ein vollkommen einzigartiges Accessoire sei.“

Machte sie sich über ihn lustig? „Ein Vogel.“

„Ein Schwan, um genau zu sein.“

Sie sah sehr ernst aus. Falls sie tatsächlich ein dummes Spiel mit ihm spielte, verbarg sie es gut. Aber jemand wie sie hatte unzählige Gelegenheiten, um zu lernen, wie man seine Gedanken und Gefühle verhehlte.

„Ich habe Lady Penelope nie mit einem Schwan gesehen.“

Sie warf ihm rasch einen Blick zu, und er sah, wie ihr Mundwinkel zuckte. Nur ein wenig, dann war es vorbei. „Ja, es dauerte nur eine Woche. Wie sich herausstellte, zischen Schwäne – und sie beißen.“

Autor

Elizabeth Hoyt
Elizabeth Hoyt zählt zu den US-amerikanischen Bestseller-Autoren der New York Times für historische Romane. Ihren ersten Roman der Princess-Trilogie „Die Schöne mit der Maske“ veröffentlichte sie im Jahr 2006, seitdem folgten zwölf weitere Romane. Gern versetzt die erfolgreiche Schriftstellerin ihre Romanfiguren in das georgianische Zeitalter. Nachdem ihre beiden Kinder zum...
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