Ein Mann mit zu viel Sex-Appeal

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In seiner weißen Uniform sieht Chance beinahe unwiderstehlich aus! Aber eben nur beinahe: Jennifer hat sich geschworen, ihr Herz nie wieder an einen Mann in Uniform zu verlieren! Doch Chances weiche Lippen bringen ihren Vorsatz ins Wanken …


  • Erscheinungstag 27.06.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768935
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Er hasste Partys.

Gib Chance Barnett ein Maschinengewehr, und er ist ein glücklicher Mensch. Forder ihn auf, sich unter Menschen zu mischen, und er wird zu einem gefährlichen Hund an kurzer Leine.

Aber, so sagte Chance sich, manchmal musste man eben in den sauren Apfel beißen. Und dieser hier war seiner bescheidenen Meinung nach besonders sauer.

Er hielt die Flasche Importbier fest in der Hand und begab sich an den Rand des Geschehens. Kritisch betrachtete er seine neue Familie. Eine verdammt blöde Art, Verwandte kennenzulernen, sagte er sich. Dennoch, er wusste nicht, wie man es hätte besser machen können.

Es gab wahrscheinlich keine gute Form, ihn und seinen Zwillingsbruder Douglas dem Rest der Familie Connelly vorzustellen. Und eines musste man dem Clan lassen: Alle hatten die Nachricht von der Existenz der Zwillinge gefasster aufgenommen, als zu erwarten gewesen war. Schließlich lernte man nicht jeden Tag sechsunddreißigjährige Zwillinge kennen, die zur Familie gehörten.

Und er musste zugeben, dass keiner der Connellys ihm oder seinem Bruder das Gefühl gegeben hatte, nicht gut genug für die Familie zu sein. Selbst Miss Lily und Tobias waren vorzeitig aus Palm Springs zurückgekehrt, um ihn und Douglas zu begrüßen.

Sein Blick wanderte zu dem älteren Paar. Falsch, korrigierte er sich, nicht irgendeinem älteren Paar, seinen Großeltern. Irgendwie seltsam. Schmunzelnd beobachtete er, wie Tobias versuchte, seiner viel kleineren Frau zu entwischen. Doch Miss Lily war trotz ihres Stocks zu schnell für ihren Mann und schnappte sich das Glas Whiskey aus seiner Hand.

Interessanterweise lächelte der groß gewachsene Mann sie nur liebevoll an und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Wie ist es wohl, fragte sich Chance, das ganze Leben mit einem einzigen Partner zu verbringen? Und diesen einen Menschen so sehr zu lieben, dass dies auch mehr als fünfzig Jahre später noch weithin sichtbar ist.

Diese beiden alten Menschen hatten es geschafft, eine Dynastie aufzubauen. Wirklich erstaunlich, wenn man einmal in Ruhe darüber nachdachte. Sicher, die Connellys waren sozusagen amerikanischer Adel. Aber zur Familie gehörte auch echter Adel.

Und Chance und Douglas Barnett waren Teil dieser Familie.

Er schüttelte den Kopf und bewegte sich weiter durch die Menge. Eine schrille weibliche Stimme erregte seine Aufmerksamkeit. Neugierig verlangsamte er seinen Schritt.

Seine Halbschwester Alexandra, eine große Frau mit rabenschwarzem Haar, wichtigtuerischem Gehabe und scharfen grünen Augen stand im Mittelpunkt des Interesses, in dem sie sich sehr wohlzufühlen schien. „Es ist furchtbar bedauerlich, dass ihr meinen Verlobten nicht kennenlernen könnt“, sagte sie gerade. „Aber Robert ist geschäftlich unterwegs.“

Ihr Publikum nickte verständnisvoll, doch Chance dachte nur, der Glückliche. Zumindest dieser Robert hatte es geschafft, um die Party herumzukommen. Chance beeilte sich weiterzugehen, drehte sich dabei aber etwas zu schnell um, sodass er die Stelle spürte, an der er kürzlich genäht worden war.

Schmerzhaft wurde er daran erinnert, weshalb es ihm überhaupt möglich war, dieser Feier beizuwohnen. Denn wäre er bei seinem letzten Einsatz nicht verletzt worden, könnte er jetzt nicht hier sein, sondern wäre irgendwo mit seiner Truppe unterwegs. Sobald seine Verletzung abgeheilt war, würde er wieder zu den Kameraden stoßen. Sein Seesack war gepackt.

Chance Barnett war ganz und gar zum Abflug bereit. Er musste zurück zu seinem SEAL-Team, einer Spezialeinheit der amerikanischen Marine. Er musste dorthin zurück, wo er hingehörte. Mit finsterem Gesicht sah er in Richtung seines Bruders Douglas, der mit einigen der neuen Verwandten plauderte, und er wünschte beinah, er würde sich unter diesen Menschen genauso wohlfühlen wie sein Bruder.

Verdammt, sein Bruder hatte mit einem ihrer neuen Cousins sogar über seine Exfrau gesprochen und darüber, dass seine Ehe gescheitert war, weil seine damalige Frau im Gegensatz zu ihm, Douglas, keine Kinder wollte.

Klar doch, Chances Bruder fügte sich mühelos in die Familie ein! Und er hatte offensichtlich auch kein Problem damit, den Namen Connelly an ihren Nachnamen Barnett anzuhängen. Aber Douglas war immer schon der Vernünftigere von ihnen beiden gewesen. Deshalb war er wohl auch Arzt geworden, während er selbst dieser Kampftruppe beigetreten war.

Okay, dachte Chance, reine Spekulation.

„Entschuldigen Sie, Sir“, sagte eine tiefe Stimme direkt hinter ihm. Chance drehte sich zu einem elegant gekleideten Kellner um. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“

Chance hielt sein Bier hoch. „Nein danke.“ Er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken, dass diese Familie wahrscheinlich ständig von eigenen Kellnern und Butlern umgeben war. „Ich habe noch.“

Vielleicht lag es an seiner Militärausbildung, vielleicht war es auch sein angeborenes Bedürfnis, immer Herr der Lage zu sein, jedenfalls trank Chance auf einer Party selten mehr als ein Bier. Selbst auf einer Feier wie dieser, wo er sich im Grunde völlig deplatziert fühlte.

Wortlos zog der Kellner weiter durch die Gästeschar, und Chance schüttelte wieder den Kopf. Wie bin ich hier nur gelandet, fragte er sich. Und wie konnte er sich möglichst bald einen höflichen Abgang verschaffen? Er flüchtete in eine Ecke des Raumes, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ seinen Blick über die Menschen gleiten, die sich an diesem Abend hier versammelt hatten.

Ein SEAL in einem Herrenhaus direkt am Ufer des Michigansees? Einfach absurd. Chance lächelte in sich hinein. Niemand würde ihm das abkaufen. Er hob sich von der elegant gekleideten Menge ab. Die weiße Ausgehuniform der amerikanischen Navy fiel in dem Meer von lebhaften Farben und schwarzen Smokings auf. Zugleich befand er sich das erste Mal in seinem Leben einem Raum mit Menschen, mit denen er tatsächlich verwandt war.

Douglas und er waren ohne Vater aufgewachsen, ihre alleinerziehende Mutter hatte ihr Bestes getan. Doch sie hatte nicht viel Zeit für ihre Söhne gehabt, und es hatte auch keine Verwandten gegeben, die sich um die Jungs hatten kümmern können. Und jetzt stand er hier, sechsunddreißigjährig, und traf das erste Mal auf seine Cousins, Cousinen und Halbgeschwister.

Es war ziemlich absurd.

Chance trank einen Schluck Bier und gestand sich insgeheim ein, dass es nicht unbedingt schlecht war, eine Familie zu haben. Es würde nur eine Zeit dauern, sich daran zu gewöhnen. Von der anderen Seite des Raumes warf Douglas ihm lächelnd einen vielsagenden Blick zu. Hättest du das für möglich gehalten, schienen seine Augen zu sagen.

Sofort fühlte Chance sich wohler. Er und sein Zwillingsbruder hatten einander im Laufe der Jahre immer wieder aus der Klemme geholfen. Und solange sie aufeinander zählen konnte, würde der Name Connelly hinter dem Namen Barnett nicht viel ändern.

Dennoch, er könnte etwas frische Luft vertragen.

Schnell entschlossen spazierte er zu der breiten Glasschiebetür, die hinaus auf den Balkon führte. Die Geräusche gedämpfter Unterhaltung und leiser Klaviermusik begleiteten ihn, während er in einem großen Bogen um die vielen Gäste herumging. Als er sich der Tür näherte, wurde ihm klar, dass sich sein Wunsch, allein zu sein, nicht erfüllen würde.

Eine Frau stand im Licht der Abendsonne auf dem Balkon, ihr hellblondes Haar war vom Wind zerzaust. Chance kannte sie. Es war Jennifer Anderson, Emma Connellys Sekretärin. Sie hatten sich in den letzten Tagen ein paar Mal gesehen.

Jennifer war nicht besonders groß, hatte aber eine tolle Figur. Ihr dunkelgrünes Kleid, das kurz über dem Knie endete, brachte ihre schönen Beine wunderbar zur Geltung. Sie hatte herrlich volle Brüste und eine so schmale Taille, dass er sie wahrscheinlich mit seinen Händen umfassen könnte, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme. Mit geradem Rücken stand sie da und blickte auf den Michigansee. Chance runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass sie eine Hand an den Mund gelegte hatte und die Schultern leicht hängen ließ.

Sofort regte sich etwas in ihm, und sein stark ausgeprägter Beschützerinstinkt trieb ihn nach draußen. Er schob die Glastür auf. Der kräftige Wind, der vom See her blies, drückte ihn fast zurück auf die Party. Aber ein SEAL gab nicht so schnell auf. Chance stemmte sich gegen den Wind, trat leise auf den Balkon und schloss geräuschlos die Tür hinter sich.

„Reiß dich endlich zusammen, Jen“, murmelte die Frau, offenkundig zu sich selbst, bevor Chance sich bemerkbar machen konnte. „Weinen hilft nicht. Du schaust nur furchtbar dabei aus.“

Er konnte nicht widerstehen, darauf eine Antwort zu geben.

„Lady“, sagte er leise, „alle Tränen der Welt würden das nicht schaffen.“

Sie wirbelte herum. Ihre Körpersprache zeigte ihm deutlich, dass sie nicht begeistert davon war, in diesem Zustand erwischt worden zu sein. Doch sie erkannte ihn sofort, und ihre Abwehrhaltung ließ nach.

„Sie haben mich überrascht.“ Sie hob die Hand und wischte sich die verräterischen Tränen von den Wangen.

„Tut mir leid“, sagte er, auch wenn es nicht wirklich stimmte. „Alte Angewohnheit. Ich bin geübt, mich geräuschlos zu bewegen.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wir sind hier nicht im Busch, Commander. Hier ist es üblich, dass man anklopft.“

„Ja.“ Er trat näher zu ihr. „Aber man klopft, wenn man irgendwo hineinmöchte. Ich bin hinausgegangen.“

„Wortklauber.“ Jennifer drehte das Gesicht wieder in den Wind. Sie stierte in die Ferne und kümmerte sich nicht weiter um Chance, in der Hoffnung, er würde wieder gehen. Schließlich konnte sie ihm nicht gut vorschreiben zu gehen. Er war immerhin einer der verlorenen Söhne, für die diese Party arrangiert worden war. Also musste er entweder aus eigenem Antrieb wieder gehen, oder sie war gezwungen, sich erneut unter die Gäste zu mischen und so tun, als sei alles in Ordnung.

Bitte, lieber Gott, lass ihn verschwinden.

Ihre Bitte wurde nicht erhört. Chance Barnett Connelly trat neben sie und legte die Hände auf das schmiedeeiserne Balkongeländer. Sie waren kräftig und braun gebrannte, und Jennifer bemerkte, dass die Knöchel weiß wurden, so fest war sein Griff. Offensichtlich war er ebenso angespannt wie sie. Doch die Gründe dafür waren sehr unterschiedlicher Natur.

„Also, was ist das Problem?“ Chance blickte in die Wolken, die tief am Himmel hingen.

„Problem?“ Jennifer richtete sich auf. Das Letzte, was sie wollte oder brauchte, war Mitleid. Vor allem nicht von einem Mann, den sie nicht kannte. Außerdem war er ein Connelly. Wenn sie sich ihm anvertraute, dann wüsste bald jeder Bescheid, und das war nicht in ihrem Sinne. Zunächst musste sie mit Emma Connelly sprechen.

Emma war nicht nur ihre Chefin, sie war auch so etwas wie eine Mutterfigur für Jennifer. Ihre eigenen Eltern waren schon vor Jahren gestorben, und abgesehen von ihrer Tochter Sarah, hatte Jennifer niemanden auf der Welt. Was sie nie sonderlich gestört hatte. Bis gestern.

„Ja.“ Chance warf ihr einen Blick von der Seite zu. „Wenn ich eine wunderschöne Frau allein und weinend auf dem Balkon vorfinde, während keine drei Meter von ihr ein fröhliches Fest gefeiert wird, dann … nun, dann muss wohl ein Problem vorliegen.“

Jennifer atmete tief die kalte Luft ein und schöpfte aus ihr Kraft. Dann legte sie eine Fröhlichkeit in ihre Stimme, die sie nicht verspürte, und antwortete: „Danke der Nachfrage, aber es ist alles in Ordnung.“

„Soso.“

„Wirklich.“ Sie blickte ihn aus den Augenwinkeln an. „Sie glauben mir nicht.“

„Nein.“

„Nun …“, sie stieß sich vom Balkongeländer ab, „… das ist nicht mein Problem.“

Er fasste sie am Arm. „Gehen Sie nicht.“

Seine Berührung hatte irgendwie etwas sehr Tröstliches. Jennifer blieb stehen und blickte in seine hellbraunen Augen. Sie hatten genau den Ton von feinem altem Cognac. Ihr Herzschlag geriet leicht ins Stolpern. Der Mann hatte markante Gesichtszüge, kräftige Kiefermuskeln, und seine Nase war mindestens einmal gebrochen gewesen. Das braune Haar trug er militärisch kurz. Trotzdem weckte es in ihr den Wunsch, mit den Fingern darin zu wühlen.

Und er war unglaublich groß und hatte breite Schultern, die dafür geschaffen schienen, die Last der ganzen Welt zu tragen. An diesem Abend konnte sie gut eine starke Schulter zum Anlehnen gebrauchen. Doch Jennifer war zu sehr daran gewöhnt, auf eigenen Füßen zu stehen, um sich in einem schwachen Moment einfach so gehen zu lassen.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: „Ich möchte mich nicht aufdrängen, aber wo ich schon einmal hier bin, kann ich Ihnen doch auch helfen“

Ein verführerischer Gedanke, dachte Jennifer. Absolut verlockend. Aber nein. Sie schüttelte den Kopf. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber …“

„… ich bin ein Fremder. “

„Ja.“

„Manchmal ist das besser.“ Er hielt sie immer noch am Arm fest, als rechnete er damit, sie könnte hastig weglaufen. Was sie gern auch getan hätte. Dann lächelte er, und sie verspürte ein Kribbeln im Bauch. „Wenn man einem Fremden seine Probleme anvertraut, dann ist es, als würde man zu sich selbst sprechen. Nur, dass man seine eigenen Fragen nicht selbst beantworten muss und auch nicht Gefahr läuft, sich im Kreis zu drehen.“

Fast hätte er ihr ein Lächeln entlockt. Ihre Mundwinkel zeigten schon leicht nach oben. Doch der Anflug des Lächelns war schnell wieder verschwunden. Seit sie gestern mit den Ärzten ihrer Tochter gesprochen hatte, gab es nichts mehr zu lachen für sie.

Es war, als würde sich eine eisige Hand um ihr Herz schließen. Sie fühlte nichts mehr als Hoffnungslosigkeit und Trauer.

Chance ließ die Hand über ihren Arm zu ihren Schultern gleiten und drückte sie sanft. „Reden Sie mit mir. Vielleicht kann ich helfen.“ Er neigte den Kopf etwas und lächelte ihr aufmunternd zu. „Hey, ich bin ein SEAL. Zum Helden ausgebildet. Lassen Sie mich helfen, okay?“

Jennifer warf einen Blick über die Schulter zu den fröhlich feiernden Menschen direkt hinter der Glastür, dann sah sie Chance ins Gesicht. Was soll’s, dachte sie. Sie konnte wirklich eine starke Schulter gebrauchen.

„Es geht um meine Tochter“, stieß sie hervor, bevor sie es sich noch einmal anders überlegen konnte.

„Sie haben eine Tochter?“

„Ja.“ Bei dem Gedanken an Sarah hatte Jennifer sofort ihr Bild vor Augen. Sie lächelte in sich hinein. Große braune Augen in einem runden kleinen Gesicht, das immer dreckig war. Süße Rattenschwänzchen, die nicht viel mehr waren als dünne, hellbraune Strähnen, und mit kindlichen Spangen gehalten wurden. Kleine, pummelige Händchen und kurze, stämmige Beine. Klebrige Küsse und stürmische Umarmungen. Kitzeln und herzhaftes Lachen.

Ärzte in weißen Kitteln. Lange, gefährlich aussehende Nadeln. Sarahs Tränen.

„O Gott“, stöhnte Jennifer. Sie legte die Hand an den Mund, nicht sicher, ob sie sich übergeben oder wieder weinen würde.

Es war alles so verdammt unfair.

„Kommen Sie.“ Chance drehte sie zu sich um und zog sie in seine Arme.

Und weil sie Nähe so dringend brauchte, ließ sie es geschehen.

Sie schmiegte sich an seine breite Brust, schlang die Arme um seine Taille und schöpfte neue Kraft aus seiner Stärke. Sie merkte, dass er über ihren Rücken strich, und irgendwie half es. Obwohl sie wusste, dass sich an ihrem Problem nichts änderte, fühlte sie sich getröstet. Und einen Moment lang schien die Welt nicht mehr so angsterregend, wie noch ein paar Minuten zuvor.

„Erzählen Sie es mir.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Sagen Sie mir, was Sie bedrückt.“

„Sarah, meine Kleine. Sie muss operiert werden. Am Herzen. Sie hat ein Loch im Herzen.“ Das erste Mal, seit der Arzt die grausame Diagnose gestellt hatte, sprach sie die Worte laut aus.

„Sch.“ Es war ein tröstliches Geräusch, eher wie ein tiefer ausgestoßener Atemzug, aber auch das half. Sie spürte sein Mitgefühl an der sanften Art, wie er sie enger an sich zog.

„Wie alt ist sie?“

„Achtzehn Monate.“ Jennifer blickte an ihm vorbei auf den See, doch in Wirklichkeit hatte sie das Bild ihrer Tochter vor Augen. „Sie ist noch so klein. So winzig. Sie dürfte nicht so krank sein.“

„Nein, dürfte sie nicht“, erwiderte er leise. „Das ist echt besch… Entschuldigung.“

Jennifer nickte nur. „Ja“, sagte sie, dankbar, dass jemand anderer aussprach, was sie dachte. „Ist es.“

2. KAPITEL

Chance war wirklich kein Familienmensch. Doch er spürte Jennifers Angst, als ginge es um sein eigenes Kind.

Sein Instinkt befahl ihm, schnell zu handeln und ihr schützend zur Seite zu stehen. Doch seine ganze Ausbildung nützte ihm in diesem Fall überhaupt nichts. Diese Erkenntnis war schwer zu schlucken.

Verflixt, ihm fielen nicht einmal ein paar tröstende Worte ein! Wirklich toll, Chance, deine redegewandte Reaktion.

Er hielt Jennifer weiter in den Armen, in der Hoffnung, dass ihr diese stumme Umarmung irgendwie half. Merkwürdig, vor ein paar Tagen hatte er noch nicht einmal gewusst, dass es all diese Menschen hier überhaupt gab. Und jetzt stand er auf dem Balkon eines Herrenhauses und hielt eine weinende Frau fest umschlungen.

„Was mache ich denn hier?“, murmelte Jennifer, als sie sich aus seiner Umarmung löste und sicherheitshalber noch einen Schritt zurücktrat. „Ich ruiniere ja Ihre weiße Uniform mit meiner Wimperntusche.“

Das ist meine geringste Sorge, dachte er und blickte in ihre dunkelgrünen Augen. Sie waren groß, traurig und schimmerten feucht. Die Wimperntusche war nicht verschmiert. Er sah nur die Tränen, gegen die sie so tapfer ankämpfte, dass er sie dafür bewunderte.

Anstatt sich in der Angst zu verlieren, die ihr fast den Atem nahm, kämpfte sie mit eisernem Willen dagegen an. Sie wollte nicht einmal Mitleid. Was also konnte er überhaupt für sie tun?

„Möchten Sie wieder hineingehen?“

„Um Gottes willen, nein.“ Sie schüttelte den Kopf und trat ans Geländer. Mit dem Rücken zur Glastür und das Gesicht von ihm abgewandt, sagte sie: „Niemand soll sehen, dass ich geweint habe. Ich könnte die Fragen im Moment nicht ertragen.“

Dafür hatte er volles Verständnis. Also gut, wenn er sie schon nicht in das Getümmel an Partygästen geleiten konnte, dann wollte er zumindest dafür sorgen, dass sie später unbelästigt hineinkam. „Okay. Warten Sie hier. Ich bin gleich zurück.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, öffnete er schon die Schiebetür und kehrte zur Party zurück. Lärm schlug ihm entgegen, und er vermisste augenblicklich die friedliche Stille auf dem Balkon.

Chance schenkte den Menschen um sich herum keine Beachtung. Konzentriert bewegte er sich durch die Menge, als wäre er im Einsatz. Er behielt sein Ziel im Kopf und machte sich daran, es so schnell wie möglich zu erreichen. Was bei den vielen Partygästen nicht so einfach war, wie er erwartet hatte.

Er warf einen schnellen, fast sehnsüchtigen Blick in Richtung Ausgang, verdrängte dann aber den Wunsch, sich heimlich zu verdrücken und ging unbeirrt weiter.

Als er die Küche betrat, sah das dort beschäftigte Personal überrascht auf.

„Kann ich Ihnen helfen, Mr. Chance?“

Dankbar blickte er zu der Frau rechts von ihm und suchte fieberhaft nach ihrem Namen. Eine Sekunde später fiel er ihm ein.

„Sie sind Ruby, nicht wahr?“, fragte er.

„Allerdings.“ Die Haushälterin nickte so heftig, dass sich eine Strähne ihres ergrauenden roten Haares aus dem Knoten löste.

In den wenigen Tagen, die Chance jetzt in der Stadt war, hatte er gesehen, dass diese Frau den Haushalt der Connellys – und eigentlich die ganze Familie – mit eiserner Hand führte. Grant und Emma glaubten vielleicht, hier das Sagen zu haben, doch in Wahrheit war es Ruby.

Die kleine rundliche Frau mit den freundlichen blauen Augen besaß ein Durchsetzungsvermögen, das Chance sehr zu schätzen wusste. Er hatte gesehen, wie seine Halbgeschwister flitzten, wenn Ruby eine Anweisung gab. Selbst sein Vater Grant akzeptierte widerspruchslos, was sie entschied.

Offensichtlich führte sie hier schon so lange das Regiment, dass sie überhaupt nicht auf die Idee kam, jemand könnte ihr widersprechen. Beim Militär hätte sie wahrscheinlich den Rang eines Generalstabschefs erreicht.

„Also, was kann ich für Sie tun?“, riss sie ihn abrupt aus seinen Gedanken – mit der gleichen Entschiedenheit, mit der sie nach der Hand eines Kindes geschnappt hätte, das sich aus dem Staub machen wollte.

Chance blickte auf die anderen Angestellten, die sich in Hörweite versammelt hatten. Es widerstrebte ihm, vor so vielen neugierigen Zuhörern zu sprechen. Die Haushälterin bemerkte sein Zögern und klatschte laut in die Hände. „Was steht ihr hier herum? Macht euch an die Arbeit. Die Getränke und Snacks müssen serviert werden.“

Die Küchenbediensteten stoben auseinander wie Blätter im Wind, und einen Moment später war er mit Ruby allein. „Ich bin beeindruckt“, sagte er.

„Weil ich sie fortgejagt habe? Nicht nötig. Die jungen Leute tun mir allerdings leid“, sagte die Frau und schüttelte den Kopf. „Sie sind nur Aushilfskräfte für diese Feier, und ihre Mütter haben offensichtlich vergessen, ihnen Manieren beizubringen.“

Chance lächelte. „Dafür sind Sie ja jetzt da.“

Ruby richtete sich auf und warf sich in die Brust. „Ich werde mein Bestes tun, in der kurzen Zeit, während der ich sie hier habe“, versicherte sie ihm. „Also, was kann ich für Sie tun, Mr. Chance?“

Er stöhnte innerlich bei der Anrede. Es machte ihm nichts aus, Commander genannt zu werden, den Titel hatte er sich erarbeitet. Er konnte auch damit leben, wenn jemand „He, Matrose“ rief, aber „Mr Chance“? Das klang in seinen Ohren doch sehr merkwürdig. „Nennen Sie mich bitte einfach Chance, einverstanden?“

Die Haushälterin zog einen Mundwinkel hoch, doch dann nickte sie. „Einverstanden, Chance.“ Sie betrachtete ihn einen Moment, dann sagte sie: „Um die Augen herum haben Sie große Ähnlichkeit mit Ihrem Vater. Mehr als Ihr Bruder.“

Chance war unbehaglich zumute. Er musste nicht unbedingt daran erinnert werden, dass er aussah wie der Mann, der es geschafft hatte, seine beiden Söhne ein Leben lang zu ignorieren.

Da es ihm nicht angebracht schien, der Haushälterin für das zweifelhafte Kompliment zu danken, ging er über ihre Bemerkung einfach hinweg. Schließlich war er nicht mit der Absicht hierhergekommen, eine Familie zu finden. Er hatte bereits eine Familie – Douglas. Nach dem Tod ihrer Mutter hatten sie sich nur noch gegenseitig. Und bisher war ihnen das genug gewesen.

Er war nur wegen seinem Bruder hier. Und hätte ihn dieser hinterhältige, kleine Terrorist auf seinem letzten Einsatz nicht angeschossen, dann müsste er jetzt nicht die Pracht und Herrlichkeit ertragen, mit der sich die Connellys umgaben. Allerdings wäre er dann auch nicht zur Stelle gewesen, um Jennifer zu Hilfe zu eilen.

Der Gedanke erinnerte ihn daran, warum er überhaupt in die Küche gekommen war.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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