Eben noch im siebten Himmel …

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In der Hochzeitsnacht in Las Vegas hat Seth sie voller Leidenschaft geliebt. Lynn schwebt im siebten Himmel. Erst ein zufällig belauschtes Telefonat holt sie unsanft auf die Erde zurück. Hat Seth sie etwa nur geheiratet, um eine alte Schuld zu begleichen?


  • Erscheinungstag 08.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768997
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte die blonde Kellnerin.

Seth Connelly sah auf und blickte in Augen, die er wegen ihrer ungewöhnlichen Farben – ein intensives dunkles Blau, wie afrikanische Veilchen – nie vergessen hatte. Als er Lynn McCoy kennengelernt hatte, war sie noch ein Kind gewesen, das nur Unfug im Kopf hatte. Im Laufe der Jahre dann war sie zu einer wunderschönen jungen Frau erblüht. So verführerisch, dass er seine Freundschaft mit ihrem älteren Bruder, der ihm nähergestanden hatte als sein eigener, ganz vergaß.

„Hallo, Lynn“, sagte er. Irgendwie hatte er bei der Überlegung, wen er vielleicht in Sagebrush, Montana, treffen würde, überhaupt nicht an Lynn und den einen ungeschickten Kuss am Abend ihres sechzehnten Geburtstags gedacht.

Wegen dieses Kusses war er nie wieder zu der Ranch zurückgekehrt. Ihm war bewusst gewesen, dass er eine Grenze überschritten hatte, die er besser beachtet hätte. Er war damit einen Schritt gegangen, der ihn von Matt entfernt hatte. Doch ihm war damals auch klar geworden, dass es an der Zeit war, nicht mehr fortzulaufen, sondern nach Chicago zurückzukehren.

Jetzt, vierzehn Jahre später, hatte der Verrat seiner leiblichen Mutter Chicago wieder zu einem spannungsgeladenen Ort gemacht, und so hatte er der Stadt erneut den Rücken gekehrt. Denn als er abermals auf Angie Donahues Lügen hereingefallen war und sich von ihr hatte manipulieren lassen, hatte er gemerkt, dass er sich selbst nicht mehr kannte.

Er hoffte, dass Lynn sich nicht mehr an den Kuss erinnerte – es war so lange her. Falls doch, dann dachte sie wahrscheinlich mit Schrecken daran zurück. Ihn selbst verfolgte die Erinnerung daran, wie er mit seinen Lippen flüchtig die ihren gestreift hatte, seit Jahren in ruhelosen Nächten und bis in seine Träume. Sie war so rein und unschuldig gewesen, was man von ihm nicht behaupten konnte.

Lynn machte große Augen, als sie ihn erkannte, und lächelte ihn an. Er entdeckte eine Müdigkeit in ihrem Gesicht, und instinktiv wusste er, dass sie, genau wie er, Probleme hatte. Das geht dich nichts an, alter Knabe.

„Hallo, Seth. Was bringt dich an dieses kleine Fleckchen Erde zurück?“

Er war ein erfolgreicher Anwalt aus einer wohlhabenden Familie und kannte sich aus mit Menschen, die auf hohem Niveau klagten. Zu diesen Menschen wollte er nicht gehören. Er konnte ihr nicht sagen, dass er hier etwas suchte, was er in seiner Jugend nicht gefunden hatte. Etwas, das er niemandem wirklich erklären konnte. Es war eigentlich nur ein Gefühl, ein starkes zwar, aber nicht zu definieren.

„Die Hoffnung auf eine Tasse Kaffee und ein leckeres Steak.“

„Dann bist du hier richtig. Aber ich warne dich, unsere Speisen sind sicher nicht so raffiniert wie die, die du in Chicago aufgetischt bekommst.“

„Das ist in Ordnung. Die Atmosphäre hier ist besser.“

„Wirklich? Ich hätte gedacht, nichts ist besser als all die tollen Leute in der Stadt.“

„Nichts kommt gegen die Berge Montanas an.“ Es war zwar bereits dunkel, doch die Aussicht von diesem einfachen Lokal auf die Berge hatte er nie vergessen.

„Das kannst du laut sagen!“

Ihre Blicke trafen sich, und sie waren sich einig in ihrer Wertschätzung dessen, was die Natur diesem Teil des Landes so reichlich geschenkt hatte.

„Welches Dressing möchtest du auf deinen Salat haben?“

„Essig und Öl“, bestellte er, und sie entfernte sich. Das heimelige Ambiente des Lokals und das Stimmengewirr um ihn herum erinnerten ihn daran, warum er Sagebrush mochte. In dieser kleinen Stadt war er nicht der uneheliche Sohn einer Mafia-Prinzessin und des angesehensten Bürgers von Chicago. Hier war er der wilde Junge, der sein Ohr gepierct hatte und selbst im heißen Sommer mit Lederjacke herumlief. Hier war er ein Mann ohne familiäre Bande – und genau das brauchte Seth.

In Sagebrush war er ein Freund der McCoys und wurde entsprechend behandelt. Dieses Gefühl der Wärme und Freundschaft war es, das ihn jetzt im Spätherbst, zu einer Zeit, da der Winter schon an die Tür klopfte, hierher zurückgezogen hatte.

Lynn brachte seinen Kaffee und den Salat und eilte dann wieder davon, um sich um die restlichen Tische zu kümmern. Ihre Kollegin brachte sein perfekt gebratenes Steak.

Die Mahlzeit war eine der besten, die er seit Langem gehabt hatte. Ein einfaches Gericht, bei dem der Geschmack im Vordergrund stand und nicht die Präsentation. Seth spürte, dass seine Entscheidung, nach Montana zu reisen, richtig gewesen war. Langsam fiel die Anspannung von ihm ab.

Lynn sieht erschöpft aus, dachte er.

Seine Halbschwester Tara hatte einen ähnlich angegriffenen Eindruck gemacht, als sie die schwierige Entscheidung traf, ihren vermissten Ehemann Michael rechtlich für tot erklären zu lassen. Welche Probleme lasteten wohl auf Lynns Schultern? Und warum war Matt nicht hier, um sie zu unterstützen? Ihn und Matt McCoy verband nicht nur Freundschaft, sondern auch das starke Bedürfnis, die zu beschützen, die ihnen lieb und teuer waren.

Warum ließ Matt also seine Schwester in einem Diner arbeiten, wenn es gar keinen Grund dafür gab? Die Ranch der McCoys war die größte und profitabelste in der Gegend. Seth wusste das nicht nur aus seinen Jugendtagen, sondern auch von seinen jährlichen Treffen mit Matt. Sie sprachen immer über die Ranch. Aber nie über Lynn.

Sie kam, um seine Tasse nachzufüllen. „Hast du einen Moment Zeit, um dich zu mir zu setzen?“

„Aber nur ganz kurz.“

„Du siehst gut aus, Lynn.“

„Danke“, sagte sie zögernd.

„Warum so zaghaft?“

„Ich erinnere mich gerade an das letzte Kompliment, das du mir gemacht hast.“

„He, ich bin ein langweiliger, alter Rechtsanwalt geworden.“

„Weder langweilig noch alt. Rechtsanwalt?“

„Okay, vergiss es.“ Nur wenige Menschen konnten der Versuchung widerstehen, Witze über Anwälte zum Besten zu geben, wenn sie mit einem zusammentrafen.

„Was?“, fragte sie unschuldig. Sie sah atemberaubend schön aus in dem schummrigen Licht des Lokals.

„Du kennst doch sicher auch einen Witz über Anwälte.“

„Da täuschst du dich. Außerdem habe ich großen Respekt vor dir.“

„Ja, natürlich. Ich kann mich noch gut an deinen letzten Streich erinnern. Du hast meine Kleidung gestohlen und mich nackt am Badesee zurückgelassen.“

„Deinen Hut habe ich nicht mitgenommen, oder?“

Es war peinlich gewesen, von einem Mädchen hereingelegt zu werden, das ein paar Jahre jünger war als man selbst. Noch heute war es ihm unangenehm, wenn er daran dachte, was sie alles mit ihm angestellt hatte. „Ich denke, wir sind quitt.“

„Ja, das sind wir. Bist du hier, um Matt zu treffen?“

„Ja.“

„Er ist nicht zu Hause.“

„Ich dachte, sein Einsatz sei letzten Monat zu Ende gegangen.“

„So der Plan, doch er war der Meinung, noch vonnöten zu sein, deshalb hat er verlängert.“

Verdammt. Wenn Matt nicht da war, konnte er nicht auf der McCoy-Ranch übernachten. Er hatte darauf vertraut, in dem gastfreundlichen Haus aufgenommen zu werden, hatte sich auf das Blöken der Rinder in der Ferne gefreut und den betörenden Jasminduft, der ihn in den Schlaf lullte.

„Warum hast du nicht vorher angerufen?“

„Ich wusste nicht, dass ich kommen würde, bis ich plötzlich hier war.“

Sie nickte. „Ich muss wieder arbeiten. Pass auf dich auf, Seth Connelly.“

Sie entfernte sich, und er sah ihr nach und verspürte ein heftiges Verlangen. Sie war noch genauso, wie er sie nach jener Spätsommernacht in Erinnerung hatte. Charmant und humorvoll, aber abgeklärter und reifer an Lebenserfahrung. Wahrscheinlich war es gut, dass Matt nicht hier war und Seth weiterziehen musste – wieder einmal.

Lynn McCoy hörte in dem Moment auf zu lächeln, als sie die Küche betrat. Seths unerwartetes Auftauchen hatte sie zunächst in Panik versetzt. Doch offensichtlich suchte Seth seinen Freund und war nicht, wie sie befürchtet hatte, auf dessen Geheiß gekommen, um zu erkunden, in welchen Schwierigkeiten sie sich befand.

Das Leben schien im Moment nur noch aus Schwierigkeiten zu bestehen. Die nächsten standen schon vor der Tür.

Kindliche Schwärmerei sollte eigentlich enden, lange bevor man dreißig wurde. Vom Verstand her wusste Lynn dies, dennoch schlug ihr Herz schneller, als sie an Seth Connelly dachte. Er ähnelte kaum noch dem ruppigen Einzelgänger, der in jenem Sommer auf die Ranch ihrer Familie gekommen war, als sie gerade elf Jahre alt war.

Die ruhige Selbstsicherheit, die er heute ausstrahlte, hatte ihm in der Jugend gefehlt. Obwohl der Blick seiner graublauen Augen stürmisch wie der Nordatlantik war, ließ seine Körpersprache vermuten, dass es nichts gab, womit er nicht fertig wurde.

Er schien überrascht gewesen, sie in dem Diner zu sehen, was nicht verwunderlich war. Schließlich hatte die florierende McCoy-Ranch noch nie Probleme gehabt, ihre Bewohner zu ernähren.

Was führte ihn im Oktober nach Montana? Sagebrush war kein Touristenziel. Da sie wusste, dass er für das Familienunternehmen arbeitete, fragte sie sich, ob er wieder familiäre Probleme hatte.

Ihr erster Gedanke war gewesen, sich zu ihm in die Nische zu setzen und den Abend mit Erinnerungen an die Vergangenheit zu verbringen. Doch sie hatte sich schon damals zu ihm hingezogen gefühlt und wusste, dass sie sich zu schnell verliebte. Und wohin das führte, hatte sie schmerzlich lernen müssen. So war sie fast stolz, dass sie dem spontanen Einfall widerstanden hatte.

Sie verabschiedete sich vom Koch und ging, bevor sie es sich doch noch anders überlegte und an Seths Tisch zurückkehrte. Geh weiter, Lynn. Die kalte Nachtluft drang durch ihre Kleidung, und sie zitterte in ihrem Ledermantel. Er hatte ihrem Großvater gehört und würde sie warm halten, wenn sie ihn erst einmal zugeknöpft hatte.

Der Angestelltenparkplatz war gut beleuchtet, und Lynn näherte sich ohne Angst ihrem Truck. Der Aufdruck auf der Seite ließ sie innehalten. „McCoy-Ranch – Heimat von Montanas besten Rindern“.

Wie lange noch? Sie besaß gerade noch hundert Tiere. Mehr konnte sie allein arbeitsmäßig nicht bewältigen. Tränen brannten in ihren Augen angesichts ihrer eigenen Dummheit. Ihre größte Schwäche war ihre Vertrauensseligkeit. Obwohl sie Menschen niemals mit echtem Argwohn und Misstrauen würde begegnen können, hatte sie dazugelernt, seit Ronnie mit ihrem Geld verschwunden war.

Hinter dem Zaun verlief der Highway, und sie lauschte dem Brummen der vorbeifahrenden Autos. Sie hatte nie verstanden, warum jedermann so besessen davon war, Sagebrush zu verlassen. Lynn liebte ihre Heimatstadt und war nie weiter gekommen als bis zum Flughafen in Billings, um Freunde abzuholen.

Plötzlich aber drohte ihre Welt zusammenzubrechen, obwohl sie getan hatte, was sie konnte. Sie hatte alle ihre Pferde verkauft außer Thor, ihren Hengst, sie hatte einen Teil der Weiden verpachtet, Pferde von Städtern in Pflege genommen und sich diesen Job geangelt. Dennoch hatte sie mehr Schulden, als sie begleichen konnte.

Was sollte sie nur tun? Der Plan, den sie mitten in der Nacht als brillant erachtet hatte, schien ihr bei Tag schwach. Und so war sie, während sie die Gäste bediente, ihre Möglichkeiten durchgegangen. Von denen es verdammt wenige gab.

Und ausgerechnet in dieser Situation war die Vergangenheit in Gestalt von Seth wie der Vorbote eines heftigen Sturms durch die Tür marschiert und hatte sie angesehen, als wäre sie … was? Eine begehrenswerte Frau.

Es war lange her, dass ein Mann sie so angesehen hatte. Ronnie hatte ihr mehr genommen, als ihr bewusst gewesen war. Nicht nur ihr Geld, sondern auch das Vertrauen in ihre Weiblichkeit. Seitdem fiel es ihr schwer, zwanglos mit dem anderen Geschlecht umzugehen.

„Lynn?“ Seths Stimme streichelte sie wie eine warme Brise, doch davon ließ sie sich nicht mehr einfangen. Die sanfte Stimme eines Mannes in der Nacht hatte ihr nie etwas anderes als Leid gebracht.

Verdammt. Nun konnte sie nicht einfach türmen, wie sie es vorgehabt hatte, sondern musste sich Seths Anwesenheit stellen. Sie drehte sich zu ihm um. Er stand im Licht der Straßenlaterne, und sie sah seine markanten Gesichtszüge. In diesem Moment schien er entspannter, als sie ihn je erlebt hatte.

Ein beunruhigendes Gefühl, das sie jedoch schnell abschüttelte. Sie musste nach Hause und schlafen, um morgen bei ihrem wichtigen Meeting ausgeruht zu sein.

„Ja, Seth?“

„Warum arbeitest du hier?“

„Ich wollte mal etwas anderes machen.“

Sie hatte noch nie jemandem in die Augen sehen können, wenn sie log. Und dadurch war sie schon häufiger in Schwierigkeiten geraten.

„Du siehst müde aus.“

„Ich bin müde.“

„Warum arbeitest du wirklich hier?“

„Ich weiß nicht. Mir haben die Menschen gefehlt, denke ich.“

„Wirklich?“

„Ja. Es ist zu ruhig auf der Ranch.“ Das entsprach der Wahrheit. Seit die Arbeitskräfte weg waren und sie allein in dem großen alten Haus lebte, brauchte sie etwas Unterhaltung, um sich abzulenken.

„Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, Lynn, lass es mich wissen. Ich habe deiner Familie viel zu verdanken.“ Sie hatte ihn noch nie so ernsthaft erlebt. Sie hatte ihn als Draufgänger kennengelernt, bereit, sich mit drei älteren Jungen zugleich zu prügeln. Sie hatte erlebt, mit welchem Eifer er lernte, Vieh einzufangen und zu kennzeichnen. Sie hatte seinen verträumten Blick gesehen, als er in den Himmel blickte und mit Matt über das Sonnensystem sprach.

„Du bist uns nichts schuldig. Du hast in den Sommern, die du hier verbracht hast, gearbeitet.“ Und er war ihrem Bruder ein guter Freund gewesen, jemand, zu dem er aufblicken und dem er nacheifern konnte. Vor allem nach Daddys Tod. Sie dachte, dass die McCoys Seth mehr verdankten, als ihm je bewusst sein würde.

Eine leichte Röte zog über seinen Nacken. „Ich habe es zumindest versucht.“

Sie erkannte, dass Seth mit Lob nicht gut umgehen konnte, und diese kleine menschliche Schwäche rührte sie wider Willen an. „Ich muss jetzt los.“

„Würdest du Matt bitte dieses Schreiben geben, wenn er nach Hause kommt?“, fragte er und reichte ihr ein sorgfältig gefaltetes Blatt Papier. In großen Druckbuchstaben stand Matts Name darauf.

„Natürlich“, sagte sie und versuchte sich einzureden, dass alles, was sie jemals für Seth Connelly empfunden hatte, vor langer Zeit gestorben war. Doch irgendwie kam die Botschaft bei ihren Hormonen nicht an. Ihre Haut fing an zu prickeln, als sich ihre Fingerspitzen berührten. Sie atmete schwerer, und ihr Herz begann zu rasen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Ihre Brüste spannten, und ihre Brustwarzen richteten sich auf. Ihre Füße schienen am Boden zu kleben.

Sie erkannte die Symptome. Lust. Nicht jetzt, dachte sie. Nicht schon wieder. Das letzte Mal, als sie dieser Regung gefolgt war, hatte Seth sie mit gebrochenem Herzen zurückgelassen. Seit damals hatte sie zu viel gelernt, als dass sie sich wieder wie ein sechzehnjähriges Mädchen verhalten würde. Zumindest hoffte sie dies als Dreißigjährige.

„Ich schicke es ihm mit dem nächsten Brief“, versprach sie.

„Danke.“

Sie zog ihre Hand zurück. „Kein Problem.“

Ihr gefielen die Gefühle nicht, die er in ihr weckte. Sie mochte es nicht, dass sie sich das erste Mal, seit Ronnie sich mit ihrem Geld aus dem Staub gemacht und sie mit gebrochenem Herzen zurückgelassen hatte, wieder für einen Mann interessierte. Zumal, wenn es sich bei dem Mann um Seth handelte.

Resolut ging sie zu ihrem Truck.

„Lynn?“

Langsam drehte sie sich zu ihm um. Sie hatte Seth immer gemocht, und das war gefährlich. Denn er sah aus, als könnte er eine Schulter zum Ausweinen gebrauchen.

„Ja?“

Er rieb sich über den Nasenrücken und trat näher zu ihr. „Ich glaube, ich bin dir noch eine Entschuldigung schuldig.“

Oje. „Ich wüsste nicht, wofür.“

Er trat noch einen Schritt näher. So nah, dass sie den Kaffee riechen konnte, den er zum Essen getrunken hatte. „Wegen des Kusses, den ich dir gestohlen habe, als du sechzehn warst.“

Sie wollte diese Unterhaltung mit Seth nicht führen. Weder jetzt noch sonst irgendwann. Nie.

„Du hast ihn nicht gestohlen.“

„So hat es sich aber angefühlt, nachdem ich ohne ein Wort verschwunden bin.“

„Hey. Ich bin jetzt eine erwachsene Frau. Ich erinnere mich kaum noch daran.“

„Wirklich nicht?“

Doch. Aber sie würde eher die Ranch verkaufen, als das zuzugeben. Sie zuckte mit den Schultern.

„Er verfolgt mich“, sagte Seth schlicht und wandte sich zum Gehen.

„Seth?“

Er blieb stehen und blickte über die Schulter zurück. Leichter Schneefall setzte ein, und die Flocken legten sich auf sein Haar und seinen schwarzen Trenchcoat.

„Ich …“

Er nickte. Doch sie war nicht sicher, dass er verstand, was sie sagen wollte.

„Mich auch“, sagte sie schließlich und öffnete die Tür ihres Trucks. Sie kletterte schnell hinein und fuhr los.

Das erste Mal seit Monaten träumte sie nicht von der Ranch oder dem Diner. Stattdessen beherrschte ein Paar graublaue Augen ihre Träume.

2. KAPITEL

Es war weit nach Mitternacht, als Seth die Suche nach einem Hotel aufgab und in die altbekannte Straße einbog, die zur McCoy-Ranch führte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er in der Unterkunft der Rancharbeiter schlafen könnte, doch er wusste, dass er in Wirklichkeit die Nacht in Lynns Bett verbringen wollte. Das Haus kam in Sicht. Auf der Veranda flackerte ein Licht, neben dem Eingang zur Küche parkte ein einsamer Pick-up.

Er brachte seinen Jaguar zum Stehen und ging zur Schlafbaracke. Sie war verlassen und fest verschlossen. Fragen schossen ihm durch den Kopf, die er nicht beantworten konnte. Er würde morgen Antworten darauf finden. Jetzt war er müde.

Es war kalt, zu kalt, um die Nacht im Wagen zu verbringen. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als Lynn zu stören.

Das ist nur fair, stimmten seine tobenden Hormone zu. Schließlich hatte sie ihn den ganzen Abend über durcheinandergebracht.

Früher hatte ein Schlüssel unter einem Blumenkübel auf der Veranda gelegen. Seth war froh, dass sich zumindest das nicht geändert hatte. Er schloss die Tür auf und legte den Schlüssel zurück, bevor er leise eintrat. Das war das einzig Positive, was er über seine vergeudete Kindheit sagen konnte: Er hatte gelernt, sich so leise zu bewegen, dass ihn niemand hörte.

Er wandte sich nach links in Richtung Wohnzimmer. Auf dem Weg zur Couch stieß er gegen eine Ottomane, die früher nicht dort gestanden hatte, wenn er sich recht erinnerte. Er fluchte leise. Sein Schienbein schmerzte, zudem hörte er Schritte im Obergeschoss.

„Matt, bist du es?“ Lynns Stimme klang verschlafen und heiser.

Ein Prickeln schoss durch seinen Körper, und ihm wurde heiß. Er ging zurück ins Foyer und schaltete die Flurbeleuchtung ein. „Nein, ich bin es. Seth.“

Lynn lief die Treppe hinab, ohne sich die Zeit zu nehmen, einen Bademantel überzuziehen. Die Leggings und das enge Shirt verbargen kaum die Rundungen ihres Körpers, sondern brachten sie eher auf sehr erotische Weise zur Geltung. Als wäre der Schlafanzug dafür kreiert, einen Mann zu verführen. Nur der fast kindliche Aufdruck sprach dagegen.

„Seth, was machst du in meinem Haus?“

„In der ganzen Stadt ist kein Hotelzimmer zu bekommen.“

Sie blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen. Ihm war früher gar nicht aufgefallen, wie viel größer er war als sie. Sie reichte ihm gerade bis an die Brust. Seine aufkeimende Begierde lieferte ihm ein Bild, wie sie nackt im Bett lagen. Lynn würde perfekt in seine Arme passen.

Sie ist die kleine Schwester meines besten Freundes, rief er sich in Erinnerung.

„Und jetzt?“, erkundigte Lynn sich.

Er räusperte sich. „Ich dachte, ich kann bei den Männern schlafen.“ Sie sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, er hätte etwas anderes im Sinn.

„Bleib besser hier“, sagte sie schnell, ohne ihm in die Augen zu sehen.

„Ich war schon an der Baracke, Lynn. Was ist passiert? Wo sind die Arbeiter?“

„Wir brauchen keine Leute mehr, die über Nacht bleiben.“ Die Haare fielen ihr in wirren Locken über ihren Rücken, und das Licht brach sich darin. Er hatte ihre Haarpracht immer geliebt. Schon als Kind, als sie sich mehr wie ein Junge benommen hatte, waren ihre Haare lang gewesen. Und nach ihrem sechzehnten Geburtstag und dem unbeholfenen Kuss hatte er oft von diesen Haaren geträumt.

„Warum nicht?“ Er versuchte, sich auf irgendetwas, nur nicht ihren Körper, zu konzentrieren.

Sie seufzte. „Es ist mitten in der Nacht, und du musst müde sein.“

Der Anstand hätte es geboten, zum Auto zu gehen und den Highway zurückzufahren, bis er irgendwo ein Hotel fand, doch er war wirklich müde.

„Kann ich heute Nacht hierbleiben? Morgen früh fahre ich zurück nach Chicago.“ Lynn hätte Grund genug, meine Bitte abzulehnen, dachte er. Schließlich war er schon aus nichtigeren Gründen aus anderen Häusern hinausgeworfen worden.

Sie berührte seinen Arm, und er meinte, ihre Wärme durch seine Jacke und sein Hemd hindurch zu spüren. „Natürlich kannst du das. Entschuldige, dass ich dich nicht sofort eingeladen habe, hier zu übernachten.“

„Danke. Ich hole meine Tasche und lege mich hier unten hin.“

Sie stand so nah bei ihm, dass sie den Kopf zurücklegen musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Er sah ihren wunderschönen, schwanengleichen Hals. Die Haut war so hell wie die Mondstrahlen, und am liebsten hätte er seine Lippen daraufgepresst. Ob sie so süß schmeckt wie sie aussieht, fragte er sich.

„Willst du wirklich auf dem Sofa schlafen?“

„Nein, aber ich möchte dich nicht stören.“

„Das wirst du nicht. Ich habe dich nicht einmal ins Haus kommen gehört.“

„Ich kann sehr leise sein.“

„Du kannst aber auch einen Mordslärm veranstalten. Was ist passiert?“

„Die Ottomane.“

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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