Nach allen Regeln der Liebeskunst

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Hungrig, leidenschaftlich, verführerisch … Allein bei der Erinnerung an Baileys Küsse spürt Walker Rafferty heiße Erregung. Doch die sexy Schönheit weckt nicht nur seine Begierde. Sie hat auch etwas an sich, das sein Herz berührt - und ihn zutiefst beunruhigt. Denn seit Jahren lebt Walker eisern nach der Regel: Lass nicht zu, dass jemals wieder eine Frau tiefe Gefühle in dir weckt! Am besten reist er schnellstens zurück nach Hause. Denn Bailey Westmoreland wird ihm bestimmt nicht bis nach Alaska folgen. Schließlich liebt sie ihre Heimat über alles, oder?


  • Erscheinungstag 23.10.2017
  • Bandnummer 29
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753818
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Hugh Coker schloss den Aktenordner und hob den Blick. Fünf Augenpaare starrten ihn an.

„Das war’s“, sagte er. „Ich habe mich ausführlich mit diesem Privatdetektiv Rico Claiborne unterhalten. Er ist fest davon überzeugt, dass Sie alle Nachkommen eines Mannes namens Raphel Westmoreland sind. Die Unterlagen, die er mir zeigte, habe ich sorgfältig studiert. Zuerst dachte ich, das alles sei sehr weit hergeholt. Doch da sind auch noch die Bilder. Bart, jeder Ihrer Söhne könnte ein Zwillingsbruder von einem dieser Westmorelands sein. Die Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich! Ich habe Ihnen einige Fotos mitgebracht.“

„Die Fotos interessieren mich nicht, Hugh“, brummte Bart und stand auf. „Bloß weil einige Mitglieder dieser Familie uns ähnlich sehen, müssen wir noch lange nicht mit ihnen verwandt sein. Wir sind Outlaws, nicht Westmorelands. Und diese Geschichte von der bei einem Zugunglück lebensgefährlich verletzten Frau, die ihr Baby angeblich meiner Großmutter übergab … Also, das ist doch völliger Unsinn!“

Er wandte sich seinen vier anwesenden Söhnen zu und fuhr fort: „Unsere Spedition Outlaw Freight Lines ist mehrere Millionen Dollar wert. Das weckt Begehrlichkeiten. Kein Wunder, dass manche Leute behaupten, zur Familie zu gehören: Sie wollen bloß etwas von dem abbekommen, wofür wir hart gearbeitet haben.“

Garth Outlaw lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Habe ich etwas missverstanden, Dad? Hugh hatte doch erwähnt, dass die Westmorelands selbst sehr vermögend sind. Tatsächlich bin ich schon einige Male auf Berichte über ihr Unternehmen Blue Ridge Land Management gestoßen. Es macht beachtliche Gewinne. Beneidenswerte Gewinne. Natürlich kann ich nur für mich sprechen; aber ich hätte nichts dagegen, Thorn Westmorelands Cousin zu sein.“

„Wen interessiert ihr Reichtum oder die Tatsache, dass einer von ihnen berühmt ist?“, schimpfte Bart. „Wir haben es nicht nötig, nach irgendwelchen Verwandten zu suchen!“

Maverick, der jüngste der Outlaws, lachte. „Soweit ich weiß, haben nicht wir, sondern die Westmorelands nach Verwandten gesucht.“

Sein Vater warf ihm einen bösen Blick zu und meinte zu Hugh: „Teilen Sie ihnen höflich mit, dass wir die Geschichte nicht glauben und nicht mehr von ihnen behelligt werden wollen. Das müsste genügen.“ Damit verließ Bart den Konferenzraum. Offenbar war er überzeugt davon, dass man seine Anweisung befolgen würde.

Sloan Outlaw wartete, bis sich die Tür hinter seinem Vater geschlossen hatte. Dann fragte er: „Wollen wir wirklich tun, was er gesagt hat?“

„Haben wir das jemals getan?“, gab sein Bruder Cash spöttisch zurück.

Hugh begann, die Papiere einzupacken.

„Warten Sie bitte einen Moment, Hugh!“ Garth fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Unser alter Herr scheint vergessen zu haben, dass er sich vor ein paar Monaten aus dem Firmenvorstand zurückgezogen hat. Oder habe ich das geträumt?“

„Natürlich nicht!“, stellte Sloan fest. „Aber wenn ich mich recht erinnere, hat er es nicht ganz freiwillig getan. Nun überlege ich, wer ihn wohl zu unserer heutigen Besprechung eingeladen hat.“

„Niemand. Er war sowieso hier. Mittwochs trifft er sich immer mit Charm zum Mittagessen“, erklärte Maverick.

„Wo ist Charm überhaupt?“ Garth runzelte die Stirn. Sein Bruder Jess hatte aus terminlichen Gründen nicht kommen können. Doch warum hatte Charm nicht an dem Meeting teilgenommen?

„Sie erwähnte, dass sie etwas Wichtiges zu erledigen hat“, berichtete Sloan.

„Nämlich?“

„Ich glaube, sie wollte einen Einkaufsbummel machen.“

„Einen wichtigen Einkaufsbummel?“ Cash lachte auf, wurde jedoch rasch wieder ernst. „Also, Garth, was wollen wir wegen dieser Westmorelands unternehmen? Es ist in erster Linie deine Entscheidung.“

Garth schaute von einem zum andern. „Ich habe euch nie davon erzählt, aber mich hat man schon einmal für einen Westmoreland gehalten.“

„Wann und wo?“, wollte Maverick wissen.

„Letztes Jahr in Rom. Eine junge Frau – eine sehr hübsche junge Frau übrigens – sprach mich an, weil sie mich für Riley Westmoreland hielt.“

„Das wundert mich überhaupt nicht“, warf Hugh ein, griff nach dem Aktenordner und nahm eine Klarsichthülle mit Fotos heraus. „Das …“ Er legte eine der Aufnahmen auf den Tisch. „… ist Riley Westmoreland.“

„Oh verflixt!“, entfuhr es Sloan, während die anderen schockiert schwiegen.

„Hier, die anderen Fotos!“ Hugh breitete sie vor den Brüdern aus. „Die Familie muss starke durchsetzungsfähige Gene haben. Wie ich bereits sagte: Jeder von Ihnen hat einen Zwilling bei den Westmorelands.“

„Das ist unglaublich!“ Cash schüttelte fassungslos den Kopf.

„Jetzt verstehe ich, warum die Westmorelands glauben, dass wir verwandt sind“, meinte Maverick. „Aber ich begreife nicht, was daran so schlimm sein soll. Warum ist Dad so … so misstrauisch?“

„Ja, warum macht er ein solches Problem daraus?“, pflichtete sein Bruder Sloan ihm bei.

„Er ist von Natur aus misstrauisch“, entgegnete Cash und nahm eins der Bilder, um es sich genauer anzusehen.

„Misstrauisch? Er hat sechs Kinder von sechs verschiedenen Frauen. Beweist das nicht, dass er zu vertrauensselig ist?“

„Okay, vielleicht hat er auf die Art seine Lektion gelernt. Einige unserer Mütter – ich will keine Namen nennen – hatten es wohl tatsächlich bloß auf sein Geld abgesehen“, erwiderte Garth.

Hugh unterdrückte ein amüsiertes Lächeln. Es faszinierte ihn jedes Mal, wie gut Barts Söhne miteinander auskamen. Nun, immerhin hatte Bart auch dafür gesorgt, dass er früh das alleinige Sorgerecht für jedes seiner Kinder erhielt. Deshalb waren sie trotz ihrer unterschiedlichen Mütter gemeinsam aufgewachsen. Die einzige Ausnahme bildete seine Tochter Charm. Sie war schon fünfzehn gewesen, als sie bei den Outlaws aufgetaucht war. Mit ihrer Mutter war Bart nie verheiratet gewesen – dabei hatte er sie vermutlich als einzige der Frauen wirklich geliebt.

„Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte Hugh. „Soll ich einen Brief an die Westmorelands schreiben, wie Bart angeordnet hat?“

„Nein“, sagte Garth, „ich möchte lieber etwas diplomatischer vorgehen. Dad ist meiner Meinung nach zu misstrauisch. Vielleicht, weil Jess sich um den Posten des Senators bewirbt. Wir wissen alle, wie wichtig das für Dad ist. Er selbst hat immer davon geträumt, einmal in die Politik zu gehen.“ Er runzelte die Stirn und wandte sich an seine Brüder: „Wir wollen unnötige Risiken vermeiden, nicht wahr? Ich könnte Walker bitten, die Westmorelands unter die Lupe zu nehmen. Was haltet ihr davon?“

„Du meinst, er soll nach Denver fahren und sie persönlich kennenlernen?“, vergewisserte Sloan sich. „In den letzten zehn Jahren hat Walker die Ranch nur verlassen, um uns hier in Fairbanks zu besuchen. Das ist dir doch klar, oder?“

„Er ist ein Einsiedler, das stimmt. Aber wenn ich ihn um einen Gefallen bitte, wird er mich nicht abweisen.“

1. KAPITEL

Zwei Wochen später

„Warum kommen sie nicht selbst, sondern schicken einen Spitzel zu uns?“, wollte Bailey wissen.

Dillon Westmoreland schaute seine Cousine an. Er überraschte ihn nicht, dass sie die Erste war, die eine Frage stellte. Er hatte Bailey ebenso wie ihre Geschwister und seine eigenen Brüder zu diesem Treffen eingeladen, nachdem er tags zuvor einen Anruf vom Anwalt der Outlaws erhalten hatte.

„Ich nehme an, sie wollen auf Nummer sicher gehen“, antwortete er. „Schließlich gibt es keinen Beweis dafür, dass wir wirklich miteinander verwandt sind.“

Einige in der Runde nickten. Mit Ausnahme von Bane, der einen Geheimauftrag für die Navy-SEALs erledigte, war der gesamte Denver-Zweig der Westmorelands Dillons Einladung gefolgt.

„Warum sollten wir behaupten, zur selben Familie zu gehören, wenn es nicht so ist?“, hakte Bailey nach. „Als unser Cousin James vor ein paar Jahren Kontakt zu uns aufgenommen hat, haben wir ihm auch nicht unterstellt, sich die Verwandtschaft mit uns ausgedacht zu haben.“

„Wir hatten gar nicht die Chance dazu“, meinte Dillon lachend. „James tauchte eines Tages mitsamt seinen Kindern und Neffen im Büro von Blue Ridge auf und erklärte, wir hätten denselben Urgroßvater. Wie hätte ich das leugnen können, wenn die Westmorelands aus Atlanta und wir uns so ähnlich sehen wie ein Ei dem anderen?“

„Vielleicht hätten wir es genauso machen sollen wie James.“ Bailey rieb sich nachdenklich das Kinn. „Warum haben wir den Outlaws nicht einfach unangemeldet einen Besuch abgestattet?“

„Rico hielt das für keine gute Idee. Seine Nachforschungen haben ergeben, dass die Outlaws Eigenbrötler sind und andere Menschen nicht so leicht an sich heranlassen“, erklärte Megan Westmoreland Claiborne. Ihr Ehemann Rico Claiborne arbeitete als Privatdetektiv und war mit der Suche nach weiteren Nachkommen von Raphel Westmoreland beauftragt worden.

„Ich teile Ricos Meinung“, stellte Dillon fest. „Die Outlaws hatten keine Ahnung von der Verwandtschaft mit uns, bis Rico sie kontaktierte. Verständlicherweise sind sie misstrauisch. Schließlich tragen sie nicht einmal denselben Nachnamen wie wir. Wie hätten wir reagiert, wenn ein Detektiv uns mitgeteilt hätte, ein Teil unserer Familie würde unter einem anderen Namen in Alaska leben?“

„Nun ja“, murmelte Canyon, „ich …“

„Mir gefällt das jedenfalls nicht“, unterbrach Bailey ihn.

„Das haben wir jetzt alle begriffen“, meinte ihr ältester Bruder Ramsey spöttisch, ehe er sich an Dillon wandte. „Wann kommt denn dieser Freund der Outlaws?“

„Morgen. Er heißt übrigens Walker Rafferty. Ich habe den Termin vorgeschlagen, weil wir gerade alle wegen Aidans und Jillians Hochzeit in Denver sind und außerdem die Atlanta-Westmorelands erwarten.“

„Und was will dieser Rafferty über uns herausfinden?“ Bailey ließ nicht locker.

„Ob du, Bane, Adrian und Aidan endlich zur Vernunft gekommen seid und euch nicht länger wie Teufelsbraten aufführt“, zog Stern sie auf.

„Zur Höl…!“ Sie verstummte, als sie bemerkte, dass alle sie anstarrten. „Rede keinen Unsinn, Stern!“

„Hör auf, sie zu ärgern, Stern“, meinte auch Dillon. „Rafferty soll sich wahrscheinlich nur ein erstes Bild von uns machen. Wenn er bei den Outlaws wohlwollend über uns spricht, ist schon viel gewonnen. Wie gesagt: Ich verstehe, dass sie vorsichtig sind.“ Er runzelte die Stirn und dachte einen Moment lang nach. „Bailey?“

„Ja?“

„Es wäre meiner Meinung nach gut, wenn du Mr. Rafferty vom Flughafen abholst.“

„Ich?“

„Ja. Du wirst dich natürlich von deiner besten Seite zeigen. Vergiss nicht, dass du die gesamte Familie vertrittst.“

„Bailey soll uns alle vertreten?“ Lachend schüttelte Riley den Kopf. „Bist du ganz sicher, dass du das willst, Dillon?“

Einige der um den Tisch versammelten Westmorelands setzten skeptische Mienen auf.

Dillon jedoch schenkte Bailey ein Lächeln. „Du weißt, wie du dich benehmen musst, nicht wahr?“ Er schaute von einem zum anderen. „Ich bezweifele nicht, dass Bailey einen guten Eindruck hinterlassen wird.“

„Danke für dein Vertrauen“, murmelte sie.

„Du hast es verdient.“

Als Bailey fünfzehn Minuten zu spät ins Flughafengebäude eilte, erinnerte sie sich an die Worte ihres Cousins. Ich bezweifele nicht, dass Bailey einen guten Eindruck hinterlassen wird.

Verflixt, sie konnte ihre Verspätung nicht einmal damit entschuldigen, dass zu viel Verkehr auf den Straßen geherrscht hatte!

Morgens hatte man sie ins Büro ihrer Chefin bestellt und ihr mitgeteilt, dass sie zur Redakteurin befördert worden war. Das hatte natürlich gefeiert werden müssen. Also hatte sie ihre beste Freundin Josette Carter angerufen, die daraufhin ein Treffen zum Lunch vorgeschlagen hatte. Die kleine Feier hatte allerdings länger gedauert als geplant. Nun kam Bailey zu spät, und sie schämte sich. Bisher war es nämlich nur selten vorgekommen, dass Dillon ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe zugeteilt hatte.

Andererseits lag ihr gar nichts daran, diesen Mr. Rafferty kennenzulernen. Im Gegenteil: Sie wünschte sich aus mehreren Gründen, die Maschine aus Fairbanks möge mit Verspätung landen.

Doch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Ein paar Passagiere aus Alaska hielten ihre Koffer bereits in der Hand, als Bailey das Gepäckband erreichte. Suchend schaute sie sich um. Sie wusste so gut wie nichts über diesen Rafferty. Am vergangenen Abend hatte sie im Internet nach ihm gesucht, jedoch nichts über ihn gefunden. Josette hatte vorgeschlagen, sie solle ein Schild mit seinem Namen hochhalten – woraufhin Bailey die Augen verdreht hatte. Jetzt allerdings musste sie sich eingestehen, dass ein Schild keine schlechte Idee gewesen wäre.

Sie musterte die Männer, die noch an der Gepäckausgabe warteten. Bei Rafferty handelte es sich ihrer Vorstellung nach um einen Mann um die fünfzig. Und tatsächlich stand da jemand mit Bierbauch, der immer wieder ungeduldig auf seine Uhr sah. Das musste der Gesuchte sein. Zögernd ging Bailey ein paar Schritte in seine Richtung.

„Miss Westmoreland?“, sagte jemand neben ihr. „Ich nehme an, Sie halten nach mir Ausschau.“

Eine angenehme dunkle Stimme! Bailey drehte sich zu dem Sprecher um. Himmel, er war groß. Und attraktiv! Ihr Herz machte einen Sprung. Dabei war sie an große, gut aussehende Männer gewöhnt: Alle ihre Brüder und Cousins waren groß und gut gebaut. Aber dieser Fremde sah einfach umwerfend aus! Er war unglaublich sexy. Seine Augen raubten ihr die Sprache. Sie waren von einem so dunklen Blau, dass sie beinahe schwarz wirkten. Dazu das markante Kinn, die männlichen und doch fein geschwungenen Lippen, die gebräunte Haut, das kurz geschnittene Haar … Ein heißer Schauer überlief Baileys Rücken.

Sie schluckte. „Sie müssen Mr. Rafferty sein.“

„Walker Rafferty, ja.“ Er streckte ihr die Hand hin.

Sie griff danach und erwiderte seinen festen Händedruck, der Selbstsicherheit verriet. Das hatte sie erwartet. Dass sie dabei allerdings so etwas wie einen leichten elektrischen Schlag verspürte, kam völlig überraschend. Rasch zog sie ihre Finger zurück.

„Willkommen in Denver, Mr. Rafferty.“

„Danke. Warum nennen Sie mich nicht einfach Walker?“

Seine Stimme machte seltsame Dinge mir ihr. In ihrem Bauch schienen plötzlich Schmetterlinge zu tanzen. „Gut, Walker also. Ich bin …“

„… Bailey Westmoreland“, unterbrach er sie lächelnd. „Ich habe mir gestern Abend Ihr Facebook-Profil angesehen.“

„Hm, ja … Ich habe gestern auch versucht, Sie zu finden. Vergeblich.“

„Ich gehöre zu den wenigen, die kein Interesse an Facebook haben.“

Unwillkürlich überlegte sie, wofür er sich stattdessen interessierte. Doch sie ließ sich ihre Neugier nicht anmerken. „Haben Sie Ihr Gepäck schon? Dann können wir zu meinem Wagen gehen. Ich parke nicht weit vom Ausgang.“

„Gut. Gehen wir!“

An seiner Seite kam sie sich klein vor. Er entsprach absolut nicht ihrer Vorstellung. Niemals hätte sie erwartet, dass sie sich so von ihm angezogen fühlen würde. Eigentlich mochte sie es lieber, wenn Männer glatt rasiert waren. Doch sein sorgfältig getrimmter Bart gefiel ihr.

„Sie sind also mit den Outlaws befreundet?“, erkundigte sie sich, um das Gespräch in Gang zu halten.

„Ja, Garth Outlaw und ich, wir sind wohl das, was man Sandkastenfreunde nennt. Meine Eltern haben immer behauptet, wir hätten uns schon gemocht, als wir noch Windeln trugen.“

„Das muss ein paar Jahre her sein.“

Er lachte. „Ungefähr fünfunddreißig Jahre.“

Bailey nickte. Also war er acht Jahre älter als sie. Oder vielleicht nur sieben. Es war nicht mehr lange bis zu ihrem Geburtstag.

„Sie sehen genauso aus wie auf dem Foto“, stellte er fest.

„Auf welchem Foto?“

„Facebook“, erinnerte er sie.

Sie aktualisierte ihr Facebook-Profil regelmäßig. Alles andere wäre ihr albern und unehrlich erschienen. „Ach ja …“ Sie ging voran durch den Ausgang des Flughafengebäudes und hörte sich sagen: „Sie sind also hier, um uns auszuspionieren.“

Verflixt! Dillon hatte sie doch ermahnt, sich von ihrer besten Seite zu zeigen!

Mit ernster Miene betrachtete Walker sie. „Ich bin hier, um Sie und Ihre Familie kennenzulernen.“

„Ist das nicht dasselbe?“

„Keineswegs.“ Er schüttelte entschieden den Kopf.

„Auf jeden Fall werden Sie den Outlaws einen Bericht über uns liefern. Das stimmt doch?“

„Hm …“

Sie runzelte die Stirn. „Für mich hört sich das an, als seien die Outlaws extrem misstrauische Leute.“

„Sie sind nicht besonders vertrauensselig. Ich übrigens auch nicht. Aber nachdem ich Sie jetzt mit eigenen Augen gesehen habe, zweifele ich nicht mehr an Ihrer Verwandtschaft mit den Outlaws.“

„Wieso?“

„Weil Sie Garths Schwester Charm zum Verwechseln ähnlich sehen.“

„Aha. Wie alt ist Charm?“

„Dreiundzwanzig.“

„Dann täuschen Sie sich. Da ich drei Jahre älter bin, sieht Charm mir ähnlich und nicht umgekehrt.“ Damit ging Bailey weiter.

Walker zwang sich zu einem Lächeln. Er war seltsam verunsichert. Als er Baileys Foto auf Facebook entdeckt hatte, war ihm eines klar geworden: Sie gehörte zu den schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Dennoch hatte er nicht damit gerechnet, dass ihre Schönheit ihn so berühren würde. Es war Jahre her, dass er sich der Nähe einer Frau so bewusst gewesen war. Sie zog ihn an. Der Duft ihres Parfüms weckte längst vergessene Gefühle in ihm. Das alles war sehr verwirrend.

„Sie leben in Fairbanks?“, fragte sie.

Er musterte sie möglichst unauffällig. Ihr Gesicht war wunderschön. Umgeben von dunklen Locken bildete es ein beinahe perfektes Oval mit großen braunen Augen und vollen Lippen, die zum Küssen einluden.

Eine absurde Idee! Walker bemühte sich, seine Gedanken auf etwas anderes zu richten. „Ich lebe auf Kodiak Island. Das ist mehr als eine Flugstunde von Fairbanks entfernt.“

„Kodiak Island? Davon habe ich noch nie gehört.“

„Das trifft vermutlich auf die meisten Leute zu. Dabei ist es die zweitgrößte Insel der Vereinigten Staaten. Wenn man über Alaska spricht, denken alle sofort an Fairbanks und Anchorage. Dabei ist Kodiak Island viel schöner. Ein Problem haben wir jedoch: Es gibt mehr Bären dort als Menschen.“

Ihre Miene verriet ihm, dass Bailey das offenbar für einen Scherz hielt.

„Das ist die Wahrheit“, versicherte er.

Sie nickte, ohne überzeugt zu wirken. „Wie kommt man von der Insel aufs Festland?“

„Es gibt eine Fähre. Ich ziehe es allerdings vor, zu fliegen. Ich habe einen Pilotenschein und besitze ein kleines Flugzeug.“

„Tatsächlich?“ Bailey hob die Brauen.

„Ja.“ Er würde ihr nicht erzählen, dass er ebenso wie Garth während ihrer Zeit bei der Navy fliegen gelernt hatte. Es musste genügen, dass sie um seine lange Freundschaft mit Garth wusste. Als kleine Kinder hatten sie zusammen gespielt; sie waren zur selben Schule gegangen, hatten sich dann beide bei der University of Alaska als Studenten eingeschrieben und waren schließlich gemeinsam zur Navy gegangen. Ihre Wege hatten sich erst getrennt, nachdem sie ihren Abschied genommen hatten. Damals hatte Walker beschlossen, nicht nach Alaska zurückzukehren, sondern in Kalifornien zu bleiben. Vergeblich hatte Garth versucht, ihn davon abzubringen.

Inzwischen lebte Walker seit beinahe zehn Jahren wieder auf Kodiak Island. Er hatte sich geschworen, nie wieder fortzugehen. Und da der Geburtstag seines Sohnes jetzt unmittelbar bevorstand, hätte niemand außer Garth ihn dazu überreden können, die Insel zu verlassen. Der Gedanke an Connor erfüllte Walker mit Schmerz. Es war ein Schmerz, an den er sich seit Langem gewöhnt hatte und der dennoch um diese Jahreszeit stets stärker wurde.

Vielleicht war es sogar besser, Bailey zu betrachten und die Gedanken an Connor damit zu vertreiben. Nicht nur ihr Gesicht war schön: Sie besaß außerdem einen hinreißenden Körper. Ihre Jeans umschlossen den festen runden Po wie eine zweite Haut. Und die Wildlederjacke stand ihr ausgezeichnet.

Nur dass Bailey ebenso wenig ein sicheres Thema war wie Connor.

Also wandte Walker seine Aufmerksamkeit dem Wetter zu. Die Temperaturen in Denver waren viel milder als in Alaska. Zudem schien die Sonne. „Schneit es oft in Denver?“, fragte er, um die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen.

„Ja, um diese Zeit haben wir manchmal schon Schnee. Die heftigsten Schneestürme gibt es allerdings im Februar. Da bricht manchmal der Verkehr zusammen, und wir können das Haus nicht verlassen. Vermutlich ist das jedoch nichts ist im Vergleich zu Alaska.“

Er lachte. „Das stimmt wohl. Wie haben uns daran gewöhnt, tagelang eingeschneit zu sein. Man muss kräftig heizen, weil es schrecklich kalt wird. Und es empfiehlt sich, größere Lebensmittelvorräte anzulegen.“

„Was machen Sie auf Kodiak Island, wenn Sie nicht gerade eingeschneit sind?“ Bailey blieb neben einem Truck stehen.

Der kleine Lastwagen passte zu ihr. Denn obwohl sie so weiblich wirkte, machte sie auf Walker absolut keinen zimperlichen Eindruck. Vermutlich wurde sie mit den meisten Problemen ganz allein fertig. Kein Wunder also, dass sie sich nicht scheute, einen kraftvollen Truck zu fahren. Seiner Meinung nach entschied sich nur eine sehr sinnliche Frau für ein solches Fahrzeug. Schon immer hatte er gern beobachtet, wenn eine Frau in einen Truck einstieg oder aus dem Führerhaus kletterte. Er fand das sexy.

„Ich bin Viehzüchter“, beantwortete er nun schließlich Baileys Frage.

„Sie haben eine Rinder-Farm?“

„Nein, ich züchte Bisons. Die können sich gegen einen Bären zur Wehr setzen.“

„Ich habe schon Bison-Fleisch gegessen. Es war lecker.“

„Glauben Sie mir: Am besten sind die Bisons, die ich auf meiner Ranch Hemlock Row züchte.“ Das hörte sich vielleicht überheblich an, aber er prahlte nicht. Nach dem Tod seiner Eltern hatte er große Mühe gehabt, die Ranch wieder profitabel zu machen. Aber er hatte sich mit ganzer Kraft in die Arbeit gestürzt, weil er ein Ziel hatte: Er wollte sein Geld nicht verdienen, indem er die Bären auf seinem Besitz zum Abschuss freigab und sein Elternhaus in ein Hotel für Jäger umbaute.

„Sie könnten mir einmal eine Kostprobe von diesem Fleisch schicken“, schlug Bailey vor.

„Oder Sie könnten es direkt auf Kodiak Island probieren.“

„Ich verlasse Denver nicht sehr oft.“ Sie öffnete die Beifahrertür. „Hier gibt es alles, was ich brauche. Natürlich besuche ich hin und wieder meine Verwandten in North Carolina, Montana und Atlanta. Und einmal war ich sogar im Orient bei meiner Cousine Delaney.“

„Sie ist diejenige, die den arabischen Prinzen geheiratet hat, nicht wahr?“

„Ja. Allerdings ist Jamal inzwischen der König seines Landes. Wie ich sehe, haben Sie sich bereits Informationen über uns Westmorelands beschafft. Warum hielten Sie es trotzdem für nötig, nach Denver zu kommen?“

Er suchte ihren Blick. „Es gefällt Ihnen nicht, dass ich hier bin. Warum?“

Sie zuckte die Schultern.

„Ich würde gern verstehen, was in Ihnen vorgeht“, beharrte er.

„Die Outlaws glauben, wir würden zu unrecht behaupten, dass wir verwandt sind. Und das ärgert mich einfach.“

„Sie müssen zugeben, dass die Geschichte ziemlich fantastisch klingt: Eine Frau überlässt ihr Kind einer anderen, nachdem sie bei einem Zugunglück lebensgefährlich verletzt wurde.“

„Aber genau so war es! Und ein simpler DNA-Test würde genügen, um es zu beweisen.“

„Ich persönlich würde nicht einmal das für nötig halten, seit ich Fotos von Ihren Brüdern und Cousins gesehen habe. Die Ähnlichkeit zwischen den Westmorelands und den Outlaws ist so groß – das kann kein Zufall sein.“

„Heißt das, dass die Outlaws auf keinen Fall etwas mit uns zu tun haben wollen? Selbst dann nicht, wenn sie erkennen müssen, dass wir verwandt sind?“

Walker gefiel es, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm. „Eigentlich vertritt nur Bart diese Position.“

„Wer ist Bart?“ Bailey ging zur Fahrerseite des Trucks und stieg ein.

„Bart ist der Sohn des Babys, das nach dem Zugunglück an Amelia Outlaw übergeben wurde“, erklärte Walker, nachdem er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. „Garth, Jess, Charm und die anderen sind seine Kinder.“

„Hat Amelia Outlaw denn niemandem anvertraut, was damals geschehen ist?“ Bailey schlüpfte aus der Jacke und gurtete sich an.

Staunend musterte Walker ihre Taille. Ich könnte sie mit beiden Händen ganz umfassen, dachte er. Laut sagte er: „Zumindest scheint Bart die Geschichte seiner Herkunft nicht zu kennen.“

„Dafür muss es doch einen Grund geben …“

„Viele Adoptiveltern verschweigen den Kindern, dass sie adoptiert sind. Wenn Rico Claibornes Nachforschungen stimmen, hat Amelia Outlaw ihren Gatten bei demselben Unglück verloren, bei dem Clarice lebensgefährlich verletzt wurde. Vielleicht wollte sie einfach nicht mehr an die Tragödie erinnert werden.“ Walker schwieg, bis Bailey den Truck aus der Parklücke manövriert hatte. Dann wechselte er das Thema und fragte: „Was machen Sie beruflich?“

„Wissen Sie das nicht?“

„Bei Facebook stand nichts darüber.“

„Es ist besser, ein paar Geheimnisse zu wahren. Aber Ihnen verrate ich es: Ich arbeite für eine Zeitschrift, die meine Schwägerin gegründet hat. Sie heißt Simply Irresistible.“

Simply Irresistible? Einfach unwiderstehlich? Ein seltsamer Titel für eine Zeitschrift.“

„Es ist ein Magazin für moderne Frauen. Die Themen sind Gesundheit, Schönheit, Mode und natürlich Männer.“

Natürlich Männer? Wieso?“

„Weil Männer für Frauen so interessant sind.“

„Wirklich?“

„Nun, zumindest für einige unserer Leserinnen. Deshalb beschäftigen sich stets einige Artikel mit den Eigenheiten der Männer.“

Sollte er jetzt nachfragen, worum es in diesen Artikeln ging? Nun, den Gefallen würde er ihr nicht tun. Stattdessen erkundigte er sich nach ihren Aufgaben.

„Ich bin gerade zur Redakteurin befördert worden“, antwortete sie.

„Herzlichen Glückwunsch!“

Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, die so sexy aussahen und bestimmt wundervoll schmecken würden. Walker hätte sie zu gern gekostet …

„Ich finde das komisch“, sagte er.

„Komisch?“, gab Bailey zurück, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. „Was finden Sie komisch?“

„Dass Sie nicht bei Blue Ridge arbeiten. Das Unternehmen gehört doch schließlich Ihrer Familie.“

Bailey mied seinen Blick. Hatten die Outlaws ihn womöglich beauftragt, mehr über Blue Ridge herauszufinden? Die Vorstellung erzürnte sie. Aber sie hatte nicht vergessen, was sie Dillon versprochen hatte.

Autor

Brenda Jackson
<p>Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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