Sexy, süß - zum Anbeißen!

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"Küssen Sie mich!" Jessica tut, was ihr sexy Nachbar Chase Westmoreland will. Natürlich nur, um zu beweisen, dass sie sich nicht zu ihm hingezogen fühlt. Doch kaum spürt sie seine Lippen auf ihren, erwacht nie gekannte Leidenschaft in ihr …


  • Erscheinungstag 14.09.2015
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743253
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Vor achtzehn Jahren

„Einem Graham kann man nicht trauen.“

Chase Westmoreland war ins Restaurant seines Großvaters gekommen und setzte sich jetzt auf einen Barhocker an der Theke. Der alte Mann drehte sich zu seinem sechzehnjährigen Enkel um und stellte ein Glas Milch und einen Teller Gebäck vor ihn hin.

„Warum nicht? Was haben sie dir denn getan, Grampa?“, wollte Chase wissen und widmete sich unverzüglich seinem Gebäck.

„Was sie mir getan haben? Das kann ich dir sagen! Carlton Graham hat einen Teil unserer Rezepte gestohlen und sie an Donald Schuster verkauft.“

Die Rezepte waren seit Generationen im Besitz der Familie und Scott Westmoreland heilig.

„Aber ich dachte, Mr Graham ist dein Freund“, erwiderte Chase und hörte auf zu essen.

„Nicht mehr“, gab sein Großvater düster zurück. „Damit ist seit zwei Wochen Schluss, genauso wie mit unserer Partnerschaft.“

Chase trank einen großen Schluck Milch. „Weißt du denn sicher, dass er das war?“

Scott Westmoreland nickte. Die Enttäuschung und auch der Schmerz über den Verrat standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Ja, hundertprozentig. Neuerdings hat Schuster nämlich ein paar Gerichte auf seiner Karte, die ebenso wie meine schmecken. Ich habe mich selbst davon überzeugt.“

„Echt?“, fragte Chase.

„Ja, ohne jeden Zweifel. Schuster rückt zwar nicht damit heraus, woher er die Rezepte hat, aber das ändert nichts daran, dass sie mir gehören.“

Chase hatte Mr Graham immer gemocht. Außerdem waren seine Schokoladenplätzchen eindeutig besser als die von Grampa. Irgendetwas war darin, was einen süchtig machen konnte. „Hast du denn schon mit Mr Graham geredet?“

„Ja, natürlich. Aber er streitet alles ab. Dabei weiß ich genau, dass er lügt. Außer ihm kennt niemand die genauen Zutaten. Wahrscheinlich hat er jetzt ein schlechtes Gewissen. Und das ist sicher auch der Grund dafür, dass er mit seiner Familie wegzieht.“

Chases Augen wurden groß. „Die Grahams ziehen weg?“

„Ja, und unter den Umständen ist das wohl auch das Beste. Ich weine keinem von ihnen eine Träne nach. Merk dir das: Traue niemals einem Graham.“

1. KAPITEL

Die Gegenwart

Irgendetwas musste sich ändern.

Chase Westmoreland bog auf den Parkplatz hinter dem Restaurant ein. Die sechs Monate sexueller Abstinenz waren vermutlich der Grund dafür, dass es mit seiner Laune in jüngster Zeit nicht gerade zum Besten stand.

Es hatte nichts damit zu tun, dass seine vier Brüder und seine kleine Schwester in den letzten drei Jahren geheiratet hatten. Selbst sein Cousin Jared, eigentlich ein eingefleischter Junggeselle und Scheidungsanwalt, war vor einer Weile schwach geworden. Allmählich war er das wissende, etwas mitleidige Lächeln leid, mit dem seine Familienmitglieder ihn bedachten. Als wüssten sie genau, dass es auch bei ihm nicht mehr lange dauern würde, bis er in den Hafen der Ehe einlief. Aber darauf konnten sie lange warten!

Seine Brüder erklärten ihm regelmäßig, dass er es sich schon noch anders überlegen würde, wenn er erst die richtige Frau träfe. Aber diese „Richtige“ gab es nicht.

„Was, zum Kuckuck …“ Chase bremste ruckartig. Er hatte ganz vergessen, dass eines der Nachbargebäude verkauft worden war, und offenbar zogen heute die neuen Mieter ein.

Atlanta war eine moderne Stadt, die sich trotz enormer Betriebsamkeit ihren Südstaatencharme bewahrt hatte. Chases Restaurant lag im Stadtkern in einer fast idyllischen Umgebung, in der die Leute gerne einkaufen gingen und Geschäfte machten. Jetzt erinnerte Chase sich daran, dass sein neuer Nachbar einen Laden für Süßwaren oder Ähnliches eröffnen wollte. Das gefiel ihm nicht zuletzt deshalb, weil er selbst eine Schwäche für Schokolade hatte. Allerdings wurde seine Vorfreude durch die Hektik und den Lärm, die sich schon ab sechs Uhr morgens entfalteten, deutlich gedämpft.

Überall kurvten Lastwagen herum und blockierten die Parkplätze, die er dringend für seine Gäste benötigte. Schon zur Frühstückszeit war sein Restaurant immer brechend voll, und das emsige, laute Durcheinander auf seinem Parkplatz missfiel ihm gewaltig. Ein Glück, dass er selbst über einen reservierten Stellplatz verfügte, sonst hätte er nicht gewusst, wo er seinen Wagen lassen sollte.

Als ein Lieferwagen seinen Weg blockierte, versuchte er sich zur Ruhe zu zwingen – allerdings mit mäßigem Erfolg. Heute war Montag, eindeutig kein guter Tag, um seine Geduld auf die Probe zu stellen. Und so wollte er gerade hupen, als eine Frau aus dem Haus kam und ihn ablenkte. Einen Moment lang vergaß er bei ihrem Anblick sogar seinen Ärger, und für ein paar Sekunden blieb ihm die Luft weg.

Während die Frau mit dem Fahrer des störenden Lieferwagens sprach, hatte Chase Zeit, sie ausführlich zu betrachten. Sie trug einen kurzen Bäckerkittel, und er konnte nur hoffen, dass sie darunter Shorts anhatte. Andernfalls würde ein plötzlicher Windstoß enthüllen, was sie wahrscheinlich nicht zur Schau stellen wollte. Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Trotz dieses Kittels konnte er erkennen, dass sie eine fantastische Figur hatte.

Er ließ den Blick zu ihrem Gesicht wandern. Es war so schön, dass er einen regelrechten Schock erlitt. Die Augen waren von einem hellen, honigfarbenen Braun, die Lippen erdbeerrot. Am liebsten wäre er auf der Stelle ausgestiegen und hätte die Frau mitten auf den Mund geküsst. Die Haare fielen ihr in wilden dunkelbraunen Locken bis auf die Schultern. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Chase sich körperlich von einer Frau angezogen. Aber sie war wirklich eine herausragende Vertreterin ihres Geschlechts.

Er holte tief Luft und zwang sich, ruhig zu bleiben. Er war vierunddreißig Jahre alt und heißblütig, und da war es ganz normal, dass er so reagierte. Trotzdem … Er konnte es sich nicht leisten, sich von einem Paar hinreißender Beine und einem wunderschönen Gesicht ablenken und aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Dazu war die Erinnerung an sein letztes Jahr in der Duke University und an Iris Nelson noch zu lebhaft. Alarmglocken schrillten plötzlich in seinem Inneren, und sofort kam er wieder zur Vernunft.

Seufzend gönnte er sich einen abschließenden Blick auf die fast überirdische Erscheinung, dann setzte er seinen Wagen wieder in Bewegung und fuhr vorsichtig an dem Hindernis vorbei. Jetzt brauchte er erst einmal einen starken Kaffee.

Dumm war nur, dass er die leere Stelle an ihrem linken Ringfinger bemerkt hatte und dass diese Tatsache seine Laune mehr hob, als gut für ihn war.

Jessica Claiborne sah sich zufrieden in ihrem Laden um. Morgen sollte die große Eröffnung steigen. Alles Nötige war erledigt, die Bestellungen waren gemacht und würden rechtzeitig eintreffen. Sie hatte zwei Studentinnen angeheuert, die Flugblätter auf der Straße verteilen sollten. Da sie ihre Pralinen und Süßwaren täglich frisch zubereitete, hatte sie dem hiesigen Kinderkrankenhaus versprochen, dass sie alles, was sich bis zum Abend nicht verkaufen ließ, dorthin spenden würde. Außerdem hatte sie mit zwei Hotels in der Stadt vereinbart, dass sie deren Restaurants und Cafés beliefern würde. Am Morgen hatten die Maler den Namen ihres Ladens endlich auf das Schaufenster gepinselt: Delicious Cravings, „Süße Köstlichkeiten“.

Für diese Chance würde sie ihrer Großmutter ein Leben lang dankbar sein. Die alte Dame, die im vergangenen Jahr am 25. Geburtstag ihrer Enkelin gestorben war, hatte ihr so viel Geld hinterlassen, dass sie sich ihren Traum vom eigenen Süßwarengeschäft erfüllen konnte. Der Stelle als Anwältin bei einer großen Firma in Sacramento weinte sie keine Träne hinterher. Als sie an ihre geliebte Großmutter dachte, blickte sie aus dem Fenster. Trotz des wunderschönen Tages spürte sie eine leise Wehmut.

Der Duft von Schokolade durchzog ihren Laden. Sie hatte heute schon eine Auswahl an Eclairs und Tartes gebacken. Sie dienten als Einstandsgruß für ihre Nachbarn und waren ein Dankeschön dafür, dass sie alle Umbauarbeiten und den damit verbundenen Lärm und Staub so geduldig ertragen hatten.

Mrs Morrison, die Besitzerin der Schneiderei nebenan, hatte sich über die Geste sehr gefreut, war gegen Schokolade aber leider allergisch. Dafür hatten sich die Brüder Criswell, die die benachbarte Karateschule betrieben, umso begeisterter gezeigt und versprochen, Werbung für das neue Geschäft zu machen. Jetzt fehlte lediglich der Besitzer des Restaurants Chase’s Place im übernächsten Gebäude. Jessica konnte nur hoffen, dass er sich ebenso verständnisvoll zeigte wie Mrs Morrison und die Criswells und ihr Antrittsgeschenk zu würdigen wusste.

Sie nahm die letzte Schachtel ihrer süßen Köstlichkeiten und machte sich auf den Weg zu ihm. Es war früher Nachmittag, und das Restaurant schien bis auf den letzten Platz besetzt zu sein. Wenn sie Glück hatte, fiel etwas von dem offenbar blühenden Geschäft auch für sie ab. Schon vor dem Restaurant roch es verführerisch nach Essen, und sie merkte plötzlich, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen hatte.

Das Restaurant gefiel ihr auf den ersten Blick. Trotz der offensichtlich gehobenen Ansprüche wirkte es gemütlich. Auf jedem Tisch stand eine Lampe, und die Tischtücher passten zu den Vorhängen. Beherrscht wurde der Raum von einer langen Theke mit Barhockern, aus den Lautsprechern drang leise Jazzmusik.

Eine junge Frau kam auf sie zu. „Willkommen in Chase’s Place. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Jessica lächelte sie an. „Mir gehört der neue Süßwarenladen nebenan. Ich wollte nur ein paar Kostproben vorbeibringen und mich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die ich Ihnen verursacht habe.“

„Kommen Sie, ich bringe Sie ins Büro zu Chase.“

Jessica folgte der Bedienung zur anderen Seite des Restaurants und einen Korridor entlang, bis sie vor einer Tür stehen blieb.

„Ja, bitte?“ Die Stimme von drinnen klang tief und ein wenig heiser.

„Sie haben Besuch.“

„Ein Wunder, dass überhaupt noch jemand durch dieses Parkplatzchaos den Weg hierher gefunden hat. Am liebsten würde ich dieser rücksichtslosen Person so richtig Bescheid sagen. Es ist wirklich nicht zu fassen, wie sie …“

Chase verstummte. Vor ihm stand genau die Frau, auf die er so wütend war.

„Sieht so aus, als hätte ich Ihnen den Weg erspart“, erwiderte Jessica kühl. „Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie etwas mehr Verständnis aufbringen würden, so wie die anderen Nachbarn auch.“

Was sie noch sagte, nahm Chase nicht mehr wahr. Er starrte die Erscheinung vor sich wie hypnotisiert an. Seine neue Nachbarin war eindeutig verärgert – und dabei unglaublich sexy. Sie trug Shorts und dazu nichts als ein knappes, trägerloses Oberteil. Und ihre Beine waren genauso aufregend wie heute Morgen. Je näher sie kam, desto schöner erschien sie ihm. Vor allem ihre erdbeerroten, schimmernden Lippen hatten es ihm angetan. Dazu kamen die honigbraunen Augen und die wilden dunklen Locken. Ihr Gesicht war perfekt geschnitten, die Nase frech und vorwitzig. Und dieser Mund lud eindeutig zum Küssen ein.

„Und ich hoffe, dass Sie daran ersticken!“

Chase wurde aus seinen lustvollen Gedanken gerissen, als sie ihm eine Schachtel an die Brust knallte. In der nächsten Sekunde war sie weg. Er blickte seine Bedienung an. „Was war das denn, Donna?“

Donna gab sich vergeblich Mühe, ihre Heiterkeit zu verbergen. „Ich glaube, sie hat es Ihnen gezeigt, Boss. Haben Sie nicht zugehört?“

Nein, genau genommen hatte er nicht zugehört. Jetzt betrachtete er die Schachtel vor sich.

„Das war so eine Art Friedenspfeife“, erklärte Donna. „Sie wollte sich für die Unannehmlichkeiten der vergangenen Tage entschuldigen. Ich finde das sehr nett und nachbarschaftlich. Sie hatte wohl ein bisschen mehr Verständnis von Ihnen erwartet.“

Chase nickte nur. Er bereute seine Rüpelhaftigkeit ja auch schon. Aber er hatte die ganze letzte Woche schlechte Laune gehabt und jemanden gebraucht, an dem er seinen Ärger auslassen konnte. Und sie war schließlich eine Frau, und Frauen – oder eher ihr Nichtvorhandensein – waren die Wurzel des ganzen Übels.

Zugegeben, er war nicht so ein Frauenschwarm wie sein Zwillingsbruder Storm in früheren Jahren. Doch für gewöhnlich fanden sich in seinem Adressbuch genügend Telefonnummern von Frauen, die sich gern mit ihm trafen und Lust auf Sex hatten, ohne dass sie gleich geheiratet werden wollten. Aber aus irgendeinem Grund war ihm die Lust an nichtssagenden Affären vergangen. Die letzte Frau, mit der er öfter ausgegangen war, hatte mehr in das Ganze hineininterpretiert, als es seine Absicht gewesen war, und er hatte größte Mühe gehabt, sie wieder loszuwerden. Er hatte kein Interesse an einer ernsthaften Beziehung, und das hatte er ihr auch gleich zu Anfang gesagt. Offenbar hatte sie das dann irgendwann vergessen oder einfach nicht ernst genommen.

Müde fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. Es gab Frauen, die in jedem alleinstehenden Westmoreland eine Herausforderung sahen. Sein Bruder Storm hatte nach der Philosophie gelebt, dass Frauen ihm zu sehr gefielen, um sich auf eine zu beschränken. Dann war er jedoch seiner geliebten Jayla begegnet und zum treusorgenden Ehemann geworden. Chase wiederum lernte aus seinen Fehlern, und sein größter Fehler war eine Frau namens Iris Nelson gewesen – eine Frau, die er sehr geliebt hatte.

In seiner Zeit auf dem College hatte er vor einer hoffnungsvollen Karriere als Basketballprofi gestanden. Als ein Unfall diesen Traum platzen ließ, war er für Iris auf einmal nicht mehr so anziehend. Da seine Profikarriere beendet war, bevor sie begonnen hatte, war auch eine Ehe mit ihm nicht mehr so verlockend.

Über die Jahre hatte er viele Frauen kennengelernt, die lediglich daran interessiert waren, was bei einer Beziehung für sie heraussprang. Und wenn ihnen das nicht reichte, waren sie ganz schnell wieder verschwunden. Um Liebeskummer und immer neue Enttäuschungen in Zukunft zu vermeiden, gestand er Frauen in seinem Leben nur noch eine zweitrangige Bedeutung zu.

„Und?“, hakte Donna nach. „Was wollen Sie jetzt tun?“

Chase hatte keine Ahnung. Er wusste aber, dass eine Entschuldigung fällig war. „Kevin soll mir die Spezialität des Tages einpacken.“

Donna lachte. „Sie glauben, das besänftigt sie?“

Wieder blickte er auf seine Schachtel hinunter. Delicious Cravings stand darauf. „Warum nicht? Ich schlage sie einfach mit ihren eigenen Waffen.“

„Aha.“ Donna sah ihn eine Weile an und ließ ihn dann allein.

Süße Köstlichkeiten. Ja, der Name passte zu seiner neuen Nachbarin.

Chase öffnete die Schachtel und verliebte sich auf der Stelle in den Inhalt. Die Urheberin dieser Kreationen hatte eindeutig eine Entschuldigung verdient, und zwar noch heute, bevor der Abend zu Ende war.

Was für ein Rüpel!

Jessica holte tief Luft, um sich wieder zu beruhigen. Wie kam dieser unverschämte Mensch dazu, sie rücksichtslos zu nennen? Ausgerechnet sie! Sie gehörte zu den rücksichtsvollsten Menschen, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Das war ja einer der Gründe gewesen, warum sie ihre hoch bezahlte Stelle als Firmenanwältin gekündigt hatte. Sie hatte nämlich einfach keine Lust mehr gehabt, für Dinge zu kämpfen, hinter denen sie nicht stand, und Policen zu verkaufen, mit denen ihre Kunden sich ruinierten. Den Profit der Firma über die Interessen der Kunden zu stellen hatte sie mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren können.

Außerdem war die Rücksicht auf die Wünsche ihrer Familie sowieso der einzige Grund, warum sie sich mit den Westmorelands abgab. Damit wollte sie ein Unrecht, das an ihrer Familie begangen worden war, wiedergutmachen. Wie konnten diese Leute behaupten, ihr Großvater habe unehrenhaft gehandelt? Sie hatte keinen aufrechteren Menschen als ihn gekannt, und am liebsten hätte sie den Westmorelands einmal gründlich die Meinung gesagt. Aber ihre Großmutter hatte ihr noch auf dem Totenbett das Versprechen abgenommen, den Familiennamen reinzuwaschen, ohne gleich in den Krieg zu ziehen. Eigentlich hatte sie Atlanta nur einen Besuch abstatten wollen, aber dann hatte sie sich entschlossen, gleich hierherzuziehen. Die Stadt gefiel ihr.

Sie dachte wieder an den Besitzer des Restaurants. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie ihn eigentlich aus purer Notwehr so angefahren – damit sie ihm nicht auf der Stelle verfiel. Denn sie musste einfach zugeben, dass er sündhaft sexy war. Er war groß, hatte einen perfekten Körper und ein atemberaubend schönes Gesicht. Und er hatte sie daran erinnert, dass sie eine Frau war.

Das Letzte, was sie brauchen konnte, war einen Mann wie ihn. Denn Männer waren untreu und immer auf ihren Vorteil bedacht, das durfte sie nie vergessen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte sie ihre Lektion gelernt. Jeff Claiborne war vielleicht der Mann, der sie gezeugt hatte und dessen Namen sie trug. Aber er war auch der Mann, der ihre Mutter mit seinen Heiratsversprechen fünfzehn Jahre lang hingehalten und schließlich ins Unglück getrieben hatte.

Um dem Drama ein Ende zu machen, hatte ihr Großvater eines Tages einen Detektiv engagiert, der bald herausfand, dass Jeff Claiborne schon verheiratet war und eine Familie in Philadelphia hatte. Von diesem herben Schlag hatte Janice Graham sich nie mehr erholt und sich lieber das Leben genommen, als mit diesem Schmerz und dieser Enttäuschung weiterzuleben.

Jessica war fünfzehn Jahre alt gewesen, als ihre Mutter starb, und sie hatte sich geschworen, ihr Herz niemals einem Mann zu schenken. Auf Typen, die die Liebe mit Füßen traten, würde sie nicht hereinfallen.

Ihr Großvater hatte Jeff Claibornes Betrug nicht einfach so hingenommen, sondern dessen Ehefrau einen Besuch abgestattet und sie mit den Beweisen für das Doppelleben ihres Mannes konfrontiert. Daraufhin hatte Jennifer Claiborne sofort die Scheidung eingereicht und ihren Mann nach achtzehn Jahren Ehe verlassen. Aber sie hatte Jessica mit offenen Armen aufgenommen und dafür gesorgt, dass sie ihre Halbgeschwister Savannah und Rico kennenlernte. Und vor allem hatte sie durchgesetzt, dass Jeff Claiborne seiner Tochter Unterhalt bezahlte. Den College-Besuch hatte sie selbst finanziert.

Ihre neue Schwester und ihr Bruder standen Jessica so nahe, wie es Geschwister nur konnten. Und Jennifer war ihr fast eine zweite Mutter geworden. Sie war in der Familie jederzeit willkommen, und das war ein schönes Gefühl.

Es klopfte. Die Dämmerung war hereingebrochen, doch Jessica konnte den Besucher durch die Schaufensterscheibe deutlich erkennen: Es war ihr unhöflicher Nachbar. Sie hätte ihn am liebsten draußen stehen lassen, wollte sich aber auch nicht vor ihm verstecken. Schließlich gehörte sie nicht zu den Menschen, die vor Problemen davonliefen – und in diesem Fall war er ihr Problem. Da sie ihm vermutlich öfter über den Weg laufen würde, war es besser, sie schloss eine Art Waffenstillstand mit ihm. Auch wenn sie selbst nicht immer im Laden stand, so lebte sie doch in der Wohnung darüber.

Er klopfte wieder, und sie fand, dass sie ihn lange genug hatte warten lassen. Bevor sie die Tür öffnete, atmete sie tief durch. „Was wollen Sie?“, fragte sie ohne Einleitung.

Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und betrachtete den Himmel. Es war ein wunderschöner Tag gewesen, doch jetzt sah es nach Regen aus. Langsam drehte er sich um. Ihre Blicke trafen sich, und Jessica wurde heiß. Sie musste an köstliche Schokolade mit Rum denken, und unwillkürlich lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Plötzlich bemerkte sie, dass eine winzige Unebenheit auf dem Nasenrücken die Vollkommenheit seiner Züge störte. Vielleicht war die Nase einmal gebrochen gewesen. Ader das spielte keine Rolle, denn der kleine Makel ließ den Rest umso attraktiver erscheinen.

Das war kein gutes Zeichen.

Aber es kam noch schlimmer. Die Art und Weise, wie er sie anlächelte, ließ ihre Knie weich werden, und sie hielt sich unwillkürlich an der Tür fest. Es ärgerte sie, dass er diese Wirkung auf sie hatte. „Also“, fuhr sie ihn an. „Was wollen Sie?“

Sein Lächeln wurde breiter. Entweder fiel ihm ihre Unfreundlichkeit nicht auf, oder er setzte sich absichtlich darüber hinweg. „Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen und Ihnen ein Friedensangebot machen.“ Er hielt eine kleine Tüte in der Hand, aus der verführerischer Essensduft stieg. „Ich war eben irgendwie neben der Spur“, meinte er. „Tut mir leid. Ich weiß, wie viel Stress so ein Einzug verursacht, und kann mich nur damit herausreden, dass ich eine ziemlich anstrengende Woche hinter mir habe. Aber für meine Probleme können Sie ja nichts.“

Sein Auftritt überraschte Jessica. Doch ihr Misstrauen war noch nicht geschwunden. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man vor redegewandten Männern auf der Hut sein musste.

„Und?“, fragte er jetzt nach. „Nehmen Sie meine Entschuldigung an?“

Sie schob das Kinn vor. „Und welchen Grund sollte ich dafür haben?“

„Sie könnten beweisen, dass Sie sehr viel netter sind als ich und den Großmut besitzen, mir meine Sünden zu verzeihen.“

Jessica lehnte sich an den Türrahmen. Das war natürlich richtig. Sie war eindeutig sehr viel netter als er, aber das mit dem Verzeihen … Sie atmete tief durch und kam zu dem Schluss, dass sie keine Lust hatte, seine Entschuldigung zu akzeptieren. Außerdem missfiel ihr die Chemie zwischen ihnen, und das war Grund genug, ihn nicht leiden zu können. Dass das alles wenig vernünftig war, wusste sie selbst am besten, aber es kümmerte sie im Moment nicht. „Es gibt vieles, was ich übersehen kann. Unhöflichkeit gehört nicht dazu.“

Chase hob eine Augenbraue. „Das heißt, Sie nehmen meine Entschuldigung nicht an?“

Jessica sah ihn böse an. „Nein.“

Seine Stirn legte sich in Falten. „Warum nicht?“

„Weil ich nicht in der Stimmung bin. Wenn Sie mich also entschuldigen wollen. Ich muss …“

Er unterbrach sie mit einer Handbewegung. „Weil Sie nicht in der Stimmung sind?“, wiederholte er.

„So ist es.“

Er hatte ja schon mit vielen zickigen Menschen zu tun gehabt, aber diese Frau gab dem Wort eine neue Bedeutung. Gut, er war unhöflich gewesen, aber schließlich hatte er sich dafür entschuldigt.

„Jetzt hören Sie mir einmal zu“, begann er. „Ich weiß, dass unsere Bekanntschaft nicht gerade ideal angefangen hat, und dafür bitte ich um Entschuldigung. Sie haben recht, ich war unhöflich. Doch jetzt sind Sie es, die sich völlig unvernünftig benimmt.“

Jessica stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihr Gegenüber sah sie forschend an. Seine dunkelbraunen Augen waren wirklich zum Sterben schön, aber trotzdem …

Nichts trotzdem, Jessica Lynn, hörte sie ihre Großmutter sagen, du kannst nicht in jedem Mann deinen Vater sehen! Du kannst dich nicht dein Leben lang gegen jeden Mann abschotten, der dir ein bisschen zu nahe kommt.

Sie seufzte wieder und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Natürlich hatte ihre Großmutter recht gehabt, aber es war einfach lebenswichtig für sie, sich zu schützen. Und irgendetwas sagte ihr, dass sie den Mann, der da vor ihr stand, um jeden Preis meiden musste.

„Lassen Sie uns Frieden schließen“, bat Chase jetzt und holte sie aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. „Ihre Süßigkeiten waren übrigens köstlich, vor allem die Kekse mit den Schokoladenstückchen. Ich habe seit Ewigkeiten keine Plätzchen mehr gegessen, die auch nur annähernd so gut schmeckten.“ Er wagte ein Lächeln. „Und ich habe Ihnen auch nicht den Gefallen getan, daran zu ersticken.“

„Ein Jammer“, gab Jessica trocken zurück. Ihre Blicke versanken kurz ineinander, und sie wusste, dass er versuchte, sie zu verstehen. Bestimmt war er nicht daran gewöhnt, dass Frauen ihm so viel Ärger machten. Er musste im Normalfall sicher nur lächeln, um zu bekommen, was er wollte. So wie ihr Vater.

Jessica schlang die Arme um ihren Oberkörper. Er würde ja doch nicht verschwinden, bevor sie seine Entschuldigung akzeptierte. „Okay. Ich verzeihe Ihnen. Auf Wiedersehen.“

Er konnte gerade noch verhindern, dass sie ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Lächelnd hob er seine Tüte hoch: „Wollen Sie mein Friedensangebot nicht annehmen?“

Resigniert streckte sie die Hand danach aus. „Ja, okay. Danke.“

Chase lachte. „Na also.“ Aber statt ihr die Tüte zu geben, reichte er ihr seine Hand. „Wir haben uns noch gar nicht richtig miteinander bekannt gemacht. Chase Westmoreland.“

Jessica wurde blass. „Westmoreland?“, wiederholte sie wie betäubt.

„Genau. Wahrscheinlich ist Ihnen der Namen schon vertraut. Unsere Familie ist ziemlich zahlreich in Atlanta vertreten.“

Wie vertraut ihr der Name tatsächlich war, sagte sie ihm lieber nicht. Stattdessen schüttelte Jessica den Kopf. „Ich bin gerade erst aus Kalifornien hergezogen und kenne mich in der Stadt noch gar nicht aus.“

„Und darf ich wissen, wie Sie heißen?“

Autor

Brenda Jackson
<p>Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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