Neuanfang auf der Schmetterlingsfarm

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Wenn er mit seiner kleinen Tochter den Raum betritt, sieht die junge Bibliothekarin Cassie in Braden Garrett einen Vollblut-Daddy. Aber wenn sie mit ihm allein ist, bringt Braden die kostbare Mauer, die Cassies verletztes Herz schützt, gefährlich zum Wanken...


  • Erscheinungstag 27.01.2020
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729356
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Einfach perfekt – so hätte jeder, der Braden Garretts Biografie hörte, sein bisheriges Leben beschrieben. Er war der älteste Sohn in einem Familienunternehmen, das eine landesweite Möbelladenkette betrieb, und hatte mit knapp dreißig Jahren die Führung von Garrett Furniture übernommen. Ein Jahr später hatte er sich dann in Dana Collins verliebt und sie zehn Monate später geheiratet. An seinem Hochzeitstag hielt sich Braden selbst für den glücklichsten Menschen der Welt.

Zwei Jahre später hatten er und Dana schließlich anfangen, über Kinder zu sprechen. Braden war mit zwei Brüdern und zahlreichen Cousins und Cousinen aufgewachsen und hatte sich deshalb immer gewünscht, eines Tages eine eigene Familie gründen zu können. Auch Dana konnte es kaum erwarten, Mutter zu werden, doch nach vielen frustrierenden Fehlversuchen war ihnen irgendwann klar geworden, dass dieser einfache Wunsch für sie womöglich niemals in Erfüllung gehen würde. Also hatten sie sich irgendwann nach Alternativen umgeschaut, und es hatte noch drei weitere Jahre gedauert, bis Saige endlich in ihr Leben getreten war und ihre kleine Familie komplett gemacht hatte. Als Braden seine winzige, dunkelhaarige Tochter mit den riesigen braunen Augen zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, war er sich sicher gewesen, dass nichts und niemand sein Glück je würde trüben können.

Aber dann hatte sich acht Wochen später plötzlich alles geändert. Seit mehr als einem Jahr war er nun schon ein alleinerziehender Vater, der versuchte, sich so gut es ging, um seine kleine Tochter zu kümmern und ihr alles zu geben, was sie brauchte, auch wenn er sich manchmal heillos überfordert damit fühlte.

Immerhin hatte er bisher immer mitbekommen, wann er sie füttern und wann er ihre Windel wechseln musste, was er bereits als Erfolg verbuchte.

Jetzt, an einem Dienstagmorgen um zehn nach acht, war es Zeit für das Frühstück. Saige dazu zu bekommen, tatsächlich etwas zu essen, war allerdings ein ganz anderes Problem.

„Komm, Süße, iss doch etwas. Daddy muss dich unbedingt bei Grandma abliefern, bevor er um zehn Uhr ein ganz wichtiges Meeting in der Firma hat.“

„Ga-ma?“ Die dunklen, mandelförmigen Augen seiner Tochter leuchteten bei diesem Wort erwartungsvoll auf.

„Genau, du besuchst heute deine Grandma. Aber nur, wenn du vorher deine Cheerios und deine Banane isst.“

Saige pickte sich daraufhin einen der kleinen bunten Maisringe aus der Schüssel heraus, drückte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen und steckte ihn in den Mund. Braden machte sich noch schnell einen Kaffee, während seine Tochter sorgfältig Maisring für Maisring verzehrte. Es überraschte ihn nicht, denn wie jede andere Frau, die er kannte, lebte sie nach ihrem ganz eigenen Zeitplan.

„Iss auch ein Stück Banane“, bat er sie.

Sie griff nach einem Stückchen und schob es sich in den Mund. „Na-ne.“

„Genau, Süße. Ba-na-ne. Lecker. Gut gemacht.“

Als sie ihn anlächelte und dabei eine Reihe winziger weißer Zähnchen zeigte, überkam ihn wieder einmal ein Gefühl von überwältigender Liebe. Ein Kind allein großzuziehen war so viel schwieriger, als er es jemals erwartet hätte, aber es brauchte nur ein einziges Lächeln von Saige, um ihn all die Mühen und Unsicherheiten augenblicklich vergessen zu lassen.

Außerdem zeigte ihm ein Lächeln von ihr immer, dass er offenbar nicht alles verkehrt machte und ihre Kindheit durch den Verlust ihrer Mutter nicht vollkommen ruiniert war.

Während er seinen Kaffee trank, sah er geduldig dabei zu, wie Saige nach einem weiteren Stückchen Banane griff. Doch dieses Mal hielt sie es ihm hin, um ihr Frühstück mit ihm zu teilen. Er beugte den Kopf zu ihr hinunter und ließ sich das Stück von ihr in den Mund schieben. Wenn ihm vor fünfzehn Monaten jemand gesagt hätte, dass er sich einmal von jemandem füttern lassen würde, hätte er ihn ausgelacht. Doch damals hatte er ja auch seine wunderbare Tochter noch nicht gehabt.

Er hatte nicht gewusst, dass es möglich war, jemanden so augenblicklich und so allumfassend zu lieben … bis zu dem Moment, als er seine Tochter zum ersten Mal im Arm gehalten hatte.

Ich will ihr so gern etwas Besseres bieten als einen alleinerziehenden Vater, der die meiste Zeit vollkommen überfordert ist. Sie verdient ein richtiges Zuhause mit zwei Elternteilen, dachte er wie so oft.

Immerhin war sie im Moment ein unglaublich fröhliches Kind, das nicht darunter zu leiden schien, keine Mutter zu haben. Dennoch war dies nicht die Zukunft, die Lindsay sich für ihr Kind vorgestellt hatte, als sie die Adoptionspapiere unterzeichnet hatte, und es war auch nicht das Leben, das Braden sich für seine Tochter wünschte.

„Ich werde immer für dich da sein“, versprach er ihr jetzt. „Ich werde immer mein Bestes geben, damit du glücklich bist.“

„Da-da.“ Saiges Lächeln ließ ihre Augen erstrahlen, und wie immer traf es ihn mitten ins Herz.

„Genau. Wir beide schaffen das schon.“

„Ga-ma?“

„Ja, Grandma und Grandpa helfen uns dabei, das stimmt, und auch ganz viele Tanten, Onkel und Cousins und Cousinen.“

„Na-ne?“

Er lächelte. „Richtig, ein paar von ihnen sind ein bisschen Banane, aber wir lieben sie trotzdem.“

Sie streckte daraufhin die Arme aus und reckte ihre Fingerchen. „Fe-tig.“

„Gut gemacht.“ Braden wusch ihr mit einem Waschlappen das Gesicht und die Hände, dann nahm er das Tablett von ihrem Hochstuhl und löste den Sicherheitsgurt um ihre Taille.

Sobald dieser offen war, warf sich Saige in seine Arme. Er drückte sie an seine Brust, und wie immer floss sein Herz vor lauter Liebe fast über.

„Bist du jetzt bereit, Grandma zu besuchen?“

Saige nickte begeistert, und Braden griff nach der Windeltasche und dem Aktenkoffer und ging zur Haustür. Als er gerade die Hand auf die Klinke legte, klingelte das Telefon. Er war jetzt schon eine Viertelstunde zu spät dran, aber er ging trotzdem zurück, um auf das Display zu schauen. Es zeigte die Nummer seiner Eltern an. Um diese Zeit war es bestimmt seine Mutter Ellen, die ihn anrief.

Er stellte den Aktenkoffer ab und griff hastig zum Hörer. „Hi, Mom. Wir sind gerade auf dem Weg zu dir.“

„Dann ist es ja gut, dass ich dich noch erwische. Ich habe beim Frühstück eine Plombe verloren und muss deshalb leider jetzt sofort zum Zahnarzt.“

„Autsch“, sagte er mitfühlend, während er gleichzeitig versuchte, seinen Terminkalender im Kopf neu zu ordnen, damit er Saige mit ins Büro nehmen konnte.

„Tut mir sehr leid, dass ich dir in letzter Minute absagen muss.“

„Kein Problem, Mom. Natürlich musst du zum Zahnarzt, und Saige freut sich doch immer, wenn sie mit ins Büro darf.“

„Du kannst sie aber nicht mit ins Büro nehmen.“

„Warum denn nicht?“

„Es ist Dienstag“, sagte Ellen, als würde das alles erklären.

„Ich weiß, deshalb muss ich sie ja mitnehmen. Dienstags um zehn Uhr habe ich immer ein Meeting mit Nathan und Andrew.“

„Aber dienstags um zehn Uhr ist auch der Baby Talk in der Bücherei.“

„Ach ja, der Baby Talk“, sagte er, als wüsste er, wovon sie redete. Oder als ob er tatsächlich die Absicht hätte, ein Meeting abzusagen, um mit seiner fünfzehn Monate alten Tochter in die Bibliothek zu gehen.

„Saige liebt den Baby Talk“, erklärte seine Mutter.

„Das kann ich mir gut vorstellen, aber Lieder und Geschichten in der Bibliothek sind leider nicht so mein Ding.“

„Ich weiß, aber sie sind Saiges Ding“, gab Ellen zurück, „und du bist ihr Vater, also wirst du dir wohl keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn du dir mal eine Stunde Zeit nimmst, damit sie es diese Woche nicht verpasst.“

„Ich bin aber den ganzen Vormittag in Meetings.“

„Meetings mit deinen Cousins“, bemerkte Ellen. „Die beide ebenfalls Väter sind und bestimmt nicht zögern würden, ein Meeting abzusagen, wenn ihre Kinder sie brauchen.“

Da hatte sie in der Tat recht. „Aber ausgerechnet zum Baby Talk?“, wandte er ein.

„Unbedingt“, beharrte seine Mutter, während Saige anfing, „Wound an Wound“ zu singen, ihre Version vom Refrain des Kinderliedes „Wheels on the Bus“, den sie offenbar gerade dort gelernt hatten. „Miss MacKinnon, die Bibliothekarin, wird dir alles erklären.“

Braden seufzte leise. „Na schön, dann sage ich Nate und Andrew eben, dass wir umplanen müssen.“

„Deine Tochter wird es dir danken“, erwiderte Ellen.

Er betrachtete Saige, die noch immer wie ein kleines Äffchen auf seiner Hüfte hing und leise vor sich hin summte. Es stimmte – sie war wie ein strahlendes Licht in seinem Leben, und seine Mutter hatte ganz recht, wenn sie annahm, dass er alles für sie tun würde.

„Tja, Saige, dann erfährt dein Daddy heute wohl, worum es beim Baby Talk so geht“, sagte er.

Saige lachte daraufhin glucksend und klatschte in die Hände.

Die Bibliothek von Charisma lag in der Innenstadt, gegenüber vom Bean There Café und in der Nähe des Krankenhauses und Amtsgerichts. Das Gebäude hatte drei Stockwerke mit großen Glasfronten, und das riesige Foyer war von Tageslicht durchflutet und mit riesigen Topfpflanzen ausgestattet.

In der Mitte stand ein runder Info-Tresen, der von allen Seiten erreichbar war. Cassandra MacKinnon saß dahinter und ging gerade den Monatskalender mit allen angebotenen Veranstaltungen durch. Die Bibliothek war nicht nur ein riesiges Gebäude voller Bücher zum Ausleihen, sondern gleichzeitig auch eine Art Gemeindezentrum mit vielen Angeboten für alle Altersgruppen. Cassandra nickte zwei älteren Damen zu, die gerade hereinkamen. Sie hatten eine Strickgruppe gegründet, die sich immer dienstags hier traf. Anschließend sortierte sie die Bücher, die nach den Öffnungszeiten durch die Bücherklappe zurückgegeben worden waren, und tippte sie in den Computer ein.

Nachdem sie einem Teenager geholfen hatte, Sachbücher für ein Referat zu finden, bereitete Cassie den Twain-Raum für die Gebärdensprach-Gruppe vor, die um halb elf kommen würde, und nahm auf dem Weg noch ein paar liegen gelassene Zeitschriften mit.

Als sie an den Info-Tresen zurückkehrte, kam gerade George Bowmann herein. Er und seine Frau Margie waren ebenfalls regelmäßige Besucher der Bibliothek. Cassandra kannte nicht nur die Namen all ihrer Stammgäste, sondern auch ihre Lesegewohnheiten und – vorlieben. Oft erfuhr sie bei den Besuchen auch, was es in den Familien Neues gab, und so waren viele ihrer regulären Leser über die Jahre hinweg auch zu guten Bekannten geworden.

Sie war gerade beim Small Talk mit Mr. Bowmann, als ein großer, dunkelhaariger und äußerst gutaussehender Fremder die Bibliothek betrat. Cassandras Herz machte sofort einen kleinen Sprung, und ein warmes Kribbeln breitete sich in ihrer Magengrube aus. Doch der Mann war nicht nur ein Unbekannter, er sah auch gar nicht wie jemand aus, der eine Bibliothek besuchen würde. Sein teurer Anzug, der wie maßgeschneidert saß, die Seidenkrawatte und die perfekte Rasur verrieten ihr, dass es sich hierbei um einen Geschäftsmann handeln musste.

Es hätte sie weniger überrascht, ein regenbogenfarbenes Einhorn hier hereinkommen zu sehen als diesen attraktiven Mann, der sich angesichts seiner langen Beine erstaunlich langsam bewegte und recht kleine Schritte machte. Den Grund dafür erfuhr sie allerdings, als das Kleinkind an seiner Seite in Sicht kam, und das erkannte sie sofort wieder. Saige kam immer mit ihrer Großmutter zum Baby Talk, also musste der Mann, der die Kleine nun an der Hand führte, ihr Vater sein. Braden Garrett, einer der wohlhabendsten und begehrtesten Männer in der Stadt.

Es war lange her, dass Braden die Bibliothek von Charisma zum letzten Mal betreten hatte. Als er in das lichtdurchflutete Foyer kam, dachte er zuerst, er hätte das falsche Gebäude erwischt. In den letzten zwanzig Jahren war hier so viel renoviert worden, dass das Haus kaum wiederzuerkennen war.

Er blickte sich um und erkannte, dass sich noch mehr geändert hatte. Es gab mittlerweile keinen Ausleihtresen mehr, sondern man scannte seine Bücher einfach kurzerhand selbst am Computer ein. Kinder, die sich Bücher oder Comics ausleihen wollten, mussten also nicht mehr an der strengen Miss Houlahan vorbei, die damals die Ausleihkarten abgestempelt hatte und dabei ausgesehen hatte, als wolle sie am liebsten keins der Bücher herausgeben. Er hatte als Kind schreckliche Angst vor der Frau gehabt.

Da Miss Houlahan gefühlt schon hundert Jahre alt gewesen war, als Braden klein war – zumindest hatte sie für ihn so gewirkt – erwartete er nicht wirklich, sie jetzt hinter dem Tresen sitzen zu sehen. Mit der attraktiven Frau, die gerade mit einem älteren Mann sprach und gleichzeitig etwas in einen Computer eintippte, hatte er allerdings auch nicht gerechnet. Sie war für eine Bibliothekarin geradezu unverschämt jung – war es überhaupt erlaubt, hier zu arbeiten, wenn man nicht mindestens fünfzig Jahre alt war? Ihr kinnlanges kastanienbraunes Haar hatte goldene und kupferne Strähnen und umrahmte ihr herzförmiges Gesicht perfekt. Ihre Augen waren dunkel – wahrscheinlich grün, dachte er, passend zu ihrem rotbraunen Haar – und ihre Haut war auffallend hell und zart, was ebenfalls darauf hindeutete, dass ihre Haarfarbe natürlich war.

Saige zog jetzt aufgeregt an seiner Hand. Seit sie vor vier Monaten laufen gelernt hatte, war sie kaum noch aufzuhalten. Braden folgte ihr deshalb zum Info-Tresen.

Die Frau, die wahrscheinlich Miss MacKinnon war, blickte vom Computer auf und reichte dem älteren Herrn, mit dem sie momentan sprach, ein Stück Papier, auf dem sie etwas notiert hatte. Der Mann bedankte sich und sagte dann: „Ich soll Ihnen übrigens von Margie ausrichten, dass unsere Tochter schon wieder schwanger ist.“

„Oh, wie schön. Das ist ihr drittes Kind, oder?“

„Drittes und viertes!“

Die Bibliothekarin hob daraufhin die zart geschwungenen Brauen. „Oh, Zwillinge? Das ist ja einfach wunderbar. Herzliche Glückwünsche an Sie alle.“

„Danke. Wir warten darauf, dass Sie auch mal große Neuigkeiten haben.“

„Die habe ich doch. Wir haben gerade erst den neuen John Grisham reinbekommen“, erwiderte sie mit einem Lächeln.

„Ich meinte eher Heiratspläne, Cassie.“

„Ich weiß nicht recht … Sie sind doch jetzt schon seit fast fünfzig Jahren mit Mrs. Bowmann verheiratet, ich glaube nicht, dass sie Sie wieder hergeben würde, damit Sie mit mir durchbrennen können.“

Der alte Mann bekam daraufhin sofort rote Ohren. „Einundfünfzig Jahre“, sagte er stolz, „und ich habe doch nicht von mir geredet. Sie brauchen einen attraktiven jungen Mann, der Ihnen einen Ring ansteckt und Ihnen anschließend wunderschöne Babys schenkt.“

„Bis dahin bringen Sie mir aber hoffentlich weiterhin Fotos von Ihren entzückenden Enkelkindern mit.“

„Auf jeden Fall“, versprach er.

Sie griff jetzt nach einem Flyer auf dem Tresen. „Sie kommen doch zu unserem jährlichen Buch und Kuchen-Verkauf am fünfzehnten oder?“

„Natürlich, der Termin steht schon bei uns im Kalender, und Margie backt dafür ihre berühmten Schokomuffins.“

„Auf die freue ich mich schon ganz besonders.“

Endlich ging der alte Herr in Richtung Aufzug, und Braden trat an den Tresen. „Miss MacKinnon?“

Als sie sich ihm zuwandte, sah er, dass ihre Augen doch nicht grün waren, sondern dunkelbraun. Ihre Wimpern waren außerdem unglaublich lang und noch einen Ton dunkler.

„Guten Morgen“, sagte sie freundlich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich möchte gern zum Baby Talk?“

Ihr Lächeln war einfach umwerfend. „Sind Sie sich sicher?“

„Nicht wirklich“, gab er zu. „Bin ich hier denn überhaupt richtig?“

„Absolut. Der Baby Talk findet um zehn Uhr im Dickinson-Raum statt. Der befindet sich im Obergeschoss.“

Er blickte auf die große Uhr an der Wand im hinteren Teil des Foyers. Es war noch nicht einmal halb zehn. „Da sind wir wohl etwas früh dran.“

„Im Untergeschoss ist die Kinderabteilung, da haben wir auch einen Bereich mit Spielzeug, einem Puppentheater und einer Eisenbahn.“

„Tuff-tuff“, rief Saige daraufhin aufgeregt.

Miss MacKinnon blickte zu seiner Tochter und lächelte dann wieder. „Wenn Sie allerdings jetzt dorthin gehen, wird es wahrscheinlich sehr schwer werden, Ihre Tochter wieder von dort loszueisen. Du magst die Züge, richtig, Saige?“

Saige nickte enthusiastisch, und Braden war überrascht … und ein wenig beunruhigt, dass diese Frau etwas über seine Tochter wusste, was ihm bisher vollkommen unbekannt gewesen war.

„Offenbar verbringt sie mehr Zeit hier, als ich dachte“, sagte er nun.

„Ihre Mutter kommt zwei Mal die Woche mit ihr her.“

„Nun ja, offenbar kennen Sie Ellen und Saige ja schon, da sollte ich mich wohl auch mal vorstellen. Ich bin Braden Garrett.“

Sie nahm seine Hand, und er war überrascht, wie fest ihr Händedruck war. „Cassie MacKinnon.“

„Sind Sie wirklich die Bibliothekarin?“, fragte er erstaunt.

„Eine von mehreren.“

„Wenn ich mir eine Bibliothekarin vorstelle, sehe ich immer nur die alte Miss Houlahan vor mir.“

„Das geht mir auch so“, erwiderte sie. „Sie ist sogar der Grund dafür, dass ich mich für diesen Beruf entschieden habe.“

„Da denken wir wohl an zwei verschiedene Miss Houlahans“, erwiderte er kopfschüttelnd.

„Vielleicht. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss oben etwas überprüfen.“

„Oben etwas überprüfen“ klang recht vage in Bradens Ohren, und ihn beschlich das Gefühl, dass sie ihn gerade höflich abwimmeln wollte. Aber vielleicht interpretierte er das auch nur in ihre Worte hinein. Schließlich war das hier eine Bibliothek, und sie war die Bibliothekarin, also gab es bestimmt viele Dinge, die sie überprüfen musste. Wenn er sich auch gerade nicht vorstellen konnte, um was es sich hierbei genau handeln mochte.

Als sie hinter dem Tresen hervorkam und zum Aufzug ging, bewunderte er unwillkürlich ihren wohlgeformten Po und den leichten Schwung ihrer Hüften. Wenn es damals eine Bibliothekarin wie Miss MacKinnon gegeben hätte, wäre er als Kind bestimmt viel öfter in die Bücherei gegangen.

2. KAPITEL

Als er Saige endlich von den Zügen losgeeist und den Dickinson-Raum gefunden hatte, warteten schon einige andere Eltern und Kinder auf den Baby Talk – und Cassie MacKinnon war ebenfalls bereits dort. Offenbar war eines der Dinge, die sie in der Bibliothek machte, auch die Leitung des Baby Talks.

Sie nickte ihm zu, als er eintrat, und deutete dann auf einen leeren Platz in dem Kreis. „Setzen Sie sich doch.“

Nur, dass der Stuhlkreis nicht aus Stühlen bestand. Alle Mütter – und es waren ausschließlich Mütter, denn die einzigen Männer im Raum trugen noch Windeln – saßen direkt auf dem beigefarbenen dicken Berberteppich. Als er sich mühsam auf dem Boden niederließ, sah er bestimmt genauso fehl am Platz aus, wie er sich gerade fühlte.

„Haben Sie Ihr Kissen mitgebracht, Mr. Garrett?“

„Kissen?“, wiederholte er verständnislos. Seine Mutter hatte nichts von einem Kissen gesagt, doch als er sich umschaute, sah er, dass alle Mütter ein Kissen dabeihatten, auf dem die Kleinkinder saßen.

„Ich habe noch eins, dass Sie sich gern leihen können“, sagte Miss MacKinnon daraufhin, öffnete einen Schrank und holte ein großes rosafarbenes Stoffkissen mit einem riesigen gestickten Gänseblümchen darauf hervor.

Braden gab sich alle Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen, als er ihr dankte, das Kissen auf den Boden legte und Saige daraufsetzte. Sie fing sofort an, in die Hände zu klatschen, so als könne sie gar nicht mehr abwarten. Ellen hatte ihm erzählt, dass der Baby Talk für Kinder bis achtzehn Monate war, und seine Tochter war deshalb schätzungsweise eines der ältesten Kinder hier im Raum. Auch die Mütter waren in ganz unterschiedlichen Altersklassen, wie ihm ein schneller Rundumblick bestätigte. Sie alle hatten allerdings eines gemeinsam: Sie begutachteten äußerst interessiert den einzigen Mann im Raum.

Er konzentrierte sich deshalb krampfhaft auf Cassie. Hoffentlich ging das hier bald los und war auch schnell wieder vorbei.

In den folgenden neunzig Minuten stellte er fest, dass die Bibliothekarin definitiv mehr Geduld hatte als er. Viel mehr Geduld. Selbst, wenn ein Kind lautstark anfing zu weinen, las oder sang sie einfach in demselben beruhigenden Tonfall wie zuvor weiter. Nach etwa der Hälfte der Zeit reichte sie einen großen Korb herum, aus dem die Kleinkinder sich Glocken, Trommeln oder Rasseln aussuchen konnten. Es war ein höllischer Lärm – in den seine Tochter begeistert einstimmte – und als sie die Instrumente endlich wieder einsammelte, hatte Braden rasende Kopfschmerzen.

„Das war eine tolle Runde heute“, sagte Cassie am Ende, und er atmete erleichtert auf, weil das Ganze endlich vorbei war. „Dann bis nächste Woche, und bitte denkt an den Buch- und Kuchen-Verkauf am fünfzehnten. Alle Bücherspenden sind herzlich willkommen.“

Obwohl die Veranstaltung zu Ende war, schien es keine der Mütter besonders eilig zu haben aufzubrechen. Sie saßen einfach weiterhin zusammen und plauderten über Stillprobleme und die Vorteile von Stoffwindeln gegenüber Wegwerfwindeln.

Braden wollte einfach nur weg, doch Saige hatte offenbar irgendwann zwischendurch ihre Schuhe abgestreift, und er musste jetzt erst einmal die Schnürsenkel aufknoten, ihr die Schuhe wieder anziehen und sie zubinden.

Währenddessen war die Frau, die links neben ihm gesessen hatte, näher an ihn herangerückt. „Ich bin Heather Turcotte, und das hier ist Katie.“ Sie deutete auf das Baby auf ihrem Schoß.

„Braden Garrett“, sagte er. Saige kannten hier bestimmt schon alle.

„Sie sind ja ganz schön mutig, sich in einen Babykurs voller Frauen zu stürzen“, sagte Heather und lächelte ihn strahlend an.

„Ich bin heute nur hier, weil meine Mutter verhindert ist.“

„Ach, das ist aber schade. Es wäre so schön, auch noch einen anderen alleinerziehenden Elternteil in der Gruppe zu haben. Die meisten Frauen hier haben keine Ahnung, wie es ist, ein Kind ganz allein aufziehen zu müssen. Ich habe es natürlich auch nicht gewusst, bevor ich Katie bekam. Während der ganzen Schwangerschaft war ich so zuversichtlich, dass ich das schon alles hinkriegen würde. Aber die Vorstellung, ein Kind zu haben, ist doch ganz anders als die Realität.“

„Da haben Sie recht“, erwiderte er. Er hatte nur mit einem Ohr zugehört, weil er darauf konzentriert gewesen war, Saige die Schuhe wieder anzuziehen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Cassie gerade mit einer der anderen Mütter sprach, während sie die Instrumente mit antibakteriellen Tüchern abwischte. Das beruhigte ihn etwas, denn Saige hatte die ganze Zeit mehr auf ihrer Triangel herumgekaut als darauf gespielt.

„Es hilft natürlich, dass ich flexible Arbeitszeiten habe“, fuhr Heather fort, „aber die haben Sie ja sicher auch. Ihr Name steht ja schließlich auf dem Firmenbriefpapier.“

„Ja, es hat durchaus Vorteile, in einem Familienbetrieb zu arbeiten.“

Cassie verabschiedete die Frau und ihr Kind jetzt und trug den Korb mit den Instrumenten wieder zum Schrank zurück.

„Dann hätten Sie vielleicht auch noch etwas freie Zeit für einen Kaffee?“, schlug Heather vor.

Braden zwang sich, der Frau jetzt seine volle Aufmerksamkeit zu widmen, und ihr hoffnungsvoller Gesichtsausdruck ließ ihn innerlich zusammenzucken.

„Es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich dringend wieder ins Büro zurück.“

Sie zog eine Schnute, genau wie seine Tochter es immer tat, wenn sie ihren Willen mal nicht bekam. Nur, dass es bei einer erwachsenen Frau bei Weitem nicht so süß aussah wie bei einem Kleinkind.

„Na ja, vielleicht könnten wir uns ja mal mit den Kindern verabreden. Ein Spiel-Date für die Kleinen – und die Großen.“ Sie zwinkerte ihm neckisch zu.

„Vielen Dank für die Einladung, aber ich habe wirklich immer sehr viel um die Ohren und deshalb nur wenig Zeit für so etwas.“

„Oh, okay.“ Sie lächelte jetzt gezwungen, aber die Enttäuschung war ihr dennoch deutlich anzusehen. „Nun ja, wenn Sie doch mal mehr Zeit haben sollten, wissen Sie ja, wo Sie mich dienstagmorgens finden.“

„Natürlich“, erwiderte er höflich.

Während er seiner Tochter die Schuhe angezogen hatte, war sie irgendwie an sein Handy gekommen und nutzte es jetzt, um darauf herumzukauen. Seufzend nahm er es ihr so sanft wie möglich ab und wischte es an seiner Hose trocken.

„Du bekommst wohl gerade Zähne, Süße.“

Statt einer Antwort schob sie ihre kleine Faust in den Mund.

Als er sie auf den Arm nahm, legte sie den Kopf auf seine Schulter – offenbar war es schon höchste Zeit für ihren Mittagsschlaf. Vorsichtig ging er in die Hocke, um das Gänseblümchenkissen aufzuheben und es der Bibliothekarin zurückzugeben.

„Vielen Dank für die Leihgabe.“

„Gern geschehen. Ich wollte mich eigentlich schon vorhin nach Ihrer Mutter erkundigen“, fügte sie hinzu, „aber ich wollte nicht zu neugierig erscheinen. Ist alles in Ordnung mit ihr? Sie hat sonst noch nie einen Baby Talk ausgelassen.“

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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