Retten Sie mein Herz, Dr. Lukas!

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Er ist ihr Retter in allerhöchster Not: Ohne Lukas Garrett hätte Julie ihr Baby allein im Auto gebären müssen. Er hilft ihrem Sohn auf diese Welt - und erobert nebenbei ihr Herz. Wie gerne würde sie Lukas unter dem Mistelzweig küssen! Aber da gibt es noch den Vater ihres Babys …


  • Erscheinungstag 02.12.2019
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728816
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Als sie am Morgen des 1. November erwachte und auf die Wasserflecke an der Zimmerdecke starrte, fragte Julie Marlowe sich, ob sie schlecht träumte. Dann erinnerte sie sich daran, dass ihr schmerzender Rücken sie am Tag zuvor dazu gezwungen hatte, auf ihrer Heimreise eine Pause einzulegen. Und das Sleep Tite Motor Inn war die nächstgelegene Übernachtungsmöglichkeit gewesen.

Sie schaffte es, ihren schwangeren Körper auf der durchgelegenen Matratze auf die Seite zu rollen und die Beine über die Bettkante zu schwingen. Im Bad waren die Fliesen unter ihren Füßen kalt, und das Wasser, das aus dem Duschkopf tröpfelte, war kaum wärmer. Sie wusch sich schnell und trocknete sich mit den verschlissenen, aber sauberen Handtüchern aus dem Regal ab. Vor ihr lag ein weiterer langer Tag auf dem Highway, deshalb zog sie bequeme schokoladenbraune Leggings und eine weite Tunika an, bevor sie in die Cowboystiefel schlüpfte, die sie unterwegs in Texas gekauft hatte.

Vor sieben Monaten hatte sie viele gute Gründe gehabt, Springfield zu verlassen. Aber nach einer Reise von achttausend Meilen durch siebenundzwanzig Bundesstaaten und zahllosen Nächten in Hotelzimmern war sie mehr als bereit, nach Hause zurückzukehren.

Julie vermisste ihre Familie, ihre Freunde und ihren gewohnten Alltag. Sie vermisste sogar ihren Vater, obwohl er hin und wieder stur und selbstherrlich sein konnte. Der einzige Mensch, den sie absolut nicht vermisste, war Elliott Davis Winchester III – ihren Exverlobten.

Julie hatte ihren Eltern erzählt, dass sie nach der Trennung etwas Zeit und Freiraum brauchte, um über ihre Zukunft nachzudenken. Lucinda und Reginald Marlowe hatten zwar nicht verstanden, warum sie wegwollte – und wie sie von ihnen Verständnis erwarten konnte, wo sie ihnen so viel verschwiegen hatte. Aber die beiden hatten Julie unterstützt, denn sie liebten ihre Tochter auch dann, wenn sie einen Fehler gemacht hatte.

Als sie Springfield verließ, war Julie entschlossen, alles dafür zu tun, dass ihr so etwas kein zweites Mal passierte.

Sie fühlte einen leichten Stoß unterhalb der Rippen und strich lächelnd über ihren Bauch. „Du warst kein Fehler, Baby“, flüsterte sie. „Vielleicht warst du noch nicht geplant, aber ich weiß, dass du das Beste bist, das mir je widerfahren ist. Ich verspreche, dass ich die beste Mommy sein werde, die ich für dich sein kann.“

Das Baby schien skeptisch zu sein, denn es trat erneut.

Julie konnte es ihm nicht verdenken. Sie selbst hatte auch einige Zweifel. Sie und Elliott waren sich einig gewesen, schon bald nach der Hochzeit eine Familie zu gründen. Aber dass sie schwanger war, hatte Julie nicht gewusst, als sie ihm den Ring zurückgegeben und die Stadt verlassen hatte.

Als ein Arztbesuch dann die Gewissheit brachte, dass sie ein Kind bekam, dachte sie keine Sekunde daran, zu Elliott zurückzukehren. Obwohl sie ihn seit zwei Jahren kannte und sechs Monate mit ihm verlobt gewesen war, war ihr plötzlich klar geworden, dass sie ihn gar nicht richtig kannte und dass er nicht der Mann war, den sie heiraten wollte. Und ganz sicher war er nicht der Mann, den sie sich als Vater für ihr Kind vorstellte.

Natürlich änderte das nichts daran, dass er der Erzeuger war, aber damit wollte sie sich jetzt nicht beschäftigen, auch wenn sie wusste, dass sie nicht auf Dauer vor der Realität davonlaufen konnte. In ihrem Zustand konnte sie nicht laufen, höchstens watscheln.

Und sie war bereit, nach Hause zu watscheln.

Lukas Garrett nahm sich eine kleine Schachtel aus der orangefarbenen Schüssel am Empfang – die Überreste der Halloween-Süßigkeiten vom Vortag – und kippte sich den Inhalt auf einmal in den Mund.

Karen, die Sprechstundenhilfe der Tierarztpraxis, schüttelte den Kopf. „Sag mir, dass das nicht dein Lunch ist.“

Er schluckte. „Das ist nicht mein Lunch.“

„Lukas!“, tadelte sie ihn.

„Wirklich nicht. Es ist nur die Vorspeise. Ich habe ein Sandwich im Kühlschrank.“

„Erdnussbutter und Marmelade?“

„Heute nur Erdnussbutter.“ Er griff wieder in die Schüssel und bekam einen Klaps auf die Hand.

„Du brauchst eine gute Frau, die auf dich aufpasst.“

Das hörte er nicht zum ersten Mal. „Du bist eine gute Frau und passt auf mich auf“, antwortete er wie immer.

„Du brauchst eine Ehefrau.“

„Mach mir einen Antrag.“

Karen schüttelte wieder den Kopf.

„Iss dein Sandwich!“, befahl sie. „Auch kein richtiges Mittagessen, aber es hat vermutlich mehr Nährwert als der Süßkram.“

„Ich esse zu Mittag, sobald ich mit den Vormittagsterminen fertig bin.“ Er warf einen Blick auf die Wanduhr und runzelte die Stirn. „Ist Mrs. Cammalleri noch nicht mit Snowball hier?“

„Sie hat angerufen“, erwiderte Karen. „Bei dem Wetter will sie nicht aus dem Haus.“

„Bei welchem Wetter?“ Lukas schaute aus dem Fenster und blinzelte überrascht. Vor der Scheibe wirbelten weiße Flocken durch die Luft. „Seit wann schneit es?“

„Seit etwa einer Stunde. Es hat angefangen, als du dafür gesorgt hast, dass Raphael sich nie wieder seinen tierischen Trieben hingeben wird.“

Er ging näher ans Fenster. „Haben die das hier vorhergesagt?“

Sie nickte. „Dreißig bis vierzig Zentimeter.“

Er blickte finster. „Wieso führt die Erderwärmung zu verfrühtem Schneefall?“

„Wir leben im Schneegürtel“, erinnerte sie ihn. „Und man nennt es Klimawandel.“

„Mir wäre ein Klimawandel mit Sonnenschein und Sandstränden lieber.“

„Buch einen Urlaub.“

„Daran habe ich schon gedacht“, gab Lukas zu. Eine Insel im Süden wäre nicht schlecht, aber er hatte keine Lust, allein hinzufliegen. Oder sich dort eine Frau zu suchen, die mit ihm ein paar Tage voller Sonne, Sand und Sex verbringen würde. So etwas reizte ihn nicht mehr, seit er mit dem College fertig war.

„Du solltest auch daran denken, heute früher Feierabend zu machen“, schlug Karen vor. „Mrs. Cammalleri war der letzte Termin. Wenn es so weiterschneit und wir nicht bald von hier verschwinden, kommen wir überhaupt nicht mehr von hier weg.“

„Freitags ist die Praxis bis drei geöffnet. Ich bleibe, aber fahr du ruhig.“

„Macht es dir wirklich nichts aus?“

„Natürlich nicht. Wir müssen nicht beide hier sein, und du hast den weiteren Weg.“

Karen räumte bereits ihren Schreibtisch auf.

Lukas nutzte seine Chance und nahm sich noch ein paar Süßigkeiten. „Morgen werden die Kinder Schneemänner bauen.“

„Kaum zu glauben, dass sie gestern Abend noch von Tür zu Tür gezogen sind, oder?“

„Stimmt.“ Er musste lächeln, als er an seine fünf Jahre alten Neffen Quinn und Shane dachte, die sich als SpongeBob und Patrick verkleidet hatten. Ihre jüngere Schwester Pippa war noch zu klein, um sie zu begleiten, aber selbst sie hatte ein Kürbiskostüm getragen.

Seine älteste Nichte Ava, die zwölfjährige Tochter seines Bruders Jackson, war mit Freundinnen auf einer Halloweenparty im Gemeindezentrum gewesen. Jack hatte sie vermutlich den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen. Luke wunderte es nicht, dass sein Bruder, der in seiner Jugend ein echter Herzensbrecher war, seine Tochter überbehütete. Überraschend war allerdings, dass Jack eine Familie gegründet hatte, noch dazu mit der Frau, die seit der fünften Klasse Lukas’ beste Freundin war.

„Eben haben wir noch Kürbisse geschnitzt, jetzt werfen wir Schneebälle“, stellte Karen fest, als sie ihren Mantel und die Handtasche aus dem Schrank nahm. Dann stolperte sie fast über Einstein, Lukas’ sieben Monate alten Beaglewelpen, und stieß einen leisen Fluch aus.

Einstein stammte aus dem achtköpfigen Wurf einer unterernährten und entkräfteten Hündin, die am Straßenrand ausgesetzt worden war. Sie hatte die Geburt nicht überlebt, und Lukas war entschlossen, dafür zu sorgen, dass sie ihr Leben nicht vergebens geopfert hatte. Zum Glück hatte Karen ihm geholfen, die Welpen aufzupäppeln und in tierliebende Familien zu vermitteln. Aber Lukas hatte von Anfang an gewusst, dass er einen behalten wollte, und sich Einstein ausgesucht. Er liebte den verrückten kleinen Kerl, auch wenn er nicht so genial war wie sein Namenspatron.

„Ich schwöre, das Tier bringt mich noch um.“ Trotz ihrer Verärgerung strich sie ihm über den Kopf und kraulte ihn hinter dem Ohr, weil er das mochte.

„Nur wenn er dich zu Tode lieben könnte“, erwiderte Lukas.

„Du solltest auch nach Hause fahren“, sagte sie auf dem Weg zur Tür. „Bei dem Wetter kommt niemand mehr.“

Sie behielt recht. Abgesehen von Raphaels Herrchen, der seinen Hund abholte, blieb Lukas allein. Pünktlich um drei verließ er mit Einstein die Praxis. Es war die erste Begegnung des Welpen mit Schnee, und als er plötzlich bis zur Brust in der kalten, weißen Pracht steckte, freute er sich nicht gerade. Winselnd versuchte er, sich daraus zu befreien. Als das nicht gelang, ging er zum Angriff über und hüpfte bellend herum.

Lukas musste lachen. Wenn er ihn ließ, würde Einstein vermutlich stundenlang so weitermachen, daher nahm er ihn auf den Arm und trug ihn zum Pick-up. Er setzte den Welpen in den Fußraum auf der Beifahrerseite, damit er sich im Gebläse der Heizung aufwärmen konnte, während Lukas die Scheiben von der dicken Schneeschicht befreite.

Zum Glück hatte er in der Praxis eine Mütze und Handschuhe gefunden. Es schneite seit Stunden, und da die Straßen noch nicht geräumt waren, waren sie auch rutschig. Als er aus der Einfahrt fuhr, geriet der Wagen leicht ins Schlingern.

Einstein sprang auf den Sitz, presste die Nase gegen die Scheibe und bellte aufgeregt, als Lukas in den Terrace Drive einbog. Unter dem Schnee hatte sich eine Eisschicht gebildet, und vermutlich würden die Abschleppdienste bis spät in die Nacht arbeiten müssen. Bei diesem Wetter konnte man schnell von der Fahrbahn abkommen und im Graben landen – wie es jemandem direkt vor Lukas’ Haus passiert war.

Julie packte das Lenkrad mit beiden Händen und biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu schreien. Vor ein paar Stunden hatte sie es für eine gute Idee gehalten, einen kurzen Abstecher nach Pinehurst zu machen und sich mit einem Studienfreund ihres Bruders zu treffen, aber da hatte es auch noch nicht geschneit. Inzwischen riet der Wetterbericht von unnötigen Autofahrten ab.

Dabei hätte sie es fast geschafft. Das Navi meldete, dass sie nur noch drei Meilen von Jackson Garretts Anwaltskanzlei entfernt war. Aber mitten in einem Schneesturm konnte sie nicht einfach aussteigen und hinlaufen, erst recht nicht in ihrem Zustand. Vor Enttäuschung kamen ihr die Tränen. Sie ließ den Kopf nach vorn fallen und zuckte blitzartig wieder zurück, als die Hupe ertönte. Großartig – sie war nicht nur in den Graben gefahren, sie hatte auch noch auf ihre Blödheit aufmerksam gemacht. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder frustriert sein sollte, als niemand reagierte.

Sie war doch an einigen Häusern vorbeigekommen, ein großes Gebäude im Ranchstil mit drei grinsenden Kürbisgesichtern auf der breiten Veranda etwa. Sie schloss die Augen und fluchte leise. Sicher, es war unvernünftig, ohne Winterreifen durch einen Schneesturm zu fahren – aber wer hätte gedacht, dass man am 1. November Winterreifen brauchte?

Sie fühlte einen Krampf im Rücken und zugleich einen schmerzhaften Stich im Bauch. Sofort legte sie eine Hand darauf, um dem Baby zu signalisieren, dass alles in Ordnung war. Doch als ihr die ersten Tränen über die Wangen liefen, gestand sie sich ein, dass sie nicht wusste, ob es „in Ordnung“ war, mitten in einem Schneesturm in einem Straßengraben festzusitzen.

Julie atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Normalerweise hatte sie sich besser im Griff, aber die Schwangerschaftshormone wirkten sich nicht gerade positiv auf ihr emotionales Gleichgewicht aus. Sie wischte sich die Tränen von der Wange und sprach sich Mut zu.

Sie hatte sich nicht verfahren. Sie war sich nicht sicher, wo genau sie sich befand, aber sie hatte die Anweisungen des Navigationssystems befolgt, also steckte sie nicht mitten im Nichts. Sie befand sich in Pinehurst, New York. Und als sie das Handy aus der Handtasche nahm, sah sie, dass sie Netzempfang hatte. Noch ein Beweis, dass sie nicht mitten im Nirgendwo gelandet war.

Sie beugte sich zum Handschuhfach, um die Nummer des Pannendienstes zu suchen, und schrie leise auf, als der Schmerz im Rücken unerträglich wurde. Sie biss die Zähne zusammen, stieß den angehaltenen Atem aus und betete, dass es nur ein Krampf war. Vielleicht hatte sie sich beim Aufprall des Wagens im Graben einen Muskel gezerrt.

Andererseits konnte es bedeuten, dass die Wehen eingesetzt hatten. Und das wollte sie sich lieber nicht vorstellen. „Bitte, Baby.“ Sie rieb sich den Bauch. „Nicht jetzt. Du kannst noch ein paar Wochen bleiben, wo du bist, denn ich bin noch lange nicht bereit für dich.“

Vorsichtig tastete sie nach der Mappe mit den Wagenpapieren und der Mitgliedskarte des Automobilklubs. Aber als sie die Nummer gewählt hatte, erfuhr sie nur, dass das Callcenter wegen der vielen Anrufe überlastet war. Sie legte auf. Vermutlich wäre es einfacher und schneller, einen örtlichen Abschleppdienst um Hilfe zu bitten. Vielleicht hatte sie ja auch Glück, und jemand mit einem Pick-up kam vorbei, der sie mit seinem Abschleppseil auf die Straße zurückziehen konnte.

Wie aufs Stichwort tauchte plötzlich ein anderer Wagen auf und bog in eine Einfahrt ein, die – wie sie erst jetzt bemerkte – keine fünf Meter von ihr entfernt war. Er hielt, die Fahrertür ging auf, und dann wirbelte ein Windstoß den Schnee auf und nahm ihr die Sicht.

Sie glaubte, einen Hund bellen zu hören, aber dann war es wieder still.

Sekunden später klopfte jemand an ihre Seitenscheibe. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Eben hatte sie noch gebetet, dass ein guter Samariter erschien und sie rettete, aber jetzt fragte sie sich, ob der Fremde ihr helfen wollte oder böse Absichten hatte.

Die Fenster waren inzwischen beschlagen. Sie konnte nur erkennen, dass es ein großer, breitschultriger Mann mit einer dunklen Mütze auf dem Kopf war. Ein Hüne. Die Straße lag verlassen da. Sie war hilflos.

Nein, war sie nicht. Sie hatte ihr Handy. Sie hielt es hoch, um ihm zu zeigen, dass sie mit der Außenwelt Kontakt hatte, dann öffnete sie das Fenster einen Spaltbreit. Die Luft, die in den Wagen drang, war so kalt, dass ihr der Atem stockte.

„Alles in Ordnung, Ma’am?“

Ma’am? Die förmliche Anrede und die Besorgnis in seiner Stimme beruhigten sie etwas. Sie hob den Blick, und ihr Herz schlug noch schneller. Aber diesmal hatte es nichts mit Angst zu tun – im Gegenteil, es war eine rein weibliche Reaktion auf einen geradezu spektakulär aussehenden Mann.

Die Strickmütze war so tief in die Stirn gezogen, dass sie seine Haarfarbe nicht erkennen konnte, aber unter den dunklen Brauen waren seine Augen exakt so blaugrün wie der Aquamarin in dem Ring, den ihre Eltern ihr zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatten. Die Nase war nicht ganz perfekt, die Wangenknochen markant, das Kinn kantig. Sein Gesicht war unverkennbar männlich und unglaublich attraktiv. Seine Stimme war leise und beruhigend, und als er weitersprach, starrte sie auf seine Lippen.

„Ma’am?“

„Es geht mir gut. Ich warte nur auf den Abschleppdienst.“

Er runzelte die Stirn. „Das wird wohl eine Weile dauern. Ich bin gerade noch durchgekommen, als die Polizei die Zufahrt zur Hauptstraße gesperrt hat.“

„Was bedeutet das?“

„Dass die Durchfahrt durch unsere Stadt dicht ist.“

Sie seufzte. „Sie haben nicht zufällig ein Abschleppseil dabei?“

Er schüttelte den Kopf. „Leider nicht.“

Sie schrie leise auf, als sie einen schmerzhaften Stich fühlte.

„Sie sind verletzt“, entschied er. „Ich rufe einen Krankenwagen.“

„Nein. Ich bin nicht verletzt. Ich glaube … bei mir haben die Wehen eingesetzt.“

2. KAPITEL

„Wehen? Heißt das, Sie bekommen ein Baby?“ Lukas begriff nicht sofort. Das tat er erst, als er sah, dass sie eine Hand um ihren Bauch gelegt hatte.

Um ihren sehr runden Bauch.

Wie hatte er übersehen können, dass sie schwanger war?

Weil er bisher nur auf ihre großen, ängstlichen blauen Augen geschaut hatte.

Aber jetzt kapierte er endlich. „Sie sind schwanger.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ja, ich bin schwanger.“

Sie war ein hübsches junges Ding – ein sehr junges. Anfang zwanzig, schätzte er, mit makellosem Teint, hohen Wangenknochen und überraschend vollen, verführerisch geformten Lippen.

Er spürte den Reiz, der von ihr ausging, und wehrte sich sofort dagegen. Sie war jung, wunderschön und schwanger.

„Eigentlich glaube ich nicht, dass es Wehen sind“, sagte sie. „Eher eine Überreaktion auf meine Situation.“

Er war nicht überzeugt. „Wann ist Ihr Stichtag?“

„Fünfzehnter November.“

In zwei Wochen. Bei seiner Schwägerin Georgia war Pippa zwei Wochen zu früh zur Welt gekommen. Kein Grund zur Sorge also. Aber Georgia war im Krankenhaus gewesen. Dass diese Frau in einem Graben steckte und weit und breit kein Arzt in Sicht war, konnte sich als Problem erweisen.

Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, und sah, wie sie erneut zusammenzuckte.

„Haben Sie Schmerzen?“

„Nein“, widersprach sie hastig und fast ein wenig verzweifelt. „Es zwickt nur.“

„Ich denke, ich sollte einen Krankenwagen rufen und Sie in eine Klinik bringen lassen.“

„Vermutlich sind es nur Scheinwehen.“

„Hatten Sie so etwas schon mal?“

„Nein“, gab sie zu. „Das ist das erste Mal. Aber ich habe haufenweise Bücher über Schwangerschaft und Geburt gelesen und bin mir ziemlich sicher, dass es nur Braxton-Hicks-Kontraktionen sind.“

Er war noch immer nicht überzeugt, wollte aber keine Zeit vergeuden. Nicht mitten in einem Schneesturm und an einer Straße, die kaum noch als solche zu erkennen war. Er holte das Handy heraus und wählte.

„911. Um was für einen Notfall handelt es sich?“

Er erkannte die Stimme sofort und lächelte, als er an den Sommer vor vielen Jahren dachte, in dem er und die Frau am anderen Ende einige Wochen lang mehr als gute Freunde waren. „Hallo, Yolanda, hier ist Luke Garrett. Könntest du einen Krankenwagen zu mir nach Hause schicken?“

„Was ist passiert?“ Jetzt klang sie besorgt. „Bist du verletzt?“

„Nein, mit mir ist alles in Ordnung. Aber bei mir ist eine junge Frau …“

Er warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Julie Marlowe“, sagte sie.

„Ihr Wagen ist im Graben neben meinem Haus gelandet.“

„Ist sie verletzt?“

„Angeblich nicht, aber sie ist schwanger, zwei Wochen vor dem Termin, und bei ihr haben vielleicht die Wehen eingesetzt.“

„Es zwickt nur“, warf Julie ein.

„Sie sagt, es zwickt nur“, gab Lukas weiter. „Aber es ist so schmerzhaft, dass sie den Atem anhält.“

„Kann ich mit ihr sprechen?“

Er klopfte an die Scheibe, und Julie öffnete das Fenster weit genug, um das Handy zu nehmen. Weil sie im Wagen saß und der Wind immer lauter wurde, bekam er nur Gesprächsfetzen mit, aber er hatte den Eindruck, dass Yolanda sie nach dem Verlauf der Schwangerschaft, möglichen Komplikationen und Anzeichen für Wehen fragte.

Nach einer Minute gab Julie ihm das Handy zurück.

„Wenn ich wüsste, er käme durch, würde ich euch einen Krankenwagen schicken“, erklärte Yolanda. „Aber die Polizei hat die Hauptstraße in beiden Richtungen komplett gesperrt.“

„Aber dies ist ein Notfall.“

„Alle Wagen sind im Einsatz. Und eine werdende Mutter im frühen Stadium der Wehen ist kein Notfall.“

„Und wenn sich die Situation ändert?“

„Dann ruf wieder an. Vielleicht sind die Straßen dann geräumt, und wir können sie ins Krankenhaus bringen.“

„Du klingst nicht sehr zuversichtlich“, stellte Lukas fest.

„Wir tun, was wir können.“

Er verbiss sich ein frustriertes Seufzen. „Und wenn das Baby nicht so lange warten will?“

„Dann wirst du damit fertig“, sagte sie und gab ihm ein paar kurze Anweisungen. „Keine Sorge, ich habe der werdenden Mutter versichert, dass Doktor Garrett so etwas schon oft gemacht hat.“

„Hast du nicht.“

„Doch. Ich musste ihr Mut machen.“

Technisch gesehen hatte Yolanda die Wahrheit gesagt, aber sie hatte verschwiegen, dass er sich als Geburtshelfer vorwiegend um Hunde und Katzen gekümmert hatte. Mit Menschenbabys kannte er sich absolut nicht aus.

Lukas sah Julie an, als sie erneut aufschrie. „Schick uns einen Krankenwagen, sobald du kannst.“

Julie dachte noch darüber nach, was die Frau aus der Notrufzentrale ihr erzählt hatte, als ihr Retter sein Handy wieder einsteckte.

„Bringen wir Sie ins Haus“, sagte er. „Dort ist es warm und trocken.“

Sie wäre lieber im Wagen geblieben. Die Vorstellung, mit einem fremden Mann in dessen Haus zu gehen, machte sie nervös. Aber ihre Hände und Füße waren schon taub, und sie musste die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht klapperten. Außerdem kannte die Notrufzentrale ja ihren Namen und Aufenthaltsort.

Sie schloss das Fenster und entriegelte die Fahrertür.

Er öffnete sie und reichte ihr die Hand. Offenbar fühlte er, wie eisig ihre Finger waren, denn er zog seine Handschuhe aus und streifte sie ihr über. Er half ihr aus dem Wagen und hielt sie an beiden Händen fest, während sie zusammen aus dem Graben kletterten. Leider hatten ihre Stiefel glatte Ledersohlen, und sie wäre ausgerutscht, wenn er sie nicht gestützt hätte. Als sie endlich oben angekommen waren, nahm er sie auf die Arme, so mühelos, als wäre sie ein Federgewicht, und trug sie zu seinem Pick-up. Sie war zu verblüfft, um zu protestieren. Als er sie vorsichtig auf den Beifahrersitz sinken ließ, atmete er nicht mal schneller.

Er startete den Motor, fuhr zum Haus und hielt daneben. Als er die Haustür aufschloss, setzte drinnen lautes Gebell ein.

„Sie haben Hunde?“

„Nur einen.“ Ihr Retter schüttelte den Kopf, als der Hund nicht aufhörte. „Wir waren gerade nach Hause gekommen. Ich habe ihn an der Einfahrt herausgelassen, als ich Ihren Wagen gesehen habe. Er ist losgerannt und wie immer durch seine Klappe ins Haus geschlüpft. Jeden Tag das Gleiche. Sobald ich den Schlüssel ins Schloss stecke, führt er sich auf, als wäre er seit Tagen allein.“

„Die haben kein Zeitgefühl, was?“

„Nur mittags“, entgegnete er trocken. „Er vergisst nie, wann es was zu fressen gibt.“

Er öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. Doch bevor sie hineingehen konnte, fegte ein dreifarbiger Wirbelwind zwischen ihre Füße.

„Einstein, Platz.“

Sofort hockte sich der Hund neben ihre Stiefel in den Schnee auf der Veranda und schaute mit glänzenden dunklen Augen zu ihr hoch. Lukas nahm ihn auf den Arm und winkte sie ins Haus.

„Was für ein kleiner Kerl. Und der süßeste Hund, den ich je gesehen habe.“

„Er ist süß“, bestätigte ihr Retter. „Er liebt jeden, dem er begegnet, aber manchmal ist er etwas begriffsstutzig.“

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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