Schlaflos vor lauter Glück

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Plötzlich Mami: Nach dem tragischen Tod ihrer besten Freunde muss Harper sich um den kleinen verwaisten Oliver kümmern. Der zweite Vormund ist der lässige Ryan - schon immer Harpers Anti-Typ! Doch ihn als zärtlichen Daddy zu sehen, macht etwas Erstaunliches mit ihrem Herzen …


  • Erscheinungstag 30.12.2019
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728854
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Schreien des Babys holte Harper Ross unsanft aus dem Schlaf, ihr Herz raste wie wild.

Nach zweieinhalb Wochen hätte sie sich eigentlich an Olivers Heulattacken mitten in der Nacht gewöhnt haben müssen, aber das war nicht der Fall. Sie war auch davon ausgegangen, nach achtzehn Tagen sicherer im Umgang mit dem Kleinen zu sein, und auch daraus war nichts geworden.

Im Job war das ganz anders. Als Produktionsassistentin einer preisgekrönten Fernsehsendung wusste sie genau, was sie tat. Im Studio hatte sie alles unter Kontrolle. Aber wenn sie sich um den kleinen Sohn ihrer tödlich verunglückten besten Freundin kümmerte, kam sie sich vor wie eine totale Versagerin. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Oliver helfen und ihn trösten konnte – oder ob sie es überhaupt konnte. Als Ersatzmutter fühlte sie sich völlig hilflos.

Als sie erfahren hatte, dass sie von jetzt an für den sechzehn Monate alten Jungen mit verantwortlich war, geriet sie in Panik. Schließlich kannte sie sich mit Babys nicht aus, wusste nichts über ihre Ess- und Schlafgewohnheiten und auch nicht, wie man Windeln wechselt.

Nur gut, dass sie fürs Erste unzählige Informationen und Videos darüber im Internet gefunden hatte. Aber sie musste noch so viel lernen, weshalb sie jede freie Minute damit verbrachte, Bücher über Kindererziehung und Kinderpsychologie zu lesen.

Das würde ihr auch nichts weiter ausmachen, wenn der zweite Vormund – Ryan Garrett – nicht so mühelos in seine neue Rolle geschlüpft wäre, wodurch ihre eigene Unfähigkeit umso deutlicher wurde.

Normalerweise kümmerte Ryan sich nachts um Oliver, aber heute schien er sich aus irgendeinem Grund nicht für ihn verantwortlich zu fühlen. Sie und Ryan hatten ihre jeweiligen Wohnungen aufgegeben und waren in Melissa und Darren Cannons Haus gezogen, sodass Oliver in seiner vertrauten Umgebung bleiben konnte. Vielleicht tröstete ihn das zumindest etwas über den Verlust seiner Eltern hinweg.

Seufzend schwang Harper die Beine aus dem Bett und schluckte den Kloß hinunter, den sie plötzlich im Hals hatte. Das Baby brauchte so unendlich viel mehr, als sie ihm geben konnte, obwohl sie ihr Bestes versuchte. Vermutlich hätte sie mehr Erfolg, wenn sie nachts mehr als immer nur zwei Stunden am Stück schlafen würde, aber davon konnte sie zurzeit nur träumen.

Denn Oliver, der eigentlich schon mit fünf Monaten durchgeschlafen hatte, wachte seit dem tödlichen Unfall seiner Eltern nachts wieder ständig auf. Laut Ryans Mom, an die Harper und Ryan sich bei allen Fragen zur Kindererziehung wandten, war das unter den gegebenen Umständen völlig normal und nicht weiter besorgniserregend. Er sei einfach nur traurig und verwirrt, weil seine Eltern plötzlich nicht mehr da waren. Auch wenn Harper das verstehen konnte, machte es sie fertig.

Als sie das Baby herzzerreißend Ma-ma-ma-ma-ma rufen hörte, wäre sie am liebsten ebenfalls in Tränen ausgebrochen. Sie ging raus in den Flur.

Abgesehen von dem aus dem Kinderzimmer dringenden Schein des Schlaflichts war es dort komplett dunkel. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, wie lange sie geschlafen hatte und …

Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie gegen eine Wand prallte.

Okay, keine echte Wand, sondern Ryan Garretts Brust.

Seine harte, muskulöse und nackte Brust.

Die ganz nass war.

Er hielt Harper an den Hüften fest, damit sie nicht stolperte. Seine Hände fühlten sich fest und warm an. Sie konnte jeden einzelnen Finger durch den hauchdünnen Baumwollstoff ihrer Boxershorts spüren und bekam prompt eine Gänsehaut. Ihr Puls begann auf eine Art zu rasen, die sie schon lange nicht mehr erlebt hatte – und die noch dazu in diesem Fall völlig unpassend war.

Als sie scharf einatmete, stieg ihr Ryans frischer männlicher Duft in die Nase. Anscheinend kam er gerade aus der Dusche. Was zwar erklärte, warum er ganz nass war, aber nicht, warum er halb nackt im Haus herumlief.

„Ich hatte gerade das Wasser abgedreht, als ich Oliver gehört habe“, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. „Ich wollte ihn beruhigen, bevor er dich weckt.“

„Zu spät.“ Sie verzog das Gesicht, als das Weinen des Babys lauter wurde. „Vielleicht solltest du dich erst mal anziehen?“

Ihr Tonfall klang schärfer als beabsichtigt, aber sie hatte keine Lust, sich dafür zu entschuldigen. Sie wusste zwar, dass Ryan nichts dafürkonnte, dass sie wach geworden war, aber sie hatte selbst nicht viel an, und Ryans nackter Oberkörper rief Reaktionen an Stellen hervor, die sie gerade lieber nicht spüren wollte. Ihr war daher nicht danach zumute, fair zu sein.

„Ich habe eine Hose an“, protestierte er, als er Harper ins Kinderzimmer folgte. Obwohl es zu dunkel war, um sein sexy Grinsen zu erkennen, konnte Harper es an seiner Stimme hören. „Ich habe sie extra deinetwegen angezogen.“

Als ob man eine tief auf den Hüften sitzende Boxershorts als richtige Hose bezeichnen konnte!

Der Mann wusste genau, wie attraktiv er war. Er war schließlich ein Garrett, und die waren alle eine Augenweide. Ryan als groß, dunkel und gut aussehend zu beschreiben, wäre daher völlig unzureichend und würde ihm noch nicht mal ansatzweise gerecht.

Er war fast ein Meter neunzig groß und überragte Harper sogar dann, wenn sie hohe Absätze trug. Er hatte volles, weiches kaffeebraunes Haar und Augen, die in seinem Führerschein vermutlich als haselnussbraun bezeichnet wurden, in Wirklichkeit aber moosgrün mit goldenen Sprenkeln waren. Sein kräftiges, markantes Kinn war oft mit Bartstoppeln bedeckt. Normalerweise stand Harper nicht auf Dreitagebärte, aber sie konnte nicht leugnen, dass der Look Ryan stand und seine Anziehungskraft eher noch steigerte.

Doch da Harper von schönen Menschen umgeben aufgewachsen war, ließ sie sich nicht so schnell von einem attraktiven Gesicht oder einem tollen Körper beeindrucken – und Ryan Garrett hatte beides. Nein, wirklich gefährlich wurden ihr sein scharfer Verstand und sein schelmisches Grinsen. Und als ob das noch nicht genug wäre, war er obendrein noch freundlich, charmant und aufmerksam.

Wäre sie jetzt einigermaßen wach und denkfähig, würde sie sofort umkehren und zurück ins Bett gehen. Doch sie ging einfach weiter.

Sie knipste die Lampe neben dem Schaukelstuhl an, während Ryan direkt auf das Gitterbettchen zusteuerte und Oliver auf den Arm nahm. Das herzzerreißende Weinen wurde sofort zu einem zittrigen Schluchzen, als sich das Baby an Ryans breite Brust schmiegte.

Harper blieb unschlüssig stehen. Sie kam sich mal wieder völlig nutzlos und unfähig vor, als sie Ryan beim Trösten des verstörten Kindes beobachtete und seinem beruhigenden Murmeln lauschte. Das tiefe, sexy Timbre seiner Stimme genügte, um ihr Blut wieder in Wallung zu bringen.

Sie wusste allzu gut, wie es sich anfühlte, in Ryans starken Armen zu liegen und seinem Herzschlag zuzuhören. Und zwar deshalb, weil sie vier Jahre zuvor eine unglaubliche, geradezu magische Nacht mit ihm verbracht hatte – doch am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, war sie wieder in der harten Realität gelandet.

„Was ist los, mein Kleiner?“, flüsterte Ryan Oliver ins Ohr. „Hast du Hunger? Oder eine volle Windel?“ Er tätschelte dem Baby sanft den Po. „Oh ja, die müssen wir unbedingt wechseln.“

Harper beobachtete Ryan. Er legte Oliver geschickt eine Hand auf den Bauch, während er aus dem unteren Fach der Wickelkommode eine saubere Windel nahm. Bei ihm sah es total einfach aus, während ihr jedes Mal der Schweiß ausbrach, weil sie ständig Angst hatte, dass der lebhafte Kleine runterfiel … auch wenn sie ihm zugegebenermaßen nicht oft die Windeln wechselte.

Im Laufe der letzten zweieinhalb Wochen hatte sich zwischen Ryan und ihr eine gewisse Routine eingespielt. Ryan kümmerte sich vormittags um Oliver, während Harper bei der Arbeit war, und wenn sie vom Fernsehstudio nach Hause kam, fuhr er für ein paar Stunden in sein Büro.

Sie hatten noch keinen Plan für den Einkauf oder die Wäsche festgelegt, doch Harper hatte den Eindruck, dass Ryan auch von diesen Aufgaben den Großteil übernahm. Im Gegenzug bereitete sie das Abendessen vor, bevor er nach Hause kam, und anschließend räumten sie zusammen die Küche auf und badeten Oliver.

Wenn es jedoch darum ging, schlafen zu gehen, bevorzugte der Kleine eindeutig Harpers Arme.

Ryan streifte sie mit einem Blick, während er die Windel zuklebte. „Geh doch zurück ins Bett, Harper. Ich kümmere mich um Oliver.“

Da Harpers Wecker schon um Viertel vor fünf klingelte, hätte sie nichts lieber getan als das. Nach der Beerdigung hatte Ryan ihr freundlicherweise angeboten, nachts aufzustehen, damit sie wenigstens durchschlafen konnte. Es war nicht seine Schuld, dass sie von jedem Geräusch wach wurde, das aus Olivers Zimmer drang.

Gut, dass sie nur hinter den Kulissen von Coffee Time with Caroline arbeitete, Charismas beliebtester Frühstücksfernsehsendung. Harpers dunkle Augenringe störten daher nicht so wie der Nebel, der ihr Gehirn in letzter Zeit zu umwabern schien.

„Soll ich ihm was zu trinken holen?“, fragte sie, als Ryan den Reißverschluss von Olivers Strampler zuzog.

„Das übernehme ich“, sagte Ryan. „Versuch, noch etwas Schlaf zu kriegen.“

Als Harper beschloss, genau das zu tun, streckte Oliver vom Wickeltisch aus seine Ärmchen nach ihr aus. „Arm!“

Ryan nahm ihn hoch. „Ich habe dich schon, Kumpel.“

Kopfschüttelnd zeigte der Kleine auf Harper. „Arm!“

„Harper muss jetzt genauso in die Heia wie du.“

„Arm!!“, beharrte Oliver.

Ryan sah Harper unschlüssig an.

Sie zuckte die Achseln. „Ich habe Brüste.“

Sie hatte das ganz automatisch gesagt, da ihr Gehirn noch im Halbschlafmodus war und sie daher nicht bedacht hatte, mit wem sie sprach oder wie ihr Gegenüber darauf reagieren würde.

Und natürlich reagierte Ryan wie jeder gesunde heterosexuelle Mann – er ließ den Blick zu ihren Brüsten gleiten und lächelte anzüglich. „Stimmt. Ist mir auch schon aufgefallen.“

Ihre Wagen brannten, als sie spürte, dass sich ihre Knospen unter dem dünnen Baumwollstoff ihres Tank Tops verräterisch abzeichneten. Hastig nahm sie ihm das Baby ab, um sie zu bedecken. „Ich habe nur gemeint, dass er zum Kuscheln eine weiche Brust bevorzugt.“

„Kann ich ihm nicht verdenken“, sagte Ryan trocken.

Oliver schmiegte den Kopf an ihre Schulter und schob ihr eine Hand in den Ausschnitt.

„Geschickter Move“, stellte Ryan grinsend fest.

Harper schoss wieder das Blut ins Gesicht. Sie ging zum Schaukelstuhl und setzte sich. „Er sucht nur Trost“, erklärte sie schaukelnd, ohne auf Ryans Worte einzugehen.

„Vielleicht brauche ich den ja auch“, zog Ryan sie auf.

Sie verdrehte genervt die Augen. „Dann solltest du vielleicht Brittney anrufen.“

Verständnislos sah er sie an. „Wen?“

„Na, die Frau, mit der du zusammen warst, als ich dich angerufen und dir von Melissas und Darrens Unfall erzählt habe.“

Allmählich schien ihm zu dämmern, wen sie meinte. „Ach so. Du meinst Bethany.“

„Ich werde mir die Namen deiner Freundinnen notieren müssen, um sie nicht alle durcheinanderzubringen.“

„Das wird nicht nötig sein. Weil du ihnen ganz bestimmt nicht über den Weg laufen wirst.“

„Einverstanden“, entgegnete sie. „Solange du um halb sechs Uhr morgens wieder hier bist, sodass ich zur Arbeit kann. Ansonsten interessiert es mich nicht, wo du schläfst.“

„So früh gehst du aus dem Haus? Um halb sechs?“

Sie nickte.

Da Oliver zurzeit nachts so oft wach wurde, schlief Ryan um diese Uhrzeit normalerweise noch wie ein Toter. Er hatte zwar gewusst, dass Harpers Arbeitstag früh begann, aber nicht, wie früh. „Das ist ja Wahnsinn!“

„Sieh es doch mal positiv. Das erspart dir den peinlichen Abschied am Morgen danach.“

Harper hatte vom Anfang ihrer Bekanntschaft an keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nicht viel von Ryan hielt. Damals war sie erst einundzwanzig und hatte noch nicht mal ihr Diplom von der New York University in der Tasche gehabt, sie war jedoch voller ehrgeiziger Pläne gewesen.

Ryan hingegen stand kurz vor seinem Abschluss in BWL an der Columbia University und bereitete sich auf seinen ersten Job bei Garrett Furniture vor. Obwohl es damals heftig zwischen ihm und Harper gefunkt hatte, hatte sie ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass ein Mann, der sich mit einem Verkaufsjob begnügte, nicht ihren Erwartungen entsprach. Seinen Einwand, dass das nur ein Einstieg sei, hatte sie völlig ignoriert.

Es hatte sie auch nicht beeindruckt, als sie später erfahren hatte, dass seiner Familie die millionenschwere Firma gehörte. Stattdessen hatte sie ihm vorgeworfen, sich ins gemachte Nest zu setzen, und da war vielleicht sogar etwas Wahres dran. Doch Ryan hatte nie ein Workaholic werden wollen wie sein Vater und hatte sich daher früh vorgenommen, nicht nur für seinen Beruf zu leben. Und er hatte nicht die Absicht, sich deswegen zu entschuldigen.

Genauso wenig für sein Privatleben.

„Den einzigen peinlichen Abschied hatte ich bei dir“, erwiderte er.

Harper funkelte ihn über den Kopf des Babys hinweg verärgert an. „Wir haben uns doch darauf geeinigt, nie über diese Nacht zu reden.“

„Ich habe gar nichts“, widersprach er. „Du hast das einfach so beschlossen, und ich habe mich gefügt.“

Sie senkte den Blick zu Oliver, der trotz des hitzigen Wortgefechts sofort wieder eingeschlafen war. „Und warum fängst du ausgerechnet jetzt damit an?“

Gute Frage. Ryan wusste selbst nicht, was ihn geritten hatte. Denn obwohl ihre gemeinsame Nacht für ihn kein Tabuthema war, hatte er bisher immer so getan, als sei nie etwas zwischen ihnen passiert. Dabei hatte er diese Nacht nie vergessen, so sehr er es auch versucht hatte – schließlich war es ziemlich demütigend, wenn die Frau, mit der man gerade tollen Sex gehabt hatte, einen hinterher wissen ließ, dass es kein zweites Mal geben würde.

„Weil es nun mal passiert ist“, sagte er. „Selbst wenn wir nicht darüber reden – es steht einfach zwischen uns.“

„Es ist vier Jahre her“, protestierte sie. „Eine Ewigkeit.“

„Wenn es so lange her ist und so unbedeutend war, warum hast du Melissa dann nie davon erzählt?“

„Was?“

„Du hast immer gesagt, dass ihr beide euch absolut alles anvertraut. Warum hast du unsere gemeinsame Nacht ihr gegenüber nie erwähnt?“

„Weil ich nicht wollte, dass es zwischen uns peinlich wird.“

„Wen meinst du mit uns? Dich und Melissa? Oder dich und mich?“

„Uns alle.“ Sie hielt den Blick hartnäckig auf das schlafende Baby gerichtet. „Hätte ich Melissa davon erzählt, hätte sie es Darren weitererzählt, und dann wäre jedes Treffen mit ihnen irgendwie unangenehm und komisch gewesen.“

„War es denn nicht auch so schon unangenehm und komisch genug?“

„Überhaupt nicht!“

„Du empfindest also noch nicht mal mehr einen winzigen Rest körperlicher Anziehung, wenn wir zusammen sind?“

„Wie kommst du denn darauf?“

Ihr verächtlicher Tonfall kränkte Ryan, aber ihm entging nicht, dass sie seinem Blick immer noch auswich. Stattdessen richtete sie ihren auf seinen nackten Oberkörper. Und zwar mit Wohlgefallen, wie Ryan sogar bei der schwachen Beleuchtung erkennen konnte. „Du bist doch eine kluge Frau, Harper.“

Nur mühsam wandte sie sich von seiner nackten Brust ab. „Ach ja?“, fragte sie misstrauisch.

„Dir muss doch bewusst sein, wie viele Männer deine Bemerkung als Herausforderung betrachten würden.“

„Ich habe lediglich eine Tatsache festgestellt.“

Er brummte abfällig.

Harper stand mit dem schlafenden Baby auf. „Ich lege Oliver jetzt hin und gehe zurück in mein Zimmer.“

Ryan konnte nicht widerstehen, sie noch weiter zu provozieren. Nur ein bisschen. „Ist das jetzt eine Einladung?“

„Ist die Hölle inzwischen zugefroren?“, gab sie wie aus der Pistole geschossen zurück.

Lächelnd beobachtete er, wie sie Oliver behutsam hinlegte. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er sie auch dann noch für ihren scharfen Verstand und ihre Schlagfertigkeit bewunderte, wenn sie ihn total wütend machte?

Er begleitete sie zur Tür. „Gib es doch zu, du willst mich immer noch.“

„Du solltest dringend mal etwas gegen dein aufgeblasenes Ego unternehmen, bevor …“

Er berührte ihre Lippen mit einem Finger und brachte sie damit zum Verstummen. „Du willst mich immer noch“, beharrte er. „Genauso wie ich dich.“

Er zeichnete die Umrisse ihrer Lippen mit der Fingerspitze nach. Sogar nach vier Jahren erinnerte er sich noch an Harpers weichen Mund, ihre zärtlichen Küsse. An ihre Leidenschaft und das Gefühl ihrer Hände auf seinem Körper.

Ihr Blick verdunkelte sich und ihr schneller werdender Puls verriet ihm, dass auch sie an damals denken musste.

Blinzelnd trat sie einen Schritt zurück. „Machst du mich etwa gerade an – keine drei Wochen nach der Beerdigung unserer besten Freunde?“

„Ich habe lediglich eine Tatsache festgestellt.“

„Du meinst wohl deine völlig verblendete Wahrnehmung dieser Tatsache“, erwiderte sie schnippisch.

Er stützte eine Hand gegen den Türrahmen und versperrte ihr so den Weg. „Du hast kein Recht, mir Verblendung zu unterstellen, wenn du selbst nicht zu deinen Gefühlen stehst.“

Sie verdrehte genervt die Augen. „Na klar doch! Ich verdränge meine Gefühle, nur weil ich dich nicht in mein Bett zerre?“

„Das wäre gar nicht nötig. Ich würde vielleicht sogar freiwillig mitkommen, wenn du mich ganz lieb darum bittest.“

„Darauf kannst du lange warten!“

„… freien Termine nächsten Monat.“

Die Worte drangen wie aus weiter Ferne in Harpers Bewusstsein.

Sie erkannte die Stimme ihrer Assistentin, wusste jedoch nicht, ob Diya gerade mit ihr sprach, aber sie hatte nicht genug Energie, um zu fragen.

„Hast du mich gehört?“ Diyas Stimme klang schärfer, näher. „Harper?“

Harper hob blinzelnd den Kopf. „Ja, natürlich.“

Diya sah sie besorgt an. „Alles okay mit dir?“

„Klar.“ Harper griff nach dem Kaffeebecher neben sich und trank einen Schluck. Angeekelt verzog sie das Gesicht, als ihr die kalte Flüssigkeit die Kehle hinunterfloss. Offensichtlich hatte sie mehr als nur ein paar Minuten geschlafen, wenn der Kaffee, den sie sich doch gerade erst eingeschenkt hatte, schon kalt war.

Daran war nur dieser dämliche Ryan schuld! Nachdem sie Oliver wieder hingelegt hatte und selbst ins Bett gegangen war, lag sie nämlich noch lange wach und dachte über seine Worte nach – und verwünschte ihn insgeheim, weil er recht hatte.

Sie wollte ihn tatsächlich. Schon allein seine Nähe brachte ihr Blut in Wallung und beschleunigte ihren Herzschlag. Und als er die Umrisse ihrer Lippen mit der Fingerspitze nachzeichnete, hatte sie sich für einen Moment wirklich gewünscht, er würde endlich ernst machen und sie küssen. Sie hatte sich danach gesehnt, ihn zu berühren, die Hände über seinen Waschbrettbauch und seine muskulöse Brust gleiten zu lassen. Und ja, verdammt, sie hatte ihn tatsächlich in ihr Zimmer zerren und mit ihm schlafen wollen.

Aber diese Wirkung hatte er vermutlich auf fast alle Frauen. Wie sollte man auch dem intensiven Blick aus grün-goldenen Augen widerstehen, mit dem Ryan einem das Gefühl gab, die einzige Frau auf der Welt zu sein? Wie konnte sie sich der Faszination seines sexy Grinsens entziehen, das ihr alle möglichen Sinnesfreuden versprach? Sie war schließlich auch nur ein Mensch.

Harper wusste, dass Männer, denen sich die Frauen förmlich zu Füßen warfen, oft selbstsüchtige Liebhaber und nur auf ihre eigene Befriedigung aus waren. Aber leider wusste sie auch, dass Ryan Garrett definitiv nicht zu diesen Männern gehörte.

Wie dem auch sei, eine tolle Liebesnacht vor vier Jahren hatte nichts an der unumstößlichen Tatsache geändert, dass sie absolut nicht zusammenpassten. Ryan war wie ihre Lieblingsschokolade mit gesalzenem Karamell: verlockend und köstlich, aber wenn man der Versuchung nachgab, bereute man es hinterher unweigerlich. Nur diese Erkenntnis hatte ihr die Kraft gegeben, sich von ihm fernzuhalten.

Leider hatte seine Berührung die Erinnerungen an ihre so lange zurückliegende gemeinsame Nacht wieder wachgerufen und Harper bis in die frühen Morgenstunden nicht schlafen lassen. Dass sie sich auch nach vier Jahren noch lebhaft an jedes Detail erinnern konnte, sagte viel aus über ihr Liebesleben.

Als sie den Kopf schüttelte, um die unwillkommenen Erinnerungen loszuwerden, fiel ihr auf, dass ihre Assistentin den kalt gewordenen Kaffee mitgenommen hatte und mit frischem, dampfendem zurückkehrte.

„Danke“, sagte Harper erleichtert.

Diya zeigte auf ihre rechte Wange. „Du hast da Knitterfältchen im Gesicht.“

So viel zu Harpers Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass sie an ihrem Schreibtisch hart arbeitete. „Ich bin anscheinend kurz eingenickt“, gestand sie.

„Warum gehst du nicht nach Hause und schläfst dich richtig aus?“

„Weil ich Babydienst habe, sobald ich nach Hause komme.“

„Babys schlafen zwischendurch. Man muss sich nur angewöhnen, sich dann ebenfalls hinzulegen.“

Dieser Rat stand auch in zahlreichen Erziehungsratgebern, aber wenn Oliver ein Nickerchen machte, hatte sie immer noch jede Menge anderer Dinge zu erledigen, die sie vom Schlafen abhielten. „Klingt vernünftig“, stimmte sie zu. „Aber wenn ich mich hinlege, kriege ich kein Auge zu.“

„Und am Schreibtisch schon?“

Harper lächelte schuldbewusst. „Anscheinend.“

Diya schüttelte belustigt den Kopf. „Woran arbeitest du gerade?“

Harper musste einen Blick auf ihren Computerbildschirm werfen, damit es ihr wieder einfiel. „Ich vervollständige die Einkaufsliste für Kanes Kochbeitrag morgen früh.“

„Kane.“ Harpers Assistentin seufzte schwärmerisch. „Der Mann ist genauso zum Anbeißen wie alles, was er kocht.“

„Und ein totaler Tyrann, wenn es um die Zutaten dafür geht. Drei der Sachen, die er für morgen haben will, kriegt man nur in einem Spezialgeschäft in Raleigh.“

„Leite mir die Liste auf mein Handy weiter. Ich übernehme das.“

„Wirklich?“

„Klar. Meine Schwester Esha wohnt in Raleigh, und ich wollte sie diese Woche sowieso besuchen.“

„Das wäre mir eine große Hilfe, danke.“

„Ich bin die Assistentin der Produktionsassistentin. Helfen ist mein Job“, rief Diya ihr ins Gedächtnis.

„Na ja, ich weiß es jedenfalls zu schätzen, dass du mir den Abstecher auf dem Heimweg ersparst.“

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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